HT 2018: Wenn ‚cultural brokers‘ scheitern – Fehlgeschlagene Kommunikation lokaler Eliten im antiken Nahen Osten

HT 2018: Wenn ‚cultural brokers‘ scheitern – Fehlgeschlagene Kommunikation lokaler Eliten im antiken Nahen Osten

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2018 - 28.09.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Julia Hoffmann-Salz, Historisches Institut, Universität zu Köln

Die Sektion fragte nach Gründen des Scheiterns lokaler Eliten in ihrer essentiellen Rolle als Vermittler zwischen der eigenen Gemeinschaft und der Reichszentrale. Um diese Vermittlerrolle zu beschreiben, wurde sich dabei des Konzeptes der ‚cultural broker‘ bedient, welches seit den 1950er-Jahren in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen Verwendung findet. Dabei ist die Vorstellung von ‚cultural brokers‘ als Kulturvermittler eng mit dem Konzept der ‚broker‘ an sich verbunden. Dieser Begriff wurde vor allem vom Anthropologen Eric Wolf verwendet, um Vermittlerpersönlichkeiten zwischen indigenen Gemeinschaften und Gesamtstaaten zu beschreiben.1 Die ‚brokers‘ vermittelten nicht nur im politischen Sinne zwischen der eigenen Gemeinschaft und der Zentrale, sie schufen durch ihr Verständnis für beide Welten eine gemeinsame Kommunikationsbasis, die erst Verhandlungen und Verständigungen möglich machte. Für diese Rolle hat die amerikanische Historikerin Margaret Connell-Szasz den Begriff der ‚cultural brokers‘ geprägt.2 Für sie sind ‚cultural brokers’ Individuen, die aus unterschiedlichen Gründen Erfahrungen in einer fremden Kultur gemacht haben und diese zu nutzen wissen. Der so gewonnene Wissensvorsprung, der die Rolle als ‚cultural brokers‘ ermöglichte, hatte meist positive Folgen für diese, da sie so ihre eigene Stellung gegenüber der Herkunftsgemeinde festigen und durch ihr Wissen um die Gepflogenheiten der neuen Machthaber eine Prominenzrolle erlangen konnten. Damit sind Prominenz, Vertrauen und Verständnis für bzw. Einsicht in sowohl die Kultur der eigenen Gemeinschaft wie der Kultur der übergeordneten Staats- oder Reichsgemeinschaft wesentliche Kriterien, um Personen als ‚cultural broker‘ zu bezeichnen. Gleichzeitig sind dies wesentliche Charakteristika lokaler Eliten, wie dies etwa auch in der Definition lokaler Eliten bei Boris Dreyer und Peter Franz Mittag festgehalten wurde.3

Nicht auflösbare Konflikte zwischen divergierenden Interessen, veränderte Rahmenbedingungen in der Reichszentrale, Missverständnisse und vor allem Verlust von Vertrauen konnten dabei die Stellung der ‚cultural brokers‘ jederzeit gefährden und sie scheitern lassen – und zwar sowohl in ihrer Kommunikation ‚nach oben‘ zu den neuen Machthabern wie auch ‚nach unten‘ zu ihrer eigenen Gemeinschaft. Die Sektion stellte Beispiele für dieses Scheitern lokaler Eliten im antiken Nahen Osten zusammen, in denen sie ihre Rolle als ‚cultural brokers‘ nicht erfolgreich ausfüllen können. Denn diese Misserfolge können als solche entscheidenden Momente in der Kommunikation zwischen Machtzentrale und indigenen Gemeinschaften verstanden werden, in denen die Spaltung der Gesellschaft in Herrscher und Beherrschte, also die eigentliche Asymmetrie der Positionen der Kommunikationspartner, deutlich zu Tage trat. Sie werfen damit ein Schlaglicht auf eben diese Spaltung der Gesellschaft, die in der Herrscherrepräsentation der antiken Reiche oft explizit verdeckt werden sollte.

