Predigt, Politik und Diskurse im späten Mittelalter

Predigt, Politik und Diskurse im späten Mittelalter

Organisatoren
Malte Prietzel, Universität Paderborn
Ort
Paderborn
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.02.2019 -
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Von
Sandra Venzke / Lars Wolfram, Historisches Institut, Universität Paderborn

In seiner Einführung zum Workshop wies MALTE PRIETZEL (Paderborn) darauf hin, dass Predigten in der Geschichtswissenschaft bisher wenig Beachtung gefunden haben, anders als in der Germanistik und anderen Philologien, der Theologie und der Kirchengeschichte. Dabei handelte es sich bei ihnen nicht um ein ausschließlich religiöses, sondern auch um ein politisches Instrument. Sie leiteten im Mittelalter zentrale Entwicklungen, beispielsweise die Kreuzzüge, ein. Auch an den Höfen weltlicher Herrscher wirkten Prediger, wie das Beispiel des burgundischen Hofes zeigte. Prietzel machte zudem deutlich, dass Predigten kein rein mittelalterliches Phänomen sind, sondern auch in der Neuzeit weiterhin Verwendung fanden. So nutzte sie Friedrich der Große, trotz seiner Abneigung gegenüber der Religion, um seine Siege dem Volk bekanntzumachen. Vor dem Hintergrund der vielseitigen Verwendung von Predigten, die deutlich über den religiösen Zweck hinausging, war im Rahmen des Workshops nach den normativen Vorstellungen der Zeitgenossen zu fragen. Gleichzeitig galt es in den Blick zu nehmen, wie diese von den politischen Akteuren im Einzelfall umgesetzt wurden.

Mit einer besonderen Form der Predigt setzte sich dann GEORG STRACK (München) auseinander. Er untersuchte päpstliche Konsistorialpredigten, die an der Kurie aus Anlass einer Approbation eines römisch-deutschen Königs gehalten wurden. Dabei zeigte seine Betrachtung der Predigt Innozenz‘ III. bei einem Besuch von Gesandten Philipps von Schwaben 1199 in Rom und der Predigt Bonifatius‘ VIII. von 1298 im Zusammenhang mit der Wahl Albrechts I. die Bemühungen beider Päpste, die Vorrangstellung des Priestertums gegenüber dem Königtum zu behaupten. Daraus leiteten sie ihre eigene Autorität in Bezug auf die Königswahlen ab. Waren diese Predigten eher konfrontativ angelegt, so sollten die Predigt Bonifatius‘ VIII. von 1303 mit der Anerkennung Albrechts I. und die Predigt Clemens‘ VI. in Avignon 1346 hingegen den nun – im letzteren Fall zumindest oberflächlich – herrschenden Konsens zwischen Papst und König deutlich machen. Festzuhalten war, dass die Konsistorialpredigten dazu dienten, Beschlüsse bekannt zu machen. Ein diskursives Element war nicht vorgesehen. Eine Ausnahme stellte hier einzig das Beispiel 1346 in Avignon dar. Zudem wies Strack anhand der von ihm vorgestellten Beispiele darauf hin, in welchem Maße es zu formalen aber auch inhaltlichen Abweichungen innerhalb der Überlieferung einzelner Predigten kommen konnte.

FLORIAN EßER (Köln) fragte in seinem Vortrag nach der Funktion von Predigten während des Konzils in Pisa 1409. In der Betrachtung des historischen Hintergrunds zeigte er zunächst, wie das Konzil von Pisa die Logik des Konflikts im Großen Abendländischen Schisma veränderte, indem es die Konfliktlinien neu ordnete. Etwa 24 Predigten wurden in- und außerhalb der Konzilssitzungen gehalten. Wie Eßer zeigen konnte, dienten sie weniger der Überzeugung der Teilnehmer – wer in Pisa anwesend war, hatte seine grundsätzliche Übereinstimmung mit den Zielen des Konzils bereits gezeigt – sondern der Ausformulierung der Neudeutungen, die das Konzil zur Konfliktlösung vornahm. Die Predigten gaben dem Konzil legitimatorischen Halt, sie waren das Medium, in dem sich die Neudeutung konkretisierte. Die Argumentation der einzelnen Prediger konnte zwar individuell unterschiedlich sein, wesentlich war aber das gemeinsame Anliegen, für das sie argumentierten, die Positionierung und Stellungnahme für die Ziele und Strategien des Konzils.

