Endzeiten – politische und gesellschaftliche Implikationen universaleschatologischer Vorstellungen in den drei monotheistischen Weltreligionen (5. bis 16. Jahrhundert)

Endzeiten – politische und gesellschaftliche Implikationen universaleschatologischer Vorstellungen in den drei monotheistischen Weltreligionen (5. bis 16. Jahrhundert)

Organisatoren
Wolfram Brandes (Max Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte) Felicitas Schmieder (Goethe Universität), Frankfurt am Main
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.03.2005 - 02.04.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Felicitas Schmieder, Fernuniversität Hagen

Wie geplant, konnte die von der Thyssenstiftung unterstützte Tagung vom 31. März bis 2. April 2005 in Frankfurt am Main stattfinden. Gegenüber dem ursprünglich vorgesehen Programm gab es folgende Änderungen: Robert Bast, Zara Pogossian und Johannes Heil sowie kurzfristig aus Krankheitsgründen Gerrit Reinink und Hannes Möhring mußten absagen, dafür konnten wir Anja Moritz/ Frankfurt am Main gewinnen.

Ziel der Veranstaltung war es, die Vorstellungen vom Ende der Zeiten und dem Gericht Gottes über die Menschen in den drei monotheistischen Weltreligionen, so wie sie sich zwischen dem 5. und 16. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung entwickelten, vergleichend nebeneinander zu stellen - weisen diese Religionen doch sich oder ihren Protagonisten gegenseitig in ihren jeweiligen endzeitlichen Szenarien Rollen zu und beeinflussten zudem einander. Der besondere Fokus war der zeitpolitischen intendierten wie tatsächlichen Wirksamkeit zugedacht, aufgrund der Erkenntnis der Forschung der letzten Jahre, dass sich prophetisch-apokalyptische Schriften stets im Zentrum der Mächtigen dieser Welt bewegten und die zentralen Fragen der Zeit aufnahmen und wirkungsvoll kommentierten. Derartiges Schriftgut ist dementsprechend als wichtige Quelle nicht nur der Geistes- sondern auch der politischen Geschichte ernst zu nehmen. Gerade die Betonung dieses Aspekts stellte einen der Schwerpunkte mehrer Vorträge und besonders der Diskussionen dar.

Die Abfolge der Beiträge war chronologisch geordnet, von der Spätantike bis in die frühe Neuzeit. Dabei führten in der Regel notwendige Vor- und Rückgriffe zu einer Verklammerung der einzelnen Beiträge, die sich u.a. in extensiven Diskussionen höchst positiv auswirkten.

Nach einer generellen Einführung in das Problem apokalyptischer Erwartungen und Zeitdeutungen durch Johannes Fried (Frankfurt am Main) beleuchtete Andrew Colin Gow (Edmonton/Kanada; "Wie übergeht man eschatologisches Gedankengut?") das in der Forschung zur lateinisch-christlichen Geschichte (und nicht nur da) verbreitete Zögern im Umgang mit eschatologischen Gedankengut und den dieses transportierende Quellen, dem häufig - und ganz entgegen der der Tagung zugrunde liegenden These - jegliche zeitgenössische Relevanz abgesprochen wurde und wird. Gow brachte diese Erscheinung vorrangig mit der Tatsache in Verbindung, dass das mittelalterliche Antichristbild stark jüdische Züge trug. Wobei in der Diskussion deutlich wurde, dass natürlich auch andere Faktoren (u.a. fächerspezifische Forschungstraditionen) für dieses Phänomen verantwortlich zu machen sind.

Dem radikalarianischen (eunomianischen) Kirchenhistoriker Philostorgios stellt Bruno Bleckmann (Düsseldorf; "Apokalyptische Vorstellungen bei Philostorgios, Anf. 5. Jh.") ins Zentrum seiner Überlegungen und wies vor allem auf den Einsatz endzeitlicher Topoi und Formeln zur dynastischen Kritik hin. Die in der Forschung verbreitete Annahme, dass Philostrogios direkt auf der Apokalypse des sog. Testamentum Domini basierte, lehnte er mit guten Gründen ab. Statt dessen betonte er die Existenz eschatologischer Vorstellungen z.Z. Theodosios I., die eben auch bei Philostrogios einen Niederschlag fanden.

Die Idee der vier Weltreiche aus dem alttestamentlichen Buch Daniel verfolgte Wout J. van Beckum (Groningen; "'Four Kingdoms will Rule'. Jewish Apocalypticism and Political Reality") in der frühen rabbinischen Literatur. Er untersuchte besonders ausführlich die Gestalt des "Armalos" (u.ä.), die seit dem 7. Jh. auftaucht und durchaus Züge des (christlichen) "Antichrist" trug.

