Stadtrechte und Stadtrechtsreformationen

Stadtrechte und Stadtrechtsreformationen

Organisatoren
Andreas Deutsch, Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch, Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.04.2019 - 05.04.2019
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Von
Katharina Falkson / Ingrid Lemberg / Stefaniya Ptashnyk, Heidelberger Akademie der Wissenschaften

RechtshistorikerInnen, HistorikerInnen, SprachwissenschaftlerInnen und ArchivarInnen kamen im Rahmen dieser internationalen Tagung gleichermaßen zu Wort. Die über achtzig TeilnehmerInnen kamen aus Japan, Tschechien, Belgien, Italien, Frankreich, Österreich, der Schweiz und Deutschland.

Die Tagung beleuchtete erstmals in dieser Form die Stadtrechte und Stadtrechtsreformationen von der Wende zur Neuzeit bis ca. 1600. Um die Besonderheiten dieser Quellengattung besser zu erfassen, wurden nach zwei einführenden Vorträgen zunächst schlaglichtartig mittelalterliche Stadtrechte vorgestellt. Danach wurden einzelne Stadtrechte der Frühneuzeit thematisiert. Bislang ging man davon aus, dass die Stadtrechtsreformationen vom römischen Recht durchdrungen gewesen seien, weil das an den italienischen Universitäten seit dem 12. Jahrhundert gelehrte römische Recht insbesondere seit dem 15. Jahrhundert in weiten Teilen Deutschlands rezipiert wurde. Wie sich auf der Tagung zeigte, behandeln die Stadtrechtsreformationen jedoch deutlich weniger römisches Recht als angenommen.

Städtisches Recht gab es, wie GERHARD KÖBLER (Innsbruck) festhielt, seitdem es Städte gab. Die ersten Stadtrechte im Reich entstanden vor rund 900 Jahren (etwa Freiburg 1120) in Latein, erste deutsche Texte folgten ein Jahrhundert später. Als erste Stadtrechtsreformation gilt die Reformacion der Statut und Gesetze […] der Stat Nüremberg von 1479. Köbler verwies darauf, dass das deutsche Wort „Reformation“ bereits 1437 für die „Arnsberger Reformation“ der Femegerichtsbarkeit verwendet wurde. Es stehe einerseits für Erneuerung, andererseits für die Wiederherstellung der „guten alten Ordnung“.

Der Rechtshistoriker GERHARD DILCHER (Frankfurt am Main) untersuchte die italienischen Stadtstatuten des Mittelalters. Er betonte deren Andersartigkeit im Vergleich zu Deutschland, wobei sich hinsichtlich der Statuten etwa in Bezug auf die anfänglich mündliche Rechtsüberlieferung und die Regelung fast ausschließlich städtischer Rechtsmaterien (unter Auslassung des römischen Rechts) auch Parallelen ergäben. Im Fokus des Vortrags standen einige typische Stadtkommunen Oberitaliens. Das römisch-justinianische Recht galt dort seit 1158 (Roncaglia) als Rechtsgrundlage; insbesondere seit dem Konstanzer Frieden 1183 wurde auch kommunales Gewohnheitsrecht anerkannt. Frühe Statuten legitimierten sich als Aufzeichnung von Gewohnheit (Pisa ca. 1160, Mailand 1216). Seit dem 14. Jahrhundert wurden die Rechtsetzungen dann in großen Statutenkodizes zusammengefasst.

Die zweite Tagungssektion handelte von mittelalterlichen Stadtrechten und deren Quellen. So erläuterte der Germanist AREND MIHM (Duisburg-Essen), warum das Stadtrecht der mittelalterlichen Metropole Köln erst ausgesprochen spät, nämlich 1437, schriftlich fixiert wurde. Laut Mihm ist von einer vorhergehenden, über viele Jahrhunderte funktionierenden mündlichen Rechtsüberlieferung auszugehen. Das mündliche System war im Rechtsalltag und selbst vor Gericht so funktionsfähig, dass an eine Verschriftlichung lange nicht gedacht wurde. Als 1437 dann doch statuiert wurde, beschränkte man sich auf die Regelung strittiger Themen. Hintergrund dürfte ein wachsendes Bedürfnis der Städter nach größerer Rechtssicherheit gegenüber Erzbischof und König gewesen sein. Mehrfach gedruckt, blieb das Stadtrecht im Kern bis 1792 gültig.

Der Rechtshistoriker BERND KANNOWSKI (Bayreuth) stellte das „Magdeburger Weichbild“ vor, eine bislang wenig erforschte Quelle jenes Magdeburger Rechts, mit dem hunderte Städte vornehmlich Mittel- und Osteuropas im Laufe des Mittelalters bewidmet wurden. Mangels einer modernen Edition habe sich die Forschung seit einer Untersuchung durch Ernst Theodor Gaupp (1826) nicht mehr intensiv mit dem Weichbild befasst. Gaupps Analyse, das Weichbild sei nicht aus einem Guss, sei zuzustimmen. Die ersten 22 Artikel bildeten eine Einheit, die mit Gaupp als „kleines Rechtsbuch“ bezeichnet werden könne. Dahinter folge eine Zusammenfassung verschiedener Schöffensprüche, die namentlich gegenüber dem ersten Teil Widersprüche aufweisen. Dies belege, dass keine einheitliche Redaktion vorliege. Das Weichbild sei dann später von einem Kenner des gelehrten Rechts glossiert worden.

