Die vier Flügel des Merkur: Handel und Finanz in der Habsburgermonarchie zwischen Verflechtung und Vergleich (16.- 18. Jahrhundert)

Die vier Flügel des Merkur: Handel und Finanz in der Habsburgermonarchie zwischen Verflechtung und Vergleich (16.- 18. Jahrhundert)

Organisatoren
Klemens Kaps, Institut für Neuere und Zeitgeschichte, Johannes Kepler Universität Linz; Kolja Lichy, Osteuropäische Geschichte, Justus-Liebig-Universität Gießen
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
30.11.2018 - 01.12.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Michael Adelsberger, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien

In der Forschung ist die Vorstellung beharrlich anzutreffen, Zentraleuropa – und damit gerade auch die Länder der Habsburgermonarchie – wäre in der Frühen Neuzeit vor allem durch ökonomische Rückständigkeit geprägt gewesen. Diesem Bild einer wenig in globale Handels- und Finanzaktivitäten eingebundenen Region entgegenzutreten und dabei vor allem die gemeinsame Betrachtung der beiden zentralen Themenkomplexe „Handel“ und „Finanz“ im Habsburger Reich in den Blick zu nehmen, machte sich die Konferenz die von der Thyssen-Stiftung, der Universität Wien und der Universität Gießen gefördert wurde, zur Aufgabe.

Nach der Begrüßung und einleitenden Worten zur Thematik durch KLEMENS KAPS (Linz) und ERICH LANDSTEINER (Wien) führten die Organisatoren an die grundsätzlichen Fragestellungen heran mit denen sich die sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache gehaltenen Beiträge der beiden Konferenztage beschäftigen. KOLA LICHY (Gießen) wies auf Johann Joachim Bechers namensgebende Allegorie der vier Flügel des Merkurs hin: Verstand, Resolution, Freiheit und Geld.1 Diese verdeutlichten bereits die Wechselwirkung von Handel und Finanz in der kameralistischen Wirtschafts- und Handelstheorie sowie die Tatsache, dass dabei eben nicht nur Märkte, sondern auch externe Faktoren von Bedeutung seien.

Klemens Kaps fragte nach der Trennung von privat und öffentlich, da diese Sphären in der Frühen Neuzeit noch nicht so klar voneinander zu trennen seien wie sie dies heute zu sein scheinen. Vor allem die privaten Aspekte sollten mehr in das Blickfeld der Forscher/innen gerückt werden, da sie bisher oftmals von den staatlichen Aspekten überschattet würden. Er wies darauf hin, dass dabei ein offener Horizont nötig sei und die Forschung nicht an den Grenzen der Monarchie enden dürfe. Denn nur ein Fokus, der auch über die Länder der Habsburger hinausgehe, ermöglicht es, auch eine bessere Vorstellung der Monarchie selbst zu bekommen. Wohlbedacht auch, dass das Habsburger Reich selbst in seiner räumlichen Ausdehnung starken Wandlungen unterlegen war und im betrachteten Zeitraum sowohl die Lombardei als auch die Österreichischen Niederlande umfassten, wie es einige Konferenzbeiträge reflektierten. Kaps plädierte dafür, den Güterflüssen auf Mikroebene zu folgen und die Frage nach den jeweiligen Akteuren und Netzwerken, wie etwa auch die Familien, die sowohl für den Informationsfluss als auch für das Vertrauen wichtig waren, nicht aus den Augen verlieren.

Den Anfang der Vorträge machte ATTILA TÓSZA-RIGÓ (Miskolc). Er präsentierte seine Forschung zur Handelstätigkeit des bekannten oberdeutschen Bankhauses Paller-Weis und dabei vor allem die so genannte Neusohl-Konzession, die Paller-Weis innehatte. Auch wenn die Bedeutung der Montangeschäfte für das Augsburger Bankhaus bekannt ist, so stellte Tósza-Rigó konkret die Frage, ob Paller-Weis in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Neusohl-Konzession als Möglichkeit zur Überwindung der Krise ausnutzten konnte. Der in der Krise festgelegte niedrige Kupferpreis ermöglichte Paller-Weis durch den fast dreifachen Marktpreis einen horrenden Gewinn zu erzielen, woraus Tósza-Rigó schloss, dass das oberdeutsche Bankhaus gerade durch die Kupferausbeutung in der Lage war, einem Konkurs zu entgehen.

