919 – plötzlich König. Heinrich I. und Quedlinburg

919 – plötzlich König. Heinrich I. und Quedlinburg

Organisatoren
Zentrum für Mittelalterausstellungen Magdeburg; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg; Welterbestadt Quedlinburg
Ort
Quedlinburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.03.2018 - 24.03.2018
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Von
Michael Belitz, Bereich für Geschichte, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Vom 22. bis 24. März 2018 fand in Quedlinburg die interdisziplinäre Fachtagung „919 – plötzlich König. Heinrich I. und Quedlinburg“ statt, die in Kooperation der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, des Zentrums für Mittelalterausstellungen Magdeburg sowie der Welterbestadt Quedlinburg ausgerichtet wurde. Bereits im Grußwort des Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, wurde deutlich, welche Bedeutung dem ersten König aus Sachsen als Identifikationsfigur für die Stadt Quedlinburg, aber auch für das Bundesland Sachsen-Anhalt zukommt.

Die erste Tagungssektion „Vor Heinrich I.“ eröffnete PIERRE FÜTTERER (Magdeburg), der auf die naturräumliche und verkehrsgeografische Situation Quedlinburgs einging. Entgegen der Annahme, die Stadt habe abseits wichtiger Wegeverbindungen gelegen, zeigte er, dass bereits in ottonischer Zeit ein dichtes Wegenetz in der Region bestand. Dies, sowie die günstigen Siedlungsbedingungen, seien wichtige Voraussetzungen für den Aufstieg Quedlinburgs gewesen.

Weshalb Heinrich I. in dieser Region ausgerechnet Quedlinburg zum Zentralort machte, untersuchte BABETTE LUDOWICI (Braunschweig) aus archäologischer Perspektive. Angesichts der Existenz reich ausgestatteter völkerwanderungszeitlicher und merowingischer Gräber im Umfeld Quedlinburgs schloss sie, dass diese Region bereits in jener Zeit ein Zentrum der Macht gewesen sei. Nach seiner Königserhebung habe Heinrich I. in diesem bedeutungsvollen Raum bewusst ein neues, traditionsbildendes Zentrum etabliert.

ROMAN DEUTINGER (München) nahm in seinem Vortrag die Entwicklungen im Reich, die zur Königserhebung Heinrichs führten, in den Blick. Heinrich sei nicht plötzlich König geworden, vielmehr sei die Wahl das Ergebnis von Entwicklungen, die um das Jahr 900 einsetzten. Er verwies vor allem auf die Bedrohung durch die Ungarn sowie die Machtkämpfe zwischen verschiedenen Adelsfamilien.

Ein öffentlicher Festvortrag von MATTHIAS BECHER (Bonn) beschloss den ersten Tagungstag. Becher zeigte die Kontinuitätslinien und verwandtschaftlichen Verbindungen auf, innerhalb derer sich Heinrich bewegte, in denen aber vor allem die Liudolfinger seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts standen und bejahte zugleich vorsichtig die Frage nach dem Charakter jener Zeit als ‚Wendezeit‘. „Plötzlich König“ geworden, in dem Sinne, dass er von seiner Erhebung regelrecht überrascht worden wäre, wie das in vielen Darstellungen lange Zeit insinuiert wurde, sei Heinrich I. jedenfalls nicht.

Die zweite Sektion, die der Zeit „Mit Heinrich I.“ galt, eröffnete SIMON GROTH (Köln) mit Überlegungen zum Königwerden im ostfränkischen Herrschaftsraum. Ausgehend von der Frage, was man unter einem regnum zu verstehen habe, fragte er, ob Heinrich bereits 919 zum König eines solchen erhoben worden sei. Während die Diplome Heinrichs eher dessen Selbstverständnis ausdrückten und die Historiographie den Liudolfinger aus der Retrospektive von Beginn an als König bezeichne, ließen andere Quellen die Deutung zu, dass Heinrich erst im Laufe der Zeit zum rex eines in sich geschlossenen Reiches geworden sei. Dem Verhältnis Heinrichs I. zu Kirchen und Klöstern widmete sich HEDWIG RÖCKELEIN (Göttingen). Einerseits habe der König die Kirche strukturell in seine Herrschaft eingebunden, auf der anderen Seite habe diese notwendige Dienste für den Herrscher geleistet. Damit sei er der Linie seiner Vorgänger treu geblieben, wenngleich er sich teils weniger als diese auf die Kirche stütze. Eine bisweilen attestierte antiklerikale Haltung lasse sich jedoch, wie beispielsweise an der Diplomvergabe für geistliche Institutionen deutlich werde, nicht erkennen. Die Möglichkeiten Heinrichs, direkt in kirchliche Angelegenheiten einzugreifen, sei regional unterschiedlich gewesen und vor allem in Lothringen zu erkennen, wo sie Teil einer Strategie zur Herrschaftsdurchsetzung gewesen sei.

