Das Exponat. Ausstellungskomplex und Sammlungsforschung

Das Exponat. Ausstellungskomplex und Sammlungsforschung

Organisatoren
Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) Dortmund; Technische Universität (TU) Dortmund
Ort
Dortmund
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.12.2018 - 09.12.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Brigitte Heck, Badisches Landesmuseum Karlsruhe

Kooperatives Interesse prägte die inhaltliche Ausrichtung der 24. Tagung der Kommission Sachkulturforschung und Museum auf das kulturanthropologische Kompetenzfeld objektbasierter Forschung zwischen Evidenz und Präsenz. Denn von Universitäts- wie Museumsseite nahmen die ReferentInnen die sich wandelnden musealen Felder in den Blick und behandelten die Frage, wie Sammlungen künftig gehandhabt werden und welche Zugänge zur materiellen Kultur die universitäre Ausbildung schaffen kann. Die gut besuchte Veranstaltung verschränkte dabei mit elf Referaten und drei Projektberichten in geradezu idealer Weise die Interessenlagen beider Institutionen an einer stärkeren Gewichtung dinganalytischer Untersuchungen zwischen Sammeln und Ausstellen.

Fokussierung und Rhythmisierung prägten den Veranstaltungsverlauf, und so kam nach der gemeinsamen Tagungseröffnung der Einführung von GUDRUN M. KÖNIG (TU Dortmund) die Aufgabe zu, die Leifragen objektbasierter Forschung zu reflektieren. Mit ihrem Verständnis des kulturhistorischen Museumsobjekts als „Präparat“, in dem sich diverse – und nicht nur kulturelle – Prozesse materialisierten, führte sie in die terminologische und methodologische Diskussion ein und fokussierte zugleich den Nukleus der Tagung: das Exponat. Daran unmittelbar anschließend widmete sich der erste von zwei strategisch auf die Tagung verteilten Keynote-Beiträgen dem Themenfeld der Objektforschung. JOACHIM BAUR (Die Exponauten Berlin) schloss an Königs Präparat-Verständnis an, indem er das Exponat als „Assemblage von Praktiken um die Dinge herum“ diskutierte und mit dem Verweis auf die Thing-Theory des Chicagoer Sprach- und Literaturwissenschaftlers Bill Brown die musealen Dinge als in ihren spezifischen Praktiken und Feldern (Relationalität, Referenzialität und Repräsentation) gebunden darstellte. Davon ausgehend erweiterte er die Perspektive um die gesellschaftliche Funktion des Museums als „Kontaktbörse der Dingbeziehungen“, und als Ort, der die Dinge eher „auszuwildern“ als zu „zähmen“ habe, um deren besondere Agency zu nutzen und sie als „Agenten von Debatten“ einzusetzen.

Der Beitrag von MICHAEL MARKERT (Universität Göttingen) diskutierte vor dem Hintergrund der Rekonstruktion historischer Praktiken des Sammelns und Bearbeitens anhand seines Forschungsprojekts zur Humanembriologischen Dokumentationssammlung Blechschmidt die vorgefundenen anatomischen Präparate als menschliche Überreste und unterzog die darauf basierende (historische) naturwissenschaftliche Praxis von Forschung und Lehre einer kulturwissenschaftlichen und ethischen Befragung.

Höhepunkt des ersten Tages war der Abschluss eines kooperativen Forschungs- und Ausstellungsprojektes, der zugleich einen Anfang barg: Denn eingeleitet durch ein prägnantes Statement von SEBASTIAN HACKENSCHMIDT (Museum für Angewandte Kunst Wien) zu Sitzmöbeln und ihren kulturwissenschaftlichen Implikationen, eröffnete JAN C. WATZLAWIK im Museum für Kunst und Kulturgeschichte – begleitet von seinem Team – die studentische Ausstellung Auf Möbeln. SitzPolsterModen der TU Dortmund. Dieses Projekt, das sich in die Dauerausstellung einfügte, indem es den Blick auf das Thema Sitzmöbel lenkte und durch eine gleichermaßen originelle Objektauswahl wie Szenografie Entnahmen des Museums für dessen Sonderausstellung Rausch der Schönheit. Die Kunst des Jugendstils geschickt kompensierte, warb damit in überzeugender Weise für Kooperationen zwischen Universität und Museum.