Den obrigkeitlichen Bankprojekten im 18. Jahrhundert widmete sich der Vortrag KOLJA LICHYs (Gießen). Lichy wandte sich den obrigkeitlichen Krediten jenseits der Staatsfinanz zu. Dabei stach das Netzwerk der kaiserlich-königlichen Leih- und Versatzämter, der Montes pietatis, ins Auge. Konkret stellte Lichy die Mährische Lehensbank in den Fokus seiner Betrachtung. Dieser habe der – sonst für solche Institutionen typische – karitative Aspekt gefehlt und sie könne vorrangig als Wirtschaftsförderungsinstrument gesehen werden, welches Fernhandelsbeziehungen für Absatzmärkte mährischer Produkte schaffen sollte. Die Lehensbank war allerdings mit Aufgaben überladen und Widersprüche in den obrigkeitlichen Ansprüchen, Gegensätze zwischen politischer Intention und theoretischer Überlegung, zwischen Gewinnorientierung und ordnungsschaffendem Charakter, hätten das Leihhaus schließlich scheitern lassen.

Handels- und Finanztheorie standen im Mittelpunkt der Präsentation von CHRISITINE LEBEAU (Paris). Sie stellte die Frage, ob man überhaupt von einem spezifisch österreichischen Kameralismus sprechen könne und darüber hinaus, ob man denn grundsätzlich von einer Unterscheidung zwischen Kameralismus und Merkantilismus ausgehen könne. Lebeau hielt diese Unterscheidung für wenig hilfreich: Der österreichische Kameralismus sei als Teil einer europäischen Politischen Ökonomie zu verstehen. Die Konzentration der Forschung auf die Geschichte der Zentralisierung, auf den Kameralismus als Bestandteil der österreichischen Regierung und der Blick auf die Wirtschaft von oben herab, erschweren eher das Verständnis als dass sie hierzu beitragen würden. Lebeau plädierte folglich dafür, von solch einer Einengung Abstand zu halten und stattdessen einen allgemeineren Blickwinkel einzunehmen.

ANDREA SERLES‘ (Wien) Beitrag eröffnete das zweite Panel der Konferenz, welches Verbindungen über die Grenzen der Habsburgermonarchie hinaus behandelte. In Serles‘ Vortrag betraf dies die Auswirkungen der habsburgischen Handelspolitik auf die oberdeutschen Städte. Serles stellt die Mautbücher und Mautprotokolle für die Güter, die über die Donau transportiert wurden, in den Mittelpunkt ihrer Forschung. Gerade die Mautbücher von Aschach, die jene Güter erfassten welche die dort liegende Grenze zwischen dem Land ob der Enns und Bayern überquerten, böten einen einzigartigen Einblick in den Gütertausch zwischen den österreichischen Ländern des Habsburger Reichs und den oberdeutschen Handelsstädten. Dabei ließen sich die Auswirkungen der habsburgischen Zollpolitik, wie etwa der Rückgang nach der Mauterhöhung 1726 erkennen. Serles‘ Vortrag machte deutlich, wie eng verflochten diese beiden Regionen aus kommerzieller Sicht waren und wie Maßnahmen der habsburgischen Wirtschaftspolitik auch über die Grenzen des Reiches wirkten.

MICHAEL W. SERRUYS (Brest) kritisierte in seinem Beitrag die in der belgischen Geschichtswissenschaft vorherrschende Einengung bei der Untersuchung des Maut- und Zollwesens. Im Gegensatz dazu, nahm er in seiner Untersuchung eine integrale Annäherung an das Thema vor, indem er die transit policy als Ganzes betrachtet. Darunter verstehe er die verschiedenen Maßnahmen, die den Güterfluss beeinflussten. Neben Zollvereinbarungen werden dementsprechend auch Transportnetzwerke sowie die Herausbildung neuer Handelsverbindungen in den Blick genommen. Auch indirekte Importe und Exporte, sowie der indirekte interne Handel dürften in dieser umfassenderen Betrachtung nicht außen vor gelassen werden. Denn für Entscheidungsträger in politischen Ämtern seien solche Handelsströme durchaus von großer Bedeutung gewesen. Für die Österreichischen Niederlande im frühen 18. Jahrhundert seien in diesem Zusammenhang die Verhandlungen und die gefundenen Kompromisslösungen zwischen Brüssel und Wien über den Ausbau der Straßen sehr aufschlussreich gewesen.

