Konfessionalisierungen und Region im 16. bis 20. Jahrhundert. 45. Tag der Landesgeschichte

Konfessionalisierungen und Region im 16. bis 20. Jahrhundert. 45. Tag der Landesgeschichte

Organisatoren
Gesamtverband der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine; LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, Bonn; Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte, Universität Bonn; Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, Bonn; Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Köln
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.11.2018 - 24.11.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Maike Schmidt, Landschaftsverband Rheinland, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, Bonn

Der 45. Tag der Landesgeschichte gastierte dieses Jahr in Bonn. Hauptveranstalter war der Gesamtverband der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, Kooperationspartner waren das LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, der Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte der Universität Bonn, der Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande sowie die Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde.

Mit dem gleichermaßen reiz- und anspruchsvollen Titel der Konferenz trugen die Ausrichter dem Bedarf an Grundsatzdebatten und Methodendiskussionen in der deutschen Landesgeschichte und der Wiederkehr des Interesses an Konfessionen und Konfessionsbildung seit dem Reformationsjubiläum Rechnung. Gemäß der Themensetzung untersuchten dreizehn Historikerinnen und Historiker unterschiedlichste Aspekte der Konfessionsbildung und -bindung in einer fünf Jahrhunderte umfassenden Perspektive. Hier lag zweifellos ein methodischer Reiz: Erstmals wurden konfessionshistorisch divergente Zeiträume empirisch in unmittelbarer Nähe zueinander bespielt; zum einen das 16. und 17. Jahrhundert als klassische Periode der Konfessionalisierungsprozesse, zum anderen das 19. Jahrhundert als „zweites konfessionelles Zeitalter“ (Olaf Blaschke) sowie das 20. Jahrhundert als Zeit fortschreitender multireligiöser Spannungen einerseits und des Bedeutungsverlustes von Religion nach 1945 andererseits.

Für dieses breite zeitliche Spektrum votierte auch Mitveranstalter HELMUT RÖNZ (Bonn) in seiner Einführung am Samstagmorgen. Rönz plädierte unter Bezugnahme auf Thomas Nipperdey dafür, sich angesichts fundamentaler Entwicklungen im 19. Jahrhundert – der erwachende Nationalismus, der konfessionelle Gegensatz im Vormärz und die staatstragende Rolle der Kirche – einer mehrere Jahrhunderte umfassenden Perspektive zu öffnen und von Konfessionalisierungen im Plural zu sprechen. Diese These böte sich für eine eng an Quellen orientierte, landeshistorische Überprüfung am Beispiel von kleinen Räumen hervorragend an. Thema war freilich auch das für die Frühe Neuzeit entwickelte Konzept der Konfessionalisierung nach Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard, das sich für die Diskussionen an diesem Tag als grundlegend erweisen sollte. Darin hatten bekanntlich nicht nur die Formalisierung und Bürokratisierung von Religion, sondern vor allem auch die Disziplinierung von Gläubigen als Tool von Staatsbildungsprozessen eine tragende Rolle gespielt. Die Tagung bot eine Ausweitung des frühneuzeitlich besetzten Begriffes „Konfessionalisierung“ auf die Moderne an.

Im Anschluss an das Grußwort der Vorsitzenden der Landschaftsversammlung Rheinland, ANNE HENK-HOLLSTEIN (Köln), zeichnete der Vorsitzende der Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, MANFRED TREML (München) auf der Festveranstaltung am Freitagabend den ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtvereins und Herausgeber der Blätter für deutsche Landesgeschichte, Hans-Günther Borck, für seine Verdienste um die deutsche Landesgeschichte und sein wissenschaftlich-bürgerschaftliches Engagement als erstes Ehrenmitglied des Gesamtvereins aus. Ebenso würdigte er Hans Karl Friedrich Schmidt mit der neu gestifteten Karl-Lamprecht-Medaille für seine langjährige Unterstützung und Förderung des Gesamtvereins sowie der landesgeschichtlichen Forschung im Allgemeinen. Vasco Kretschmann erhielt für seine Arbeit zum Kulturerbe Breslaus und dem Wandel deutsch-polnischer Geschichtsausstellungen von 1900 bis 2010 aus Tremls Händen den Forschungspreis des Gesamtvereins für 2018.

