EveryBody Tells A Story. Zur Geschichte von Sport-, Körper- und Bewegungskulturen. Jahrestagung der dvs-Sektion Sportgeschichte

EveryBody Tells A Story. Zur Geschichte von Sport-, Körper- und Bewegungskulturen. Jahrestagung der dvs-Sektion Sportgeschichte

Organisatoren
Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs); Leibniz Universität Hannover (LUH); Niedersächsisches Institut für Sportgeschichte e.V. (NISH)
Ort
Hannover
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.10.2018 - 12.10.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Pia Kühnemann / Nicole Wertecki, Institut für Sportwissenschaft, Universität Hannover

Die diesjährige Jahrestagung der dvs-Sektion Sportgeschichte beleuchtete den Körper als Ort der (Sport-)Geschichte aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln.

In der ersten Keynote zeigte VANESSA HEGGIE (University of Birmingham), inwiefern Frauen-, Inter- und Transkörper in der Geschichte der britischen Sportmedizin zum einen problematisiert oder verboten wurden und wie sie zum anderen entgegen dieser Zuschreibungen im Sport aktive Rollen einnahmen und -nehmen. OLAF STIEGLITZ (Universität zu Köln) zeigte in der zweiten Keynote zur Selbstinszenierung Bernarr Macfaddens Ende des 19. Jahrhunderts, inwiefern dieser seinen eigenen Körper und die Körper seiner Familie als Medium nutzte, um hegemoniale Vorstellungen über Gesellschaft, Staatsbürgerschaft und Gesundheit in den Vereinigten Staaten dieser Zeit zu vermitteln.

Es folgte der erste Themenblock „Gesundheit, Leistung und Doping“, den ANDREAS LUH (Ruhr-Universität Bochum) mit einer Vorstellung seines Forschungsvorhaben um Gesundheitskonzepte aus historischer Perspektive eröffnete. Luh untersucht, inwiefern und durch welche Diskurse das heutige Verständnis von Gesundheit in früheren Kulturen der Menschheitsgeschichte entstand.

Im nächsten Vortrag zeigte BERND WEDEMEYER-KOLWE (Niedersächsisches Institut für Sportgeschichte e.V.), dass Frauen im Kraftsport zum Fin de Siècle zwar als Abweichungen und Ausnahmen von der Regel galten. Als solche Außenseiterinnen präsentierten sie ihre Körper jedoch als Vorbilder der aufkommenden emanzipatorischen Vorstellungen von Weiblichkeit, so zum Beispiel in der 1. Frauenbewegung. Wedemeyer-Kolwe zeigte wie präsent solche starken Frauenkörper in dieser Zeit waren und dass beispielsweise in der Presse durchaus positiv auf sie Bezug genommen wurde.

Der dritte Vortrag im Themenblock handelte von aktuellen Entwicklungen in der Dopingpolitik und wurde von MARCEL REINHOLD (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) gehalten. Reinhold konzentrierte sich auf die nicht-intendierten Effekte der Dopingpolitik und die Beweiskonstruktion im Fall Lance Armstrong und dem jüngst stattgefundenen Dopingskandal um die russischen Athlet/innen.

Der erste Tag wurde abgerundet mit einem Besuch im Niedersächsischen Institut für Sportgeschichte (NISH) am Maschsee, bei dem der Geschäftsführer und Wissenschaftliche Leiter Bernd Wedemeyer-Kolwe das Institut vorstellte. Anschließend las Detlef Kuhlmann aus dem jüngst erschienen Buch „Hundert Jahre Handball“. Im Restaurant des ältesten Rasensportverein Deutschlands „Hannover 78“ fand der Abend mit einem reichhaltigen Buffet einen genussvollen Ausklang.

Der Freitag begann mit dem Themenblock „Medialisierung“, der von JÖRG HAGENAH (Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften), und HENK ERIK MEIER (WWU Münster) mit einem Vortrag über Medialisierungsprozesse im Sport eröffnet wurde. Sie zeigten, inwiefern sich Austragungsmodi im Wintersport durch die Ausstrahlung im Fernsehen an die Logik der Massenmedien angepasst haben.

Nach dem anschließenden Vortrag von THOMAS WENDEBORN (Universität Leipzig, Beitrag gemeinsam mit ANDRÉ SCHNEIDER und MARIE-LUIS LANGFELD), über eSport und die Frage, ob es sich beim "Gaming" eigentlich wirklich um einen Sport handele, wurde in der anschließenden Diskussion sehr kontrovers diskutiert. Wendeborn fragte in seinem Vortrag nach den historischen Entwicklungen, nach ökonomischen, ethischen und moralischen Aspekten, sowie den sich daraus ergebenden sportorganisatorischen Herausforderungen und bettete diese in aktuelle sportpolitische Diskussionen ein. Am Ende konnte keine Einigung bezüglich der Frage stattfinden, ob eSport wirklich ein Sport sein könne.

