Regional Approaches to Early Greek Society, 1100–550 BCE

Regional Approaches to Early Greek Society, 1100–550 BCE

Organisatoren
Maximilian Rönnberg, Institut für Klassische Archäologie, Eberhard Karls Universität Tübingen; Veronika Sossau, Departement Altertumswissenschaften – Fachbereich Klassische Archäologie, Universität Basel
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.12.2018 - 16.12.2018
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Von
Maximilian Rönnberg, Institut für Klassische Archäologie, Eberhard Karls Universität Tübingen; Veronika Sossau, Departement Altertumswissenschaften – Fachbereich Klassische Archäologie, Universität Basel

Die Entwicklung der griechischen Gesellschaft(en) nach dem Kollaps der mykenischen Paläste wurde in der Vergangenheit häufig mithilfe evolutionärer Ansätze rekonstruiert, an deren Ende das Modell der Polis stand. Untersuchungen von deren Ursprüngen fußten allerdings wiederum oftmals auf einer Rückprojektion von Konzepten der spätarchaischen oder klassischen Zeit. Der vom Zukunftskonzept der Universität Tübingen und der Fritz Thyssen Stiftung geförderte internationale Workshop setzte sich deshalb eine Diskussion gesellschaftlicher Formierungsprozesse im früheisenzeitlichen und früharchaischen Griechenland jenseits solcher allgemeingültiger Konzepte der „Entstehung“ beziehungsweise „Formierung“ der Polis zum Ziel. Diese komplexen Entwicklungen sollten in spezifischen lokalen beziehungsweise regionalen Kontexten in Attika, Mittelgriechenland und auf der Peloponnes nachvollzogen werden, wobei das Spektrum der methodischen Zugänge bewusst breit angesetzt war. So brachte die auch als Vernetzungsplattform von Wissenschaftlern unterschiedlicher Karrierestadien konzipierte Veranstaltung elf Doktoranden und dreizehn promovierte beziehungsweise habilitierte Wissenschaftler aus unterschiedlichen Forschungstraditionen innerhalb der Disziplinen der Klassischen Archäologie, der Alten Geschichte und der Vor- und Frühgeschichte zusammen.

Die Tagung wurde von den beiden Organisatoren eingeleitet, die auf die Gefahr der geringen Berücksichtigung regionaler Unterschiede und zeitlicher Abweichungen bei der Verwendung allzu linearer Modelle hinwiesen und anhand einiger konkreter Beispiele weitere Probleme, beispielsweise jene der Projektion späterer Konzepte von Territorialität oder der anachronistischen Definition von Regionen, aufwarfen.

In der ersten Sektion standen historiographische Grundfragen im Zentrum: ALAIN DUPLOUY (Paris) kritisierte die besonders in der französischen Forschungstradition propagierte Idee, die Polis sei als eine rationale Struktur zu verstehen, und regte dazu an, ihre „Entstehung“ vielmehr als offenen Prozess aufzufassen, in dem sich die lokalen Gemeinschaften sukzessive ihrer Zusammengehörigkeit bewusst wurden und so Mechanismen zur Definition der Bürgerschaft entwickelten. ANGELIKA KELLNER (Innsbruck) stellte die Verlässlichkeit der häufig als Grundsteine der Chronologie der Archaik begriffenen Priester- und Amtsträgerlisten verschiedener Poleis und Heiligtümer zur Diskussion.

In einer zweiten Sektion kamen Probleme der Synchronisation von Textquellen und archäologischen Befunden zur Sprache: JULIEN ZURBACH (Paris) beschäftigte sich mit der Monetarisierung der archaischen Wirtschaft und der damit verbundenen (Schuld-)Sklaverei, die bei näherer Betrachtung kein Alleinstellungsmerkmal griechischer Stadtstaaten im größeren Kontext des Mittelmeerraums des 7. Jahrhunderts v. Chr. bildeten. THOMAS CLEMENTS (Manchester) richtete den Fokus auf das archaische Lakonien und stellte die spärlichen kontemporären Überreste dem aus der späteren literarischen Tradition (insbesondere um Lykurg) gewonnenen Bild eines starken spartanischen Staats archaischer Zeit gegenüber. Mit den lakonischen Befunden jenseits von Sparta setzte sich auch ADRIEN DELAHAYE (Paris) auseinander, der anhand einer vergleichenden archäologischen Untersuchung der dortigen archaischen Heiligtümer herausarbeitete, dass klare Differenzierungen zwischen Spartanern und Perioikoi anhand der Votivpraxis kaum möglich seien. LOUIS POMARET CAÑADAS (Madrid) versuchte schließlich, die Formierung einer lokrischen (ethnischen) Identität nachzuzeichnen.