THOMAS GROSSBÖLTING (Münster) kam am Freitagabend gerade nicht auf den Anfang, sondern auf den zeitlichen Endpunkt des Untersuchungszeitraums zu sprechen und wies deutlich auf die unterschiedlichen Bedeutungen hin, die ‚Konfession‘ im Zusammenhang mit der Vormoderne einerseits und der Moderne andererseits zukommen müssten. Seine These vom Verlust des „Faktors Konfession“ nach 1945 entwickelte Großbölting zunächst anhand der noch engen, zum Teil problematischen Verwobenheit von Religion und Politik in der Bonner Republik, des Funktionssystems Religion mit einer neuen Partnerschaftlichkeit der beiden Kirchen untereinander und des religiösen Feldes seit den 1970er-Jahren. Neben der fortschreitenden Säkularisierung – beispielhaft nachvollziehbar am Urteil der zeitgenössischen Publizistik („In der Hölle brennt kein Feuer mehr“) − löste nicht zuletzt die Islampräsenz christliche Konfessionsgrenzen im wiedervereinigten Deutschland weitestgehend auf.

Am Samstagmorgen begrüßte MICHAEL ROHRSCHNEIDER (Bonn) die Tagungsgäste im Namen der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte der Universität Bonn und eröffnete sogleich die ersten beiden frühneuzeitlichen Sektionen, die sowohl klassische Muster von Konfessionalisierungsprozessen im Reich als auch überraschende Forschungsergebnisse und wenig beachtetes Quellenmaterial zur institutionell gesteuerten Konfessionalisierung aufzeigten. So betonte GUIDO BRAUN (Mulhouse) den Wert der aufwendig edierten Berichte der Kölner Nuntiatur des 16. und frühen 17. Jahrhunderts für die Erforschung der strategisch platzierten Bemühungen Roms, katholisches Terrain gerade im Rheinland zu sichern und an den Grenzen wiederzugewinnen, zumeist mittels konkreter Eingriffe in die religiöse Praxis vor Ort. Auf die realen Einflussmöglichkeiten des Kölner Nuntius über seine Kernaufgabe der Beobachtung hinaus bezogen sich dann im Wesentlichen die Nachfragen aus dem Plenum. Braun wieß in diesem Kontext auch auf alltagsgeschichtliche Aussagepotenziale der Edition hin.

Die Relevanz von Klöstern und anderen geistlichen Instituten für die katholische Reform, aber auch für die Konfessionalisierung im eigentlichen Sinne wurde im empirisch-quantitativen und statistikgestützten Vortrag von WOLFGANG ROSEN (Bonn) deutlich. Er analysierte Neugründungen im 16. und 17. Jahrhundert in Westfalen und im Rheinland und bewies, dass diese Periode in beiden Landesteilen durch einen wahrhaften Klosterboom mit einer großen Ordensvielfalt charakterisiert war. Rosen zeigte, dass – im Gegensatz zum Rheinland – in Westfalen Neugründungen seltener auf die Initiative der Städte und Bürger zurückgingen. Insgesamt lagen die Anteile der Konfessionalisierung von „unten“ bzw. aus der „Mitte“ im Rheinland bei zwei Dritteln, in Westfalen bei der Hälfte; die in der Forschung lange gepflegte „etatistische“ Perspektive sei demnach erheblich zu relativieren. Die intensive Ordensaktivität im Bildungssektor sowie im Bereich der Wallfahrts-, Seelsorge- und Krankenpflegeangebote trug erheblich zur stärkeren Aktivierung der Gläubigen und damit zur Festigung konfessionell-katholischer Normen bei. Im Plenum stieß unter anderem die Herkunft der Orden auf Interesse: Die meisten neuen Orden und geistlichen Gemeinschaften kamen vor allem aus den spanischen Niederlanden, Frankreich, Italien und Spanien.