Überstrahlt wird das Pisaner Konzil in der historischen Wahrnehmung vom Konstanzer, das letztlich die in Pisa schon angestrebte Beendigung des Schismas erreichen konnte. Oratorik auf dem Konstanzer Konzil nahm sich MALTE PRIETZEL (Paderborn) zum Thema, wobei er sich auf sechs Wochen besonders intensiver Verhandlungen und Entscheidungen im Sommer 1415 konzentrierte. Er zeigte an ausgewählten Beispielen, dass Predigten politisch relevant waren, und arbeitete vier Aspekte heraus: Politische Kommunikation war im Mittelalter stark ritualisiert, Predigten waren Teil solcher Rituale und dienten der Deutung politischer Akte. Sie dienten zweitens aber auch der spirituellen Orientierung, der Selbstvergewisserung der Konzilsteilnehmer innerhalb des Konzils. Nach außen waren sie gleichzeitig auch Konzilspropaganda und verbreiteten die Deutungen des Konzils. Dabei ist keine systematische Verbreitung der Predigttexte zu diesem Zweck festzustellen. In den Predigtsammlungen, die nach dem Konzil zusammengestellt wurden, wurde dann abschließend die Deutung des Konzils fixiert, auf Dauer gestellt und verbreitet.

Religion, Krieg, Politik – diesen drei Themenfeldern ging PAVEL SOUKUP (Prag) in drei wenig bekannten Predigtsammlungen aus den Hussitenkriegen nach und fragte, wie eigentlich die Werbung für diese Kreuzzüge aussah. Oswald Reinlein, der Prior der Augustiner-Eremiten in Wien, predigte 1426 gegen die Hussiten, der Passauer Domprediger Paul Wann und Thomas Harder, Augustiner-Chorherr in Klosterneuburg, warben in den 1460er Jahren für den zweiten Hussitenkreuzug. Im Zentrum der überlieferten Predigttexte steht natürlich die Religion: Der Kreuzzug wird als Wille Gottes bezeichnet und durch eine heftige Polemik gegen die hussitische Ekklesiologie religiös begründet. Gleichzeitig standen die Prediger, auch wenn sie nicht unmittelbar zu den politischen Akteuren gehörten oder Aufträge weltlicher Machthaber umsetzten, doch in konkreten zeitgeschichtlichen Zusammenhängen, die sich auch in ihren Predigten niederschlugen. Politische Ereignisse wurden von den Predigern zur Kenntnis genommen, erwähnt und mit biblischen Vorlagen verbunden, um so Teil der religiösen Argumentation zu werden.

Wie erfolgreich solche Predigten seien konnten, zeigte im Anschluss GABRIELE ANNAS (Frankfurt) am Beispiel zweier ganz unterschiedlicher Prediger aus den 1450er-Jahren. Auf der einen Seite stand Johannes Capistran, der charismatische, volkstümliche Franziskanerprediger, auf der anderen Seite Heinrich Kalteisen, scholastisch gebildeter Dominikanermönch mit besten Beziehungen bis in höchste Ebenen der Kirche. Beide Mönche predigten gegen die Hussiten und vor allem nach der Eroberung Konstantinopels für einen Kriegszug gegen die Türken und beide hatten mit ihren Predigten großen Erfolg bei der breiten Bevölkerung, fanden allerdings eher reservierte Reaktionen bei den Obrigkeiten. Vor allem Johannes Capistran, dem auch Wunderheilungen zugeschrieben wurden, war mit seinen Kreuzzugs- und Ablasspredigten in lateinischer Sprache bei der Bevölkerung sehr populär. Das Volksaufgebot, das die beiden Prediger zusammenstellten, hatte eine wichtige Rolle bei der Verteidigung Belgrads gegen die osmanischen Belagerer 1456, so Annas abschließend.

