Das Gesandtschaftspersonal in den frühneuzeitlichen Außenbeziehungen / Non-Ambassadorial Agents in Early Modern Diplomacy

Das Gesandtschaftspersonal in den frühneuzeitlichen Außenbeziehungen / Non-Ambassadorial Agents in Early Modern Diplomacy

Organisatoren
Peter Burschel, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel / Universität Göttingen; Florian Kühnel, Universität Göttingen; Christine Vogel, Universität Vechta
Ort
Vechta
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.09.2018 - 07.09.2018
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Von
Sophie Große, Geschichtswissenschaft, Universität Vechta

Obwohl frühneuzeitliche Gesandtschaften meist aus mehreren dutzend Personen bestanden – zahlenmäßig überwiegend Personal des Haushalts – und auch neben dem eigentlichen Gesandtschaftspersonal zahlreiche weitere Akteure am diplomatischen Geschehen beteiligt waren, liegt der Schwerpunkt diplomatiegeschichtlicher Forschung insbesondere auf den Diplomaten "ersten Ranges", also jenen adligen Botschaftern, die ihre Fürsten im Sinne eines "Abbilds" repräsentierten. Sie erfasst damit jedoch nur einen kleinen Teil der an frühneuzeitlicher Diplomatie beteiligten Personen. „Um aber frühneuzeitliche Diplomatie angemessen beschreiben zu können“, so die These der Konferenzveranstalter vorab, „ist es notwendig, [...] das Zusammenwirken der adligen Botschafter mit ihren Untergebenen zu analysieren“ 1, also auch jene Akteure aus dem Umfeld der Diplomaten in den Blick zu nehmen, die den diplomatischen Alltag entscheidend mitprägten, wie etwa Boten, Schreiber, Schatzmeister, Geistliche, Übersetzer, Dolmetscher, persönliche Bedienstete, Familienmitglieder und Freunde des Botschafters. Mit Fokus auf das Gesandtschaftspersonal unternahm die von der Fritz Thyssen Stiftung geförderte internationale Tagung deshalb den Versuch, frühneuzeitliche Diplomatie als kollektive Praxis zu beschreiben und den Blick auf die in den Quellen oft nur schwer greifbaren Personen unterhalb des Botschafterrangs zu richten.

Nach der Begrüßung durch die Veranstalter führte FLORIAN KÜHNEL (Göttingen) in Programm und Zielsetzung der Tagung ein. Anhand sozialer Hintergründe und Karriereverläufe, Soziabilität, Informalität sowie der Professionalisierung sollte Gesandtschaftspersonals als zentrale Stütze im diplomatischen Alltag sichtbar gemacht und nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden an inner- und außereuropäischen Höfen gefragt werden. Zudem sollten Chancen und Grenzen dieses Feldes hinsichtlich vorhandener Quellen ausgelotet werden.

MATTHIAS POHLIG (Berlin) eröffnete die Tagung mit grundsätzlichen Überlegungen hinsichtlich der Ausweitung der Personenkreise des diplomatischen Alltags sowie der Rolle von Formalität und Informalität in der Interaktion der beteiligten Personen. Er plädierte für eine Unterscheidung von formellen und informellen Akteuren frühneuzeitlicher Diplomatie zur Erfassung von unterschiedlichen Graden von Formalisierung, betonte aber gleichzeitig, dass es nicht nur zwischen formellen und informellen Praktiken fließende Übergänge gibt, sondern auch zwischen formellen und informellen Akteuren, bei denen der Riss zwischen Formalität und Informalität oft je nach Normensystem in ein- und derselben Person verlaufen kann. Zudem sei Formalisierung nicht gleichzusetzen mit der tatsächlichen Durchsetzung formaler Regeln und das historische Material entsprechend fluide. Diplomatische Milieus ließen sich eben gerade erst durch eine klare Unterscheidung von Formalität und Informalität konturieren. Bereits in der anschließenden Diskussion wurden zentrale Fragen und Probleme bezüglich des Tagungsansatzes deutlich: Wie lässt sich der Personenkreis der an Diplomatie Beteiligten sinnvoll erweitern, ohne dass sich Diplomatie als eigenes Handlungsfeld im großen Gesamtzusammenhang höfisch-adliger Interaktion auflöst? Anhand welcher Aspekte lässt sich der Grad der (In)Formalität greifen? Wie lassen sich im Zeitalter der Ambiguität mit klaren (zeitgenössischen und / oder modernen) Begriffen unklare Systeme beschreiben?