Der zweite Tagungstag war geprägt vom Wechselspiel zwischen Sammlungsanalyse und Ausstellungspraxis. Er begann mit dem Beitrag von BERNHARD PURIN (Jüdisches Museum München), der auf sehr eindrückliche Weise anhand eines Depotfundes im Mainfränkischen Museum Würzburg auf den oft fatalen Umgang mit Judaica-Beständen zwischen Verbergen und Exponieren und damit auf Provenienzforschung als Objektforschung zu sprechen kam. MICHAELA HAIBL (TU Dortmund) exemplifizierte die Frage des Umgangs mit historisch sensiblen Sammlungsgütern an der Handhabe von KZ-Kleidung in der Ausstellungspraxis – zwischen „Bedeutungsüberschuss und Nichtwissen“ – und kam dabei auf problematische Präsentationspraktiken durch Reduktion, Wissenslücken, Falschzuschreibungen und die Reproduktion von Stereotypen in Ausstellungskontexten zu sprechen, die mehr zur Kreation und Reproduktion von Bildikonen als zur kritischen Präsentation von Bekleidungspraktiken im Lagersystem des Nationalsozialismus beitrage.

Drei en bloc vorgetragene Kurzberichte aus Forschungsprojekten und universitären Abschlussarbeiten legten den Fokus auf ein erweitertes Objektverständnis und ergänzende dokumentarische Techniken. Dabei untersuchte ANDREA SCHLICHT (Universität Oldenburg) Möglichkeiten einer die Objektakquisition begleitenden Dokumentationspraxis, JULIA SCHUPPE (Universität Bonn) beleuchtete Formen der qualitativen Besucherbefragung und SONJA GRULKE (Berlin) diskutierte einen neuen Zu- und Umgang zu und mit akustischen Exponaten.

Die Sammlungs- und Präsentationsprinzipien ihrer jeweiligen Häuser präsentierten zwei Beiträge: NINA GORGUS (Historisches Museum Frankfurt) gab einen Einblick in die neue Dauerausstellung und Arbeitsweise des avantgardistischen Frankfurter Museums, wo man in der momentanen Praxis programmatisch nicht auf Dinganalyse setze, sondern auf eine aktive Einbringung in gesellschaftliche Diskursfelder, auf Gegenwartsthemen und partizipative Methoden der Museumsarbeit, die sich an den Kriterien Relevanz und Diversität ausrichte. Besucherbindung und –ansprache war in dieser Hinsicht auch Ausgangspunkt für den Beitrag von MAGDALENA ROß und PHILIPP HORST (beide DASA Dortmund). Denn handlungsorientierte Ausstellungsformen sind von Beginn an geübte Praxis und Stärke der DASA-Ausstellungen. Am Beispiel des aktuellen Sonderausstellungsthemas, „Mobilität“, gaben sie Einblicke in Konzept und Szenografie der Ausstellung Stop and Go.

ERNST SEIDL (Universität Tübingen) richtete seinen Keynote-Beitrag auf die Spezifik der Sammlungsforschung– gleichwohl aus der gesonderten, weil besonderen Perspektive von Universitätssammlungen als in Provenienz, disziplinärer Spezifik, Nutzungsgeschichte und Potenzialen stark diversifizierten Kollektionen. Im Vorgriff auf den dritten Veranstaltungstag weitete er damit den Blick wieder über das tagesaktuelle Geschäft der Museen hinaus. Eine bedeutende Handlungsoption sehe er im Erkennen und Demonstrieren der Relevanz einer Sammlung als materiellem (Kultur-)Erbe, um deren öffentliche Sichtbarkeit und Resonanz zu evozieren beziehungsweise zu steigern. Einer Rückbesinnung auf inhaltliche Stärken komme insofern strategische Bedeutung zu, als viele Sammlungen und Museen in den vergangenen Jahrzehnten fast ausschließlich auf Außenwirkung über Events und Sonderausstellungen gesetzt haben und der Eigenwert der Sammlungsbestände oder gar deren Inwertsetzung nur von untergeordneter Priorität gewesen schien. Wo Kunst- und Kulturwissenschaften ihre Expertise im Feld der Objektwissenschaft jedoch stärken, um Objekt- als Sammlungsforschung zu prononcieren oder gar erst zu etablieren, würden Forschung, Lehre und Sammlung beziehungsweise Museum nachhaltig profitieren.

