HT 2018: Monarchiegeschichte zwischen histoire comparée und histoire croisée

HT 2018: Monarchiegeschichte zwischen histoire comparée und histoire croisée

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2018 - 28.09.2018
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Von
Frans Willem Lantink, Departement Geschiedenis en Kunstgeschiedenis, Universiteit Utrecht

Die Sektion präsentierte die neueste Forschung der niederländischen Monarchie in einer vergleichenden europäischen Perspektive. Diesbezüglich wurde ein Akzent auf die Verbindung der niederländischen Monarchie mit den deutschen Fürstendynastien und die Entwicklungen in Deutschland im langen 19. Jahrhundert gelegt. Ausgangspunkt für die Diskussion und den historiographischen Vergleich war das Projekt der wissenschaftlichen Biographien der ersten drei Niederländischen Könige: Willem I., Willem II. und Willem III., und deren Veröffentlichung im Jubiläumsjahr der Oraniermonarchie (1813–2013).

Aktuelle Trends in der Monarchieforschung widmen sich den europäischen Königen in ihren vielen verschlungenen Rollen in der Gesellschaft: dynastisches, militärisches, zeremonielles und gesellschaftliches kommen zusammen in der Person des Monarchen. Vertretung des Staates und der Nation verlangten andere Funktionsmodelle neben der klassischen Rolle in den Netzwerken der internationalen Diplomatie, worin die Höfe Europas weiterhin eingebunden waren. Im Zeitalter zwischen Ancien Regime und dem Ersten Weltkrieg kamen viele gesellschaftliche Erwartungen, Kräfte und Spannungen in der Gestaltung der Monarchie zusammen. Die Fürsten waren ein Faktor bei der Entstehung von gesellschaftlichen Spannungen, aber sie wurden auch dagegen zur Überwindung und Versöhnung von sozialen Spaltungen eingesetzt. Es ist klar, dass sich die neueste Monarchieforschung disziplinär verbreitet hat. Eine der Herausforderungen ist die vergleichende Methode: Kann sie die Erforschung der europäischen Monarchie von einer klassischen nationalen historiographischen Perspektive befreien? Diese neuen vergleichenden Fragestellungen und Methoden wurden in der Sektion behandelt.

Über die komparative Methodologie hinaus gibt es auch gegensätzliche inhaltliche Perspektiven, die in der jüngsten Monarchieforschung zu Diskussionen führen. Einerseits bleibt ein Schwerpunkt in der Forschung auf die neue bürgerliche Monarchie des 19. Jahrhunderts weiter bestehen, andererseits gibt es ein erneutes Interesse an der Persistenz des Ancien Regimes in der Form des zeremoniellen und des europäischen dynastischen Netzwerkes, worin Fürsten weiterhin eine Rolle spielten, die sich nicht synchron mit den politischen Realitäten des nationalen Staates weiterentwickelten. Ideologisch und kulturell gab es eine Spannung zwischen der monarchisch-aristokratischen und bürgerlichen Wertehimmel: in der Person des Monarchen und seiner Familie, in den vielen „erfundenen Traditionen“, und in der Identifikation der Bürger mit „der Familie auf dem Thron“. Welche Warte war für Monarch, Adel und Kirche in einer bürgerlichen Kultur verblieben? Auffallend ist der relative Erfolg der Monarchie im langen neunzehnten Jahrhundert immerhin. Inmitten des Nationalstaates im 19. Jahrhundert sei die symbolische Position des Monarchen verstärkt worden, dennoch wurden die politischen Realitäten der Machtbalance in Europa von anderen Kräften bestimmt, nicht zuletzt von bürgerlichen Eliten und von den Großmächten. Die Fürsten spielten eine komplexe, nicht eindeutige Rolle in den internationalen Beziehungen zwischen dem Ancien Regime und dem Ersten Weltkrieg. Das Familiennetzwerk der europäischen Dynastien funktionierte jedoch bis 1914.

In den Beiträgen der Sektion wurden die neuen Themen der niederländischen Monarchieforschung in einer vergleichenden Perspektive dargeboten und zur Diskussion eingeladen. Was lehrt uns der phänomenologische Vergleich des neuen niederländischen Königreichs mit dem neuen Königtum in Württemberg und in Bayern? Wie kann das stark verbundene Netzwerk zwischen Hohenzollern und Oranien gedeutet werden auf der internationalen Ebene und in der Spannung zwischen dynastischem Hausmacht und den Interessen der Großmächte? Was bedeuteten die Revolutionen von 1848 für die europäischen Monarchen? In den Niederlanden war die Revolution nicht gewalttätig, aber die liberalbürgerliche Elite band die Monarchie erfolgreich in einer konstitutionellen Zwangsjacke ein. Inwieweit unterschied sich die Position von Willem II. von den deutschen Fürsten? Die Geschichte der Niederlande zeigt Beispiele eines gescheiterten, unpopulären Monarchen, aber am Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde die Erfindung einer neuen populären Monarchie von den Königinnen Emma und Wilhelma gezeitigt. Gender und Monarchie bilden eben eine wichtige Perspektive in der neuen biographischen Monarchieforschung.