CHARLOTTE BACKERRA (Darmstadt) wandte sich mit diplomatischen Karrieren von britischen und kaiserlichen Gesandtschaftssekretären des frühen 18. Jahrhunderts einem ersten Praxisbeispiel zu. Anhand der britischen Gesandtschaft in Wien sowie der kaiserlichen in London ging sie der Frage nach, inwieweit sich gezielte Karriereplanungen für das Gesandtschaftspersonal nachweisen lassen und welche Faktoren den Erfolg beziehungsweise das Scheitern von Karrieren beeinflussten. Anhand verschiedener Berufslaufbahnen, etwa vom Privatsekretär zum bevollmächtigten Minister im Heimatland, zeigte sie, dass der Gesandtschaftsdienst bewusst als Sprungbrett für Karrieren außerhalb des diplomatischen Dienstes genutzt wurde. Erfolgsfaktoren waren dabei neben der "richtigen" Vorbereitung (Besuch der richtigen Schule, Aufbau der richtigen Beziehungen) und personellen Aspekten (hochrangige Förderer am entsendenden Hof, Unterstützung durch die eigene Familie) sowie dem persönlichen und diplomatischen Geschick schlussendlich auch immer das nötige Quäntchen Glück. Anschließend wurde die Frage diskutiert, inwieweit auch Erfolg als formell oder informell gewertet werden kann.

Während konfessionelle Unterschiede nachweislich bereits Einfluss auf Erfolg und Misserfolg innerhalb des christlich geprägten Kulturraums haben konnten, erörterte CHRISTINE VOGEL (Vechta) im Anschluss Spezifika des Osmanischen Hofes als Experimentierfeld transkultureller diplomatischer Praktiken in der Frühen Neuzeit. Sie untersuchte Rekrutierungsweisen, Aufgabenverteilungen sowie Karriereverläufe französischer Gesandtschaftssekretäre. Besonderheiten bei der Bestallung des Botschaftspersonals lagen unter anderem darin begründet, dass die christlichen Botschafter in Konstantinopel gleichzeitig das Amt des Konsuls innehatten und in hohem Maße auf lokales Personal (vor allem Dragomane) zurückgreifen mussten. Anhand dreier Beispiele des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts zeigte Vogel, dass der diplomatische Dienst in Konstantinopel ausgesprochen diverse Karriereverläufe, insgesamt aber ein vergleichsweise hohes Karriererisiko mit sich brachte. Der diplomatische Dienst war auch hier zumeist eine Durchgangsstation, also kein Selbstzweck, die anschließenden Laufbahnen höchst unterschiedlich.

Wahrnehmungsmuster innerhalb der Gesandtschaften thematisierte NADJA ACKERMANN (Bern). Sie untersuchte am Beispiel des preußischen Gesandten Jean-Pierre de Chambrier d’Oleyres und dessen fünfzigbändigem Journal aus den Jahren 1780 bis 1822, welche Rolle den Gesandtschaftssekretären im ausgehenden 18. Jahrhundert aus der Sicht des Gesandten selbst zukam. Für d’Oleyres war der Gesandtschaftssekretär primär eine Ressource innerhalb der Staatsökonomie, die beim Ausbau und zur Festigung von Patronagebeziehungen unter anderem durch Pflege der Korrespondenz diente. Die Statusorientierung verlangte eine entsprechende Qualifizierung der Sekretäre, die allerdings nicht mit umfassenden Handlungsvollmachten einherging. Versuche, im 18. Jahrhundert in Preußen, England und Frankreich Ausbildungsdepartements für Gesandtschaftssekretäre zu eröffnen, scheiterten. Das Beispiel bot Anlass zur Diskussion über die Frage, wie sich der Gesandtschaftssekretär von anderen Arten frühneuzeitlicher Sekretäre unterschied und wie er sich allgemein in das frühneuzeitliche Verwaltungswesen einordnete.

TOM TÖLLE (Hamburg) untersuchte mit den „Hidden Hands“ Informanten und Informationsfluss außerhalb des diplomatischen Personals. Anhand der Korrespondenz der englischen Botschafter James Cresset und Alexander Stanhope am kaiserlichen bzw. spanischen Hof rekonstruierte er, wann, wie und warum nicht-diplomatische Akteure um 1700 im Zuge dynastischer Umbrüche sowie bei der Übermittlung von Nachrichten in Erscheinung traten und vom Botschafter aktiviert wurden. Bei Cresset handelte es sich dabei um Akteure am Ort der ausländischen Botschaft, im Fall Stanhopes um Familie, Freunde und Patrone am Heimatort. Letztere machten noch einmal die Doppelrolle des Botschafters als Vertreter seines Herrschers und als Oberhaupt seiner eigenen Familie sowie die damit verbundenen Herausforderungen prominent. Diskutiert wurde anschließend insbesondere die Frage, wie quellenkritisch mit dem Erscheinen solcher „Hidden Hands“ in Briefen der Botschafter umzugehen ist und wo in anderen Quellen überhaupt auf solche Akteure zugegriffen werden kann.

