HT 2018: Der Traum von der christlichen Einheit. Kreuzzugsideologie und –pläne als Medium zur Überwindung der Spaltung des frühneuzeitlichen Europas

HT 2018: Der Traum von der christlichen Einheit. Kreuzzugsideologie und –pläne als Medium zur Überwindung der Spaltung des frühneuzeitlichen Europas

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2018 - 28.09.2018
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Von
Joel Amos Hüsemann, Frühe Neuzeit, SFB/TRR 138, Philipps-Universität Marburg

Kreuzzugsvorstellungen und -rhetorik sind nicht nur ein Phänomen des Mittelalters, sondern auch der Frühen Neuzeit. Empfinden wir den Kreuzzugsbegriff heutzutage als Ausdruck von Spaltung oder als politischen Kampfbegriff, nahm die von KERSTIN WEIAND und MAGNUS RESSEL geleitete Sektion auch die andere Perspektive in den Blick: Welche Bedeutungen haben Kreuzzugsideen nicht nur zur Manifestierung, sondern auch zur Überwindung von Spaltung? Dabei rückt der Kreuzzug vor allem als einheitszentrierende Idee im Sinne der christianitas in den Mittelpunkt. Doch inwiefern unterscheidet sich die Kreuzzugsidee der Frühen Neuzeit von der des Mittelalters? Ist sie nur ein Nachklang eines mittelalterlichen Themas oder ist sie eine neue, eigenständige Phase des Kreuzzugthemas, vielleicht sogar die Vorstufe oder Referenz einer modernen Kreuzzugsrhetorik? Inwiefern wurde der Kreuzzugsgedanke genutzt, um einerseits im Sinne der christianitas einheitsstiftend zu wirken oder aber andererseits Allianzen verschiedener europäischer Fürsten gegeneinander zu legitimieren? Mit diesen Fragestellungen beschäftigte sich die Sektion anhand von vier Vorträgen vom Spätmittelalter bis in die Frühe Neuzeit und einem Kommentar.

In chronologischer Abfolge begann die Sektion mit dem Vortrag von BENJAMIN WEBER (Toulouse), der sich mit der Frage auseinandersetzte, wie Kreuzzugspläne und -strategien die päpstliche Politik hinsichtlich Krieg und Frieden im 15. und frühen 16. Jahrhundert bestimmt haben. Ausgehend vom 13. Jahrhundert sieht Weber eine Synthese der Rolle der Päpste als Friedensstifter in der europäischen Diplomatie und der Rolle als aktive Unterstützer militärischer Aktionen gegen Feinde des Glaubens: Frieden war das Hauptziel der Päpste, Krieg aber ein notwendiger Weg, um diesen zu erreichen. Dabei seien die Päpste der Frühen Neuzeit keineswegs bellizistischer gewesen als ihre Vorgänger, die Akzeptanz von Krieg sei vielmehr ein stetes Kennzeichen der Päpste gewesen. Diese Rhetorik habe sich zwar bis zum Beginn der Frühen Neuzeit nicht allzu sehr verändert, die Strategie für die Kreuzzugspläne hingegen seit dem 15. Jahrhundert schon. Mit dem dramatischen Scheitern des Kongresses von Mantua hinsichtlich der Einung der europäischen Fürsten haben keineswegs die Kongresse in Rom für ein gemeinsames Vorgehen geendet. Das Ziel dieser Kongresse seien aber nicht mehr ihre konkreten Ergebnisse gewesen, sondern sie haben vielmehr selbst die Verbindung von Frieden und Kreuzzug und die zentrale Rolle des Papstes hierfür dargestellt. Unter dieser Schwerpunktsetzung der Kongresse habe sich auch die päpstliche Strategie im 15. Jahrhundert geändert. Habe sie vorher darauf beruht, alle christlichen Fürsten im Kampf gegen die Ungläubigen zu einen (Einheit gebe Stärke, Zerwürfnisse seien der Grund für das Scheitern der Expeditionen), so habe nun der Fokus darauf gelegen, einen bellator rex zu unterstützen. Als Konsequenz dieses Wandels sei es legitim und sogar für die Päpste notwendig geworden, einen christlichen Herrscher gegen einen anderen zu unterstützen, ja sogar Krieg gegen ihn zu führen. Der entscheidende Wechsel im 15. Jahrhundert sei somit der Abschied von dem Grundsatz gewesen, dass ein Kreuzzug zunächst eine Befriedung Europas benötige. Die aktive Einmischung der Renaissance-Päpste in Kriegshandlungen sei somit zwar nicht eine direkte Konsequenz aus dieser Veränderung der Kreuzzugsidee gewesen, aber ohne sie auch nicht möglich.