TOBIAS GÄRTNER (Halle an der Saale) nahm die Burgenbaupolitik Heinrichs I. in den Blick. Am Beispiel verschiedener Burganlagen, die mit der sogenannten Burgenbauordnung in Verbindung gebracht werden, zeigte er die Schwierigkeit einer solchen Zuordnung auf. Häufig habe die gezielte Suche nach Heinrichsburgen die Forschung zu einer Zuweisung in die Zeit Heinrichs geführt, ohne dass diese sich zweifelsfrei ergeben würde. Er verwies auch auf die generelle Schwierigkeit der Archäologie, konkrete Ereignisse nachzuweisen. In Quedlinburg habe der Ausbau der Stadt im 10. Jahrhundert begonnen, eine Burg Heinrichs I. lasse sich archäologisch aber ebenso wenig wie eine karolingische Vorgängeranlage nachweisen.

Mit den Urkunden Heinrichs I. und der Hausordnung beschäftigte sich CHRISTIAN WARNKE (Magdeburg), der sich vor allem der Nachfolgeregelung des Königs widmete. Nach einer Untersuchung des Diploms D H I 20 verwarf er die Vorstellung einer Hausordnung, durch die Otto I. im Jahre 929 zum Nachfolger designiert worden sei. Die Urkunde sei womöglich eine spätere Fälschung, die im Kontext der Anstrengungen des Klosters Nordhausen gesehen werden müsse, Besitz und Bedeutung zu wahren.

Die zwei folgenden Vorträge von FRANZ KIRCHWEGER (Wien) und CASPAR EHLERS (Frankfurt am Main) nahmen die Heilige Lanze in den Blick. Kirchweger stellte die Ergebnisse einer materialwissenschaftlichen Untersuchung vor, die ergeben hätte, dass es sich ursprünglich um eine karolingische Flügellanze des 8. Jahrhunderts gehandelt habe, die auch tatsächlich in Gebrauch gewesen sei. Er skizzierte ebenso die Forschungsgeschichte um die Lanze und wies daraufhin, dass das Verhältnis dieser zur Krakauer Kopie näher beleuchtet werden sollte. Ehlers präsentierte neue Überlegungen zum Erwerb der Lanze. Er stellte zur Diskussion, ob Heinrich I. diese tatsächlich erworben habe. Seinen Überlegungen folgend, könnte es zunächst nur ein Feldzeichen (vexillum) des Heiligen Mauritius in Magdeburg gegeben haben, das Teil der Mitgift Edithas war. Erst unter dem Eindruck der Politik Ottos des Großen nach der Hochzeit mit Adelheid, habe Liudprand den Erwerb einer Heiligen Lanze für die Zeit Heinrichs I. konstruiert, deren materielle Entsprechung in den 950er-Jahren durch die Einarbeitung einer Nagelreliquie in eine karolingische Flügellanze gefertigt worden sei.

Die Sektion „Nach Heinrich I.“ eröffnete KATRINETTE BODARWÉ (Regensburg) mit Überlegungen zur Gründung des Stifts Quedlinburg. Ausgehend von einer Analyse der schriftlichen Überlieferung sowie im Vergleich mit anderen Stiftsgründungen kam sie zu dem Ergebnis, dass Mathilde durch liturgische Handlungen am Grab ihres Mannes eine Gemeinschaft in Quedlinburg etabliert habe. Als eigentliche Gründerin des Stifts könne sie dennoch nicht gelten, da Quedlinburg nicht in ihrem Besitz lag, sondern ihrem Sohn Otto gehörte. Dieser habe sich gezwungen gesehen, das eigenmächtige Handeln seiner Mutter zu dulden und etablierte so das Stift. Darüber sei es jedoch zu einer Entfremdung beider gekommen, so dass Otto erst nach dem Tod Mathildes und mit dem Abbatiat seiner Tochter zum Förderer der Institution geworden sei. Heinrich selbst habe Quedlinburg zwar als Ort seiner Grablege gewählt, zum Stiftsgründer wurde er jedoch erst in der Erinnerung des 12. Jahrhunderts stilisiert.

