transmortale IX – Neue Forschungen zum Tod

transmortale IX – Neue Forschungen zum Tod

Organisatoren
Moritz Buchner, Freie Universität Berlin; Norbert Fischer / Anna-Maria Götz, Universität Hamburg; Stephan Hadraschek /Jan Möllers, Berlin; Dirk Pörschmann / Dagmar Kuhle, Kassel; Museum und Zentralinstitut für Sepulkralkultur, Kassel; Institut für Volkskunde / Kulturanthropologie, Universität Hamburg
Ort
Kassel
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.03.2019 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Christine Drah, Materielles und Immaterielles Kulturerbe, Historisches Institut, Universität Paderborn

Forschungen zur Sepulkralkultur finden seit einigen Jahren in einem fächerübergreifenden Kontext statt. Die Tagungsreihe würdigt diese Entwicklung seit 2010, indem sie einen interdisziplinären Raum für den Austausch, die Reflexion und die Diskussion in Bezug auf die drei Themenkomplexe „Sterben“, „Trauern“ sowie „Tod / Vergänglichkeit“ schafft.

Zum Tagungsprogramm gehörte in diesem Jahr erstmals eine Vorabendveranstaltung, die eine Führung durch die Dauer- und aktuelle Sonderausstellung des Museums für Sepulkralkultur sowie einen anschließenden Abendvortrag beinhaltete. REGINA STRÖBL und ANDREAS STRÖBL (beide Lübeck) betrachteten aus archäologisch-kunsthistorischer Perspektive als abergläubisch bewertete Praktiken in der Bestattungs- und Trauerkultur, wobei sie Kontinuitäten von Vorstellungen im Alltag bis in die Gegenwart aufzeigten.

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der letzten Lebensphase bildet die Betrachtung der emischen Perspektive der Protagonist/innen, der Sterbenden, ein randständiges Phänomen. MIRIAM BRAUN (Mainz) wählte die biographische Narration Sterbender als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen, in denen sie sich auf Albrecht Lehmanns Ansatz der Erzählforschung bezog. Demnach bestimmen die innerhalb des Sozialisationsprozesses erworbenen Regeln, Normen und Denksysteme das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte. Innerhalb ihrer Darstellung wendete sie als Analysefolie das Horror-Genre auf eine der biographischen Erzählungen an, die sie durch qualitative Interviews erhalten hatte. Im übergreifenden Kontext ihrer Forschungen machte sie die Tragödie als wichtigsten Erzählungsmodus aus, verwies aber auch auf Nebenprodukte, wie beispielsweise die Heldengeschichte.

Im DFG-Forschungsprojekt des Lehrstuhls für Moraltheologie und des Instituts für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München werden Perspektiven und normative Muster eines „gelungenen Sterbens“ untersucht. Diese Facetten wurden von ANDREAS WALKER (München) vorgestellt. Im Zentrum standen hier qualitative Interviews mit den Bewohner/innen, den Angehörigen sowie den professionellen Akteuren zu ihrer Wahrnehmung der Situation in Hospizen und Palliativstationen. Dabei zeichnete sich die Tendenz ab, dass den Patienten im Umgang mit ihrem Sterbeprozess ein höheres Maß an Kontrolle über ihre Situation gewährt wird als dies lange Zeit der Fall war. Ihnen stehe es in den Hospizen mehr und mehr frei, sich nicht über den Verlauf ihrer Krankheit zu informieren; sie dürfen Hoffnung schöpfen. In Anlehnung daran wurde diskutiert, inwiefern sich die genannten Ansätze auf die Situation in Krankenhäusern anwenden ließen.

ELSA ROMFELD (Mannheim / Heidelberg) beschloss das Auftakt-Themenfeld Sterben mit einer Betrachtung des End-of-life-managements und hier speziell der Patientenverfügung als Instrument zur Kontrolle und Autonomie innerhalb der Sterbephase. Ausdruck eines wachsenden Sicherheitsbedürfnisses sei die Pluralisierung dieser Instrumente sowohl zu Lebensbeginn als auch am Lebensende. Hierbei wurden neben der Pränataldiagnostik beispielweise die Tötung auf Verlangen, Sterbegeldversicherungen und die Patientenverfügungen angeführt. In diesem Kontext stellte sie heraus, dass sich die Komplexität des Sterbeprozesses einer Vorwegnahme durch eine detaillierte Planung entziehe. Wichtige Erkenntnisse waren, dass Patientenverfügungen nur in wenigen Fällen tatsächlich anwendbar seien und es durchaus möglich sei, dass der oder die Patient/in die Einstellung zur aktuellen Situation ändere. Jenseits dieses Kontrollversuchs stellte die Referentin neue Strategien vor, die sich auf die Lebenskunst, die ars vivendi, bezogen.