Nach einer Pause ging es weiter mit dem Themenblock „Lokale Sportgeschichte(n)“. CLAUDIA FLEISCHLE-BRAUN (Gesellschaft für Tanzforschung) erforscht die Geschichte und den Einfluss der Schule Hellerau-Laxenburg sowie deren Einfluss auf den modernen Tanz und die gymnastische Bewegungskultur der Wiener Avantgarde in den 1920er- und 1930er-Jahren. Nach der Schließung der Schule in den 1930er-Jahren aufgrund des politischen Drucks der Nationalsozialisten, nahmen viele der Protagonist/innen mit jüdischen Wurzeln ihr Wissen mit in die Diaspora, wo es sich verbreitete und Einfluss auf zeitgenössische Tanz- und Körperpraktiken nehmen konnte. In den beiden anderen Vorträgen fragte MICHAEL THOMAS (Otto-von-Guericke Universität Magdeburg) nach der Etablierung der Sportverwaltung in Magdeburg nach dem Ersten Weltkrieg im Kontext der Geschichte von Stadt und Sport in Deutschland und PETER PIASECKI (Herne)beleuchtete die Geschichte des Schwimm-Clubs Wiking-Herne 1921.

Der letzte Themenblock „Körperpraxen und Körperpolitiken“ begann mit einem Vortrag von STEFAN SCHOLL (Institut für deutsche Sprache Mannheim), der den Diskurs um Sauerstoffmangel und Leistungskörper bei den olympischen Sommerspielen in Mexiko 1968 untersuchte und die diesbezügliche Berichterstattung als Wendepunkt im Zusammenspiel von Leistungssport und Sportmedizin bewertete. Die Sportmedizin nehme von da an, so Scholl, eine immer wichtigere Rolle im Spitzensport ein.

Der Vortrag von ECKEHART VELTEN SCHÄFER (Universität Oldenburg) rundete die Tagung mit Bezug auf ihren Titel ab, da er mit einer genealogisch-praxeologischen Untersuchungsmethode Skateboarding als Körperpraxis, kulturellen Ausdruck und soziale Praktik in den Blick nahm. Velten Schäfer zeigte auf, wie das Skate-Subjekt hinsichtlich verkörperter Eigenschaftsbündel und bezüglich der Strukturkategorien Geschlecht, Ethnizität und Klasse analysiert werden kann und verwies damit auf eine Methodik zur Erforschung von Subjektivierungsweisen in Sportkultur(en).

In der abschließenden Mitgliederversammlung der Sektion Sportgeschichte wurde neben den Berichten intensiv über die zukünftige Ausrichtung und die Stellensituation in der Sportgeschichte beraten.

Die Ausrichtenden vom Institut für Sportwissenschaft der LUH und vom NISH blicken auf eine rundum gelungene Tagung mit herausragenden englischsprachigen Keynotes zu einer hochaktuellen Thematik zurück. Die Vorträge und Diskussionen trugen insgesamt zu einer breitgefächerten und interessanten Auseinandersetzung mit dem Tagungstitel bei. Im Sinne einer Kulturgeschichte des Sports wurde dabei dem wachsenden Einfluss des kulturhistorischen Ansatzes, auch in der Sportwissenschaft, Rechnung getragen. Mit vielfältigen theoretischen Ansätzen und Methoden wurde unter anderem nach Sinnkonstruktionen und Wirklichkeitsdeutungen der Menschen in der Vergangenheit gefragt. Die Diskussion über theoretische und paradigmatische Perspektiven in sporthistorischen Arbeiten konnte damit fruchtbar geführt werden.

Konferenzübersicht:

Vanessa Heggie (Birmingham): Health, Gender and Inequality in Sport: A Historical Perspective

Olaf Stieglitz (Köln): “Life is one long continuous athletic contest" – Bernarr Macfadden, His Body, and the Many Stories It Told During 40 Years of Physical Culture

Andreas Luh (Bochum): Gesundheit, Körperlichkeit und Bewegung in historischer Perspektive - ein Blick auf ‘vormoderne’ Kulturen

Bernd Wedemeyer-Kolwe (Hannover): Frauen im bürgerlichen Kraftsport des Fin de Siècle. Eine kulturgeschichtliche Annäherung

Marcel Reinhold (Münster): Lance Armstrong, Russland und aktuelle Entwicklungen in der Anti- Doping-Politik – beobachtet vor der Hintergrundfolie von Geschichte

Jörg Hagenah (Wolfenbüttel) / Henk Erik Meier (Münster): Medialisierungsprozesse im Sport: Theoretische Perspektiven und empirische Beobachtungen

Thomas Wendeborn / André Schneider / Marie-Luis Langfeld (alle Universität Leipzig): eSport im Spiegel seiner historischen Entwicklung - SportwissenschaftlicherGegenstand oder doch nur zufällige sprachliche Analogie?!

Claudia Fleischle-Braun (Stuttgart): Die Schule Hellerau-Laxenburg: Refugium, Künstlerresidenz und kosmopolitischer Treffpunkt im Schatten der Wiener Tanzmoderne

Michael Thomas (Magdeburg): Die Etablierung der kommunalen Sportverwaltung in Magdeburg nach dem Ersten Weltkrieg (1919 bis 1925)

Peter Piasecki (Herne): Aspekte zur Geschichte des Schwimm-Club Wiking Herne 1921: zum Wandel von gesellschaftlicher Verknüpfung, Wahrnehmung im städtischen Kontext und Frauensport

Stefan Scholl (Mannheim): Leistungskörper unter Sauerstoffmangel. Die sportmedizinische Vorbereitung der westdeutschen Mannschaft auf die Olympischen Sommerspiele in Mexico City 1968

Eckehart Velten Schäfer (Oldenburg): „Wirkliche Geschichte“ als Optik einer genealogisch-praxeologischen Sportgeschichtsschreibung