Götzenkammern. Entsorgung, Umdeutung und prämuseale Bewahrung vorreformatorischer Bildkultur im Luthertum (1518-1918)

Götzenkammern. Entsorgung, Umdeutung und prämuseale Bewahrung vorreformatorischer Bildkultur im Luthertum (1518-1918)

Organisatoren
Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Dresden; Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen gGmbH, Dresden
Ort
Weesenstein
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.03.2019 - 08.03.2019
Url der Konferenzwebsite
Von
Sophie Döring, Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., Dresden

Entgegen der populären Auffassung eines bilderarmen, ja bilderfeindlichen Protestantismus sieht sich die kulturhistorische Forschung mit der Tatsache konfrontiert, dass sich im deutschen Sprachraum gerade in lutherischen Gebieten bis in die Gegenwart mehr Artefakte spätmittelalterlicher Kirchenausstattungen erhalten haben als in katholischen Territorien. Im Verlauf der Frühen Neuzeit nicht selten aus ihren ursprünglichen kirchlichen Standorten und Bedeutungsgefügen herausgelöst, bildeten sie seit dem frühen 19. Jahrhundert die Objektgrundlage einer politisch und nationalhistorisch motivierten Museumsgründungswelle der bürgerlichen Altertumsvereine. Fragt man nach der Überlieferungsgeschichte dieser plötzlich vielerorts wiederentdeckten „altdeutschen Kunstaltertümer“, so stößt man auf ein kulturhistorisch bemerkenswertes und zugleich unerforschtes Phänomen, welches der zeitgenössische Begriff „Götzenkammer“ beschreibt. Ablesbar am Umgang mit den ererbten Bildobjekten erscheint die vormoderne Konfessionskultur als ein Ergebnis kultureller Umkodierungsprozesse wie Entsakralisierung, Entzauberung, Pädagogisierung, Historisierung und vielfältiger Traditionsneuschöpfungen. Anhand des mitteldeutschen Raumes als der Kernregion der Reformation bildete eine erste Erfassung, Beschreibung und Einordnung dieser Phänomene in verschiedenen Regionen für den Zeitraum des 16. bis 19. Jahrhunderts den Schwerpunkt der Tagung. Die Veranstaltung fand im Rahmen des gleichnamigen, von STEFAN DORNHEIM (Dresden) geleiteten, an der TU-Dresden beheimateten und durch die DFG finanzierten Forschungsprojektes statt.

Nach der Begrüßung durch die Leiterin des Schlosses Weesenstein ANDREA DIETRICH (Weesenstein) sowie dem geschäftsführenden Direktor des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde WINFRIED MÜLLER (Dresden) eröffnete der Leiter der Tagung Stefan Dornheim den ersten Konferenztag. Er betonte die Vielfältigkeit der Thematik, welche zu einem regen Interesse von Historikern, Kulturwissenschaftlern und Kunsthistorikern aber auch Restauratoren, Theologen, Archivaren und Museologen führe. Der interdisziplinäre Charakter der Veranstaltung eröffne verschiedene fachspezifische Perspektiven auf diverse Fragestellungen und Interpretationen, ohne die gemeinsamen Wurzeln der Fächer zu vernachlässigen.

Mit dem einleitenden Vortrag gab ENNO BÜNZ (Leipzig) einen Überblick über die Pfarrkirchenausstattung in Mitteldeutschland um 1500. Dabei spielte besonders die Identitätsstiftung durch die Pfarreien und Dorfkirchen eine große Rolle, welche durch die enge Symbiose der Dorfgemeinden, den jeweiligen Ortsherrschaften und den zuständigen Pfarrern stark regional bedingt gewesen sei. Während größere Altäre und Predigtstühle im Umbau der Kirchen deshalb meist wenig gefährdete Objekte darstellten, sei heute ein hoher Verlust von mobilen liturgischen Objekten wie etwa Fastentüchern oder Heiligengräbern zu verzeichnen, deren ursprüngliche Existenz nur aufgrund von fiskalischen Listen der Benefizien und Pfarreien nachvollziehbar bleibe.

MARTIN SLADECZEK (Erfurt) konnte diesen Eindruck bestätigen und leitete mit seinem Vortrag zum Umgang mit Altarretabeln in thüringischen Städten und Dörfern im 16. Jahrhundert die erste Sektion ein, die sich mit der religiösen Bildkultur im 16. Jahrhundert befasste. Der Umbau der thüringischen Kirchen äußerte sich ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts meist im Abbau von Altarretabeln an prominenten Stellen, der Abnahme von Teilelementen und der Ergänzung der Altäre durch Teile anderer Retabel, sowie im Umstellen von Heiligenfiguren oder deren Umgestaltung zu anderen biblische Figuren. Sladeczek zufolge seien diese Veränderungen mitunter durch Pfarrer und Gemeinde gemeinsam feierlich und liturgisch eingeführt worden und in den meisten Kirchen fanden nur marginale Änderungen statt.

