13. Blaubeurener Symposium: Handschriften und Alte Drucke

13. Blaubeurener Symposium: Handschriften und Alte Drucke

Organisatoren
Arbeitsgemeinschaft Handschriften und Alte Drucke des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V.; Altbestandskommission von AKThB und VkwB; Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VDB)
Ort
Fulda
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.10.2018 - 19.10.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Konstanze Grutschnig-Kieser, Landeskirchliche Zentralbibliothek, Stuttgart

In ihrer Begrüßung freute sich die Gastgeberin Frau ALESSANDRA SORBELLO STAUB (Fulda) über die Kooperation zwischen der DBV-AG „Handschriften und Alte Drucke“, dem VDB und der „Gemeinsamen Altbestandskommission von AkThB und VkwB“, die zu dieser gemeinsamen Tagung geführt hat. Als Sprecher der DBV-AG erklärte ARMIN SCHLECHTER (Speyer), dass nach der Schließung des Heinrich Fabri-Instituts in Blaubeuren ein neuer Tagungsort gesucht werden musste und sich die AG für Fulda entschieden habe. Anschließend führte er in das Programm der Tagung ein und eröffnete die Sektion Vernetzung.

Zu Beginn gab MICHAEL VOGEL (Dresden) einen Überblick über die neueren Entwicklungen im Bereich der Bestandserhaltung. Anhand der neuen DIN-Normen erläuterte er die Zielvorgaben für Massenentsäuerung, Schutzverpackungen sowie das Raumklima. In diesem Zusammenhang ging er auch auf den Taupunkt ein und erläuterte, dass gerade bei extremen Wetterlagen die Klimabedingungen zwischen Magazin und Lesesaal erheblich voneinander abweichen und historische Materialien deshalb nicht direkt aus dem Magazin in den Lesesaal geliefert werden sollten. Zum Bibliothekskongress 2019 kündigte er ein Empfehlungspapier der „DBV-Kommission Bestandserhaltung“ zur schonenden Digitalisierung von Archiv- und Bibliotheksgut an. Zusätzlich informierte er in einem Kurzstatement am Abend über die ‚neuen‘ Schädlinge in deutschen Magazinen, die Papier- und Kammfischchen, und empfahl den Kollegen, in ihren Bibliotheken ein Schädlingsmonitoring aufzubauen.

Mit der Frage, wie man einen umfangreichen Altbestand langfristig sichern kann, beschäftigte sich ARMIN SCHLECHTER (Speyer). Aus dem Gesamtbestand der Pfälzischen Landesbibliothek selektierte er einen Grundbestand, der zum Sammelauftrag oder besonderen Profil der Bibliothek gehört. Dieser Bestand wurde gereinigt und in einem zweiten Schritt für die weitere Benutzung vorbereitet. Er betonte dabei, dass im Rahmen der Massenbestandserhaltung nur Minimalreparaturen (wie Kleben von Rissen mit Japanpapier oder Gewebeband statt Einbandrestaurierung) und wenig aufwändige konservatorische Maßnahmen (Ablegen von Broschüren in Mappen) durchgeführt werden können. Eine Bibliothek könne nur auf thematisch gebundene Projektausschreibungen wie die der „Koordinierungsstelle für Erhaltung des schriftlichen Kulturguts“ (KEK) reagieren, wenn man einen guten Überblick über die Segmente des Altbestandes im eigenen Haus habe und so umgehend reagieren könne.

JANA MOCZARSKI (Darmstadt) gab einen Einblick in die Restaurierungspraxis und stellte ein neues Verfahren zur Bekämpfung von Kupferfraß vor. Dabei werden die einzelnen Seiten mit einer Tetraalkylammoniumbromiden-Lösung besprüht. Die Vorteile dieser Methode sind, dass das Buch ‚in situ‘ behandelt werden könne, sich das Papier nicht welle und sich die Papieroberfläche nur minimal verändere.

Das Besondere dieser Tagung war die bereits erwähnte Kooperation der DBV-AG „Handschriften und Alte Drucke“ mit der „Gemeinsamen Altbestandskommission von AkThB und VkwB“. Dies belegte auch der Vortrag von UDO WENNEMUTH (Karlsruhe), in dem er die Geschichte der Kommission und ihre Aufgaben vorstellte. Seit ihrer Gründung im Jahr 1995 beraten die Mitglieder der „Gemeinsamen Altbestandskommission“ vor allem kleinere kirchliche Bibliotheken (teilweise ohne bibliothekarisch ausgebildete Leitung) in Fragen zum Umgang mit historischen Beständen und erarbeiteten für die Praxis die „Kurzgefassten Regeln für den Umgang mit bibliothekarischen Altbestand“. Langzeitprojekte sind die Erfassung der Handschriften- und Inkunabeln im kirchlichen Besitz und deren Verzeichnung. Daneben versteht sich die „Gemeinsame Altbestandskommission“ aber auch als Lobby für den historischen Buchbestand in kirchlicher Trägerschaft und arbeitet mit anderen Gremien zur Bestandserhaltung und Erschließung historischer Bestände zusammen.