Diesem Credo schienen nicht zuletzt auch die drei abschließenden Beiträge des letzten Tages verpflichtet, denn von musealer Seite nahmen sie ganz im Sinne des call for paper objektbasierte und sammlungsarchäologische Zugänge der Museumsarbeit in den Blick.

Der Beitrag von LISA MAUBACH (LWL Freilichtmuseum Hagen) widmete sich der dokumentierenden Ergänzung von Sammlungsbeständen durch Oral-History-Methoden in Gestalt von Objektfilmen. Die Narrationen und Visualisierungen, die über dieses Medium zu gewinnen seien, erhöhten ebenso den musealen wie materiellen Wert von Sammlungsbeständen (insbesondere im Bereich des Handwerks, wo Produktionsabläufe und -kontexte dokumentiert werden), wie sie in evidenter Weise auch dem Bereich der Bildungsarbeit und des Wissenstransfers dienten.

Der Bericht von JANA WITTENZELLNER (Museum Europäischer Kulturen Berlin) über Nachrecherchen zu Haarbildern als speziellem Sammlungsbestand des Dahlemer Museums exemplifizierte auf eindrückliche Weise, wo Potenziale der Inwertsetzung und Vernetzung von Museumssammlungen liegen können, hatten sich im Auditorium doch spontan mehrere Kolleginnen mit vergleichbaren Beständen und Problemlagen in ihren Sammlungen gemeldet und Kooperationsinteresse bekundet.

Der Beitrag von CLAUDIA SELHEIM (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg) schließlich beschloss die Tagung und bot zum Ende einmal mehr anschauliche Belege für die Relevanz und Dringlichkeit objektbasierter sammlungsgeschichtlicher Forschung. Dabei legte sie den Fokus auch auf die Analyse kuratorischer Praktiken im Umgang mit Sitzmöbeln, die diesen überraschende Perspektiven und Fragestellungen abgewinnen kann.

Die Dortmunder Tagung überzeugte durch gut arrangierte, facettenreichen Beiträge, die überwiegend neue Ergebnisse oder originelle Perspektiven präsentierten, aber auch dank ihrer strukturierten Klarheit.

Konferenzübersicht:

Joachim Baur (Die Exponauten Berlin): Doing Things. Vom Sammeln, Forschen, Ausstellen

Michael Markert (Universität Göttingen): Kulturwissenschaftliche Zugriffe auf anatomische Sammlungspraxis: Feldforschung als Zergliederungskunst

Sebastian Hackenschmidt (MAK Wien): Polstermöbel exponiert: Von der Dingbetrachtung zur Möbelkörperanalyse

Bernhard Purin (Jüdisches Museum München): Im Depot verborgen und vergessen: Jüdische Ritualobjekte aus Würzburg

Michaela Haibl (TU Dortmund): KZ-Kleidung ausstellen: Bedeutungsüberschuss und Nichtwissen

Forum junge Forschung

Andrea Schlicht (Universität Oldenburg): Textile Alltagskultur sammeln und zeigen: Biographiezentrierte Strategien

Julia Schuppe (Universität Bonn): Objektsammlung als Sammlung von Erinnerung und Bedeutung

Sonja Grulke (Berlin): Record and play. Zum Umgang mit akustischen Exponaten

Nina Gorgus (Historisches Museum Frankfurt): Dinganalyse im kulturhistorischen Museum? Das Exponat in der kuratorischen Praxis

Philipp Horst / Magdalena Roß (beide DASA Dortmund): Jenseits der Objekte. Eine handlungsorientierte Ausstellung

Ernst Seidl (Museum der Universität Tübingen, MUT): Objektwissenschaft als Disziplin? Theoretische Annäherungen an das Exponat

Lisa Maubach (LWL Freilichtmuseum Hagen): Der Objektfilm. Funktionsweisen dokumentieren und ausstellen

Jana Wittenzellner (Museum Europäischer Kulturen Berlin, MEK): Kunsthandwerk, Kuriosa oder kulturelle Wissensspeicher: Haarbilder als Sammlungsobjekte

Claudia Selheim (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg): Ausgesessen. Sitzgelegenheiten als Exponate