Der Beziehung Heinrichs I. und Mathildes widmete sich CLAUDIA MODDELMOG (Zürich). Eingebettet in Überlegungen zu Paarbeziehungen im Mittelalter, beschäftigte sie sich mit dem Bericht der älteren Mathildenvita über die Brautwerbung Heinrichs I. Da die Ehe in jener Zeit nicht die einzig legitime Beziehungsform gewesen sei, könne die Schilderung als Modellerzählung verstanden werden, die die Konzepte Monogamie und Ehe propagierte. Die Schrift sei so auch als „Ausbildungsmedium“ zu verstehen, das potentiellen Ehefrauen, die sich lediglich zur Erziehung in Klöstern befanden, richtiges Verhalten lehren sollte.

Quedlinburg als zentralem Memorialort Heinrichs I. näherte sich OLIVER SCHLIEPHACKE (Magdeburg). Die starke Betonung der Memorialpflege durch Mathilde in der Historiographie sei dabei nicht nur als Topos zu sehen, denn auch andere Zeugnisse wie Nekrologe wiesen auf eine fortdauernde Memorialpflege hin, die auch nach der Reformation noch nachzuweisen sei. Die liturgische Memoria habe sich im Laufe der Zeit in eine „memorierende Rezeption“ gewandelt, wie sich beispielsweise an Reliquien zeige, die später mit Heinrich I. in Verbindung gebracht wurden. Die Pflege der Erinnerung an Heinrich I., ob liturgisch ausgestaltet oder in anderen Formen, sei als wichtiges Instrument zur Wahrung der Legitimation des Stifts zu verstehen.

Legenden um Heinrich I. stellte THORSTEN UNGER (Magdeburg) in einem öffentlichen Abendvortrag vor. An einer Vielzahl von Beispielen zeigte er, wie Dichter und Literaten verschiedener Epochen Heinrich als Projektionsfläche nutzten und zeittypische Diskurse in die Darstellung des Königs einflossen, so dass der literarische Heinrich mit dem mittelalterlich-historischen vielfach nur noch den Namen gemein hatte.

Im ersten Vortrag des Samstags beschäftigte sich PHILIPP JAHN (Neuenburg) mit der Baugeschichte und der architektur-historischen Bedeutung der Quedlinburger Stiftskirche. Neben der Skizzierung der einzelnen Bauabfolgen der Kirche, zeigte er auch Parallelen zwischen diesem und anderen Bauten auf, so hinsichtlich der Kapitelle und der Fensterverzierungen. Trotz der intensiven Erforschung des Baus, die bereits im 19. Jahrhundert einsetzte, gebe es – so Jahn – hinsichtlich der einzelnen Bauten und Bauphasen keinen Konsens, die Forschung sei vielmehr zu durchaus unterschiedlichen Rekonstruktionen gelangt.

Mit der Heinrichs-Rezeption im 19. Jahrhundert setzte sich STEPHAN FREUND (Magdeburg) auseinander. Er zeigte auf, wie eine Verwissenschaftlichung der Beschäftigung mit Heinrich I., die er am Beispiel der MGH illustrierte, zu einem neuen Bild vom Herrscher führte. Dabei habe man zwar alte Vorstellungen überwunden, jedoch sei Heinrich gleichfalls zu einer Projektionsfläche des 19. Jahrhunderts geworden, wie an der Sybel-Ficker-Kontroverse deutlich werde. Im Wissen um die eigene Zeitgebundenheit auch der heutigen Forschung sei ein reflektierter Umgang mit der Vergangenheit – und dies nicht nur mit der Zeit Heinrichs I. – daher von besonderer Bedeutung.

Der Vortrag von GABRIELE KÖSTER (Magdeburg), die sich der Darstellung Heinrichs in Bildern des 19. und 20. Jahrhunderts widmete, ergänzte die vorangegangenen Ausführungen. Dass es gerade Freiherr vom Stein war, der nach der ausgebliebenen Einigung Deutschlands nach den Befreiungskriegen Darstellungen Heinrichs I. für sein Anwesen wollte, zeige, wie dieser als Symbolfigur nationaler Bestrebungen genutzt wurde. Auch die angeführten Beispiele für die Zeit des Deutschen Kaiserreichs und des Nationalsozialismus, in der Heinrich in typisch heroischer Schlachtdarstellung erscheine, verwiesen auf die Zeitgebundenheit der Heinrichs-Bilder.