KERSTIN WEIAND (Marburg) schloss mit ihrem Vortrag zeitlich im 16. Jahrhundert an und lenkte den Blick auf die mit Kreuzzugsideen verbundenen Friedensordnungen. Ausgehend von der Grundannahme, dass sich die päpstliche Kreuzzugsidee in gesteigerter Weise durch einen gedachten Antagonismus ausgezeichnet habe, der am Charakter der europäisch-osmanischen Beziehungen vorbei gegangen sei, untersuchte sie die den Kreuzzugskonzepten inhärenten Abgrenzungsnarrative und die sich daraus ergebenden politischen Ordnungsvorstellungen der Zeitgenossen. Dabei interessierte sie sich im Speziellen für die Reichweite der projektierten Ordnungen sowie die politische Integration dieser Ordnungen im Rahmen der päpstlichen Friedensdiplomatie. Dass sich die Reichweite der projektierten Ordnungen nicht nur auf den klassischen Gegensatz von christlichem Europa gegen den Islam beschränken lasse, sondern weitaus dynamischer und offener gewesen sei, machte Weiand an den Verhandlungen zum Abschluss der Heiligen Liga 1571 und dem Verhältnis der Kurie zum protestantischen England deutlich. Nicht nur habe es im ersten Fall deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen der spanischen, venezianischen und päpstlichen Seite hinsichtlich des adressierten Gegners des Kreuzzugsbündnisses gegeben, sondern sich auch im zweiten Fall die römische Kurie offen dafür gezeigt, die im Jahre 1570 exkommunizierte Elisabeth I. in Kreuzzugsbündnisse mit einzubeziehen. Hinter einer verbalen Dichotomie, so Weiands Zwischenfazit, vermag sich durchaus eine konzeptionelle Pluralität verbergen. Anschließend wandte sie sich der Frage nach der inneren Struktur der projektierten Ordnungen zu. Am Beispiel der Fraternitas Sanctae Cruciatae, dem Kreuzzugsprojekt Leos X., legte sie die Originalität des Lösungsansatzes zur Überwindung der Hindernisse für den Kreuzzug dar. Die päpstliche Diplomatie habe hierbei nicht an überkommenen universalen Ordnungen festgehalten, sondern hinsichtlich politischer Integration wie auch Kommunikationsstrukturen neue Wege beschritten. Gerade päpstliche Kreuzzugskonzepte könnten damit auch auf eine gewisse Offenheit von Denk-und Handlungsmustern von Akteuren an der römischen Kurie hinweisen und die Idee von sich konfessionell ständig verengenden Kommunikations- und Handlungsräumen ergänzen. Nicht zuletzt aufgrund der Verknüpfung von Kreuzzug und päpstlicher Autorität sowie ihres hohen normativen Verpflichtungsgrads und des mit ihnen verknüpften symbolischen Kapitals waren Kreuzzugsprojekte dabei jedoch nicht selten auch Medien der Formulierung ebenso wie der Widerlegung päpstlicher Geltungsansprüche.