Wie unterschiedlich sich die Ausprägung von Konfessionen im Zusammenhang mit den Herrschaftsverhältnissen in den Reichsterritorien darstellte, zeigten die Vorträge von DIETER WEISS (München) und SABINE HOLTZ (Stuttgart). Mit Franken respektive Württemberg wurden zum einen ein stark heterogener Raum, zum anderen ein Raum weitestgehender konfessioneller Einheit in die Diskussion eingebracht, in dem sich die Durchsetzung des lutherischen Bekenntnisses mittels des landesherrlichen Kirchenregiments geradezu lehrbuchartig manifestierte. Während Holtz die geradlinige, obrigkeitlich gesteuerte Festigung der Reformation anhand der Einführung einer eigenen Theologenausbildung in Tübingen und anhand des ausgebauten Elementarschulwesens aufzeigen konnte, erläuterte Weiß am Beispiel der fränkischen Gemengelage aus Diözesen, Reichsstädten, Markgrafschaften und Reichsritterschaft die teilweise kaum zu überblickende Vermengung politischer und religiöser Konflikte, die nicht selten mit der Instrumentalisierung von Konfession für herrschaftspolitische Interessen einhergingen. Während in Württemberg – besonders durch die Einsetzung von Kirchenkonventen – Pfarreien im Herzogtum flächendeckend gesteuert wurden, herrschten in den weniger einheitlich geprägten Teilen Frankens, gerade auch im ländlichen Raum, starke Unsicherheiten gegenüber der neuen Konfession vor, die sich unter anderem in der Weiterführung alter Bräuche (Wetterläuten) äußerten. Das Plenum interessierte sich bei beiden Vorträgen für Fragen nach den Reformierten, nach der generationsmäßigen Übertragung von Konfessionszugehörigkeit sowie nach den Auswirkungen von Konfessionalisierung auf die Entwicklung deutscher Universitäten. Holtz wies in diesem Kontext die Öffnung der Tübinger Universität im 17. Jahrhundert hin, vor allem mit Blick auf die Bildungsreisen von Stipendiaten.

Die Sektionen zum 19. und zum frühen 20. Jahrhundert verdeutlichten insgesamt die stark veränderten, politischen und mentalitätsgeschichtlichen Bedingungen der Zeit von Verfassungsvorstellungen, der Säkularisation der geistlichen Staaten, des Kulturkampfes und des sich zuspitzenden Gegensatzes zwischen Ultramontanismus und Liberalismus, unter denen sich die Ausprägung von Konfession vollzog. Ausgehend von der Frage nach einem zweiten konfessionellen Zeitalter widmete sich HANS OTTE (Hannover) mit Hildesheim und Osnabrück dem nordwestdeutschen Raum und damit zwei Diözesen, die keine expliziten Zentren des Kulturkampfes waren. Otte zeigte anhand prominenter Akteure, wie Franz Egon Freiherr von Fürstenberg, letzter Fürstbischof von Hildesheim und Paderborn, die politische Sprengkraft, die Konfession an territorialpolitischen Schnittstellen, hier zwischen Preußen und dem Königreich Hannover, in einer Zeit wachsender Eingliederung der Kirche in den Staatsapparat und des damit einhergehenden Kampfes um Zuständigkeiten haben konnte. Themen der Diskussion waren vorwiegend der Unionsstreit und seine Wirkung im niedersächsischen Raum, wo, so Otte, erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Unionsgemeinden mit eigenem Bekenntnis entstanden. WOLF GRUNER (Rostock) legte den Fokus auf die süddeutschen Staaten und unterstrich die seit den 1850er-Jahren eskalierenden Auseinandersetzungen über die Frage des Verhältnisses zwischen liberalem Verfassungsstaat und Kirche, welche zu einer Politisierung des Katholizismus und innerhalb der katholischen Parteien in den Landtagen zur wachsenden Ablehnung Preußens führten. Lebhafte Diskussion entbrannte um die Anwendung des Konfessionalisierungsbegriffs auf das 19. Jahrhundert und der dort virulenten Auseinandersetzung mit dem ‚Staat anderer Konfession‘. Einige Stimmen aus dem Plenum vertraten die Ansicht, dass Konfessionalisierung dort nicht im Sinne von Sozialdisziplinierung verstanden werden könne und unter Berücksichtigung des modernen Verfassungsstaats und Liberalität präziser zu fassen sei.

MATTHIAS STICKLER (Würzburg) überprüfte das katholische Korporationswesen in Hinblick auf dessen Einfluss auf Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert. Seine These, katholische Verbindungen als „nicht fremdbestimmte Organisationsformen der katholischen Selbsterziehung“ hätten der Reproduktion katholischer Eliten und damit dem politischen Katholizismus Vorschub geleistet, begründete er mit dem politischen Aufstieg von Korporationsmitgliedern in Zentrums-affinen Räumen. Ein weiterer Indikator für die konfessionspolitische Wirkmacht sei in den unterschiedlichen Formen der Kritik zu sehen, die Verbindungen im öffentlichen Raum, so etwa in Jena, ausgesetzt gewesen seien. DAGMAR PÖPPING (München) widmete sich dagegen mit der zunächst stark von katholischen Intellektuellen getragenen Abendlandbewegung einem überkonfessionellen Zusammenschluss, der sich seit den 1920er-Jahren als Wertegemeinschaft ausprägte. Die konfessionsbindende Kraft relativiere sich, so Pöpping, nicht nur in der überkonfessionellen Gestalt der übernational, antisemitisch und antiliberal bewegten Gruppe, sondern auch in ihrer zuweilen gezielt ökumenischen Ausrichtung. Die Bewegung zog zwar vorrangig Angehörige des katholischen Milieus an, ihr Diskurs aber reichte weit in protestantische Kreise hinein. Auf Interesse im Plenum stieß vor allem die Einordnung der Abendlandbewegung kurz nach 1918. Pöpping wies in diesem Kontext auf den Einfluss antiliberaler Staatstheoretiker wie Carl Schmitt hin. Redakteure der später gegründeten Zeitschrift „Neues Abendland“ stammten, so Pöpping, unter anderem dann auch aus seinem Schülerkreis.