Den Abschluss des Tages bildete der Abendvortrag von CHRISTOPH ULF (Innsbruck), welcher darauf hinwies, dass eine zu stark auf Regionen fixierte Forschung häufig problematische gesamtgriechische Narrative voraussetze. Er regte daher dazu an, sich auf einer konzeptionellen Ebene mit konkreten Gesellschaftsformen wie Big-Men-Gesellschaften oder Chiefdoms auseinanderzusetzen. Dem Vortrag folgte eine kontroverse Diskussion der Übertragbarkeit derartiger Konzepte sowie des Problems der Missverständlichkeit dieser zunächst in neoevolutionären Forschungen entwickelten, von Ulf aber nicht im Sinne eines linearen Entwicklungsmodells aufgefassten Begriffe.

Am Folgetag standen archäologische Befunde aus Athen, Attika, der Peloponnes und Euböa im Vordergrund; den Anfang machte Athen, das in der Vergangenheit einen beliebten Ausgangspunkt von Rekonstruktion der „Entstehung der Polis“ gebildet hat. VERONIKA SOSSAU (Basel) stellte die wichtigsten Modelle zur räumlichen wie politischen Formierung der athenischen Polis und ihre jeweiligen Probleme vor und wies darauf hin, dass fraglich sei, wie Territorialität in der frühen Eisenzeit aufgefasst wurde, da Nachweise derartiger Konzepte problematisch seien und selbst explizite Bezugnahmen auf die Bedeutung von Landbesitz in den früharchaischen Quellen fehlten. Damit war eine rege Diskussion der Frage eröffnet, ob sich das frühe Athen aus zahlreichen verstreuten Gehöften beziehungsweise Weilern mit angegliederten Bestattungsplätzen zusammensetzte oder stattdessen von einem protourbanen Siedlungsnukleus auf der Akropolis auszugehen sei. MARILENA KONTOPANAGOU (Athen) stellte schließlich die bislang weitgehend unpublizierten submykenischen und protogeometrischen Grabbefunde aus dem Areal der Herodes-Attikus-Straße vor, welche erlauben, diese Übergangszeit jenseits der Nekropolen im Areal des Kerameikos und der späteren Agora zu untersuchen.

In der folgenden Sektion wurde der Blick auf ganz Attika erweitert. ALEXANDRA ALEXANDRIDOU (Ioannina) betonte die zentrale Rolle von über die Kernfamilie hinausreichenden Abstammungsgruppen im Attika des 8. Jahrhunderts v. Chr.: So ließen die Veränderungen in den attischen Nekropolen in spätgeometrischer Zeit den Wunsch nach einer möglichst umfassenden dortigen Repräsentation solcher Gruppen erkennen; auch die Siedlungsbefunde im Areal der späteren Akademie seien nicht allein als Wohnsitz von Kernfamilien verständlich. ALEXANDRA DAFNI VLANTI (Oxford) behandelte attische Enchytrismoi spätgeometrischer und archaischer Zeit und arbeitete heraus, dass diese Bestattungen sorgfältig konstruierte soziale Handlungen darstellten, was sich beispielsweise an der bewussten Auswahl der verwendeten Gefäße ablesen ließe. MAXIMILIAN RÖNNBERG (Tübingen) stellte auf Grundlage historischer Überlegungen sowie einer aktualisierten Zusammenstellung der archäologischen Befunde das Modell der Binnenkolonisation Attikas in Frage und zeigte mit Verweis auf das Konzept der „Dorfspaltung“ auf, dass die fassbare graduelle Verdichtung der Besiedlung auch ein Ergebnis der sukzessiven Spaltung von Siedlungen gewesen sein könnte, die dem Ausgleich des durch eine Bevölkerungszunahme gestiegenen sozialen Drucks diente.

In ihrer Keynote der Sektion zur Peloponnes betonte BIRGITTA EDER (Wien) die entscheidende Rolle der (insbesondere den Eliten) als Versammlungsplätze dienenden Heiligtümer für die Ausbildung regionaler und überregionaler Identitäten am Übergang von der mykenischen Palastzeit zur frühen Eisenzeit. APHRODITI VLACHOU (Volos) beleuchtete die folgende Entwicklung peloponnesischer Kultstätten zwischen 800 und 600 v. Chr. und zeigte auf, dass diese Landschaft von einer Fülle unterschiedlicher ritueller Strukturen geprägt wurde. TORBEN KEßLER (Kiel) versuchte schließlich, anhand einer systematischen Geoinformationssystem-basierten Analyse der Dekorationsmotive früheisenzeitlicher Keramik aus verschiedenen Fundorten rund um den korinthischen Golf die Verbindungen innerhalb dieser Regionen nachzuvollziehen.