HEIDE MEHRKENS (Aberdeen) diskutierte die neuen Herausforderungen des Forschungsfelds „moderne Monarchien“ und seine Möglichkeiten und Grenzen im europäischen Kontext. Dieses Forschungsfeld erscheint hervorragend geeignet, um Studien in der vergleichenden Geschichtswissenschaft (histoire comparée) durchzuführen. Gleichzeitig besitzt die europäische Institution Monarchie im langen 19. Jahrhundert aber auch großes Potential für Untersuchungen im Rahmen der Verflechtungsgeschichte. Die Untersuchung von Monarchien in der Verflechtungsgeschichte (histoire croisée) widmet sich nicht Gemeinsamkeiten und Unterschieden, sondern legt den Fokus auf Beziehungen, Transfers und Interaktionen. Ein genuin internationaler Charakter (europäischer) dynastischer Verbindungen schafft ideale Bedingungen für die Verflechtungsforschung in der Monarchiegeschichte. Mehrens plädierte gerade für diese letzte Perspektive.

FRANS WILLEM LANTINK (Utrecht) diskutierte eine vergleichende Perspektive von drei Staaten, die in der Umbruchszeit 1780-1820 zum Königtum avancierten: die Neubildung des Königreiches der Vereinigten Niederlande in 1815 und die Königreiche Bayern und Württemberg im Jahr 1806, die auch ab 1815 bis 1918 in dieser Form weiterbestanden. Schon diese unterschiedliche Jahreszahlen und das Intermezzo des Königreichs Holland 1806–1810 weisen darauf hin, dass die Niederlande, Bayern und Württemberg nicht symmetrisch zu vergleichen sind. Wichtig beim Vergleich zwischen diesen asymmetrischen Entwicklungen in den drei neuen Königreichen sei es, die letztendlich fortwährende dynastische Tradition und sowie die dynastische Tradition der drei Familien in der Diskontinuität der Form einer neuen Monarchie zu bewerten.

JEROEN KOCH (Utrecht) thematisierte zwei parallele Leben, das des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) und jenes des niederländischen Königs Wilhelm I. (1772–1843). Geben die Biographien dieser Cousins und Schwäger Antwort auf die Frage, was es bedeutete, ein Restaurationsmonarch zu sein? Betrachtet wurde die Symbolik um beide Könige, ihren Platz in der Zentralverwaltung und der Staatsbürokratie sowie einige der Maßnahmen, die sie im Bereich der Wirtschaft, Armee und Religion ergriffen oder in ihrem Namen ergriffen wurde. Aufmerksamkeit wurde auch dem Platz ihres Königreichs im europäischen Staatensystem geschenkt. Willem I ist letztendlich mit seiner Integrationspolitik seines neuen Königreichs gescheitert, die gespaltene Gesellschaft des protestantischen Norden und das katholische Südens zu vereinen. DIK VAN DER MEULEN (Utrecht) präsentierte eine neue Perspektive auf den „gescheiterten Monarchen“ Willem III., der trotz seiner Schwierigkeiten mit der politischen Elite, eine neue verbindende Bedeutung der Monarchie vorwies in Zeiten von nationalen Katastrophen. MONICA SOETING (Amsterdam) betonte die ganz neue integrierende, populäre Funktion der neuen Monarchie um 1900, in einer Zeit von gesellschaftlichen und ideologischen Spaltungen. In ihrer neuen Forschung widmet sie sich der Biographie der Königin Emma und analysierte die raffinierte Genderstrategie in der Verstärkung der Monarchie der Witwe von König Willem III. und Mutter der jungen Königin Wilhelmina.

Die lebhafte Diskussion kreiste vor allem um die Frage, ob die leitende Perspektive, die neue „bürgerliche“ Monarchie des 19. Jahrhunderts, weiterbestehen kann. Oder ist die Persistenz des Ancien Regimes in der Form des Zeremoniellen und des Europäischen dynastischen Netzwerkes, worin Fürsten weiterhin eine Rolle spielten, die sich nicht synchron mit der politischen Realitäten des nationalen Staates weiterentwickelten und sich um 1900 sogar verstärkt hatten, weiter zu betonen? Vielleicht offenbaren sich gerade in der Entwicklung der Monarchie im langen 19. Jarhrhundert die wahren Paradoxien jener Zeit.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Frans Willem Lantink (Universiteit Utrecht)

Jeroen Koch / Frans Willem Lantink (Universiteit Utrecht): Einführung

Heidi Mehrkens (University Aberdeen), Fragestellungen und Methodologie einer vergleichenden Monarchiegeschichte

Frans Willem Lantink (Universiteit Utrecht): Phänomenologie des Übergangs: dynastische Tradition und Neue Monarchie: Niederlande/Württemberg/Bayern 1780-1820

Jeroen Koch (Universiteit Utrecht): Überwindung der gespaltenen Gesellschaft? Restaurationsmonarchen und fürstliche Vernetzung: Oranien und Hohenzollern.

Dik van der Meulen (Universiteit Utrecht): Der gescheiterte Monarch? Willem III. der Niederlande und seine europäischen Kollegen.

Monica Soeting (Vrije Universiteit Amsterdam): Die Popularisierung der britischen und niederländischen Monarchien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, in Anbetracht von Gender und der sich herausbildenden Klassegesellschaft.

Kommentator : Frank-Lothar Kroll (Technische Universität Chemnitz)


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