KATHRIN PAASCH (Gotha) führte in die zweite Sektion „Bibliothekskataloge“ ein und gab einen kurzen Forschungsüberblick, in dem sie besonders auf die Arbeiten der 1980er- und 1990er-Jahre hinwies.

Im ersten Vortrag gab Frau JULIA KNÖDLER (Halle) einen Einblick in die Kataloggeschichte bayerischer Klöster vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit und erläuterte die Schwierigkeit, diese als serielle Quellen zu analysieren. Für viele Zuhörer war überraschend, dass der erste bayerische Verbundkatalog bereits im 17. Jahrhundert entstanden ist. Grund hierfür war die Kataloginitiative des Herzogs Maximilian I. von Bayern, durch die – nach genauen Anweisungen zur Katalogisierung – die Bestände in bayerischen Klosterbibliotheken verzeichnet werden sollten. Nachdem der erste Rücklauf 1595 nicht zufriedenstellend war, erfolgte 1610 ein zweiter Aufruf, an dem sich 26 bayerische Klöster beteiligten.

Anschließend stellte Paasch die spannenden Forschungen zu höfischen Handbibliotheken vor. Sie verdeutlichte, dass für die Rekonstruktion einer einzelnen Büchersammlung – aber auch für den Verbleib der in ihr enthaltenen Bücher – neben Verzeichnissen eine Vielzahl weiterer Quellen wie Buchbinderrechnungen, Inventare und Testamente herangezogen werden müssen. Die Referentin bedauerte, dass diese Provenienzgeschichte nur sehr oberflächlich in den Katalogisaten des GBV abgebildet werden kann.

PHILIPPE SCHMIDT (St. Andrews) gab einen Einblick in sein Dissertationsprojekt über die digitale Analyse von Katalogen. Durch Konvertierung der Titel aus dem Bücherradkatalog von Herzog August von Braunschweig-Wolfenbüttel und dem Auktionskatalog des Theologen Adriaan Pauw ist eine Datensammlung in Excel und Phyton entstanden, die dann nach verschiedenen Fragestellungen statistisch ausgewertet werden kann.

Abschließend zeigte ALESSANDRO APRILE (Tübingen) anhand des durchschossenen Auktionskatalogs, wie nach dem Tod des Loccumer Abtes Gerhard Wolter Molanus am 7.9.1722 in großer Eile die Bücher verzeichnet wurden. Nachdem die Sammlung für die Landesbibliothek in Hannover erworben worden war, ergänzten die Mitarbeiter der Bibliothek nicht nur die vorhandenen Titelbeschreibungen, sondern fügten auch weitere hinzu. Dies belegt, dass die Auktionskataloge häufig unter großem Zeitdruck und dem Ziel des schnellen Verkaufs entstanden sind und deshalb die Vollständigkeit und die Genauigkeit der Titelbeschreibungen kritisch hinterfragt werden müssen.

In der dritten Sektion wurden verschiedene Portale und Projekte zur digitalen Erschließung historischer Bestände und ihrer Präsentation im Internet vorgestellt. MARIAN LEFFERTS (Den Haag) und ALEXANDER JAHNKE (Göttingen) stellten das europäische Konsortium der Forschungsbibliotheken (CERL) und ihr Angebot im Netz vor. Das CERL wurde 1992 von der Bibliothèque nationale de France (BNF, Paris), der British Library (BL, London) sowie der Bayerische Staatsbibliothek (BSB, München) gegründet und hat inzwischen über 270 Mitglieder. Auf ihrer Plattform bietet es verschiedene Datenbanken an, die seit 2018 frei zugänglich sind. Die wichtigsten Angebote sind „Heritage of the Printed Book Database (HPB)”, in der Inkunabeln und Bücher mit dem Erscheinungsjahr bis ca. 1830 nachgewiesen werden, der „CERL Thesaurus“ mit Normdaten von Druckern, Druckorten und Verfassernamen, ergänzt durch Informationen und Links, sowie „Material Evidence in Incunabula“ (MEI), in der an die Titelaufnahmen von Inkunabeln ausführliche Provenienznachweise angehängt werden können.