Die Vernetzung frühgriechischer Gemeinschaften bildete auch einen Schwerpunkt der letzten Sektion des Tages, in der Euböa und die mit dieser Insel verbundenen Regionen im Zentrum standen. ALEXANDROS MAZARAKIS AINIAN (Volos) betonte den besonderen Stellenwert der Mobilität in dieser Region und behandelte mit Kerinthos auf Euböa und Kephala auf Skiathos zwei Siedlungen, deren Häfen seiner Ansicht nach von besonderer Bedeutung für die Seefahrt um und jenseits von Euböa waren. OLIVIA DENK (Basel) setzte sich daraufhin kritisch mit den euböischen Verbindungen des Heiligtums von Poseidi auf der Chalkidike auseinander.

Den zweiten Abendvortrag widmete ROBIN OSBORNE (Cambridge) schließlich einer für den Workshop zentralen Frage, nämlich jener nach der Definition beziehungsweise Definierbarkeit von Regionen. Er betonte dabei die verschiedenen Aspekte von Regionalität (politisch, sozial, ethnisch), ihre Verflechtung und ihre je nach Kontext unterschiedliche Nutzung im Sinne von Identifikationsmöglichkeiten durch verschiedene Akteure und skizzierte am Beispiel des archaischen Athens Möglichkeiten und Grenzen der Feststellung von Regionalismen im archäologischen Befund.

Am letzten Veranstaltungstag stand zunächst mit Mittelgriechenland eine weitere Region im Zentrum. ANTONIA LIVIERATOU (Athen) zeigte in einem Überblick über spätbronzezeitliche und früheisenzeitliche Befunde aus der Phokis und Lokris die unterschiedlichen Entwicklungen küstennaher und küstenferner Gebiete, die Herausbildung von Machtzentren wie Delphi sowie die besondere Bedeutung von in Grenzgebieten gelegenen Heiligtümern wie Kalapodi auf. AIKATERINI STAMOUDI (Athen) präsentierte mit der spätbronzezeitlichen und protogeometrischen Gebrauchskeramik aus der in der östlichen Lokris gelegenen Siedlung Kynos eine Materialgruppe, die das Verständnis dieser Mikroregion wesentlich verbessern wird.

Der Workshop wurde mit einer Reihe überregionaler Studien abgeschlossen. IRENE LEMOS (Oxford) leitete dieses Feld mit zusammenfassenden Beobachtungen zum Übergang von der späten Bronzezeit zur frühen Eisenzeit in Griechenland ein; ihrer Meinung nach müsse das 12. bis 8. Jahrhundert v. Chr. zusammenhängend betrachtet werden. Sie präsentierte dabei sowohl altbekannte als auch unlängst freigelegte Befunde und warnte erneut davor, aus spezifischen Befunden gezogene Schlüsse auf andere Regionen zu übertragen. ELENI CHATZINIKOLAOU (Volos) untersuchte Wohnbauten spätgeometrischer und früharchaischer Zeit aus Attika, der Peloponnes und Zentralgriechenland und kam zum Ergebnis, dass die Entwicklungen der Hausarchitektur den Wunsch nach einer klareren räumlichen Definition verschiedener Abstammungsgruppen erkennen ließen. ÇIÇEK TAŞÇIOĞLU BEEBY (Chapel Hill / Athen) wandte sich zuletzt nochmals den bereits mehrfach zur Sprache gekommenen früheisenzeitlichen Grabbefunden zu. Anhand der Fallstudien Athen, Korinth und Argos stellte sie in Frage, dass Bestattungen im Laufe der geometrischen Zeit sukzessive in die Peripherie der Siedlungen verlagert und damit gewissermaßen aus dem entstehenden städtischen Raum ausgeschlossen worden seien; vielmehr hätten sich die Friedhöfe zu wichtigen Kristallisationspunkten entwickelt.

Die Abschlussdiskussion wurde durch zwei Kommentare von ERICH KISTLER (Innsbruck) und FLORIAN RUPPENSTEIN (Freiburg im Breisgau) eingeleitet. Während Kistler versuchte, einzelne chronologisch und topographisch begrenzte Ausschnitte der im Workshop behandelten frühgriechischen Gesellschaften mit den von Ulf vorgestellten Gesellschaftsformen zu identifizieren, warnte Ruppenstein vor einer Überfokussierung der Forschungen zum frühen Griechenland auf sozio-politische Strukturen. Dadurch blieben Aspekte wie wirtschaftliche Beziehungen, die Nutzung von Rohstoffen und neue Technologien, die die frühe Eisenzeit ganz im Sinne ihres Namens prägten, zu wenig berücksichtigt.

