100 Years of Planning and Building in Palestine and Israel

100 Years of Planning and Building in Palestine and Israel

Organisatoren
Institut für Baugeschichte, Universität Innsbruck; Bet Tfila Forschungsstelle für jüdische Architektur, TU Braunschweig; Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg
Ort
Innsbruck
Land
Austria
Vom - Bis
11.04.2018 - 12.04.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Ann-Catherine Pielenhofer, Judaistik, Universität Wien

Ein neues Narrativ der israelischen Architektur zu schreiben sei nicht das Ziel des Projekts "100 Years of Planning and Building in Palestine and Israel". Dies stellten die Organisatoren des gleichnamigen Study Day, KLAUS TRAGBAR (Innsbruck) und ULRICH KNUFINKE (Braunschweig / Hamburg), in ihrer Begrüßungsansprache klar. Anhand von Beispielen und Teilaspekten solle vielmehr die Entwicklung eines vielschichtigen und von politischen sowie gesellschaftlichen Veränderungen geformten Themas nachvollzogen werden. Aus unterschiedlichen Perspektiven zeigten die Konferenzbeiträge sowohl die Komplexität der israelischen Architekturlandschaft als auch die große Aktualität der Forschung.

Das erste Panel beschäftigte sich in zwei Vorträgen mit der Adaption von Forschungsmethoden, wobei sich die Referierenden aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Rolle von Bauschichten in der Stadt Tel Aviv-Jaffa auseinandersetzten. DIETLINDE SCHMITT-VOLLMER (Bonn / Stuttgart) konzentrierte sich auf die Bedeutung von Bauzonen der Stadt sowie Bauschichten einzelner Gebäude. Diese existieren unter dem Einfluss gesellschaftlicher Veränderungen innerhalb und besonders auch außerhalb der von UNESCO geschützten White City. Aus ihrer Forschung leitete Schmitt-Vollmer die Hoffnung ab, Konservierungsmaßnahmen auf die gesamte Stadt auszuweiten, vor allem auf Gebäude, die im Moment wegen ihres schlechten Zustands oder ihrer von üblichen Vorstellungen abweichenden Ästhetik nicht als erhaltenswert wahrgenommen werden.

Die Rolle gesellschaftlicher Gruppen für die Wahrnehmung der Architektur thematisierte SHMUEL GROAG (Jerusalem) am Beispiel der ehemaligen King George Avenue in Jaffa und drei ihrer Gebäude aus den 1930er- und 1940er-Jahre. Ausgehend von diesen Beispielen forderte Groag die Einbeziehung der oft außen vor gelassenen arabisch-palästinensischen Baugeschichte Tel Aviv-Jaffas. Diese solle dabei nicht aus dem für die White City typischen Interpretationskontext zwischen Ost und West wahrgenommen werden, sondern in der Nord-Süd Achse, im Kontext der arabischen Architektur der Moderne.

Im Panel über Planen und Bauen im Palästina des späten Osmanischen Reichs und der britischen Mandatszeit sprach VLADIMIR LEVIN (Jerusalem) über die russische Architektur in Jerusalem von der Mitte des 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert, die ein gutes Beispiel für den immer noch sichtbaren Einfluss internationaler Akteure im Heiligen Land ist. Er differenzierte in vier Bauphasen, von denen die ersten beiden besonders stark ideologisch geprägt waren und die Präsenz und Macht des Russischen Reichs sowie der russisch-orthodoxen Kirche im Heiligen Land vor dem Hintergrund innerchristlicher Konflikte demonstrieren sollten, bevor die Bauweise zunehmend pragmatisch wurde.

Im Anschluss sprach REGINA STEPHAN (Mayence) über den Architekten Erich Mendelsohn, seine Biografie und Bautätigkeit in Palästina, sowie seinen Aufsatz Palestine and the World of Tomorrow. 1940 beschreibt er darin die schwierige Situation der Juden in Palästina und andernorts sowie das Utopische eines Zusammenlebens von Juden und Arabern. Mendelsohns Architektur wurde – ebenso wie sein Aufsatz –in der Forschung größtenteils vergessen. Einer der Gründe dafür ist, dass seine Analyse der Situation im Land, sowie seine Bauten nicht in zionistische Narrative passten.

EDINA MEYER-MARIL (Tel Aviv) besprach in ihrem Vortrag einige Elemente der Entwicklung der Architektur der sogenannten Volkshäuser zwischen 1890 und 1967. Diese aus den sozialistischen Strömungen Europas kommenden Gemeindehäuser erfüllten zahlreiche Funktionen. Unter anderem waren sie Treffpunkt der Arbeiter, Bildungsort, Kulturzentrum, Kaffeehaus und Büro. Auch in Palästina und Israel wurden diese Funktionen der Volkshäuser übernommen und durch lokale Elemente ergänzt.