Anhand von „E-Codices“, der virtuellen Handschriftenbibliothek der Schweiz, erklärte MARIA WIDMER (Fribourg) die Vorteile der IIIF-Technologie, die vor allem in der Interoperabilität der Daten liegt. Das bedeutet, dass Bilder und Daten standortunabhängig in einer Plattform genutzt werden können. Somit kann zum Beispiel eine Handschrift, deren Teile an verschieden Orten liegen, virtuell wieder zu einem Band zusammengefügt werden. Auch für die Fragmentforschung bieten sich neue Möglichkeiten, Handschriften virtuell zu rekonstruieren.

Nachdem das Onlineportal „Manuscripta Mediaevalia“ technisch so veraltet war, dass es abgelöst werden musste, bewilligte die DFG im Dezember 2017 ein Projekt zur Entwicklung eines neuen Handschriftenportals. Über den Stand des Projekts, an dem die BSB, die Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK), die Universitätsbibliothek Leipzig und die Herzog August Bibliothek (HAB, Wolfenbüttel) beteiligt sind, berichtete ROBERT GIEL (Berlin). In der ersten Phase wird das technische System zur Verwaltung, Eingabe und Präsentation der Daten entwickelt; auch hier soll die IIIF-Technologie eingesetzt werden. Die Betaversion soll im Spätherbst 2020 freigeschaltet werden. Der Referent kündigte an, auf der Internetseite des Portals regelmäßig über die Fortschritte zu informieren.

Über den bibliothekarischen Tellerrand hinaus ging der Vortrag von CHRISTIANE WOLF (Stuttgart). Zuerst erläuterte sie die Vorbehalte, die von Archivaren gegenüber der „Deutschen Digitalen Bibliothek“ geäußert wurden: die Sammlung sei zu bildlastig, es fehlten Möglichkeiten, archivalische Bestandstrukturen abzubilden und Online-Findmittel einzustellen. Deshalb entwickelte das Landesarchiv Baden-Württemberg eine spartenspezifische Sicht, die nicht nur die erwähnten Mängel behob, sondern auch – unter Verwendung von Normdaten – eine deutschlandweite Suche nach Materialien einer Person oder Körperschaft ermöglicht. Die Referentin schloss mit dem Ausblick, dass an einem weiteren Portal für die Museen gearbeitet wird, damit die „Deutsche Digitale Bibliothek“ ihrem Anspruch gerecht wird, eine spartenübergreifende Plattform zu sein.

Neuere Entwicklungen wurden in Kurzstatements vorgestellt. So informierte THOMAS HAFFNER (Dresden) anhand des Projektes der digitalen Edition der Korrespondenz von August Wilhelm Schlegel über die neuen Funktionen von Kitodo. In Köln konnte mit der Migration der Daten aus dem „CEEC“ auf einen Server der Erzbischöflichen Dom- und Diözesanbibliothek begonnen werden. HARALD HORST (Köln) kündigte an, dass die ersten Handschriften ab Dezember 2018 online zugänglich sein werden. Schließlich führte MARC BIRRINGER (Fulda) in die Benutzung von „Signum“ ein. Dieses Programm wurde von dem Institut Bibliotheca Fuldensis für die Zuordnung einzelner Schreiberhände in Handschriften aus dem Fuldaer Skriptorium entwickelt.

In den Vorträgen der vierten Sektion ging es um die Zukunft des Altbestandes. Der erste Beitrag war der Massenbestandserhaltung gewidmet. Zuerst gab URSULA HARTWIEG (Berlin) einen Überblick über die Geschichte der KEK und ihre Aufgaben, dann informierte sie über die beiden Förderprogramme: die Modellprojekte, die jährlich unter einem bestimmten Motto stehen und für kleinere Bestände beantragt werden können sowie das BMK-Sonderprogramm für größere und auch mehrjährige Vorhaben. Inzwischen können alle Projekte aus beiden Programmen über die Suchmaske auf der Seite der KEK recherchiert werden. Die Referentin forderte die Teilnehmer auf, sich auf der Seite über die Projekte zu informieren, inspirieren zu lassen und eigene Projekte zu beantragen, damit der politischen Öffentlichkeit deutlich gemacht werden kann, dass die Gelder für den Originalerhalt unverzichtbar sind.

