IX. Nachwuchskolloquium des Forschungsverbundes FUER Geschichtsbewusstsein

IX. Nachwuchskolloquium des Forschungsverbundes FUER Geschichtsbewusstsein

Organisatoren
Prof. Dr. Waltraud Schreiber, KU Eichstätt-Ingolstadt
Ort
Eichstätt
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.06.2018 - 30.06.2018
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Von
Jan Scheller, Arbeitsbereich Fachdidaktik Geschichte, Historisches Institut, Universität Greifswald

Erneut bot sich dem geschichtsdidaktisch arbeitenden Nachwuchs die Chance, seine wissenschaftlichen Projekte vor- und zur Diskussion zu stellen. Die beteiligten Professuren/Arbeitsbereiche für Geschichtsdidaktik (Aarau, Basel, Eichstätt-Ingolstadt, Hamburg, Kassel, Köln, Paderborn, Rostock und Salzburg) veranstalten im regelmäßigen Turnus dieses Kolloquium und laden sich wechselseitig ein. Diesmal wurde der Einladung nach Eichstätt gefolgt. In vertrauensvoller, konstruktiver und offener Atmosphäre erhielten die Vortragenden wertvolle Rückmeldungen für die Weiterarbeit an Ihren Projekten. Nicht zuletzt dank des breiten Themenspektrums von theoretisch bis empirisch angelegten Qualifizierungsvorhaben betonten gleichwohl auch die Professorinnen und Professoren den Mehrwert der aus den Vorträgen entstandenen Impulse zur Weiterarbeit am und auf Grundlage des FUER-Modells.

Die Referierenden erhielten jeweils 60 Minuten Zeit für die Präsentation und Diskussion ihrer Forschungsprojekte. Dies ermöglichte ihnen, ausgehend vom konkreten Bedarf, flexibel zu entscheiden, wie sie Präsentation und Diskussion zeitlich gewichten. In den anschließenden Diskussionen hatten stets die Nachwuchswissenschaftler/-innen das erste Wort. Insgesamt wurden 8 Qualifizierungsarbeiten vorgestellt:

Über die unterschiedliche Reichweite von historischen Narrationen handelte die Präsentation von JANA VÖLKEL (Paderborn). So gibt es Erzählungen, welche im öffentlichen Alltag äußerst präsent sind und andere, bei denen dies nicht der Fall ist. Dies hat zur Folge, dass es Bemühungen etwa von postkolonialen Bewegungen gibt, diesen letzteren Narrativen im öffentlichen Raum mehr Platz bzw. Bedeutung einzuräumen und dadurch auch die dominanten Narrative auf ihre Implikationen hin zu hinterfragen. Beispielhaft wären hier etwa Initiativen zu Straßen(um)benennungen zu nennen. Im Rahmen des Dissertationsvorhabens soll der Frage nachgegangen werden, wie diese marginalisierten Narrationen erzeugt, kommuniziert und in Handlungspraktiken überführt werden. Auf der Basis von narrativen Interviews wird das Ziel verfolgt, einen strukturellen Zugang zu diesen kritischen Narrationen zu erhalten.

CHRISTOPH BRAMANN (Salzburg/Hildesheim) stellte sein Promotionsprojekt „Historisches Denken fördern mit Schulbuchaufgaben“ vor. Er untersucht, inwiefern aktuelle deutsche und österreichische Geschichtsschulbücher Zugänge bereitstellen, die historisches Denken einfordern und fördern können. Methodisch wird hierfür ein kategorialer Zugang gewählt, bei dem die zur Verfügung gestellten Arbeitsaufträge (n=1.000) anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse untersucht werden. Hierfür entwickelt Bramann ein domänenspezifisches Analyseraster, das nicht nur auf einzelne allgemein- und geschichtsdidaktische Kriterien zu Lernaufgaben fokussiert, sondern vor allem deren Kombination sowie das nähere Aufgabenumfeld (Material) und vorhandene Aufgabensequenzen in den Blick nimmt.

Im dritten Vortrag referierte DENNIS ERK (Kassel) zum aktuellen Stand seines Forschungsprojekts zu den Authentizitätsvorstellungen von Reenactment-Darstellenden. Nach einem zusammenfassenden Überblick der Hypothesen und Fragestellungen umriss Erk die funktionellen Aspekte des Authentizitätsbegriffes und dessen unterschiedliche Authentizitätsdimensionen, welche dem für die laufende Pilotierung konzipierten Leitfaden zugrunde liegen. Dem Grounded Theory-Ansatz folgend skizzierte Erk sein methodologisches Grundkonzept und präsentierte bereits einige exemplarische Antworten aus den ersten durchgeführten Interviews. Eine erste Interpretation dieser Beispiele bildete den Einstieg in die auf den Vortrag folgende Diskussion, in der neben diesen Zitaten auch der Leitfaden selbst erörtert wurde.