Im Gegensatz dazu charakterisierte PETER KNÜVENER (Zittau) den Umgang mit vorreformatorischen Kirchenausstattungen in Brandenburg und den Lausitzen vor allem durch die Beseitigung von Seitenaltären in beinahe allen Dorfkirchen. Diese seien allerdings nicht vernichtet, sondern als Schenkungen an andere Orte und Klöster weitergegeben worden. Dennoch seien auch in der Mark Brandenburg und den Lausitzen Kompositretabeln erhalten, die durch Übereinandersetzung verschiedener Retabelteile aus unterschiedlichen Jahrhunderten Ergänzungen, Übermalungen und Fehlstellen aufwiesen. Auch hier sei besonders die Umgestaltung von Marien- und Heiligendarstellungen Kern der Änderungen gewesen, welche durch das Anmalen von Bärten, sowie der Ergänzung von Beifiguren oder neuen Attributen realisiert wurde.

KATEŘINA HORNÍĈKOVÁ (Wien / Budweis) beschrieb den Versuch der Utrakvisten in Böhmen zur Zeit der Konfessionalisierung, eine „Entzauberung“ der Bilder vorzunehmen. Ähnlich wie in Brandenburg sei es hier zu Schenkungen und der Weitergabe der Bildwerke gekommen, welche in einer äußerst kritischen Rezeption der hussitischen Bilderstürme begründet sei. Aufgrund des äußerst kleinteiligen und heterogenen Aufbaus der böhmischen Konfessionsregionen gestalte sich die Generalisierung des Umgangs mit den Objekten jedoch schwierig. Dennoch sei in diesem Zusammenhang speziell in Böhmen eine verordnete Toleranz zwischen Gemeinden unterschiedlicher Konfession herauszustellen.

BRUNO KLEIN (Dresden) stellte in seinem öffentlichen Abendvortrag die Frage nach dem „Recycling“ von Bauten und Bildern und spannte dabei einen weiteren Bogen von der Spolienverwendung im frühen Christentum bis zu umweltfreundlichen Recyclingkonzepten der Gegenwart. Die Wiederverwendung von Grabplatten als Stufen in Wendeltreppen während des Mittelalters fand ebenso Erwähnung wie die Übernahme von Türen oder die Existenz von Hybridobjekten im Kunsthandwerk während der Konfessionalisierung. In Anknüpfung an die vorangegangenen Vorträge bildeten Kleins Ausführungen zum Bilder- und Bautenrecycling eine inhaltliche Ergänzung und Abrundung des ersten Tags der Tagung.

Am zweiten Tag der Tagung leitete HARTMUT RITSCHEL (Dresden) die zweite Sektion zu Bedeutungen und Umdeutungen vorreformatorischer Bildkultur zwischen Reformation, Aufklärung und Romantik mit seinem Vortrag zu Aspekten der konfessionellen Kontinuität in sächsischen Kirchen ein. Auch in Sachsen seien vielerorts nur die Hauptaltäre, beziehungsweise deren Fragmente erhalten, wie sich beispielsweise in Zwickau, Annaberg und Plauen zeige. Interessant seien dabei aber auch Fälle wie die Annaberger Schöne Tür, welche aus einem verfallenen Kloster in die Kirche St. Annen übertragen wurde. In anderen Kirchen wie etwa der Schneeberger Wohlfahrts- oder der Leipziger Nikolaikirche sei hingegen eine Entfernung von Zierrat, die Umstellung von Altären und andere Umbaumaßnahmen ähnlich wie in Brandenburg, Thüringen und Böhmen feststellbar.

Einen ganz anderen Einblick in die Aufbewahrung wortwörtlich merkwürdiger Objekte gab STEFAN LAUBE (Berlin) durch die Vorstellung besonderer Exponate in Kunstkammern protestantischer Dynastien. Dabei stellte er unter anderem den sogenannten Püsterich des Schlosses Sondershausen sowie das Goldene Horn in Kopenhagen und ein Kopfreliquiar der Heiligen Elisabeth in Stockholm näher vor und charakterisierte deren Provenienzen. Auffällig sei in jedem der Fälle eine Unantastbarkeit der Objekte, die keine religiöse Bedeutung im eigentlichen Sinne darstelle, jedoch durch Ursprungslegenden und eine pseudo-sakrale Aufladung letztlich zu einer monastischen Identitätsstiftung geführt habe.