In seinem Beitrag untersuchte BENEDIKT ECKHARDT (Edinburgh) die Etablierung eines hellenistischen Gymnasions in Jerusalem im Kontext der Einrichtung dieser Institution in anderen Städten unter den Seleukiden, insbesondere Sardeis, Limyra, Babylon sowie dem attalidischen Toriaion. Auch wenn die Voraussetzungen zur Etablierung der Gymnasien jeweils unterschiedlich waren, zeigten die Beispiele die hohe Relevanz der Gymnasien in der Kommunikation zwischen städtischen Gemeinschaften und König, denn über sie konnte dieser Einfluss auf die politischen wie gesellschaftlichen Entwicklungen in den Städten nehmen. Es wurde deutlich, dass auch das Jerusalemer Projekt zunächst erfolgreich von Jason umgesetzt werden konnte, auch wenn dieser fast ‚Putsch‘-haft die Rolle des Hohepriesters und damit des höchsten Vertreters der indigenen Gemeinschaft usurpiert hatte. Dies sei ihm insbesondere gelungen, weil er das Vertrauen der Zentralmacht in seine Nützlichkeit erlangt hatte. Dadurch schuf er aber einen Präzedenzfall, der der Zentrale die Verfügbarkeit dieser Position und den damit verbundenen Zugriffsmöglichkeiten deutlich machte. Im Rahmen der Rivalität zwischen den Angehörigen der lokalen Eliten konnten seine Gegner einen Vertrauensverlust in Jason initiieren bzw. erkaufen, der sein Scheitern erzwungen habe.

SITTA VON REDEN (Freiburg) analysierte am Beispiel des Gräko-Ägypters Dionysos Petosorapis die institutionalisierten, hierarchisierten und durch Rivalität geprägten Patronagebeziehungen zwischen Herrscherhaus, Königshof, Priesterschaften, Heereskommandanten und weiteren absteigenden Ebenen regionaler und lokaler Eliten im ptolemäischen Ägypten. Von Reden betonte, dass nur die soziale und transkulturelle Vernetzung dieser Ebenen eine staatliche Verwaltung ermöglichte. Der Zugriff auf diese Netzwerke war essentiell für die Aufrechterhaltung legitimer und friedlicher Herrschaft und bedurfte ‚cultural broker‘, die in beiden kulturellen Kreisen akzeptiert waren. Die Aufstände und Unruhen zwischen 220 und 160 v. Chr. erschütterten diesen Frieden, der auch den Ressourcenzugriff des ptolemäischen Regimes sicherte. Von Reden konnte deutlich machen, dass die Aufstände vor allem agrarische Ursachen hatten, nämlich dauerhaft niedrige Nilstände, die zum Entzug des Vertrauens für die Herrscher und die mit ihnen kooperierenden Priestereliten führte. Denn als negative Omina ausgelegte Naturphänomene stellten die notwendige göttliche Sanktionierung ihrer Rolle in Frage. Entsprechend propagierten sich die Anführer der Aufstände als Rückkehrer zu einer legitimen Herrschaft, die das Chaos in Ordnung zurückführen werde. Aber so wie die ptolemäischen Herrscher und ihre Anhänger scheiterten auch die Anführer der Aufständischen an der Konkurrenzhaftigkeit des Patronage-Systems: Als Köpfe eines kaskadierenden Patronage Systems waren sie ebenso auf ihre Anhängerschaften angewiesen wie ihre Gegner und mussten sich in der gleichen natürlichen und politischen Ordnung legitimieren wie sie, was ihnen mittelfristig nicht gelang.

Dagegen scheiterte der Tetrarch Zenodoros aus dem Beitrag von JULIA HOFFMANN-SALZ (Köln) am mangelnden Vertrauen der Zentralmacht Rom, in der er nicht genügend Unterstützung für seine Eigenherrschaft fand. Entgegen der negativen Bewertung seiner Herrschaft in den Quellen als Räuberwesen könne diese durchaus im Rahmen der in hellenistischen Reichen üblichen Ressourcenkontrolle verstanden werden, die ihn jedoch in massive Konkurrenz zu seinen Nachbarn brachte. In dieser ökonomischen Konkurrenzsituation vermochte Zenodoros es offenbar nicht, ausreichend Ressourcen und vor allem ausreichend Netzwerke zur Durchsetzung seiner Interessen zu mobilisieren. Sein Scheitern sei damit weniger als Vertrauensverlust durch faktisches Fehlverhalten, sondern vielmehr als Ergebnis einer harten Rivalität der lokalen Akteure zu verstehen, die ihren Wiederhall in den literarischen Quellen fand.

