HT 2018: Steuern von Differenz: Imperien als Räume geordneter Ungleichheit

HT 2018: Steuern von Differenz: Imperien als Räume geordneter Ungleichheit

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2018 - 28.09.2018
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Von
Martin Biersack, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die Sektion befasste sich mit der Frage, wie frühmoderne imperiale Steuersysteme zur Differenzierung von Menschen beitragen. SARAH ALBIEZ-WIECK (Köln) legte in ihrem Einführungsvortrag dar, dass die Steuererhebung in den Imperien der Frühen Neuzeit eine Bedeutung hatte, die über das rein Fiskalische hinausging. Da die Zuordnung zu einer fiskalischen Gruppe häufig die Zuordnung zu einer sozialen oder rechtlichen Gruppe bedeutet habe, sei die Besteuerung der Untertanen ein geeignetes Forschungsobjekt, um zu untersuchen, wie in frühneuzeitlichen Imperien Differenzierung praktiziert wurde und wie Untertanen versuchten, die Zuordnung zu bestimmten Kategorien in ihrem Sinn zu beeinflussen. Dazu seien sowohl die Normen auf der Mesoebene der Imperien zu betrachten wie auch die Aushandlungsprozesse auf der Mikroebene.

Das Aushandeln sozialer Kategorisierung anhand konkreter Fallbeispiele aus dem Osmanischen Reich stellte HENNING SIEVERT (Heidelberg) vor. Wie in den anderen Imperien seinen auch im Osmanischen Reich die kostspieligen Kriege der Frühen Neuzeit einer der Gründe gewesen, die Finanzverwaltung und das Steuerwesen auszubauen, um die Einnahmen des Staates zu erhöhen. Die Besteuerung war im Osmanischen Reich abhängig von der Religionszugehörigkeit, weshalb – so Sievert – die Zentralregierung die Untertanen in Hinblick auf ihre Religion differenzieren und einer bestimmten religiösen Gruppe zuordnen musste. Dies war ein Vorgang, der Anlass zu vielen Beschwerden und Bittgesuchen lieferte, die von Untertanen nach Istanbul gesandt wurden. Anhand dieser Petitionen analysierte Henning Sievert, wie im Osmanischen Reich Zugehörigkeit verhandelt wurde. Sein Befund, dass die Religionsausübung an sich keinen Anlass für Beschwerden darstellte, ist bemerkenswert. Beschwerden bezogen sich nach Sievert auf Privilegien, das heißt die steuerlichen Vorteile, die bestimmte Gruppe wie z.B. die Janitscharen oder religiöse Stiftungen genossen. So seien auch Kryptochristen, die nur nach außen hin Muslime waren, nicht aufgrund ihrer geheimen Religionsausübung denunziert worden, sondern weil sie Steuerprivilegien für sich beansprucht hätten, die ihnen als Christen nicht zustanden.

Ein weiterer Befund Sieverts betrifft die Konfliktlösungsmechanismen im Osmanischen Reich. Dabei sei den lokalen Gegebenheiten große Bedeutung zugekommen, denn die Zentralregierung in Istanbul habe wenig Interesse daran gehabt, ihre normativen Vorgaben gegen jeden Widerstand durchzusetzen. Vielmehr habe sie den Amtsträgern vor Ort Entscheidungsspielraum gegeben, die Normen an die Gegebenheiten anzupassen. So konnte in einem von Sievert dargelegten Fall aus Ägypten auch die an sich vorgeschriebene Privilegierung eines Moslems gegenüber einem Christen in der Praxis aufgehoben werden.

Ein anderer von Sievert vorgestellter interessanter Fall betraf Gemeinschaften, deren Religionszugehörigkeit entweder flexibel oder aber zumindest für die Regierung nicht genau zu bestimmen war. Manche Dörfer hätten sich als christlich ausgegeben, wenn Soldaten rekrutiert wurden, kam aber der Steuereinnehmer, hätten sie sich als muslimisch dargestellt. Religionszugehörigkeit war laut Sievert folglich kontextabhängig und ein Instrument, mit dem die Untertanen ihre Interessen gegenüber der Regierung wahrten. Um die tatsächliche religiöse Identität dieser flexibel agierenden religiösen Gemeinschaften zu bestimmen, würden leider Quellen fehlen. Möglicherweise seien sie aber tatsächlich hybrid gewesen und weder eindeutig den Christen noch den Muslimen zuzuordnen. Eine weitere Möglichkeit der Untertanen, auf das Steuersystem auch Einfluss nehmen, bestand Sievert zufolge darin, dass sie sich als Kollektiv zusammenschlossen und mit den Steuerpächtern die Steuerlast verhandelten. Aus diesen fiskalischen Kollektiven seien so mit der Zeit politische Gemeinschaften entstanden, in denen sich neue Konflikte abzuzeichnen begannen, etwa das der Repräsentation, wer im Namen der Dörfer sprechen und sie nach außen vertreten durfte.