Dass Predigten auch im Zusammenhang mit der Inquisition im Italien des 13. und 14. Jahrhunderts eine Rolle spielten, machte ALBERTO CADILI (Münster) in seinem Beitrag deutlich und wies dabei auf die – durchaus auch umstrittene – Sondererscheinung des Disputs mit Ketzern im Rahmen der Predigt hin, wie sie beispielsweise Petrus Martyr in der Mitte des 13. Jahrhunderts den hagiographischen Quellen zufolge praktizierte. War die Rechtmäßigkeit der Diskussion mit den Ketzern indes theologisch noch bestätigt worden, so verschwand sie aber in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aus Predigten. Damit einhergehend traten auch die Bemühungen um die Bekehrung in den Hintergrund und die Inquisitoren verfolgten nun zunehmend repressive Ziele. Im Zusammenhang mit ihren öffentlichen Auftritten hielten sie weiterhin Reden, beispielsweise bei Eröffnung und Abschluss der Verfahren. Bei diesen handelte es sich jedoch nicht mehr um Predigten im eigentlichen Sinne. Schließlich machte Alberto Cadili auf die Perspektive der Laien, also der Zuhörerschaft der Predigten aufmerksam, für die die Inquisitoren eine Konkurrenz zu den kirchlichen und städtischen Organen und ihren Ordnungsfunktionen darstellten. Vor diesem Hintergrund mussten Predigten auch einen Ausgleich und Konsens für die Zusammenarbeit mit den ekklesialen und weltlichen Autoritäten schaffen.

THOMAS WOELKI (Berlin) wandte sich schließlich den Reformpredigten des Nikolaus von Kues zu. Dieser war als Bischof von Brixen (1452-1458) in seiner Diözese intensiv als Prediger tätig und zeigte dadurch Präsenz. Seine auf Deutsch gehaltenen Predigten fanden Überlieferung in einer von Nikolaus von Kues selbst entwickelten Predigtsammlung, die in Form einer Prachthandschrift seiner Memoria dienen sollte. Dabei waren die Predigten nicht diskursiv angelegt, sondern zielten auf die Darstellung und Vertiefung der Einmütigkeit zwischen Prediger und Publikum ab und fanden immer dann statt, wenn Nikolaus von Kues in seiner bischöflichen Funktion gestalterisch in Erscheinung trat. Zwar nutzte er Predigten bewusst als Mittel in Konflikten, in zu belasteten Situationen überließ er dies jedoch anderen Priestern, um den Eindruck eines Konsenses aufrechtzuerhalten.

In Bezug auf die Gestaltung seiner Predigten orientierte sich der Bischof an seiner Zuhörerschaft, Mitglieder des Klerus oder Laien, sodass sich deutliche Unterschiede feststellen lassen. Insbesondere vor 1449 waren die Predigten stark scholastisch geprägt. Als Bischof widmete sich Nikolaus von Kues dann vor allem der Vermittlung des Evangeliums. Doch nicht nur durch seine Predigten transportierte er seine Botschaften. So inszenierte er 1457 im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit Herzog Sigismund von Österreich und seinem Rückzug auf die Burg Buchenstein sein Verstummen, lud dieses politisch auf und nutzte so auch das Nicht-Predigen als Kommunikationsmittel.

Die Vorträge des Workshops die machten große Bandbreite der Predigten im Mittelalter und die Vielseitigkeit ihrer Einsatzmöglichkeiten deutlich. Der Vergleich zwischen den verschiedenen thematisierten Predigtarten führte zur Diskussion über gemeinsame Merkmale dieser Predigten, Möglichkeiten einer Definition und der Abgrenzung von anderen Formen der öffentlichen Rede im Mittelalter. Insbesondere ihre Rolle in Politik und Diskurs, so zeigten die internationalen Referenten an ganz unterschiedlichen Beispielen auf, birgt Potential für weitere Forschungen.

Konferenzübersicht:

Malte Prietzel (Paderborn): Einführung

Georg Strack (München): „Salomon wird auf meinem Thron sitzen ...“ – Predigten an der päpstlichen Kurie zur Approbation des römisch-deutschen Königs

Florian Eßer (Köln): „Die schlimmsten intrusi, die es jemals in der Kirche gegeben hat.“ Predigten während des Pisaner Konzils 1409

Malte Prietzel (Paderborn): Politik und Selbstvergewisserung, Propaganda und Erinnerung. Oratorik auf dem Konstanzer Konzil im Sommer 1415

Pavel Soukup (Prag): Die Kreuzpredigt gegen die Hussiten. Religion, Krieg und Politik in drei erhaltenen Predigtsammlungen

Gabriele Annas (Frankfurt am Main): Kreuzzug und Predigt. Das Beispiel des Franziskaners Johannes Capistran und des Dominikaners Heinrich Kalteisen

Alberto Cadili (Münster): Prädikation gegen Ketzer, Prädikation der Inquisitoren (Italien, 13.-14. Jahrhundert)

Thomas Woelki (Berlin): Politische Oratorik? Reformpredigten des Nikolaus von Kues im Bistum Brixen (1452-1458)

Abschlussdiskussion


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