ULRIKE LUDWIG (Erlangen) beschrieb in ihrem Vortrag zum Umgang mit sakralen Objekten in magischen Praktiken der Frühen Neuzeit eine enge Verbindung zwischen christlichen Ritualen und dem Alltagsphänomen der weißen Magie. Interessanterweise seien dabei Unterschiede nicht im allgemeinen Umgang mit Magie, sondern in der Umsetzung bestimmter Zauber feststellbar – so konnte Ludwig den stärkeren Einsatz von Schrift im Luthertum auch in der Magie in den lutheranischen Gebieten nachweisen und Unterschiede in der Bewertung der Wirkmächtigkeit von Gottesdiensten exemplarisch belegen. Dennoch seien die Unterschiede marginal und exemplarisch aufzufassen und die Magie eher als weitgehend konfessionsunhabhängige Traditionslinie zu betrachten.

HARTMUT KÜHNE (Berlin) befasste sich anhand der Etablierung göttlicher Wunderzeichen im Luthertum um 1550 ebenfalls mit einem lutheranisch-typisch schriftlastigen Thema, welches er durch den Zugriff auf eine im 19. Jahrhundert erstellte Bibliographie zur Meteorologie in deutschen Flugschriften des 16. Jahrhunderts erschloss. Erstaunlich sei dabei vor allem die deutlich häufigere Rezeption meteorologischer Phänomene als Wunderzeichen im Protestantismus. Anhand verschiedener Beispiele wie etwa einem Tornado, verschiedenen Lichterscheinungen und eines Blitzschlags beschrieb Kühne die Wunderzeichenpublikationen als festen Teil sowohl des populären als auch des wissenschaftlichen Luthertums.

Nach einem durch Andrea Dietrich und BIRGIT FINGER (Weesenstein) geführten Rundgang durch das Schloss leitete MICHAEL KIRSTEN (Dresden) mit seinem Vortrag zum königlich-sächsischen Altertumsverein die letzte Sektion zur Wiederentdeckung kirchlicher Kunstaltertümer und den Anfängen der Denkmalpflege in Sachsen ein. Die Entwicklung bis hin zum heutigen Landesamt für Denkmalschutz sei Kirsten zufolge dabei eine sehr langwierige gewesen, welche durch einen erheblichen Mangel an Fachpersonal und Gesetzesgrundlagen, sowie erhebliche Strukturmängel gekennzeichnet gewesen und bis in das 19. Jahrhundert vor allem auf das private Engagement der Vereinsmitglieder zurückzuführen sei.

Eine inhaltliche Ergänzung und Weiterführung wurde durch Birgit Finger vollzogen, welche die Sammlung des Sächsischen Altertumsvereins genauer vorstellte. Nachdem das Palais im Großen Garten in Dresden als Ort für die museale Aufbewahrung der Vereinsobjekte bestimmt worden war, sei dort eine überaus vielfältige Sammlung entstanden, die neben Kunstgegenständen auch volkskundliche Exponate umschloss. Die Bergung, Restauration und Instandhaltung der Objekte seiendabei das vorrangige Ziel geblieben, dennoch seien beispielsweise auch kostenlose Besichtigung für die Bevölkerung und Publikationen zu den Exponaten realisiert worden. Mit der Auslagerung der Vereinssammlung während des Zweiten Weltkriegs unter anderem nach Pillnitz, Königstein, aber auch Weesenstein schloss sich an dieser Stelle der Kreis zum Ort der Veranstaltung.

Eine dem Altertumsverein in Dresden ähnliche Organisation stellte STEFAN THIELE (Chemnitz) in seinem Vortrag zum Verein für Chemnitzer Geschichte vor. Thiele unterstrich in Anknüpfung an seine beiden Vorredner die enge Zusammenarbeit zwischen dem Chemnitzer Verein und dem Altertumsverein in Dresden. Gerade Chemnitz habe seinem Verein aber vor allem eine detaillierte Erfassung und Katalogisierung der städtischen Architektur und insbesondere der örtlichen Kirchen zu verdanken, welche nicht zuletzt auch für ein Umdenken der Pfarrer hin zur Sammlung und Erhaltung ihrer ausgemusterten Objekte gesorgt habe.