Qualifikation, Karriereplanung sowie eigenständige politische agency untersuchte TRACEY SOWERBY (Oxford) am Beispiel des britischen Gesandtschaftssekretärs aus Tudorzeit, Robert Ascham. Anhand seiner Korrespondenz sowie eines Journals, in dem Ascham die Zeit seines diplomatischen Dienstes am Hof Karls V. dokumentierte, wies Sowerby gezielt auf im diplomatischen Dienst zunehmend professionalisiertes epistolarisches Schreiben Aschams hin. Zudem ließen sich an verschiedener Stelle, ähnlich wie bei den Beispielen Backerras, gezielte Karriereplanungen Aschams für die Zeit nach seiner Anstellung als Gesandtschaftssekretär finden, die von einer Beschäftigung als Griechischlehrer am St. Johns College bis hin zu einem weiteren diplomatischen Dienst im Ausland reichten. Gesandtschaftssekretäre, so Sowerby, qualifizierten sich durch ihre enge Zusammenarbeit mit dem Gesandten sowie ihre sprachliche und intellektuelle Ausbildung am ehesten für einen anschließenden eigenen Gesandtschaftsposten. Ascham selbst argumentierte mehrfach explizit in diese Richtung, übernahm nach Beendigung seines Dienstes beim Gesandten Richard Morison aber das Amt des Lateinsekretärs Elizabeths I., welches ihm schlussendlich weit mehr Ruhm einbrachte als seine diplomatische Karriere. Trotz Aschams überzeugender Qualifikation und seines Trainings "on the job" ließ sich bei ihm während seiner dreijährigen Tätigkeit als Gesandtschaftssekretär Morisons eine überraschend geringe eigene agency feststellen. Die historische Forschung müsse sich entsprechend noch mehr auf die Frage konzentrieren, wie sich die Rolle des Gesandtschaftssekretärs im Laufe der frühen Neuzeit wandelte.

Dass Normenkonkurrenzen nicht nur adlige Diplomaten, sondern auch deren Personal betrafen, zeigte FLORIAN KÜHNEL (Göttingen) am Beispiel der englischen Botschaft in Konstantinopel. Diese stellte einen weiteren Sonderfall im Osmanischen Reich dar, der die bereits den zeitgenössischen Diplomatietheoretikern bewusste Trennung von Amt und Person des Amtsträgers deutlich werden ließ. Die britische Botschaft in Konstantinopel wurde gleichermaßen von der englischen Krone und von der Levant Company bestellt, Protagonist Thomas Coke war ebenso Botschaftssekretär – und in dieser Funktion nicht zum Haushalt des Botschafters gehörend, sondern von der Levant Company eingestellt – wie auch Privatsekretär des Botschafters. Diese Doppelkonstellation führte zusammen mit Cokes Stellung als Oberhaupt seiner eigenen Familie zu einer Reihe von Konflikten zwischen Amts-, Wirtschafts-, Sozial- und Religionsnormen sowie der patrimonialen Treue gegenüber dem britischen Botschafter. Kühnel stellte die Frage, inwieweit es tatsächlich eine starke Ausdifferenzierung zwischen den Botschaftern und deren Personal gab, in deren Folge sich vor allem die Diplomaten ersten Ranges im Gefüge unterschiedlicher und zum Teil gegensätzlicher Normen wiederfanden, oder ob das Personal nicht ebenso stark in vormoderne Logiken eingebunden war wie die Gesandten.

IRENA FLITERs (Tel Aviv) Beitrag über die osmanische Gesandtschaft in Preußen hob neben den Besonderheiten osmanischer Gesandtschaften an europäischen Höfen noch einmal Quellenprobleme und -spezifika hervor. Sie analysierte das soziale, ethnische, religiöse sowie Bildungsprofil der Dragomane und Financiers vor und nach den diplomatischen Reformen Sultan Selims III. um 1800. Die zuvor auf verschiedene Personen verteilten Funktionen wurden nun in der Person des chargé d’affaires vereint, womit gleichzeitig eine stärkere Reglementierung der Auswahlkriterien für den Posten und eine Einschränkung der zuvor praktizierten großen religiösen, sprachlichen und beruflichen Diversität einherging. Zudem untersuchte Fliter, inwieweit die verschiedensprachige Signier- und Anredepraxis osmanischen Gesandtschaftspersonals auf die Vereinigung verschiedener Identitäten in ein- und derselben Person schließen lässt, auf die dann jeweils situationsbedingt zugegriffen wurde.