Insgesamt wurde die Veranstaltung durch das bemerkenswert breite methodische wie inhaltliche Spektrum der Beiträge sowie die dennoch (oder gerade deshalb) ausführlichen und häufig kontroversen Diskussionen bestimmt. Der Schwerpunkt verschob sich dabei von den im Titel des Workshops angekündigten „Regional Approaches“ auf die diachronen gesellschaftlichen Formierungsprozesse als solche; Unterschiede zwischen einzelnen Arealen sowie das Problem der Definition von Regionen spielten innerhalb der topographisch gegliederten Sektionen der Tagung dagegen meist eine nur untergeordnete Rolle. Dennoch und trotz der oft stark divergierenden Meinungen der Teilnehmer lässt sich als allgemeines Ergebnis festhalten, dass die dynamischen, aber bislang teilweise überbetonten Entwicklungen des 8. und 7. Jahrhunderts v. Chr. nicht ohne die vorangehenden Phasen denkbar sind. Sie werden vor diesem Hintergrund wesentlich besser verständlich als mithilfe einer Rückprojektion späterer Konzepte.

Konferenzübersicht:

Maximilian Rönnberg (Tübingen) / Veronika Sossau (Basel): Introduction

Section 1: General Problems of Historiography

Alain Duplouy (Paris): How Rational Was the Early Greek City?

Angelika Kellner (Innsbruck): Kings, Officials and Priestesses. Chronographic Lists as Cornerstones of Chronology

Section 2: Synchronisations of Written and Material Evidence: Methodical Issues

Julien Zurbach (Paris): It’s the Economy…: Regional Perspectives on Money, Land and Labour in the Formative Period of City-States

Thomas Clements (Manchester): Where Did I Read That? Concept Formation and Archaic Sparta

Adrien Delahaye (Paris): Laconian Material Culture and Lacedaimonian Identity: The Laconian Sanctuaries Case

Louis Pomaret Cañadas (Madrid): From Group Identity to Ethnic Identity in Mainland Locris

Christoph Ulf (Innsbruck): Microhistory Presupposes Macrohistory

Section 3: Athens

Veronika Sossau (Basel): Chronology, Region, Style, and the Polis. Methods and Limits in the Study of Finds in Funerary and Ritual Contexts in Athens

Marilena Kontopanagou (Athens): The Athenian Society in the Transition to the Early Iron Age through Funerary Material Culture: The Case of the Herodou Attikou Street Cemetery

Section 4: Attica

Alexandra Alexandridou (Ioannina): Archaeological Traces of Kinship Ties in 8th Century Attica

Alexandra Dafni Vlanti (Oxford): The Burial Rite of Enchytrismos in Attica during the Late Geometric and Archaic Periods: Towards an Understanding of Social Dimension

Maximilian Rönnberg (Tübingen): Internal Colonisation, Village Fission and the Emergence of Local Cults in Attica

Section 5: Peloponnese

Birgitta Eder (Vienna): Between the Mycenaean and Greek Worlds: The Emergence of the Greek Sanctuary

Afroditi Vlachou (Volos): The Formation of the Religious Landscape of the Peloponnese during the Early Historical Period (800–600 B.C.)

Torben Keßler (Kiel): Regional (Id)Entities. The Decoration of Early Iron Age Pottery around the Gulf of Corinth

Section 6: Euboea and Related Areas

Alexandros Mazarakis Ainian (Volos): Euboean “Ports of Call” alongside the Coasts from Euboea to the Thermaic Gulf

Olivia Denk (Basel): Early Sanctuaries on the Chalcidice: The Case of Poseidi

Robin Osborne (Cambridge): What is a Region? Athens and the Region of Athens in the Archaic Period

Section 7: Central Greece

Antonia Livieratou (Athens): From Mycenaean Periphery to Ethne: The Complex Ways of Socio-Political Evolution in Phocis and East Locris in the Early Iron Age

Aikaterini Stamoudi (Athens): The Household Ceramics of the LHIIIC and Proto-Geometric Period from the Site of Kynos (Phtiotis). Its Character, Characteristics and Potentials

Section 8: Trans-Regional Studies

Irene Lemos (Oxford): Transformation, Tradition and Innovation: The Transition from the Late Bronze to the Early Iron Age

Eleni Chatzinikolaou (Volos): From the Individual to the Community: Re-Reading Domestic Space during the Transition from the Early Iron Age to the Archaic Period

Çiçek Taşçıoğlu Beeby (Chapel Hill/Athens): Mortuary Spaces of the Early Greek Polis

Erich Kistler (Innsbruck), Florian Ruppenstein (Freiburg): Concluding Remarks

Final Discussion