Gender(ed) Histories of Health, Healing and the Body, 1250–1550

Gender(ed) Histories of Health, Healing and the Body, 1250–1550

Organisatoren
Eva-Maria Cersovsky, a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne; Ursula Gießmann, Zentrum für Hochschuldidaktik, Universität zu Köln; Zentrum für Mittelalterstudien Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.01.2018 - 26.01.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Thea Fiegenbaum / Markus Jansen, Historisches Institut, Universität zu Köln

Der internationale Workshop stellte als erste Veranstaltung in Deutschland die komplexen und oftmals ambivalenten Verflechtungen von Geschlecht, Gesundheit und Gesundheitsversorgung im späten Mittelalter in ihren Verflechtungen in den Mittelpunkt, die in medizinischen, sozialen, kulturellen, religiösen und ökonomischen Belangen eine Rolle spielten. Im Fokus standen geschlechtsspezifische Muster in der medizinischen Praxis sowie die Träger und die Produktion bzw. Verbreitung von Wissen um den menschlichen Körper. Ziel des Workshops war nicht nur eine inhaltliche Differenzierung des Forschungsfeldes und die Diskussion über methodische Zugriffe und verfügbare Quellen, sondern auch die Etablierung eines Diskussionsforums für die internationale Forschung.

Nach der Begrüßung durch URSULA GIESSMANN (Köln) führte EVA-MARIA CERSOVSKY (Köln) in den Workshop ein. Sie skizzierten der Forschungsstand und wiesen darauf hin, dass dezidierte Forschung bislang vor allem im anglophonen Raum erfolgte und eine weitere Vernetzung reizvoll sei. Der Faktor Geschlecht spielt heute eine so zentrale Rolle für Gesundheit, Pflege und Medizin wie im späten Mittelalter; dies erweist zugleich die Relevanz geschlechtersensibler, historischer Perspektiven. So sollten vorwiegend für das 13. bis 16. Jahrhundert vorherrschende Narrative beleuchtet und hinterfragt werden, deren Meistererzählungen zwischen einem goldenem Zeitalter für Frauen und ihrer Marginalisierung bzw. Exklusion aus dem medizinischen Feld changieren.

Im Anschluss an die Begrüßung präsentierte SHARON STROCCHIA (Atlanta) ihren Keynote-Vortrag „The Politics of Household Medicine at the Early Medici Court“. Sie sprach über weibliches medizinisches Handeln in fürstlichen Haushalten der Renaissance, die sie als Orte der geschlechterspezifischen Herstellung experimentellen Wissens begriff. Im Fokus ihres Vortrags stand Maria Salviati, die Mutter Cosimos I. de’ Medici, des ersten Großherzogs der Toskana. Strocchia wies darauf hin, dass medizinisches Wissen, gerade hinsichtlich der Behandlung von Kindern, am Hof zwischen Salviati, weiblichen Pflegerinnen und gelehrten Ärzten verhandelt wurde. Maria Salviati wurde zu einer Expertin auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge, entwarf eigene Behandlungsmethoden und erwarb damit, insbesondere in Bezug auf ihren eigenen Körper, einen gewissen Grad an Autonomie. An diesem Beispiel verdeutlichte Strocchia, dass adlige Frauen in der medizinischen Praxis enormen Einfluss nehmen und somit eine eigene, auch von gelehrten Ärzten anerkannte agency entwickeln konnten.

Die erste Sektion "Sources of Religious Healing" nahm die Verbindungen zwischen Religion bzw. religiösen Gemeinschaften und medizinischer Versorgung in den Blick. SARA M. RITCHEY (Tennessee) zeigte auf, dass Zisterzienserinnen und Beginen in der täglichen Fürsorge eine zentrale Rolle für lokale Gemeinschaften des spätmittelalterlich-niederländischen Raums spielten. Im 13. und 14. Jahrhundert gründeten sie eine Vielzahl von Einrichtungen, die sich der körperlichen Pflege widmeten und bildeten „healing communities“, in denen erfahrungsbasiertes Wissen generiert und in Psaltern und Lektionaren, etwa in Form von Erzählungen, Gebeten oder Gedichten, weitergegeben wurde – allesamt Quellen, die bisher weniger mit medizinischem Handeln in Verbindung gebracht wurden. Ritchey hob besonders den performativen und affektiven Charakter des medizinischen Handelns religiöser Frauen hervor.