Die Tagung führte erstmals die Vielzahl von Institutionen, Gruppen und Diskursen, die über fünf Jahrhunderte in politisch und mentalitätsgeschichtlich sehr disparaten Kontexten strukturbildend und steuernd auf die Implementierung von Konfessionen wirkten, zusammen und zeigte die überzeitliche Wirkung von Konfession auf Staatsbildung und auf sich verändernde Gesellschaftskonstellationen, die letztlich auch im Zusammenhang mit dem subjektiven Legitimitätsempfinden und der Ausprägung überindividueller Verbindlichkeit zu sehen sei – zwei Aspekte, auf die STEPHAN LAUX (Trier) in seinem Schlusswort hinwies. Laux problematisierte den Konfessionalisierungsbegriff und plädierte für dessen analytische Schärfung, vor allem in Bezug auf das 19. und 20. Jahrhundert und den im Vergleich zur Vormoderne stark veränderten politischen Bedingungen. In der landesgeschichtlichen Auseinandersetzung mit religiösen Themen bestehe gleichwohl eine große Chance, nachhaltig interdisziplinär und international vorzugehen.

Im Rahmen nur eines Tages hat die Veranstaltung beachtliche, mitunter kontroverse Diskussionen angestoßen und Historikerinnen und Historiker mit unterschiedlichen Epochenschwerpunkten und zum Teil divergenten Verständnissen von Konfessionalisierung zusammengebracht, die sonst in dieser Konstellation wohl nur selten zusammenkommen. Bestätigt hat dieser Tag der Landesgeschichte zweifelsfrei das Interesse an und den inhaltlichen wie methodischen Wert der vertiefenden Besprechung und Problematisierung des Faktors ‚Konfession‘ für die weiterführende, fachwissenschaftliche Beschäftigung, besonders auch im Umgang mit dem interregionalen Vergleich, der sich für dieses Thema hervorragend anbietet.

Konferenzübersicht:

Anne Henk-Hollstein (Köln): Grußwort

Manfred Treml (München): Grußworte und Ehrungen

Thomas Großbölting (Münster): Entkonfessionalisierung oder Säkularisierung nach 1945

Michael Rohrschneider (Bonn): Begrüßung

Helmut Rönz (Bonn): Einführung

Sektion 1: Reformation und Konfessionalisierungen

Guido Braun (Mulhouse): Roms Kampf um Köln. Nuntien als Akteure katholischer Konfessionalisierungsprozesse um 1600

Dieter J. Weiß (München): Konfessionalisierungen in Franken

Sektion 2: Akteure der Konfessionalisierungen im 17. Jahrhundert

Wolfgang Rosen (Bonn): Klöster und geistliche Institute als Faktoren der katholischen Reform in der Frühen Neuzeit im Rheinland und in Westfalen

Sabine Holtz (Stuttgart): Die Entstehung eines Bildungssystems im lutherischen Herzogtum Württemberg

Sektion 3: Die zweite Konfessionalisierung

Hans Otte (Hannover): Konfessionalisierung und Selbstvergewisserung von der Französischen Revolution bis zum Vormärz

Wolf D. Gruner (Rostock): Kulturkampf in Süddeutschland 1851–1873/78

Sektion 4: Konfessionalisierung oder Säkularisierung im Zeichen der Moderne

Matthias Stickler (Würzburg): Katholisches Korporationswesen als Träger von Konfessionalisierungen 1871–1933

Dagmar Pöpping (München): Über Konfessionen hinaus – die Abendlandbewegung in den 1920er- und 1930er-Jahren

Stephan Laux (Trier): Kommentar