Mit seinem Vortrag zur kartografischen Darstellung Palästinas durch die Deutsche Templer Gesellschaft im 19. Jahrhundert leitete DANIEL THALHEIM (Leipzig) das Panel "The Heritage of Modernism" ein. Er beschrieb darin anhand mehrerer Karten die thematischen Schwerpunkte, die für die Kartographen der Zeit eine Rolle spielten, wie biblische Archäologie, Ethnologie und politische Geschichte.

Hieran anschließend präsentierte IRIT CARMON POPPER (Haifa) einige Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit mit Alona Nitzan-Shiftan zur Biografie des Architekten und Dadaist Marcel Janco und der von ihm in den 1950er-Jahren in einem verlassenen arabischen Dorf gegründeten Künstlersiedlung Ein Hod. In dieser Siedlung setzten die beteiligten Künstler sowohl zionistische, dadaistische als auch sozialistische Ideen radikal um. Ein wichtiger Aspekt der Forschung zu Ein Hod ist die Frage, wie ein arabisches Dorf in diesem Projekt umgenutzt wurde und warum das Interesse an der Erforschung ehemaliger arabischer Dörfer in Israel eher gering ist.

In ihrem Abendvortrag diskutierte ITA HEINZE-GREENBERG (Zürich) einige Aspekte zionistischer Weltanschauungen, die in der Architektur Ausdruck fanden. Sie beschrieb, welche Vorstellungen von Exil, von fremdem Zuhause, von Vergangenheit und Zukunft des jüdischen Volkes sich in der Architektur wiederfinden und welche Einflüsse bei der Suche nach einer neuen, mit dem Land harmonierenden Bauästhetik eine Rolle spielten. Das Streben nach einer Architektur, die natürlich aus dem Land entstehen sollte, ist hierfür wesentlich.

Den zweiten Konferenztag eröffneten INES SONDER und JOACHIM TRIZIB (beide Potsdam) mit der Präsentation eines Forschungsprojekts über die Baugesellschaft RASSCO, das bei den Konferenzteilnehmern großes Interesse weckte. Die heute noch in Israel tätige RASSCO war in ihren Anfängen ein Partner der Jewish Agency und führte für deutsche Juden der Mittelschicht, die aus Nazideutschland flohen, den sogenannten Bautransfer durch. Bei diesem schlossen die Auswanderer Verträge mit der RASSCO zum Kauf von Baumaterialien in Deutschland, die dann in entstehenden Siedlungen in Palästina zu per Katalog gewählten, standardisierten Typhäusern verbaut wurden. Einige dieser bislang kaum erforschten Bautypen und Siedlungen stellten Sonder und Trizib in ihrem Vortrag vor.

NAOMI SIMHONY (Jerusalem) sprach über die 1968 von Nahum Zolotiv in Nazareth Illit gebaute zentrale Synagoge und wie diese sich seit ihrer Fertigstellung durch die Nutzung der Gemeinde verändert hat. Die säkulare, brutalistische Architektursprache des Architekten, der die Synagoge für eine abstrakte Gemeinde baute, trifft auf die reale Synagogengemeinschaft, die den Bau nicht aus einer zionistisch-säkularen, sondern einer religiösen Perspektive betrachtet und dementsprechend umgestaltet.

Mit einem interessanten und ungewöhnlichen Thema schloss sich ROY KOZLOVSKI (Tel Aviv) an, der über die Tel Aviver Hauptverkehrsader Ayalon Crosstown Expressway, ihre Geschichte und Bedeutung für das Verständnis der Stadt sprach. In den verschiedenen Planungs- und Baustufen des Highway spiegelt sich das Zusammenspiel von Stadtplanung, Technik und Kultur ebenso wider, wie die historischen Veränderungen, die das Langzeitprojekt beeinflussten. Als internationales Entwicklungsprogramm war der Bau des Ayalon Expressway weniger vom Narrativ der Nationenbildung bestimmt, sondern von einer amerikanischen Sichtweise auf Städteplanung.

Das abschließende Panel trug den Titel „Symbolismus und Erinnerung in der israelischen Architektur seit 1948“. Hierzu hielt ANNA MINTA (Linz) einen Überblicksvortrag zur Kontinuität von Motiven, etwa dem biblischen Motiv des blühenden Landes. Diese behalten ihre Relevanz von der ersten jüdischen Siedlungstätigkeit, über die Staatsgründung und die Nationenbildung durch Architektur, bis hin zu heutigen Plänen, in der Negev-Wüste einen Vergnügungspark mit Bibelthematik zu bauen.