Als im Verlauf der Auflösung des Zistersienserklosters Himmerod Inkunabeln und Handschriften auf den Auktionsmarkt gelangten, war dies ein großer Skandal. Durch die Ausführungen von HANS-WALTER STORK (Paderborn) zu den kirchenrechtlichen Bestimmungen der Buchbestände in katholischen-kirchlichen Bibliotheken wurde deutlich, dass generell der von der päpstlichen Kommission beschlossene Kulturgüterschutz gilt. Da aber die Orden rechtlich selbstständig und daher nicht an eine Weisung der Diözese gebunden sind, konnten (und können) sie frei über ihre historischen Bestände bestimmen. Deshalb bleibt es die vordringliche Aufgabe der „Gemeinsamen Altbestandskommission“, die Mitarbeiter in kirchlichen Bibliotheken für die Bedeutung und den Wert historischer Sammlungen zu sensibilisieren.

Im Abschlussvortrag schnitt THOMAS BÜRGER (Dresden) gleich mehrere alte Zöpfe ab. Zuerst forderte er seine Kollegen auf, statt von ‚Altbestand‘ von ‚historischen Beständen‘ zu sprechen. Außerdem sollten alle Bestände im Netz sichtbar sein. Dies begründete er damit, dass die Bibliotheken Teil des kulturellen Gedächtnisses sind und zitierte in diesem Zusammenhang ausführlich aus den Reden zur Verleihung des Friedenspeises des Deutschen Buchhandels an Aleida und Jan Assmann. Jeder Bürger sollte die Bestände entdecken und mit ihnen arbeiten und forschen können. Provokant schloss er, nicht die Magazine, sondern die Gruppenräume sollten die wichtigsten Räume der historischen Sammlungen sein.

Mit diesem flammenden Appell endete die Tagung. Für alle, die an diesem inspirierenden und informativen Treffen nicht teilnehmen konnten, werden die Präsentationen auf der Seite DBV zeitnah veröffentlicht werden.

Konferenzübersicht:

Sektion 1: Vernetzung

Michael Vogel (Dresden): Aktuelle Informationen aus dem Bereich der Bestandserhaltung

Jana Moczarski (Leipzig): Moderne Methoden zur Behandlung von Kupfer- und Tintenfraß

Armin Schlechter (Speyer): Massenverfahren Reinigung und Grundbestandserhaltung in der Pfälzischen Landesbibliothek

Udo Wennemuth (Karlsruhe): Die Gemeinsame Altbestandskommission der kirchlichen Bibliotheksverbände und ihre Aktivitäten

Kurz-Statements
Michael Vogel (Dresden): Papierfischchen und Kammfischchen
Thomas Haffner (Dresden): Neue Funktionen von kitodo

Sektion 2: Historische Bibliothekskataloge

Julia Knödler (Halle): Zum Quellenwert alter Bücherverzeichnisse: Die historischen Kataloge ausgewählter süddeutscher Klosterbibliotheken

Kathrin Paasch (Erfurt / Gotha): Fürstliche Büchersammlungen der Frühen Neuzeit in Mitteldeutschland und ihre Kataloge

Philippe Schmid (St Andrews): Digitale Analyse von Bücherkatalogen: Der Bücherradkatalog von Herzog August von Braunschweig-Wolfenbüttel

Alessandro Aprile (Tübingen): Der durchschossene Kaufkatalog der Privatbibliothek des Loccumer Abtes Gerhard Wolter Molanus. Momentaufnahme einer Zerstreuung

Sektion 3: Digitale Formen der Erschließung historischer Bestände

Alexander Jahnke (Göttingen) / Marian Lefferts (London): CERL’s neues Angebotsportfolio

Maria Widmer (Fribourg): e-codices und Fragmentarium und III F

Robert Giel (Berlin): Das Handschriftenportal im Hinblick auf neue Grundstrukturen der Handschriftenerschließung

Christina Wolf (Stuttgart): Mit vereinten Kräften. Das Archivportal-D als Partner und spartenspezifische Sicht der Deutschen Digitalen Bibliothek

Kurzstatements
Harald Horst (Köln): Stand der CEEC-Migration
Marc Birringer (Fulda): Signum: Ein Werkzeug zur paläografischen Charakterisierung von karolingischen Handschriften des Fuldaer Skriptoriums

Sektion 4: Bibliothekspolitischer Wert und Herausforderungen des Altbestands für die Zukunft

Ursula Hartwieg (Berlin): Die KEK und ihre Förderprogramme

Hans-Walter Stork (Paderborn): Historische Bestände in kirchlichen Bibliotheken. Ein Blick auf deren Geschichte und die kirchenrechtlichen Bestimmungen

Thomas Bürger (Dresden): Über Last und Lust der historischen Überlieferung