In eschatologische Ideen im koptischen Christentum Ägyptens Malte Rosenau (Göttingen: "Visionen vom Jenseits. Hagiographie und Apokalyptik im koptischen Christentum") ein, bei dem sich für den Vergleich bemerkenswerte Parallelerscheinungen, aber auch Sonderformen an diesem Rande des Oriens Christianus beobachten lassen. Daneben stellte dieser Beitrag eine hochwillkommene Zusammenschau der relevanten koptischen Quellen vor und nach der arabischen Eroberung Ägyptens (und dem daraus folgenden Sprachwechsel) unter Berücksichtigung der neuesten Forschungsergebnisse dar.

Mischa Meier (Tübingen; "Apokalyptik und die Kommunikation zwischen Ost und West im 6. Jh.") zeigte, wie sich im Verlaufe des 6. Jhs. - entgegen der vielleicht doch etwas zu optimistischen Ansicht von Michael McCormick - die Kommunikation zwischen Ost und West zunehmend verringerte. Gab es bis zum Beginn des 6. Jhs. noch einen regen Austausch endzeitlicher Vorstellungen und Deutungsmuster der Gegenwart, so gingen lateinischer Westen und griechischer Osten spätestens seit der Mitte dieses Jahrhunderts getrennte Wege. Er deutete dies als einen Abbruch der Kommunikation im Bereich eines derart spezialisierten Wissens, das dennoch von zentraler Bedeutung für die Menschen war.

Wim Raven (Frankfurt am Main; "Ibn Sayyâd as the Islamic 'Antichrist'. A Re-Appraisal of the Texts") benannte die Forschungsdesiderate bezüglich der aus dem Koran bekannten Figur des Daggal und legte einen umfassenden Überblick über seine Erscheinungsformen in der muslimischen Literatur vor. Andrea B. Schmidt (Louvain-le-Neuve; "Die Mauer gegen Gog und Magog in der orientalisch-christlichen Literatur") beschäftigte sich mit der Weise, wie sich die verschiedenen orientalisch-christlichen Literaturen mit den vor allem durch die Apokalypse des Pseudo-Methodius bekanntgewordenen von Alexander dem Großen eingeschlossenen apokalyptischen Völker Gog und Magog auseinandersetzten.

In einem Block zu byzantinischen Endzeitvorstellungen gab zunächst Paul Magdalino (St- Andrews; "The End of Time in Byzantium") einen umfassenden und charakterisierenden Überblick über die Entwicklungen eschatologischer Schriften und Gedankengutes in Byzanz durch die Jahrhunderte unter dem Aspekt ihrer politischen Verwendung. Dieser Beitrag stellt zweifellos den besten und umfassendsten Überblick über die Thematik dar.

Anschließend wandte sich Wolfram Brandes (Frankfurt am Main; "Kaiserprophetien und Hochverrat. Apokalyptische Literatur als Medium der Politik, 9./13. Jahrhundert") mit der Behandlung von drei ausgewählten Beispielen aus verschiedenen Jahrhunderten (als pars pro toto) der Problematik der Verwendung (auch des "Mißbrauchs") apokalyptischer Literaturformen ("Kurzapokalypsen" und einige mit diesen verwandte sog. Kaiserprophetien) in politischen Auseinandersetzungen zu, bis hin zu einem neu interpretierten Gesetz (von 1280), das das Verfassen solcher Schriften mit dem Tode bedrohte. Besondere Berücksichtigung fand die lateinische Übersetzung solcher Schriften durch Venezianer im 13. Jh.

Albrecht Berger (München; "Das apokalyptische Konstantinopel") zeigte, wie bedeutend - und bisher kaum beachtet - der Einfluß apokalyptischer Vorstellungen von Konstantinopel und dem Ende der Stadt, gleichbedeutend mit dem Ende des Reiches und der Welt, u.a. auch für die konkreten Vorstellungen von der "Stadt", bis hin zur Topographie, war.

Wieder dem Islam wandten sich die folgenden beiden Beiträge zu: Anna A. Akasoy (London; "The Muhaqqiq as Mahdi? Ibn Sab'in and Mahdism among Andalusian Mystics in the 12th/13th Centuries") stellte den Westen des Islam und hier vor allem die stark eschatologisch bewegte Zeit der marokkanisch-iberischen Almohaden vor; David B. Cook (Rice/Texas; "Muslim Apocalyptic Scenarios in a Comparative Context") gab einen präzisen und detaillierten Überblick über die nicht durch kanonische Schriften determinierten und daher zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Milieus außerordentlich variabel ausgestalteten und auch nicht immer präsenten Endzeitvorstellungen des Islam.