JAN PARMENTIER (Antwerpen) nahm in seinem Vortrag Ostende, den wichtigsten Seehafen in den Österreichischen Niederlanden, ins Visier. Er wies dabei auf die mannigfaltige Bedeutung der Hafenstadt hin. Vor allem als Stapelplatz für Kolonialgüter, wie Tabak und Tee spielte er eine wichtige Rolle. Parmentier zeichnete dabei ein buntes Bild der Hafenstadt im 18. Jahrhundert, ein Treffpunkt für Kaufleute und Händler verschiedenster europäischer Provenienz: Ostindienhändler aus England, Frankreich und der Schweiz sowie etwas weniger zahlreich aus den österreichischen Ländern. Ostende stand in Konkurrenz mit Lissabon und Kopenhagen um eben diese Kaufleute, die mit indischen Textilien handelten und gleichzeitig die englischen Kolonien in Indien und Bengalen mit europäischen Gütern versorgten. Der These, dass Ostende ein „Revival Merkurs“ – also des Handels – in den Österreichischen Niederlanden darstellte, wie dies zeitweise behauptet wird, steht Parmentier skeptisch gegenüber. Er sieht die Entwicklung der flämischen Hafenstadt aber ohne Zweifel als Vorgeschichte für die große Wiederbelebung des Antwerpener Hafens im 19. Jahrhundert.

Den zweiten Konferenztag eröffnete EDOARDO DEMO (Verona), der sich den Händlern der Terraferma und deren Verbindungen mit der Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts widmete. Demo betonte die Bedeutung sowohl von Produktion als auch Handel im Veneto. Er wies auf die Möglichkeit der Händler und Kaufleute hin, auf den Bedeutungsverlust Venedigs zu reagieren und sich an die neue Situation anzupassen. Anhand einzelner Kaufmannsfamilien Venetiens zeigte Demo die Verbindungen in den deutschsprachigen Raum auf – und somit auch in das Habsburger Reich. So waren etwa die Cerminati sowohl in Bozen, das durch seine Jahrmärkte von Bedeutung war, als auch in Wien vertreten. Demos Vortrag zeigte eindrücklich die Bedeutung der Kaufleute aus den verschiedenen Städten Venetiens, wie Verona, Vicenza und Padua, für den Handel im süddeutschen Raum und in der gesamten Donauregion.

MIROSLAV LACKO (Ostrava) stellte die Kupferproduktion, den Metallhandel und das Bergbaugebiet des ungarischen Königreichs ins Zentrum seines Vortrages. Er beschrieb die oberungarische Metallproduktion, die überwiegend im Verlagswesen organisiert war sowie die Kupfer- und Silberausfuhr über Handelsstädte wie Käsmark, Leutschau und Krakau, die im 15. und 16. Jahrhundert via Flussverbindungen in den baltischen Fernhandel eingebunden waren. Lacko stellte anhand einiger Kaufmanns- und Unternehmerfamilien die Verflechtungen zwischen den regionalen ökonomischen Eliten und dem Kaiserhaus und damit einhergehend auch der habsburgischen Wirtschaftspolitik dar: anhand der ursprünglich aus Leutschau stammenden Kaufmannsfamilie Thurzo sowie der Familie Schilling. Dabei veranschaulichte er die Verbindung des kaiserlichen Hofes und der oberungarischen Metallproduktion durch Kreditbeziehungen.

Einen Einblick in die Tätigkeiten der Kaufleute und Händler im Wien des 16. und 17. Jahrhunderts bot der Vortrag ERICH LANDSTEINERs (Wien). Er betonte die Bedeutung der italienischen Kaufleute, die in den 1560er-Jahren die Vorherrschaft von den bis dahin in Wien dominierenden oberdeutschen Händlern übernahmen. Landsteiner argumentierte, dass gerade für die Zeit von 1560 bis zur Mitte des folgenden Jahrhunderts von einem „italienischen Jahrhundert“ für den zentraleuropäischen Raum gesprochen werden könne. Der Frage nach den Gründen für die wirtschaftliche Schlagkraft der italienischen Kaufleute nachgehend, zeichnete Landsteiner auch die Verflechtungen der italienischen Kaufleute mit dem Wiener Hof nach und zeigte die enge Verstrickung von Handel und Kredit. Gerade die Verbindungen zum Hof hätten aufgrund des unterentwickelten Finanzsystems des Wiener Kaiserhauses großes Risiko geborgen.

Der Einbindung Triests in den globalen Warenaustausch und der Verbindung zwischen Handel und Finanzmärkten widmete sich DANIELE ANDREOZZI (Trieste) in seinem Vortrag. Die vor allem ab den 1750er-Jahren stark wachsende Hafenstadt sei zunehmend durch die Dominanz einer neuen Schicht an Händlern und Kaufleuten geprägt gewesen, die die älteren patrizischen Eliten verdrängt hätten. Andreozzi nahm das monetäre Netzwerk der Habsburgermonarchie in den Blick: Er zeichnete dabei die Verbreitung des Maria-Theresien-Talers nach, der weithin als Handelswährung genutzt wurde. So habe seine Verbreitung von Triest über Livorno, Venedig und Genua gereicht, genauso wie auch in das Osmanische Reich und in die Levante. Über andere italienische Städte seien die Münzen bis nach Nordafrika und sogar bis Indien gelangt. Andreozzi zeigte auch eindrücklich die Verbindungen des Netzwerks um den Maria-Theresien-Taler mit Netzwerken des Getreidehandels.