MAGNUS RESSEL (Frankfurt am Main) machte dann mit seiner Untersuchung des Ordo Militiae Christianae einen Sprung in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Der Orden, der in historischen Darstellungen – wenn überhaupt – nur am Rande Erwähnung findet, war ein Verband von Veteranen des Langen Türkenkriegs, die um 1620 den damals unrühmlich abgebrochenen Kampf erneuern wollten. Er bestand aus bedeutenden Persönlichkeiten des europäischen Hochadels, was unter anderem daran lag, dass die Mitgliedschaft nur von Adligen besessen werden konnte, deren Vorfahren bis in die vierte Generation nicht vom König nobilitiert worden waren. Ressel stellte vor allem zwei Aspekte des Ordens in den Mittelpunkt: seine entscheidende Rolle beim Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges und seine breite publizistische Tätigkeit. Der Orden, der seine erste Generalversammlung unter den Augen von Kaiser Matthias sowie seines Nachfolgers Ferdinands II. im November 1618 in Olmütz abhielt, war sowohl bei den allerersten Schlachten gegen die aufständischen Böhmen beteiligt, als auch in Ungarn gegen Bethlen Gabor, den Fürsten von Siebenbürgen. Wegen dieser Schlüsselrolle in den Anfangsjahren des Krieges sieht Ressel die Generalversammlung auch als einen „der geschicktesten Schachzüge der Habsburger während des gesamten Krieges“. Bis zur Auflösung des Ordens 1635 befanden sich viele Ritter weiterhin in den Diensten der katholischen Mächte Europas mit der offiziellen Begründung, dass nach dem Sieg über die Protestanten der Kreuzzug gegen die Osmanen erfolgen würde. Weitaus wichtiger als der militärische Aspekt des Ordens sei für die adligen Mitglieder jedoch die Möglichkeit zur Selbstinszenierung gewesen. Der Orden habe wie nur wenige andere Kreuzzugsunternehmen die Druckerpresse für seine Ziele einsetzen können. Nach der Ordensgründung ließ sich bereits im März 1619 ein sechsseitiger Bericht darüber im Mercure François lesen, Berichte in weiteren Zeitungen Europas folgten. Die Ordensoberen präsentierten sich dabei gerne als Speerspitze des vom Papst approbierten Kreuzzugsordens. Dass der Orden sein Ziel erreichte, in ganz Europa Aufmerksamkeit zu erregen, machte Ressel am Beispiel Gustav Adolfs deutlich, der den Orden wegen seiner starken polnischen Mitgliedschaft als schwere Bedrohung Schwedens wahrnahm.

Den Abschluss der Vortragsreihe bildete ZSUZSA BARBARICS-HERMANIK (Graz) mit einem Beitrag zur Instrumentalisierung des Kreuzzugsdiskurses im Habsburgerreich von der Mitte des 15. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Die Grundlage für die Verbindung von Kreuzzugsideologie mit der Gefahr einer osmanischen Expansion datiert sie in die Regierungszeit Friedrichs III. (1452–1493). Durch Buchdruck, Freskenmalerei und Reichstage sei bewusst die sogenannte „Türkenfurcht“ geschürt worden, die verstärkt mit eschatologischen Endzeiterwartungen verbunden wurde. Maximilian I. griff diese Rhetorik seines Vaters auf, die nur zu gut zu seinem leitenden politischen Ziel, der Wiederherstellung des universalen Kaiserreichs, gepasst habe. Barbarics-Hermanik sieht dabei Aussagen zur Notwendigkeit eines Kreuzzuges wegen der Türkengefahr im Dienste von Maximilians innen- und außenpolitischen sowie dynastischen Bestrebungen. Dies beträfe sowohl das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines einheitlichen Gesamtstaates, als auch seine Italienpolitik und die Wahl seines Enkels Karl zum römischen König auf dem Augsburger Reichstag von 1518. Die Kreuzzugs-Propaganda sei aber nicht unbeantwortet geblieben. So setzte vor allem nach dem erwähnten Reichstag im Zeichen der beginnenden Reformation eine protestantische Publizistik ein, die den „wahren Türken“ in Rom verortete und die ‚Kreuzzugsgelder‘ mit konfessionellen Konzessionen verband. Der Kreuzzugsdiskurs fand sich zudem auch in magischen Praktiken wieder: So soll Kaiser Rudolf II. zur Unterstützung seiner Soldaten im Kampf gegen die Osmanen nachweislich versucht haben, mit Hilfe von Löwenkrallen, Wolfszähnen, Schlangenzungen und Leopardenkrallen eine Verbindung zu den entsprechenden Himmelszeichen aufzunehmen. Dass sich der Kreuzzugsdiskurs noch bis in die heutige Zeit erstreckt, machte Barbarics-Hermanik abschließend mit einem Ausblick auf eine Wahlkampfveranstaltung des FPÖ-Parteichefs Heinz-Christian Strache deutlich.