HILLARD VON THIESSEN (Rostock) bezeichnete das Gesandtschaftspersonal in seinem abschließenden Kommentar als „Blackbox der Diplomatie“ und die Tagung als „Lackmustest für Professionalisierungstendenzen“ in der diplomatischen Praxis. Während das Gesandtschaftspersonal eine sehr divergente, kaum eingrenzbare Gruppe und die Diplomatie ein nach verschiedenen Seiten hin offenes Handlungsfeld sei, bestehe weiterhin die eingangs bereits aufgeworfene Frage, welche Personen überhaupt in den Kreis der diplomatischen Akteure zu zählen sind. Welche Prozesse der Institutionalisierung und Professionalisierung weisen die verschiedenen Gruppen auf? "Professionalisierung" erwecke dabei laut von Thiessen als Großbegriff falsche Erwartungen, weshalb er alternativ den Begriff "Professionalität" als Instrument vorschlug, um nach Rollen, Rollenerwartungen und Praktiken im Feld des Gesandtschaftspersonals zu fragen. Von besonderer Bedeutung sei dabei das reziproke Verhältnis zwischen Gesandtem und Personal, in dem, so haben die Beiträge der Tagung deutlich gezeigt, abseits theoretischer Überlegungen und Normen situationsabhängig ausgehandelt, vieles aber auch ignoriert und toleriert wurde.

Die Tagung versuchte, den historischen Zugriff auf frühneuzeitliche Diplomatie über die Gesandten "ersten Ranges" hinaus auf jenes Personal im Umkreis der Diplomaten zu erweitern, welches den diplomatischen Alltag maßgeblich mitbestimmte, quellentechnisch jedoch erheblich schwerer greifbar ist. Wenngleich die Untersuchung der Gesandtschaftssekretäre, auf denen in vielen Beiträgen der Fokus lag, das Potenzial bietet, den maßgeblich auf den adligen Botschafter gerichteten Blick aufzubrechen, wäre für die Zukunft ebenso wünschenswert, den Blick noch systematischer, als es bisher geschehen ist, auch auf weitere in den diplomatischen Alltag eigebundene Personen auszuweiten, so wie es in der Tagungsankündigung angedeutet wurde – zu nennen wären hier etwa Familienmitglieder, Geistliche, Übersetzer oder Freunde des Botschafters (sowie auch des Personals). Freilich hängt dies, auch das wurde zuletzt in der Tagung sehr deutlich, stark von der jeweiligen Quellenlage ab.

Konferenzübersicht:

Begrüßung durch das Präsidium der Universität Vechta

Christine Vogel (Universität Vechta) / Florian Kühnel (Göttingen): Einführung

Matthias Pohlig (Berlin): Formalität und Informalität. Zur Bedeutung und Reichweite einer diplomatiehistorischen Unterscheidung

Charlotte Backerra (Darmstadt): Privatsekretär, Legationssekretär, Resident – und Botschafter?: Diplomatische Karrieren im frühen 18. Jahrhundert

Christine Vogel (Vechta): Karrierechancen und -risiken französischer Botschaftssekretäre im Osmanischen Reich

Nadja Ackermann (Bern): Der Sekretär als Ressource. Die Rolle des Gesandtschaftssekretärs aus der Sicht des preußischen Gesandten Jean-Pierre de Chambrier d’Oleyres (1753-1822)

Tom Tölle (Hamburg): Showing the Epistolary ‘Hidden Hand’: British Envoys, Hidden Helpers, and the Uncertainty of Dynastic News

Tracey Sowerby (Oxford): Roger Ascham: A Typical Tudor Embassy Secretary?

Florian Kühnel (Göttingen): Amt und Person. Die englischen Botschaftssekretäre im frühneuzeitlichen Istanbul

Irena Fliter (Tel Aviv): Multifarious and Multitasking: The Dragomans, Secretaries and Financiers of Ottoman Diplomatic Missions to Late Eighteenth-century Prussia

Hillard von Thiessen (Rostock): Abschlusskommentar und -diskussion

Anmerkung:
1 Florian Kühnel, Ankündigung zu: Das Gesandtschaftspersonal in den frühneuzeitlichen Außenbeziehungen, 06.09.2018 – 07.09.2018 Vechta, in: H-Soz-Kult, 20.07.2018, www.hsozkult.de/event/id/termine-37785 (16.10.2018).