Schwaben und Franken. Regionalgeschichte im Vergleich

Schwaben und Franken. Regionalgeschichte im Vergleich

Organisatoren
Memminger Forum für schwäbische Regionalgeschichte e.V.; Dietmar Schiersner, Pädagogische Hochschule Weingarten; Georg Seiderer, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Ort
Memmingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.11.2017 - 19.11.2017
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Von
Regina Hindelang, Bayerische und Fränkische Landesgeschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Das Memminger Forum beschäftigt sich vor allem mit der schwäbischen Geschichte und bezieht traditionell die Geschichte der angrenzenden Schweiz und Vorarlbergs mit ein. Im Rahmen der im zweijährigen Turnus stattfindenden Tagungen des Forums wurde jedoch dieses Mal neben Schwaben in vergleichender Absicht Franken in den Blick genommen. Dieser Blick machte nicht nur Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Regionen deutlich, sondern verhalf auch dazu, in vielen Details das historische Profil jeder der Regionen zu schärfen.

So wurde im ersten Teil der Fokus auf die verwandten Strukturen gelenkt, die sich in den Reichskreisen, der Reichsritterschaft, der Stifts- und Klosterlandschaft und, seit der Reformation, in der Bi-Konfessionalität zeigten. Diese Strukturen einten, teilten bzw. gliederten und schufen so die Räume immer wieder neu. HELMUT FLACHENECKER (Würzburg) veranschaulichte, dass die Bischöfe im Frühmittelalter Klostergründungen in natürlichen, topographisch bedeutsamen Grenzräumen unterstützten und forcierten, um so gezielt eine Abgrenzung ihres dadurch entstehenden Bistumsgebietes zu erreichen.

Der fränkische und der schwäbische Reichskreis agierten als überaus aktive Institutionen auf der Zwischenebene zwischen Reich und Ständen. FABIAN SCHULZE (Augsburg) konzentrierte sich in seinen Ausführungen auf deren territoriale Ausdehnung, auf die Einrichtungen des Kreises und dessen Ämter sowie auf das Militär- und Münzwesen. Interessant war die Tatsache, dass konfliktträchtigen konfessionellen Fragen, die seit der Reformation das Gleichgewicht in Franken und Schwaben immer wieder störten, in beiden Kreisen weitgehend ausklammert wurden, um deren Funktionsfähigkeit zu ermöglichen.

Im Gegensatz dazu waren konfessionelle Zugehörigkeiten und Probleme gerade bei der Reichsritterschaft von besonderer Bedeutung. ANDREAS FLURSCHÜTZ DA CRUZ (Bamberg) arbeitete dies heraus und gab zu bedenken, dass die Konfessionalisierung der einzelnen Ritterfamilien eine Verschiebung zum Beispiel im Gefüge der Domkapitelbesetzungen nach sich zog, so dass im Würzburger Domkapitel eine Vielzahl von schwäbischen Familien zu finden war. Als Desiderate sprach er die konfessionelle Rolle der Frauen in der Reichsritterschaft und die Ansiedlung von Juden in reichsritterschaftlichen Herrschaften an.

Strukturelle Unterschiede dagegen zeitigten Konsequenzen für das Söldnerwesen, etwa bei der Rekrutierung aus angrenzenden Regionen (Böhmen und Schweiz). STEFAN XENAKIS (Sinntal) wies dabei auf den untereinander vernetzten Adel Schwabens hin, der dort die Organisation des Söldnerwesens in die Hand nahm, wogegen sich in Franken die Reichsstadt Nürnberg besonders hervortat.

Zahlreiche Konvergenzen waren in der Entwicklung der Diözesanverwaltungen in Augsburg und Würzburg im Zeichen der Konfessionalisierung zu beobachten. VERONIKA HEILMANNSEDER (Würzburg) stellte dabei die Universitätsgründungen in Dillingen und Würzburg, die Ansiedlung der Jesuiten, den Verwaltungsapparat und die Bau- und Bildprogramme der Bischöfe beider Bistümer in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Die konkreten Folgen für die Diözesanen zu untersuchen, bleibe indes in mancher Hinsicht nach wie vor ein Desiderat.