MARKUS FRIEDRICH (Hamburg) nahm in seinem Kommentar vier Aspekte der Sektion in den Blick. Zunächst fragte er nach dem Stellenwert der „Idee“ Kreuzzug innerhalb der Landschaft der politischen Deutungs- und Mobilisierungsangebote der Frühen Neuzeit: Wie passt der Kreuzzug zur bellum iustum-Lehre, zum Grotianischen Rechtsverständnis und zur politischen Staatsräson-Lehre? Gerade bei der fortdauernden Präsenz des Themas „Kreuzzüge“ sei die Verortung im veränderten Horizont politischer Deutungsangebote umso wichtiger. Außerdem interessierte ihn die Begriffsgeschichte: Was bedeutete für die Zeitgenossen ein Kreuzzug, inwiefern unterschied er sich von anderen Kriegen gegen dieselben Feinde und welche Rolle spielten die mittelalterlichen Ereignisse für das frühneuzeitliche Verständnis von Kreuzzügen? Damit verbunden warf Friedrich auch die Frage nach der Periodisierung auf: Waren die Kreuzzugs-Projekte ein Abgesang eines mittelalterlichen Themas oder eine neue, eigenständige Phase? Abschließend lenkte er den Fokus noch auf das Verhältnis des Themas „Kreuzzug“ zu der innerchristlichen Konfessionalisierung und der europäischen Expansion: Inwieweit veränderte sich das Verständnis von Kreuzzügen und seine politische Instrumentalisierung im Kontext dieser Entwicklungen, wie es beispielhaft bei den neuen Erfahrungen mit den asiatischen, afrikanischen und amerikanischen Kulturen hinsichtlich Frömmigkeit und Religion der Fall war.

Die Sektion hat sehr eindrücklich verdeutlicht, dass das Thema der Kreuzzüge noch in der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit ein wichtiges Thema war, ja es sich sogar heute noch Kreuzzugsrhetorik finden lässt. Es hat sich aber auch gezeigt, wie ambivalent der Kreuzzug gebraucht wurde: einerseits einheitsstiftend im Sinne einer gemeinsamen christianitas, andererseits selbst als Anstoß zu Konflikten. Dass das Feld dabei längst noch nicht abschließend erforscht ist und noch Anschluss- bzw. Abgrenzungsbedarf zu anderen epochenspezifischen Entwicklungen besteht, wurde am Ende aber auch durch den Kommentar von Markus Friedrich deutlich. Das Nachdenken über die Ambivalenz des Einenden und Trennenden von Kreuzzugsvorstellungen ist heute nach wie vor ein aktuelles Thema und fügte sich so auch thematisch ein in den 52. Historikertag zu „Gespaltenen Gesellschaften“.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Magnus Ressel (Frankfurt am Main) / Kerstin Weiand (Marburg)

Benjamin Weber (Toulouse): Tamquam angelum pacis: The Common Fight for Christendom and the Papacy as Peacemaker in 15th-century Europe

Kerstin Weiand (Marburg): Heiliger Krieg und europäischer Friede. Der Kreuzzug in der päpstlichen Diplomatie des 16. Jahrhunderts

Magnus Ressel (Frankfurt am Main): Der Ordo Militae Christianae (1612-1635) als überkonfessionelle Verbindung des europäischen Hochadels

Zsuzsa Barbarics-Hermanik (Graz): „Kreuzzug gegen die Osmanen“ als politisches Argument der Habsburger in der Frühen Neuzeit

Markus Friedrich (Hamburg): Kommentar