MONIKA SCHUOL (Eichstätt) stellte in ihrem Beitrag zum Jüdischen Aufstand 70 n. Chr. zunächst fest, dass die Quellen bis zu dieser kommunikativen Katastrophe ein durchaus gutes Verhältnis zwischen den judäischen Eliten und Rom vermitteln. Auch die von ihr vorgestellten ‚cultural broker‘ Agrippa II. und Josephus seien eigentlich durch Erziehung respektive Bildung mit Rom und durch ihre hohe soziale Stellung in der Herkunftsgemeinde mit dieser eng verbunden und daher für eine Vermittlerrolle auch oder gerade im Konfliktfall prädestiniert gewesen. Gerade aber die Anbindung an Rom und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen hätten für ihre Wahrnehmung als Verräter in ihrer Gemeinschaft gesorgt, also einem Vertrauensverlust, den auch die ebenfalls vermittelnd eingreifende hohepriesterliche Aristokratie erlebt habe. Agrippa II. und Josephus seien schließlich an den im Grunde nicht versöhnbaren gegensätzlichen Interessen ihrer beiden Referenzpartner gescheitert: Ihr politisches Überleben sei zu sehr mit Rom verknüpft gewesen, als dass sie als Verhandlungspartner auf Augenhöhe angesehen werden konnten, und gleichzeitig waren in Judäa zu viele zerstrittene Interessensgruppen aktiv, als dass die römische Herrschaft als Option zur Konfliktlösung hätte akzeptiert werden können.

Die vier Beiträge der Sektion haben gezeigt, dass lokale Eliten als ‚cultural broker‘ ihre kulturelle Mittlerrolle immer nur im Rahmen eigener Machtinteressen wahrnahmen. Vermittlung von und zwischen verschiedenen Kulturgemeinschaften war also kein Selbstzweck, sondern Teil der elitären Rolle als ‚power broker‘, als politisches Bindeglied zwischen einer Zentralmacht und ihren indigenen Untergebenen. Diese Stellung wurde je nach Kontext über die Verwendung der Symbole der Zentralmacht wie der indigenen Gemeinschaft abgesichert. Kulturvermittlung war dabei integraler Bestandteil ihrer Selbstdarstellung, auch weil der Rückgriff auf die Symbole der jeweiligen Referenzgruppen die sichtbarste Form der Kommunikation der eigenen Stellung im Gesamtgefüge der soziopolitischen Realität ermöglichte.

Scheiterten die lokalen Eliten dann in ihrer Rolle als ‚cultural broker‘, so taten sie dies überwiegend nicht aus kulturellen Gründen. Jason, Dionysisos Petosórapis, Zenodoros, Agrippa II und Josephus verstanden die Kulturen der eigenen Gemeinschaften ebenso wie die der Zentralmächte, mit denen sie kooperierten. Nur für Agrippa II und Josephus könnte man unüberbrückbare kulturelle Gegensätze als Grund des Scheiterns einer Vermittlerrolle heranziehen – aber interessanterweise führte bei ihnen der Vertrauensverlust durch die Herkunftsgemeinde nicht zu einem Vertrauensverlust durch die Zentralmacht Rom. Damit wurde die Asymmetrie der Positionen der Kommunikationspartner sichtbar: So sehr die Zentralmacht auch auf die Vertreter der lokalen Eliten und ihre Netzwerke angewiesen war, um ihre eigenen Herrschaft und insbesondere die eigene Ressourcenkontrolle zu verwirklichen – viel mehr mussten diese Eliten angesichts der großen Konkurrenzsituation mit anderen lokalen ‚brokern‘ um den eigenen Machterhalt fürchten.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Julia Hoffmann-Salz (Köln)

Julia Hoffmann-Salz (Köln): Einführung

Benedikt Eckhard (Edinburgh): Das Gymnasion von Jerusalem – ein Paradebeispiel für gescheiterte Kommunikation?

Sitta von Reden (Freiburg): Wenn ‚cultural brokers‘ scheitern: Lokale Aufstände und ihre Ursachen im ptolemäischen Ägypten

Julia Hoffmann-Salz (Köln): Zenodors, Tetrarch der Ituräer – Räuberhauptmann – gescheiterter ‚cultural broker‘?

Monika Schuol (Eichstätt): Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels 70 n.Chr.: Agrippa II., die hohepriesterliche Aristokratie und Josephus als gescheiterte ‚cultural brokers‘

Julia Hoffmann-Salz (Köln): Zusammenfassung

Anmerkungen:
1 Eric Wolf, Aspects of Group Relations in a Complex Society, in: American Anthropologist 88 (1956), S. 1065–1078.
2 Margaret Connell-Szasz, Between Indian and White Worlds. The cultural broker, Norman 1994/2001.
3 Boris Dreyer / Peter Franz Mittag, Einleitung, in: Boris Dreyer / Peter Franz Mittag (Hrsg.), Lokale Eliten und hellenistische Könige. Zwischen Kooperation und Konfrontation, Berlin 2011, S. 10.