Diese Thematik aufgreifend sprach INBAL BEN-ASHER GITLER (Be’er Schava) über die Rolle von nationaler Identität in der israelischen Campusarchitektur. Auf unterschiedliche Weise versuchten die Architekten hier, Ideen der Moderne mit Materialien und Elementen des Nahen Ostens und der zionistischen Identität zu verbinden. Dabei wurde eine Vielzahl von Einflüssen und Bezugspunkten, wie etwa der des arabischen Dorfes, aufgegriffen, neu interpretiert und als moderne, israelische Architektur umgesetzt.

Die Konferenz endete mit einem kontrovers diskutierten Beitrag von ELANA SHAPIRA (Wien) über den Schrein des Buches, dem Ausstellungsraum der Qumran-Rollen im Jerusalemer Israel Museum. Shapira bot neben den gängigen Interpretationen des Baus, wie der in den Qumran-Rollen zentralen Thematik des Dualismus von Gut und Böse als weißes und schwarzes Bauelement, auch weitere Sichtweisen an. Sie nannte Elemente, die auf klassische jüdische Rituale anspielen, sowie solche, die der christlichen Kirchenarchitektur entnommen sind und somit die jüdisch-christliche Verbundenheit ausdrücken. Shapira interpretierte das Motiv von Mauer und Dom außerdem als Anspielung auf die Jerusalemer Altstadt beziehungsweise auf Klagemauer und Felsendom und in diesem Sinn als Hoffnungssymbol für eine neue Zeit in der Altstadt, dem Brennpunkt des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern.

Die von den Vorträgen ausgehenden Diskussionen machten deutlich, wie vielfältig die Sichtweisen auf Architektur in Palästina und Israel sind. Gerade in Israel hat Bauen und der Umgang mit Architektur gesellschaftliche und politische Relevanz.

Konferenzübersicht:

Ulrich Knufinke (Braunschweig / Hamburg) / Klaus Tragbar (Innsbruck): Introduction

Section 1: Adapting of Research Methods
Moderation: Klaus Tragbar (Innsbruck)

Dietlinde Schmitt-Vollmer (Bonn / Stuttgart): White City Tel Aviv. Construction and Recommendations for Conservation

Shmuel Groag (Jerusalem): Hybrid Modernism in Jaffa. The Case of King George Avenue, 1917-1948

Section 2: Planning and Building in Palestine in the Late Ottoman Empire and the British Mandate
Moderation: Ulrich Knufinke (Braunschweig / Hamburg)

Vladimir Levin (Jerusalem): Our Holy Land. The Politics of Russian Architecture in Jerusalem in the Late Imperial Period

Regina Stephan (Mayence): Erich Mendelsohn´s Critique: „Palestine and the World of Tomorrow” (1940)

Edina Meyer-Maril (Tel Aviv): People’s Houses, Phenomena of Architecture, Culture and Society in Israel, 1890-1967

Section 3: The Heritage of „Modernism”
Moderation: Katrin Keßler

Daniel Thalheim (Leipzig): The Early Cartography of Palestine in View of the Colonization by the German Templer Association in the 19th Century

Irit Carmon Popper, (Haifa): Marcel Janco as an Active Creative Agent of a Zionist Radical Arena

Evening lecture
Ita Heinze-Greenberg (Zurich): The Housing of the New Hebrew. On Zionism and modern architecture

Section 4: Building a New State. Architecture and Urbanism
Moderation: Elmar Kossel (Innsbruck)

Ines Sonder / Joachim Trezib (Potsdam): The RASSCO and the Settlement of the Fifth Aliyah in Erez Israel (1933–1948)

Naomi Simhony (Jerusalem): The Central Synagogue in Nazareth Illit (1968). Architecture and Cultural History

Roy Kozlovsky (Tel Aviv): The Ayalon Crosstown Expressway and the Techno-Politics of Metropolitan Infrastructure

Section 5: Symbolism and Remembrance in Israeli Architecture since 1948
Moderation: Sophie Elaine Wolf (Innsbruck)

Anna Minta (Linz): „The Desert Will Bloom.” Garden Cities and New Towns for the New State

Inbal Ben-Asher Gitler (Be’er Scheva): Campus Architecture in Israel in the Service of National Identity. Modernist University Planning meets Middle Eastern Concepts

Elana Shapira (Vienna): Narratives of National Rebirth in Frederick Kiesler’s „Shrine of the Book” in Jerusalem