KLEMENS KAPS (Linz) behandelte in seinem Vortrag die globalen Handelsverflechtungen zwischen der Habsburgermonarchie und den spanischen Ländern im 18. und im frühen 19. Jahrhundert. Eine zentrale Position nahm hierbei abermals Triest ein. Gestärkt durch seine Position als Freihafen erstreckten sich von Triest Handelsrouten nach Barcelona und Cádiz; er entwickelte sich immer mehr zum zentralen Import- und Exporthafen des Habsburger Reiches. Waren aus protoindustrieller Produktion der österreichischen Länder verließen über ihn die Monarchie, während Kolonialgüter der spanischen Welt über Triest ihren Weg in die habsburgischen Länder fanden. Die Handelsverbindungen reichten dabei bis nach Böhmen und auch in die peripheren Regionen der Monarchie, etwa nach Galizien. Diese Tatsache stelle auch die These der Dominanz der nördlichen Städte – Hamburg, Gdansk, Lübeck – als Scharnier zwischen Habsburgermonarchie und globalen Handelsnetzen in Frage. Kaps zeigte weiter den Einfluss einzelner Kaufmannsfamilien auf, thematisierte aber auch deren Probleme, wie die häufig zu geringe Kapitalausstattung sowie Informations- und Vertrauensprobleme.

In der die Konferenz gelungen abrundenden Diskussion zogen die beiden Organisatoren Bilanz und machten drei zentrale Momente aus, die sich wie ein roter Faden durch alle Vorträge gezogen hatten: die deutliche Verbindung zwischen und die Wechselwirkung von Handel und Finanz, die Frage nach dem geografischen Rahmen – also wie weit die Handelsnetzwerke über die Habsburgermonarchie hinausreichten – und schließlich das Problem der Verknüpfung von Politik (konkreter Wirtschaftspolitik) mit Problemen des Handels. Abschließend kann gesagt werden, dass die verschiedenen Vorträge mit ihren breitgefächerten Fragestellungen, Untersuchungszeiträumen und geografischen Verortungen durchaus verdeutlichen konnten, wie eng Handel und Finanz in der Habsburgermonarchie miteinander verknüpft waren und es bleibt zu hoffen, dass die Konferenz nur den Beginn weiterer Forschungsunternehmungen in diesem bislang noch zu wenig behandelten Bereich der europäischen Wirtschaftsgeschichte darstellte.

Konferenzübersicht:

Panel I: Commerce and Finance

Attila Tósza-Rigó (Miskolc): Verflechtungen zwischen staatlicher und Wirtschaftssphäre in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das Neusohl-Projekt des Konzerns Paller-Weis

Kolja Lichy (Gießen): Öffentlicher Kredit. Obrigkeitliche Bankenprojekte in der Habsburgermonarchie des 18. Jahrhunderts

Christine Lebeau (Paris): Hat es einen österreichischen Kameralismus gegeben? Theorie und Praxis der Handels- und Finanzpolitik in der Habsburgermonarchie (17.–18. Jahrhundert)

Panel II: Cross-European Connections

Andrea Serles (Wien): Auswirkungen habsburgischer Wirtschaftspolitik auf den Handel oberdeutscher Reichsstädte im 18. Jahrhundert

Michael W. Serruys (Brest): The Austrian Netherlands‘ Transit Policy and the Redirection of Trade Flows in La plus belle province de la Monarchie (1715–1789)

Jan Parmentier (Antwerpen): The Global Maritime Trade of the Austrian Netherlands during the late 18th Century (1775–1794)

Panel III: An Empire of Entangled Trade

Edoardo Demo (Verona): Commodities and Merchants of the Venetian Terraferma in East-Central Europe between the 15th and the 16th Century

Miroslav Lacko (Ostrava): Protoglobale Verflechtungen der oberungarischen Städte im Metallhandel des 16. Jahrhunderts

Erich Landsteiner (Wien): „Slaves of Italian Facchini“? Italian Merchants in the Habsburg Lands in the late 16th Century

Panel IV: Global Dimensions of Habsburg Trade

Daniele Andreozzi (Trieste): From the Sea. Mercantilism, Merchants and Financiers and the Growth of Eighteenth-Century Trieste

Klemens Kaps (Linz): Connections with Global Markets and Its Intermediaries: Trade between Habsburg Central Europe and the Spanish Atlantic (1713–1815)

Diskussion

Anmerkung:
1 Johann Joachim Becher, Politischer Discurs, Frankfurt am Main 1668, S. 123-126.