Zusammenfassend verwies Henning Sievert darauf, dass die Zuordnung zu einer sozialen Gruppe (Religion oder Kollektiv) im Osmanischen Reich nicht festgelegt war, sondern Ergebnis von Aushandlungsprozessen. Die Forschung könne gerade anhand der Konflikte feststellen, wo Grenzen der Zugehörigkeit gezogen und verschoben wurden. Um sie zu verstehen, bedürfe es immer des Kontextes, in den die Aushandlungsprozesse eingebettet waren.

RAQUEL GIL MONTERO (Buenos Aires) widmete sich in ihrem Vortrag der Kategorisierung Indigener im kolonialen Spanisch-Amerika. Indigene waren unter der spanischen Herrschaft tributpflichtig und – so Gil Montero – zwei Kategorien mit unterschiedlicher Steuerlast zugeordnet, den naturales bzw. originarios und yanaconas. Der Zensus, den der Vizekönig Perus, Francisco de Toledo, 1573 erstellte, definierte die naturales bzw. originarios als diejenigen, die innerhalb von dörflichen Gemeinschaften unter einer von den Spaniern anerkannten indigenen Autorität lebten. Dagegen waren yanaconas diejenigen gewesen, die außerhalb der Gemeinschaft standen. Daneben gab es auch freie Indigene, die als Handwerker oder Kaufleute lebten.

Problematisch für das tributäre Steuersystem war Gil Montero zufolge, dass im Vizekönigreich Peru eine starke Binnenmigration der Indigenen stattfand, sodass sich die Frage stellte, ob der Tribut an die Abstammung einer Person gebunden war oder den Ort ihrer Herkunft. Um das problematische Verhältnis von Migration und Besteuerung zu kanalisieren, wurde 1683 eine große Inspektion des Vizekönigreichs vorgenommen, bei der die Indigenen anhand neuer, verfeinerter Kategorien klassifiziert wurden. Im neuen Zensus habe die Kategorie des forastero, des Fremden, große Bedeutung. Dies waren Indigene, die nicht am Herkunftsort lebten. Trotz aller Bemühungen der spanischen Autoritäten um ein eindeutiges Kategorisierungsschema sei viel Raum für Konflikt geblieben, so Gil Montero, da die widersprüchlichen Prinzipien von Herkunftsort und Abstammung im Klassifizierungssystem nebeneinanderstanden. Allerdings stellte sie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert eine Entwicklung fest von einer auf der Vorstellung des Personenverbandes beruhenden Besteuerung (und Kategorisierung) der Indigenen hin zur Vorstellung des Territorialverbands, in dem weniger die Abstammung als der Herkunftsort für Kategorisierung und Tribut bedeutsam gewesen sei.

SARAH ALBIEZ-WIECK (Köln) schloss in ihrem Beitrag an die Thematik des Tributs indigener Gemeinschaften in Spanisch-Amerika an, indem sie die Aushandlung der von Gil Montero beschriebenen fiskalischen Kategorien im kolonialen Neuspanien und Peru analysierte. Sie ging zunächst von der Alltagserfahrung der Zuhörer aus, die beim Ausfüllen einer Steuererklärung ebenfalls mit dem Problem der Kategorisierung konfrontiert seien, da akademische Grade, das Geschlecht, der Ehestand oder die Religion Teil steuerlicher Formulare und gleichzeitig Kriterien zur Kategorisierung einer/s Steuerpflichtigen seien. Vergleichbares habe es auch im kolonialen Amerika gegeben, wo Belege, dass der Tribut entrichtet worden war, als Nachweis für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe dienten.

Fiskalische Kategorien, denen die Indigenen zugeordnet wurden, unterlagen einem Wandel. Im Vergleich zum 16. und 17. Jahrhundert seien Albiez-Wieck zufolge im 18. Jahrhundert rassistische Kategorien wie mulato, mestizo, indio oder criollo, rechtliche Kategorien wie Sklave oder indio de pueblo oder eine soziale Kategorie wie der vago, der Vagabund, relevant geworden. Mit diesem ausdifferenzierten Kategorisierungssystem habe die spanische Regierung das Ziel verfolgt, die Tributeinkommen der Indigenen zu steigern. Als Instrumente, um die Steuerzahlungen der Tributpflichtigen zu kontrollieren, verwies Albiez-Wieck auf Registrierungslisten und die schon erwähnten Belege, die Steuer gezahlt zu haben.