Der Vortrag von KRISZTINA ILKO (Cambridge) behandelte aus kunsthistorischer Perspektive die Wundertätigkeiten heiliggesprochener Augustinermönche im Italien des 14. Jahrhunderts, die sich vielfach auf Heilungen bezogen und in teils drastisch anmutenden Szenen ins Bild gesetzt wurden. Ilko konnte aufzeigen, dass die Augustinerbrüder hier in gesundheitlichen Belangen als Ansprechpartner für Frauen, insbesondere Mütter, propagiert wurden. Über die Kombination mit schriftlichen Quellen verwies sie auf die vielfältigen engen Bindungen zwischen den Mönchen und ortsansässigen Frauen, welche die Position der Augustiner in den italienischen Städten maßgeblich festigten.

Im dritten Beitrag dieser Sektion fragte ILIANA KANDZHA (Budapest) nach weiblichen Heiligen als Akteurinnen weiblicher Heilung und veranschaulichte dies am Kult der Heiligen Kunigunde in Bamberg, die als eine der ersten Frauen durch die katholische Kirche kanonisiert wurde. Während Mirakel- und Kanonisationsberichte auf eine Darstellung Kunigundes als universal einsetzbare Heilige abzielten, so Kandzha, bestimmten Jungfräulichkeit und Weiblichkeit als zentrale Attribute vor allem ab dem 15. Jahrhundert die bildliche Repräsentation sowie den Umgang mit den Reliquien der Heiligen, deren Kult sich zudem vorwiegend an ein weibliches Publikum richtete.

Die zweite Sektion "Producing, Transmitting and Applying Knowledge" widmete sich der Entstehung und Vermittlung medizinischen Wissens im Spätmittelalter und der Verknüpfung zwischen dem Wissen und Handeln vor allem weiblicher Akteure. LINDA EHRSAM VOIGTS (Missouri) stellte die Frage, inwieweit englische Adlige im späten 15. und im 16. Jahrhundert in die Herstellung von Arzneien und den Prozess der Destillation involviert waren. Dies legte sie anhand von Rezepten dar, die aus dem Lateinischen in das volkssprachliche Haushaltsbuch der Baronin Alice Scrope übertragen wurden. Der Schreiber machte der Baronin so spezialisiertes Wissen zugänglich und wies diese Rezepte durch das vorangestellte Wappen der Baronin eindeutig ihrem Aufgabenbereich zu.

Im zweiten Vortrag der Sektion wies BELLE S. TUTEN (Huntingdon) darauf hin, dass Medizinhistoriker/innen ihr Forschungsinteresse bisher vor allem dem Uterus der Frau und nicht der Brust widmeten. Auch das Interesse der mittelalterlichen medizinischen Schriften, so Tuten, war mehr auf Aspekte der Empfängnis und Fruchtbarkeit als auf das Stillen gerichtet. Tuten ging daher anhand zweier fragmentarisch überlieferter, italienischer Rezepte aus dem 15. Jahrhundert u.a. der Frage nach, inwiefern diese Wissensbestände möglicherweise weniger in den Händen gelehrter Ärzte lagen, sondern vielmehr in den Zuständigkeitsbereich der Frauen selbst fielen.

Auch der letzte Vortrag des Tages thematisierte Rezepte als Speicher des Wissens über den weiblichen Körper. JULIA GRUMAN MARTINS (London) verlagerte den Fokus anhand einer Sammlung von zehn Rezepten, die 1529 in Venedig gedruckt und breit rezipiert wurde, auf die in Folge des Buchdrucks erhöhte Zugänglichkeit und Transmission von Texten medizinischen Inhalts. Sie verglich verschiedene Übersetzungen und stellte dabei fest, dass die Schreiber bzw. Übersetzer die Rezepte aufgrund moralischer Vorstellungen und regionaler Gegebenheiten änderten oder ergänzten. Im Zuge eines gesteigerten Interesses am weiblichen Körper waren zunehmend „Frauengeheimnisse“, Rezepte frauenheilkundlichen Inhalts, in die Sammlung integriert worden.