FALK DIESSNER (Meißen) beendete mit seinen Analysen zur Romantisierung und Musealisierung der Stadt und Burg Meißen aufgrund des krankheitsbedingten Ausfalls André Thiemes den Vortragsteil der Tagung. Anhand verschiedenster Bildbeispiele aus einer bisher nicht gezeigten Privatsammlung von Meißner Veduten konnte Diessner die Rezeption der Stadt unter anderem durch verschiedene Schüler Johan Christian Clausen Dahls illustrieren. Zahlreiche Lithographien, aquarellierte Federzeichnungen und Gemälde zeigten Meißen als Sehnsuchtsort romantischer Künstler bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Die abschließende Diskussion, sowie auch die Diskussionen der einzelnen Vorträge hat deutlich gezeigt, dass ein engerer Austausch der einzelnen Disziplinen, aber auch der verschiedenen regionalen Initiativen vonnöten ist, um übergreifende Entwicklungen, Provenienzen und Praktiken erkennbar machen zu können. Aufgrund des stark regionalen Zugriffs der einzelnen Studien war es ein Verdienst der Tagung, den Umgang mit vorreformatorischer Bildkultur im Luthertum tatsächlich überregional vergleichbar und bewertbar zu machen. Verschiedene Tendenzen und Entwicklungslinien der Entsorgung, Umdeutung und prämusealen Bewahrung im Luthertum wurden in ihrer Explizität erst im Laufe der Tagung deutlich. Auch in den Diskussionen fand ein reger Austausch der spezifisch regionalen Beobachtungen statt. Abschließend bleibt zu wünschen, dass dieser Austausch auch nach der Tagung weiterhin fortgesetzt und zu weiteren interdisziplinären und überregionalen Studien zusammengeführt werden kann.

Konferenzübersicht:

Andrea Dietrich (Weesenstein) / André Thieme / Winfried Müller (beide Dresden): Begrüßung

Stefan Dornheim (Dresden): Einführung

Enno Bünz (Leipzig): Kirchenorganisation, Pfarrkirchenausstattung und Frömmigkeitspraktiken in Mitteldeutschland um 1500

Sektion I: Zwischen reformatorischem Wandel und Kontinuitätsansprüchen: Frömmigkeitspraxis und religiöse Bildkultur im 16. Jahrhundert

Martin Sladeczek (Erfurt): Ausräumen, stehenlassen, umgestalten? Der Umgang mit Altarretabeln in thüringischen Städten und Dörfern im 16. Jahrhundert

Peter Knüvener (Zittau): Aus alt mach neu. Der Umgang mit vorreformatorischen Kirchenausstattungen in Brandenburg und in den Lausitzen

Kateřina Horníčková (Wien / Budweis): „verstockte und verbitterte Ketzer, die die Kirche beraubt haben“ – Wechselnde Zugänge zur Kirchenausstattung in Böhmen zur Zeit der Konfessionalisierung

Bruno Klein (Dresden): Bauten und Bilder recycelt

Sektion II: Kultbild – Götzenbild – Kunstdenkmal. Bedeutungen und Umdeutungen vorreformatorischer Bildkultur zwischen Reformation, Aufklärung und Romantik

Hartmut Ritschel (Dresden): Bewahrung und Anpassung – Aspekte konfessioneller Kontinuität an sächsischer Kirchenausstattung

Stefan Laube (Berlin): Gefangene Götzen – Idyllische Idole. Besondere Exponate in Kunstkammern protestantischer Dynastien zwischen Entschärfung und Aufladung

Ulrike Ludwig (Erlangen): Bedeutung im Geheimen. Zum Umgang mit (vorreformatorischen) sakralen Objekten in magischen Praktiken in der Frühen Neuzeit

Hartmut Kühne (Berlin): Orkane – Explosionen – Visionen. Die Etablierung göttlicher Wunderzeichen im Luthertum um 1550 in Wort und Bild

Andrea Dietrich / Birgit Finger (beide Weesenstein): Schloss Weesenstein und Johann von Sachsen (1801–1873)

Sektion III: Dokumentieren, Konservieren, Musealisieren. Die Wiederentdeckung „kirchlicher Kunstaltertümer“ und die Anfänge der Denkmalpflege in Sachsen

Michael Kirsten (Dresden): Der königlich-sächsische Altertumsverein Dresden und die Anfänge der Denkmalpflege in Sachsen

Birgit Finger (Weesenstein): Himmelsfiguren. Die Sammlung des Sächsischen Altertumsvereins

Stefan Thiele (Chemnitz): Der Altertumsverein in Chemnitz und die Sicherung kirchlicher Kunstdenkmale in der Region

Falk Diessner (Meißen): Die Romantisierung Meißens als mittelalterlicher Sehnsuchtsort in der Malerei bis zum Ende des 19. Jahrhunderts

André Thieme (Dresden): Spätgotik im historistischen Kleid: Die Musealisierung der Albrechtsburg Meißen als Monument sächsischer Identität

Schlussdiskussion