Dieses Kategorisierungssystem ließ allerdings viel Raum für Beschwerden, weil laut Albiez-Wieck Betroffene einer anderen Kategorie zugehören wollten als derjenigen, unter der sie klassifiziert waren. Wie im Osmanischen Reich so war auch im spanischen Kolonialreich die Petition ein wichtiges Instrument der Untertanen, von unten auf das Regierungshandeln einzuwirken. Anhand von Petitionen wies Albiez-Wieck nach, wie Indigene erreichten, anders kategorisiert zu werden. Daraus zog sie das Fazit, dass die soziale, ethnische und rechtliche Kategorisierung der Indigenen in Spanisch-Amerika kein starres System gewesen sei, das von oben durchgesetzt worden wäre. Vielmehr sei sie durch die agency von Tributzahlern und Regierung gleichermaßen bestimmt gewesen.

ULRIKE LINDNER (Köln) bezog in ihrem Kommentar die Sektion auf den weiteren Kontext der Imperienforschung. Imperien als größtmögliche Einheit seien gezwungen gewesen, eine Politik der Differenzierung zu betreiben, um Menschen zu unterscheiden. Die Besteuerung habe dabei einen wichtigen Mechanismus dargestellt, um die Bevölkerung zu zählen, zu registrieren und letztlich zu kategorisieren. Dazu sei Bürokratie notwendig gewesen, weshalb Lindner Steuererhebung als ein zentrales Element der Staatsbildung identifizierte, das herrschaftsstabilisierend gewirkt habe. Besteuerung sei Linder zufolge aber auch Gewalt und als solche eine Gefahr für die Herrschaft, denn wegen Steuern sei es zu Aufständen der Kolonisierten gegen die besteuernden Herrscher gekommen.

In der anschließenden Diskussion ging es unter anderem um die von Ulrike Lindner aufgeworfene Frage nach den blinden Flecken der Forschung zur Besteuerung. Hier bestand Konsens, dass eine gesellschaftliche Schichtung existiert habe, die nicht in den Steuerkategorien abgebildet wurde, da Quellen zur Besteuerung nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit erfassen würden, in denen viele gesellschaftliche Gruppen nicht auftauchen. Eine andere Frage drehte sich um die Justiznutzung. Welche Personen schrieben Petitionen und welche traten nicht durch dieses Einflussmittel in Erscheinung? Im Fall der Indigenen in Amerika war die Justiznutzung Sarah Albiez-Wieck zufolge allgemein sehr gut, denn sie gingen vor Gericht, weil sie dort Chancen hatten, ihre Interessen durchzusetzen.

Die Sektion bot einen Einblick in einen Themenkomplex, der lange Zeit vor allem von Wirtschaftshistorikern bearbeitet wurde, der aber von großer allgemeingeschichtlicher Relevanz ist. Fiskalische Kategorisierung und die damit zusammenhängenden Konflikte sind ein Feld, an dem Staatsbildung und die Aushandlung von Herrschaft analysiert werden können. Besonders interessant war die Gegenüberstellung von Osmanischem Reich und spanischem Imperium, weil hier zwar eine durchaus vergleichbare Partizipation der Untertanen durch Petitionen stattfand, der Fixpunkt zu ihrer fiskalischen Kategorisierung aber unterschiedlich war, im Falle des Osmanischen Reiches die Religion und im spanischen Imperium die Ethnizität. Schade lediglich, dass die Vorträge zu Indien, China und dem britischen Empire nicht stattfinden konnten, die das Spektrum nochmals um interessante außereuropäische Fälle erweitert hätten.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Sarah Albiez-Wieck (Köln)

Henning Sievert (Heidelberg): Privilegien und Untertanenrechte im privatisierten Steuerwesen des Osmanischen Reiches

Raquel Gil Montero (Buenos Aires): Who and how? Indigenous taxes during the 17th Century in Charcas (actual Bolivia)

Sarah Albiez-Wieck (Köln): Negotiating fiscal categorizations in colonial Peru and Mexico (New Spain)

Kommentar: Ulrike Lindner (Köln)

Ausgefallene Vorträge:

Ulrike von Hirschhausen (Rostock): Von rechtlicher Differenz zu fiskalischer Gleichheit? Chinesische und britische Kaufleute im interimperialen Shanghai 1853-1911

Stephan Conermann (Bonn): Differenz durch Rangvergabe? Eine kritische Betrachtung des mogulzeitlichen mansab-Systems


Redaktion
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