Ebenfalls eine Gemeinsamkeit ist die Entwicklung der jüdischen Landgemeinden in Schwaben und Franken. Nach der Ausweisung der Juden aus den größeren Städten bildeten sich mit einem Umweg über die Mittelstädte auf dem Land zahlreiche jüdische Gemeinden aus. Oft fand eine gezielte Ansiedlung statt. CORNELIA BERGER-DITTSCHEID (Maxhütte-Haidhof) stellte dar, dass vielfach der Synagogenbau einen Stein des Anstoßes bot, wenn die Bauwerke sich an der kirchlichen und weltlichen Architektur orientierten. Da eine prominente Außengestaltung meist untersagt war, konzentrierten sich die Gemeinden vielfach auf den Innenraum ihrer Synagoge, was mit der Vorstellung eines verarmten Landjudentums nicht vereinbar erscheint.

ANDREAS LINK (Augsburg) stellte die katholische Erweckungsbewegung im Allgäu und ihre Protagonisten vor, die eine ungeahnte Auswirkung im evangelischen Franken hatte. Obwohl sich diese Bewegung im Allgäu nicht halten konnte, erfuhr sie in Franken vor allem an der Universität Erlangen ihre Rezeption und strahlte von dort auf die Umgebung aus. Das „famose“ Herzbüchlein als Anleitungsbuch für diese Theologie der Erfüllung erwies sich als Bestseller weit über beide Regionen hinaus.

Säkularisierung und Mediatisierung waren für den bayerischen Minister Montgelas das Aufräumen mit in seinen Augen überflüssigen und veralteten Strukturen. ESTEBAN MAUERER (München) führte aus, dass unter Montgelas alles einer „rationalen“ Betrachtung unterzogen wurde, um so den Staatsapparat des Königreiches zu optimieren. Ludwig I. leitete insofern einen Politikwechsel ein, als nun verstärkt gerade auf traditionelle Strukturen Bezug genommen werden sollte, deren Vielfalt der König in den bayerischen Staat integrieren wollte.

Die Industrialisierung in Schwaben und Franken, die mit der Gründung des Zollvereins und dem Ausbau der Eisenbahnen einsetzte, thematisierte KATRIN HOLLY (Augsburg). Sie machte aber auch deutlich, dass es nicht zwangsläufig einer unmittelbaren Anbindung an das Eisenbahnnetz bedurfte, sofern es gute Überlandverbindungen auf Straßen gab. Know-How holten sich die Unternehmer sowohl in Schwaben und Franken aus den angrenzenden Regionen wie Thüringen und der Schweiz. Um am Markt bestehen zu können, wurden oft Nischenmärkte erschlossen, so in Oberfranken die Granitschleiferei oder die Porzellanmanufaktur. Dort herrschte auch noch bis ins 20. Jahrhundert die Hausindustrie vor. Laut Holly gab es zwar eine staatlich bayerische Industrialisierungspolitik, von größerer Bedeutung waren aber die regionalen Faktoren.

Die dritte Sektion beschäftigte sich mit der Komplexität der Identitätsbildung. DIETER J. WEISS (München) nahm die Entwicklung der historischen Vereine in seinen Betrachtungen in den Fokus. Die um 1830 entstandenen Kreisvereine existieren heute noch und widmen sich in den einzelnen Regierungsbezirken der Erforschung der jeweiligen Geschichte. Handelte es sich dabei um staatlich verordnete Gründungen, die der Identitätsfindung und -bildung dienen sollten, so folgten ihnen im Laufe des späteren 19. und des frühen 20. Jahrhunderts zahlreiche weitere, vielfach lokale Vereine, deren Gründung auf das historische Interesse von Honoratiorenzirkeln zurückging.

Regiogenese, so GERHARD LUBICH (Bochum) in seinem Vortrag, meint die Ausbildung einer Region, indem in ihr lebende Menschen eine gemeinsame Identität entwickeln. Bilden sich also neue Verbindungen aus, sei es durch sprachliche, religiöse und politische Einflüsse, kann dies auch zur Ausformung neuer Regionen und Räume führen, wie Lubich am Beispiel der Makroräume Schwaben und Franken und dem „Mesoraum Land am Kocher“ zeigte. Solche Räume sind damit keineswegs auf Dauer festgelegt, sondern prinzipiell fluide.