Der zweite Tag begann mit der Sektion „Infirmity and Care“, wobei die Vortragenden ihren Blick immer wieder vergleichend auf maskuline und feminine Rollenerwartungen und Handlungsweisen legten. Zuerst nahm DONNA TREMBINSKI (Nova Scotia) die Verbindungen von Humoralmedizin, dis/ability und Maskulinität in medizinischen und literarischen Vorstellungswelten in den Blick. Aus patientengeschichtlicher Perspektive argumentierte sie, dass gebrechliche Männer in der spätmittelalterlichen Wahrnehmung mit den feminin besetzten Eigenschaften der mangelnden Hitze und daraus resultierender Passivität in Verbindung gebracht wurden.

CORDULA NOLTE (Bremen) sprach über häusliche Pflege im 15. und 16. Jahrhundert und diskutierte die diesbezüglichen Unterschiede der Rollen und Zugangsbedingungen von Frauen und Männern. Sie hob hervor, dass der sozioökonomische Status von Pflegenden oftmals eine größere Rolle bei der Aufgabenverteilung gespielt zu haben scheint als das Geschlecht. Besonders in den Vordergrund rückte sie die zahlreichen Illustrationen über den Behandlungsprozess des chirurgischen Lehrbuchs Caspar Stromayrs und fokussierte insbesondere das Bett als geschlechtlich markiertes Zentrum häuslicher Pflege.

Im letzten Vortrag der dritten Sektion widmete sich EVA-MARIA CERSOVSKY (Köln) der Stelle bei Jesus Sirach 36, 27 „Ubi non est mulier, ingemescit egens“ und zeigte deren zentrale Position in der diskursiven Wahrnehmung weiblicher Gesundheitsfürsorge des 13. bis 16. Jahrhunderts auf. Über Gattungs- und Sprachgrenzen hinweg fungierte der Spruch als konzeptuelle Verbindung einer Vielzahl unterschiedlicher Praktiken, die als Ausdruck vermeintlich natürlich-weiblicher Eigenschaften definiert wurden. Cersovsky wies darauf hin, dass sich Erwartungen hinsichtlich der Pflege von Angehörigen allerdings auch an Männer richteten, ein Umstand, dem bislang noch nicht die nötige Aufmerksamkeit zuteil wurde.

In der vierten und letzten thematischen Sektion „(In)Fertility and Reproduction“ standen vor allem Fragen zu Wissensbeständen um den reproduktiven und unfruchtbaren Körper im Mittelpunkt. Zuerst widmete sich CATHERINE RIDER (Exeter) unter dem Aspekt des Alters der Diskussion darüber, bis zu welchem Zeitpunkt menschliche Reproduktion noch möglich sei. Sie stellte die Hypothese auf, dass Unfruchtbarkeit im medizinischen Diskurs der enzyklopädischen practicae nur selten deutlich geschlechtlich markiert war und Alter hier eine übergeordnete Rolle spielte.

LAUREN WOOD (San Diego) präsentierte im Anschluss Befunde zum mittelalterlichen Wissen um Verhütungsmethoden und Abtreibung. Neben dem kontroversen Forschungsdiskurs zu diesen Themen stellte sie die diversen medizinischen Methoden dar, die Frauen im Mittelalter für den Abbruch einer Schwangerschaft zur Verfügung standen. Sie argumentierte, dass griechische Texte im späten Mittelalter eine vorsichtige, verschleiernde Übersetzung erfuhren und brachte dies in Zusammenhang mit der möglichen Opposition der Kirche und dem Widerspruch sozialer Normen, die die Fortpflanzung als wesentliches Ziel der Ehe definierten.