Joachim von Fiore, den wichtigsten mittelalterlichen Propheten des lateinisch-christlichen Bereiches, stellte Gian Luca Potestá (Mailand; "Apokalyptik und Politik bei Joachim von Fiore") als ungeheuer politischen, mit der Kurie als dem zentralen Machtzentrum eng verbundenen und die Zeitereignisse kommentierenden Denker vor. In eine ähnliche Kerbe hieb Christian Jostmann (Bielefeld/München; "Vatizinien im Milieu der Kurie des 12. und 13. Jhs."), der neben der "Sibylla Erithea" drei weitere Fälle von kurialem Interesse an Prophezeiungen - die eine Form pragmatischer Schriftlichkeit darstellten als politische Gutachten zu brennenden Fragen der Zeit mit oft kurzer Verfallszeit - im 13. Jahrhundert vorstellte und eine Typologie von langfristig- und kurzfristig-eschatologischen Vatizinien (je nach Präsenz der Endzeit als solcher) vorschlug.

Der weitverbreiteten Überzeugung von Endzeiterwartung unter den europäischen Juden um das Jahr 1240 als Jahr 5000 jüdischer Zeitrechnung - das stets aus einschlägigen christlichen Quellen herausgelesen worden war - erteilte Michael Oberweis (Bochum; "Jüdische Endzeiterwartungen im 13. Jahrhundert - Realität oder christliche Projektion?") eine überzeugende Absage. Felicitas Schmieder (Hagen; "Prophetische Propaganda in der Politik des 14. Jahrhunderts: Johannes von Rupescissa") wandte sich einem Propheten und Kommentator in der Tradition des Joachim von Fiore zu, der in chaotischer ebenso wie hochpolitischer Weise nicht zuletzt den Gegensatz zwischen dem Reich und Frankreich eschatologisch begründete.

Einen Werkstattbericht zu ihrem Dissertationsprojekt lieferte Anja Moritz (Frankfurt am Main; "Apokalytik und Widerstand. Eine Studie zum politischen Denken im alten Reich des 16. Jhs."), in dem sie die endzeitliche Prägung des Magdeburger lutheranischen Widerstandes gegen das Interim charakterisierte und das relevante Schrifttum ausführlich und höchst kompetent anaylsierte. Volker Leppin (Jena; "mit den künfftigen Jüngsten Tag und Gericht vom sünden schlaff auffgeweckt. Apokalyptische Botschaft als lutherisches Medium der Sozialdisziplinierung, 1548 - 1618") stellte die lutherische Apokalyptik in zahlreichen Facetten vor, derzufolge Luther als Offenbarer der Institution des Papsttums als Antichrist zu einem Auslöser der Endzeit wird. Sabine Schmolinsky (Hamburg; "Reformieren im Angesicht der Endzeit? Positionen in den Lectiones memorabiles des Johannes Wolff, 1600") präsentierte erste Aufschlüsselungen eines riesigen Kompendiums endzeitlichen Schrifttums, das ein Lutheraner zu Ende des 16. Jahrhunderts in zwei dicken Bänden gesammelt hatte. Ein ähnliches Sammelwerk, nun aus katholischer Feder, stellte schließlich Gerhard Podskalsky SJ (Frankfurt am Main) mit Thomas Malvenda, De antichristo (1647) vor.

Die Tagung war durch ausgedehnte Diskussionen gekennzeichnet. Obwohl ein in Europa grassierender Grippevirus einige avisierte Teilnehmer am Kommen hinderte, was zu bedauern war, ermöglichte die dadurch umfangreicher als geplant zur Verfügung stehende Zeit diese im höchsten Maße fruchtbaren Diskussionen und Debatten.

Die Ergebnisse der Tagung werden in einem Band ("Endzeiten") in der Reihe Millennium-Studien im Verlag de Gruyter (Berlin/New York), herausgegeben von W. Brandes und F. Schmieder erscheinen (voraussichtlich 2006). Der Verlag de Gruyter, vertreten durch die zuständige Lektorin, Frau Dr. Voigt, gab einen Empfang. Da auch die verhinderten Teilnehmer (alle) versprachen, ihre Beiträge zu liefern, wird dieser Band in umfassender Weise den aktuellen Forschungsstand verschiedener Fachdisziplinen widerspiegeln. Eine Folge der Diskussionen (und deren Fortsetzung via e-mail) ist eine zu erwartende Vernetzung der einzelnen Beiträge. Die Publikation soll mit mehreren Registern und einer ausführlichen Einleitung versehen werden, so dass sie in nuce Handbuchcharakter tragen wird.

Ein Ziel der Tagung war es, jüngere Fachvertreter in die aktuelle Forschung zu integrieren und sie mit etablierten Wissenschaftlern in Kontakt zu bringen. Dies ist nach allgemeiner Aussage gelungen und trug zum lebendigen Charakter der Veranstaltung bei. Die Teilnehmer äußerten sich durchweg sehr zufrieden, und bereits am Ende der Tagung kam der Plan auf, eine Fortsetzungsveranstaltung (zum "Bild des Antichrist und vergleichbarer Figuren") in zwei Jahren zu organisieren (eventuell in Kanada).