Die Region Hohenlohe war seit dem Mittelalter, wie die Verbindungen des regionalen Adels und viele weitere Faktoren erweisen, nach Franken ausgerichtet. Erst mit der Mediatisierung der Fürsten von Hohenlohe mussten sich Teile der Hohenloher Bevölkerung mit dem neuen Herren Württemberg auseinandersetzen. KURT ANDERMANN (Freiburg im Breisgau) betonte gleichwohl die fränkische Identität Hohenlohes, auch wenn sich der Landstrich längst mit der württembergischen Herrschaft arrangiert hat.

War bei der Gründung der historischen Vereine der politische Wille der bayerischen Regierung maßgeblich, stand bei der Entstehung der historischen Museen das gehobene Bürgertum Pate, das die eigene Geschichte erforschen und „bewahren“ wollte. Den Grundstock der Sammlungen bildeten Altertumsfunde, aus denen oft wahre „Rumpelkammern“ an gesammeltem Wissen zusammengetragen wurden. EVA BENDL (Oberschönenfeld) zeigte auf, wie sich daraus die lokalen Museen in Franken und Schwaben mit ihrem didaktischen und pädagogischen Anspruch entwickelten.

Hervorzuheben ist der öffentliche Abendvortrag von KLAUS WOLF (Augsburg) und JOHANNES HOYER (Memmingen), welche die Besucher in die Welt der Memminger Meistersinger einführten. Der Meistersang war in den Reichsstädten Schwabens und Frankens sehr verbreitet. Stimmbegabte Männer sangen und rezitierten den Psalter und andere biblische Texte zu allen möglichen Anlässen. In Memmingen existierte eine Meistersingergesellschaft bis ins Jahr 1875. Höhepunkt des Abends war der rezitative Vortrag von Liedern aus dem originalen Meistersangbuch der Stadt Memmingen durch Johannes Hoyer.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung

Dietmar Schiersner (Weingarten)

Sektion 1: Verwandte Strukturen?

Helmut Flachenecker (Würzburg): Entstehung und Ausformung von Regionen – Klöster und Stifte als Zentren mittelalterlicher Kulturlandschaften

Fabian Schulze (Augsburg): Der Fränkische und der Schwäbische Reichskreis in der Frühen Neuzeit. Zwei supraterritoriale Organisationen

Andreas Flurschütz da Cruz (Bamberg): Reichsritterschaft(en). Der immediate niedere Adel Frankens und Schwabens

Öffentlicher Abendvortrag

Klaus Wolf (Augsburg) / Johannes Hoyer (Memmingen): Die Meistersinger von Memmingen. Literaturgeschichtliche Bilanz mit Klangbeispielen

Sektion 2: Gemeinsame Geschichte(n)?

Stefan Xenakis (Sinntal): Die Söldnerlandschaften Schwaben und Franken zwischen Landshuter Erbfolgekrieg und Bauernkrieg

Veronika Heilmannseder (Würzburg): Die kirchliche Verwaltung als Konfessionalisierungsträger. Die Bistümer Augsburg und Würzburg

Cornelia Berger-Dittscheid (Maxhütte-Haidhof): Jüdische Gemeinden und Synagogen in Schwaben und Franken im 17. und 18. Jahrhundert

Andreas Link (Augsburg): „Herzgucker und Herzguckerinnen“. Zu den Erweckungsbewegungen im Allgäu und in Franken. Bedingungen, Protagonisten, Einflüsse

Esteban Mauerer (München): Säkularisation, Mediatisierung und die Folgen. Übergang und Integration Frankens und Schwabens in den neuen bayerischen Staat

Katrin Holly (Augsburg): Zweimal Industrialisierung. Oberfranken und Schwaben im Vergleich

Sektion 3: Komplexe Identitäten?

Dieter J. Weiß (München): Zwischen Historiographie und moderner Landesgeschichte. Historische Vereine als regionale Identitätsträger

Gerhard Lubich (Bochum): Typen der Regiogenese. Schwaben, Franken und „das Land am Kocher“

Kurt Andermann (Freiburg im Breisgau): Hohenlohe – zwischen Franken und Schwaben?

Eva Bendl (Oberschönenfeld): Geschichtsbegeisterung und Heimatliebe. Zur Entwicklung der historischen Museen in Schwaben und Franken

Tagungszusammenfassung und Schlussdiskussion

Georg Seiderer (Erlangen)


Redaktion
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Region(en)
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Deutsch
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