Aus aktueller Perspektive näherte sich RONJA LUTZ (Erlangen) dem Thema Trauern anhand der Aufnahme der Diagnose der „Prolonged Grief Disorder“ in das 2018 erschienene medizinische Klassifikationssystem ICD-11. Die Gegenüberstellung von Merkmalen der Trauerstörung und nicht-krankhafter Trauer zeige, dass nach quantitativen Kriterien eine Abgrenzung beider Phänomene voneinander möglich sei. Ausschlaggebendes Merkmal sei dabei eine atypisch lange Dauer der Trauer, die vorliege, wenn sie einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten umfasse. Aus historischer Perspektive finde hier eine Verkürzung der mindestens einjährigen Trauerphase auf ein halbes Jahr statt. Lutz deutete diese Medikalisierung von Trauer in einem Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Anerkennung des Trauerprozesses und der Gefahr der Überdiagnose und -behandlung. Die Referentin hob abschließend hervor, dass Impulse aus der Kinderpalliativmedizin vorbeugend auf die Entstehung von Trauerstörungen wirken könnten.

LAILA BAUR (Heidelberg) arbeitete aus einer konsumgeschichtlichen Perspektive und anhand des Fallbeispiels des Todes der Mathilde von Bayern (1906) heraus, was private und adelige Trauer im „langen 19. Jahrhundert“ bedeutet habe und wie sie für wirtschaftliche und soziale Interessen nutzbar gemacht worden sei. Die jung verstorbene Ehegattin von Ludwig Gaston von Sachsen-Coburg und Gotha wurde nicht in der coburgischen Gruft bestattet, sondern in ihrer Heimat. Zwei zentrale Aspekte wurden in diesem Zusammenhang herausgearbeitet: Einerseits erregte die Beisetzung der Prinzessin in der ländlichen Gemeinde Rieden öffentliche und mediale Aufmerksamkeit, die sich in zahlreichen Zeitungsberichten und Bildpostkarten niederschlug. Der Ort entwickelte sich zu einem Anziehungspunkt für Familienmitglieder und zahlreiche Besucher/innen. Anderseits wurde darauf hingewiesen, dass die Sarkophaggestaltung weniger repräsentativ als vielmehr gefühlsmäßig einzuschätzen sei: Das Trauerzeremoniell sei weiterhin von Bedeutung, aber zunehmend fänden Emotionen in der adeligen Trauer Platz. Im Anschluss wurde im Plenum das Verhältnis zwischen bürgerlicher und adeliger Trauer um 1900 thematisiert.

STEFANIE MALLON (Hamburg) leitete in ihrem Vortrag zum dritten Themenkomplex der Tagung über, indem sie darüber reflektierte, inwieweit sich das Textile mit Tod und Vergänglichkeit auseinandersetzen könne. Ausgegangen wurde von Impulsen aus der Anthropologie, wonach die Materialität von textilen Flächen mit der Verletzlichkeit und Vergänglichkeit der menschlichen Träger/innen korrespondiere. Der These, dass modisch durchlöcherte und von ständigem Tragen verschlissene Alltagskleidung als Auseinandersetzung mit der menschlichen Vergänglichkeit betrachtet werden könne, wurde widersprochen. Dass dieser Vorstellung darüber hinaus Grenzen gesetzt seien, zeigte die Referentin anhand von Erkenntnissen zu Wachsleichenfunden. So belege der Friedhofsbodenforscher Michael C. Albrecht, dass die Bestattung in synthetischen Textilien einen normalen Verwesungsprozess verhindere. Die Analyse der Referentin wurde von ihr an eine historische Perspektive rückgebunden und auf Kleidungsstücke bezogen, wie sie von den Killing Fields in Kambodscha sowie aus den nationalsozialistischen Vernichtungslagern erhalten sind.