ANNIKA STORK (Hamburg) untersucht in ihrem Dissertationsprojekt den Umgang mit Perspektivität in der mündlichen Kommunikation des Geschichtsunterrichts unter Rückgriff auf die Systemic Functional Linguistics sowie geschichtsdidaktische Theorien. Neben dem Forschungsdesign, das eine Triangulation der linguistischen Analyse und der Dokumentarischen Methode vorsieht, konnten in der Präsentation erste Beispiele zu Formen des Umgangs mit Perspektivität in der Interaktion zwischen Schülerinnen, Schülern und der Lehrkraft in den untersuchten Unterrichtstranskripten gezeigt und diskutiert werden.

LISA HENKE (Tübingen) gab Einblicke in ihr Dissertationsprojekt zum Thema Zeitzeugenerfahrung von Schülerinnen und Schülern im Unterricht. Anknüpfend an empirische Befunde und geschichtsdidaktische Diskurse zu Chancen und Risiken von Zeitzeugen im Geschichtsunterricht sowie Schülereinschätzungen nach einem Zeitzeugenbesuch beschäftigte sich Lisa Henke mit der Entwicklung eines Modells zur Beschreibung der unmittelbaren Begegnung von Schülerinnen und Schülern mit Zeitzeugen und relevanter Kontextfaktoren. In einem nächsten Schritt wird in ihrer Arbeitsgruppe daran gearbeitet, ein standardisiertes Messinstrument zu entwickeln, um diese besondere Erfahrung der Schülerinnen und Schüler erfassen zu können und ihren möglichen mediierenden oder moderierenden Effekt auf historisches Lernen zu untersuchen.

Anschließend präsentierte MARA WEISE (Hamburg) ihr laufendes Masterarbeitsprojekt zur Förderung von Reflexion über Zeit im Geschichtsunterricht. Hinter der Arbeit stehe die Idee, die Kategorie der Zeit wieder verstärkt und vor allem (selbst-)reflektierend im Geschichtsunterricht zu thematisieren. Als Grundprämissen der Arbeit wurden genannt, dass (1) sich Zeitkonzepte in linguistischen Konstruktionen zeigen, (2) neben der Vergangenheit auch Verflechtungen mit und in Gegenwart und Zukunft in den Blick zu nehmen sind (Multi-Chronologie) und (3) eine Kompetenzorientierung ermöglicht werden soll. Weise präsentierte eine vorläufige Kategorisierung von Zeitkonzepten sowie erste Ideen für eine daraufhin zu beschreibende Lernprogression, die anschließend im Plenum diskutiert wurden.

DAVID NAß (Eichstätt) befasste sich mit narrativen und temporalen Strukturen vor dem Hintergrund einer Identitätstheorie des historischen Denkens. Ausgangspunkt seines Vortrags war dabei die Vorstellung von Denkprozessen als Zusammenschluss verschiedener Elemente und Operationen, die in einer komplexen Struktur in gegenseitiger Beziehung zueinanderstehen. Ausgehend von der Hegel´schen Vorstellung der Identität als dem zentralen Prinzip des Erkennens sowie verschiedenen Theorien von Zeit fragte er speziell nach den diesbezüglichen Entitäten des historischen Denkens. Neben Klassikern der Geschichtstheorie und Zeitphilosophie erwiesen sich hier insbesondere semantische, logische und linguistische Konzeptionen wie die Davidson´sche Ereignissemantik oder die Zeitlogik als vielversprechende Ansätze.

Der letzte Vortrag von MATTHIAS HIRSCH (Eichstätt) beschäftigte sich mit der Konzeption fachspezifisch-historischen Lesens. Dabei wurde argumentiert, dass ein Leseprozess mit dem Ziel historischen Erkenntnisgewinns keine Vorleistung für historisches Denken darstellt, sondern bereits fachlich aufgeladen und somit Teil dieses Denkens ist. Das zur Diskussion gestellte und im FUER-Modell verortete Theoriegebilde verknüpft lesepsychologische und fachspezifische Prozesse, um fachspezifisch-historisches Lesen durch diese Operationalisierung pragmatisch nutzbar zu machen.
Das nächste FUER-Nachwuchskolloquium ist für das Wintersemester 2018/19 in Salzburg geplant.

Konferenzübersicht:

Jana Völkel (Paderborn): Geschichten innerhalb – und doch jenseits – des Masternarrativs. Annäherungen an ein Forschungsprojekt.

Christoph Bramann (Salzburg/Hildesheim): Historisches Denken mit Schulbuchaufgaben fördern. Kategoriale Analyse deutscher und österreichischer Geschichtsschulbücher.

Dennis Erk (Kassel): Authentizitätsvorstellungen von Reenactment-Darstellern.

Annika Stork (Hamburg): Perspektivensensibilität innerhalb des Geschichtsunterrichts.

Lisa Henke (Tübingen): Zeitzeugenerfahrung im Geschichtsunterricht: Was ist das Besondere?

Mara Weise (Hamburg): Zur Förderung von Zeitbewusstsein.

David Naaß (Eichstätt): Temporale und narrative Strukturen vor dem Hintergrund einer Identitätstheorie des historischen Lernens.

Matthias Hirsch (Eichstätt): Konzeption von historischem Lesen in inklusiven Lehr-Lernsettings.


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