Den letzten Beitrag des Workshops steuerte AYMAN YASIN ATAT (Braunschweig) bei, der ein breites Vergleichswissen der modernen Medizin mitbrachte. Anhand der arabischen Traktate des Ibn al-Bayṭār aus dem 13. Jahrhundert und des Muhammed Ibn Mahmūd Shirwānī aus dem 15. Jahrhundert und der darin enthaltenen Rezepte gab er einen Einblick in Praktiken zur Linderung von Menstruationsbeschwerden, die in der arabischen bzw. ottomanischen Medizin Anwendung fanden und bot damit Anlass zu einer vergleichenden Diskussion über arabisch-ottomanische und europäische Rezepttraditionen.

Den Schlussakkord setzte am Nachmittag die Diskussion aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer, in der der geschlechtergeschichtliche Zugriff als fruchtbare Perspektive auf die Vielschichtigkeit und situative Veränderlichkeit des Wissens und der Sorge um gesunde und kranke Körper im späten Mittelalter herausgestellt und verbindende Fragen vertieft wurden. Vor allem das weniger von Konflikten als vielmehr von Kooperation geprägte Handeln weiblicher und männlicher Akteure, das produktive Zusammenspiel von gelehrtem und erfahrungsbasiertem Wissen, die Verflechtungen von Geschlecht und anderen Differenzkategorien, wie sozioökonomischem Status sowie die bislang stark körper-zentrierte Rahmung der medizinhistorischen Geschlechtergeschichte, erwiesen sich als zentrale Diskussionsgegenstände. Zudem wurde eine Fortführung der produktiven internationalen Zusammenarbeit, etwa in Form einer weiteren Veranstaltung und einer Publikation der Vorträge, vereinbart.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung

Eva-Maria Cersovsky (Köln), Ursula Gießmann (Köln)

Keynote-Vortrag

Sharon Strocchia (Atlanta): The Politics of Household Medicine at the Early Medici Court

Panel 1: Sources of Religious Healing
Chair: Sabine von Heusinger (Köln)

Sara M. Ritchey (Tennessee): Foliated Healing: Miscellanies as Sources for Gendered Medical Practice in the Late Medieval Low Countries

Krisztina Ilko (Cambridge): Friars, Women, and Saints. Investigating Healing Miracles of the Early Augustinian Beati

Iliana Kandzha (Budapest): Female Saints as Agents of Female Healing?: Issues of Gendered Practices and Patronage in the Cult of St Cunigunde (1200–1350)

Panel 2: Producing, Transmitting and Applying Knowledge
Chair: Bernhard Hollick (Köln / London)

Linda Ehrsam Voigts (Missouri): Women and Medical Distillation at a Great Household in Late-Medieval England

Belle S. Tuten (Huntingdon): Care of the Breast in Late Medieval Medicine

Julia Gruman Martins (London): Understanding / Controlling the Female Body in Ten Recipes: Print and the Dissemination of Medical Knowledge about Women in the Early 16th Century

Panel 3: Infirmity and Care
Chair: Letha Böhringer (Köln)

Donna Trembinski (Nova Scotia): At the Intersection of Sex and Gender: Infirm Masculinities and Femininities in the Thirteenth Century

Cordula Nolte (Bremen): Domestic Care in the 15th and 16th Centuries: Expectations, Experiences, and Practices from a Gendered Perspective

Eva-Maria Cersovsky (Köln): Ubi non est mulier, gemescit egens: Gendered Discourses of Care during the Later Middle Ages

Panel 4: (In)Fertility and Reproduction
Chair: Ursula Gießmann (Köln)

Catherine Rider (Exeter): Gender, Old Age, and the Infertile Body in Medieval Medicine

Lauren Wood (San Diego): Si Non Caste Tamen Caute: Contraception and Abortion in the Middle Ages

Ayman Yasin Atat (Braunschweig): Dealing with Menstrual Disorders in Arabic / Ottoman Medicine

Abschlussdiskussion


Redaktion
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