In ihrer Lesung thematisierte AMILA SOFTIĆ (Wien) die Vergänglichkeit des Lebens aus dem Blickwinkel der Photographie. Photographie als Medium unserer Zeit wurde dahingehend hinterfragt, ob sie als kollektives „Bewältigungsmedium“ dienen könne. Die Analyse von Photographien als „traurige Trophäen“ führte das Publikum durch sechs Stationen eines Restaurantbesuchs, bei dem die Erzählerin einen Hummer entdeckte, der sich in einem Aquarium an eine Plastikfigur in Hummerform klammerte. Ausgehend davon eröffnete sich ein breites Assoziationsfeld des Bewahrens und Besitzens des Hummers oder vielmehr des Abbildes eines dem zukünftigen Verzehr ausgesetzten Tieres. Innerhalb dieses emotional aufgeladenen Kontextes wurde deutlich, dass der Mensch in seinem Versuch, die Flüchtigkeit der Zeit festzuhalten, selbst Teil des vergänglichen Moments wird.

ELENA GUßMANN (Berlin) beschloss die Tagung mit ihrer Annäherung an den Todesbegriff über die Betrachtung von Grenzsituationen, wie sie sich in Martyriums- und Folterszenen zeigen. Dies geschah anhand zweier Schlüsseltexte: Tertullian beschrieb die Welt als „Kerker“ und stellte sich in Opposition zu der Verfolgung und Folterung von Christen im antiken Rom. Jean Améry thematisierte in seinem Essay „Die Tortur“ (1966) die Zerstörung seiner Identität durch die Folter, die er unter den Nationalsozialisten erlitten hatte. Nach dieser Erfahrung könne niemand mehr „heimisch“ in der Welt werden. Die Referentin betonte, dass die Beschäftigung mit Märtyrertum und Folter tagesaktuelle Themen seien, die eine Vielfalt verschiedener Todesbegriffe aufzeigten. Als grundsätzliche Trennlinie konnte ausgemacht werden, dass in der Folterung eine völlige Objektivierung des Fleischs stattfinde, wohingegen Märtyrer/innen ihre Qualen in der Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Religion sinnhaft besetzen könnten.

Die Tagung spiegelte die Bandbreite der aktuellen Forschungsansätze zu den Themen „Sterben“, „Trauern“ sowie „Tod / Vergänglichkeit“ wider und zeigte innerhalb der Diskussionen sowie durch Querverweise zwischen den verschiedenen Vorträgen, dass die interdisziplinäre Veranstaltungskonzeption neue Impulse generieren kann. Es ließ sich feststellen, dass in der aktuellen Forschung wiederholt Individuen im Zentrum stehen und vermehrt biographische Ansätze sowie qualitative Methoden berücksichtigt werden.

Konferenzübersicht:

Dirk Pörschmann (Kassel) / Norbert Fischer (Hamburg): Begrüßung und Einführung:

Vorträge I und II
Moderation: Norbert Fischer (Hamburg)

Miriam Braun (Mainz): Erzählen am Ende – Perspektiven, Bilanzierungen und biographische Narrationen Sterbender

Andreas Walker (München): Neo-moderne Organisationsformen „gelungenen Sterbens“ in Hospizen und auf Palliativstationen

Vorträge III und IV
Moderation: Stephan Hadraschek (Berlin)

Elsa Romfeld (Mannheim / Heidelberg): Tod nach Plan? Die Patientenverfügung und der Wunsch nach Kontrolle am Lebensende

Ronja Lutz (Erlangen): Verlängerte Trauer als Krankheit: Medikalisierung oder ethische Aufforderung zu einer „Vorrausschauenden Trauerplanung“?

Vorträge V und VI
Moderation Moritz Buchner (Berlin)

Laila Baur (Heidelberg): Emotionen konsumieren. Adelige Trauerkultur und Trauerwirtschaft im „langen 19. Jahrhundert“

Stefanie Mallon (Hamburg): Tod / Vergänglichkeit und das Textile als Projektionsfläche

Vorträge VII und VII
Moderation: Dirk Pörschmann (Kassel)

Amila Softić (Wien): Traurige Trophäen? Photographie als Resonanz des Vergänglichen. Eine Analyse der Relation vom Dasein zur Vergänglichkeit über die Brücke der Photographie

Elena Gußmann (Berlin): Tote am lebendigen Leib und ewig lebende Tote. Was wir im Hinblick auf Folter und Märtyrertum über den Todesbegriff lernen können

Abschlussdiskussion