Mit dem Heinrichskult der NS-Zeit beschäftigte sich UTA HALLE (Bremen). Der König wurde, auch unter Übernahme völkischer Geschichtsbilder des 19. Jahrhunderts, zum Bauernherzog und Ostpolitiker und fungierte so als Identifikationsfigur. Quedlinburg sei dabei ein Zentrum der Instrumentalisierung gewesen: Hier wurde eine SS-Siedlung errichtet und die Stiftskirche wurde zu einer Weihestätte, in der alljährliche Heinrichs-Feiern abgehalten wurden. Mit dem Ende der NS-Diktatur sei die Instrumentalisierung Heinrichs nicht zu Ende gewesen, vielmehr seien gerade seit der Wiedervereinigung Versuche einer Vereinnahmung durch Rechtsradikale festzustellen.

Nicht zuletzt durch die interdisziplinäre Ausrichtung der Tagung gelang es, zahlreiche ältere Ansichten beiseite zu räumen und neue Erkenntnisse über die Herrschaft Heinrichs und deren Voraussetzungen zu gewinnen. Pünktlich zum Jubiläumsjahr 2019, in dem die Vorträge publiziert werden sollen, erscheint der erste ottonische Herrscher somit in neuem Lichte.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Grußworte

Reiner Haseloff (Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt)
Frank Ruch (Oberbürgermeister der Welterbestadt Quedlinburg)
Michael Dick (Dekan der Fakultät für Humanwissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg)

Sektion I: Vor Heinrich I.

Pierre Fütterer (Jena): Quedlinburg zu Beginn der ottonischen Herrschaft. Betrachtungen zu seiner naturräumlichen und verkehrsgeografischen Lage

Babette Ludowici (Braunschweig): Warum Quedlinburg? Eine archäologische Perspektive

Roman Deutinger (München): Weichenstellungen – Konrad I. und das Ende der Karolinger im Ostfrankenreich

Besuch des Theaterstücks „Mensch Heinrich“ des Nordharzer Städtebundtheaters

Öffentlicher Festvortrag
Matthias Becher (Bonn): Heinrich I. – König einer Wendezeit?

Sektion II: Mit Heinrich I.

Simon Groth (Köln): 'Heinricus regnare coepit' Über das Königwerden im ostfränkischen Herrschaftsraum

Hedwig Röckelein (Göttingen): Heinrichs I. Verhältnis zu Kirchen und Klöstern

Tobias Gärtner (Halle an der Saale): Heinrich I. und der Burgenbau

Christian Warnke (Magdeburg): Die Urkunden Heinrichs I. und die 'Hausordnung' von 929

Franz Kirchweger (Wien): Die Heilige Lanze in Wien. Der Stand der Forschung zu ihrer Gestalt und frühen Geschichte

Caspar Ehlers (Frankfurt am Main): Die Heilige Lanze und das 'Vexillum sancti Mauritii' anhand der Quellen

Sektion III: Nach Heinrich I.

Katrinette Bodarwé (Regensburg): Heinrich, Mathilde oder Otto – Wer gründete das Stift Quedlinburg?

Claudia Moddelmog (Zürich): Heinrich I. und Königin Mathilde in der Quedlinburger Historiographie

Oliver Schliephacke (Magdeburg): Die Memoria Heinrichs I. in Quedlinburg

Öffentlicher Abendvortrag
Thorsten Unger (Magdeburg): Legenden um Heinrich I.

Philipp Jahn (Neuenburg): Zur Baugeschichte und architekturhistorischen Bedeutung der Stiftskirche St. Servatius zu Quedlinburg

Stephan Freund (Magdeburg): Ein König – viele Facetten. Die Sicht auf Heinrich I. im 19. Jahrhundert

Gabriele Köster (Magdeburg): Bilder Heinrichs I. – Von einer Symbolfigur nationaler Schwärmerei zu der eines kämpferischen Nationalismus

Uta Halle (Bremen): Heinrich I. im Nationalsozialismus

Stephan Freund / Gabriele Köster: Zusammenfassung und Tagungsende


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