Thematisch schloss hieran der Vortrag von KATALIN GÖNCZI (Magdeburg) unmittelbar an. Die Rechtshistorikerin erforscht in der Arbeitsstelle „Sächsisch-magdeburgisches Recht“ der Sächsischen Akademie der Wissenschaften die Beeinflussung osteuropäischer Rechtsordnungen durch den Sachsenspiegel und das Magdeburger Recht. Auf der Tagung konzentrierte sie sich auf das Königreich Ungarn, wo zahlreiche Städte Magdeburger Recht übernahmen. Als Beispiel nannte Gönczi die deutschsprachigen Stadtrechtsbücher von Sillein (1378) und Ofen (Budapest, 1402/39). Römisches Recht wurde dagegen lange nur indirekt rezipiert, da es in Ungarn keine Universität gab. Allerdings zeigt das Stadtrechtsbuch von Kirchdrauf (1623) Ansätze einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung.

Der dritte und größte Block der Tagung bezog sich auf die Stadtrechtsreformationen und deren Epoche. Die Spezialistin für historisch-kulturwissenschaftliche Informationsverarbeitung ALMUTH BEDENBENDER (Heidelberg) stellte anhand der Stadtrechtsreformationen ein von ihr entwickeltes elektronisches Verfahren zur Ermittlung von Textähnlichkeiten in historischen Rechtstexten vor. Das Verfahren sei speziell für nicht normierte Sprachen mit starker Schreibungsvarianz entwickelt worden, bei denen gewöhnliche Plagiatssoftware versage. Bedenbender kombinierte eine Recherche buchstabengenauer Übereinstimmungen mit einem in der Tradition von Soundex stehenden Codierungsverfahren, das Buchstaben mit vermutlich ähnlichem Lautwert durch gleiche Codezeichen ersetzt. Wie Bedenbender an Beispielen1 erläuterte, sind nicht alle Übereinstimmungen auf eine direkte Abhängigkeit eines Textes vom anderen zurückzuführen. Ebenso möglich sei die Verwendung gemeinsamer Vorlagen oder der Gebrauch zeittypischer Rechtsformeln. Ziemlich eindeutig fußten aber beispielsweise die Heilbronner Statuten (1541) auf den Stadtrechtsreformationen von Worms (1498) und Freiburg im Breisgau (1520).

Am Anfang eines chronologischen Überblicks zu ausgewählten Stadtrechtstexten stand ein Blick auf die vier Nürnberger Reformationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Der Stadtarchivar und Historiker WALTER BAUERNFEIND (Nürnberg) betonte die Vorreiterrolle der Nürnberger Reformation von 1479: Die Veröffentlichung im Druck (1484) als allgemeinverständliches Werk habe bewirkt, dass der Text auch außerhalb Nürnbergs rezipiert wurde. Die Bezeichnung als Reformation wurde prägend für nachfolgende Stadtrechtserneuerungen. 1475 wird das Projekt der Reformation erstmals erwähnt. Es sollte nicht zuletzt einer rechtlichen Absicherung gegen Einflussnahmen des Bamberger Bischofs und dessen Gerichtsbarkeit dienen. Zur Erarbeitung berief der Innere Rat eine Fachkommission, der Hans Pirckheimer und Peter Nützel angehörten. Im Kern sollte diese Reformation alles regeln, was das kaiserliche Recht nicht enthielt; heimisches Recht wurde gesichtet und behutsam mit römischem Recht verbunden.

Der zweite Blick auf das Nürnberger Recht galt der Sprache der Stadtrechtsreformation von 1479: MANSHU IDE (Tokio) betonte die sprachliche Modernität dieses Textes. Diese zeige sich in der Vielzahl deverbaler Substantive auf „-ung“ und „-en“, in der Position des nachgestellten Genitivattributs, in den Funktionsverbgefügen und im prädominanten Nominalstil. Besonders auffällig seien dreigliedrige Nominalphrasen, die vor allem in den Überschriften begegnen; sie boten komprimierte Informationen. Ide räumte ein, dass dieser Stil keine Nachfolge fand. Dies liege wohl an der fehlenden Eindeutigkeit der dreigliedrigen Konstruktion; besonders bei doppeltem Genitivattribut seien die Referenzen nicht klar.

Der dritte Blick auf die Nürnberger und andere Stadtrechtsreformationen erfolgte aus rechtsikonographischer Sicht. Zahlreiche der gedruckten Stadtrechtsreformationen sind durch aufwändige Holzschnitte verziert, deren Bildprogramm ANDREAS DEUTSCH (Heidelberg) erläuterte. Oft handele es sich um Werke namhafter Künstler wie Jost Ammann, Albrecht Dürer, Hans Holbein d. J., Hans Weiditz oder Michael Wolgemuth. Abgebildet seien zunächst vor allem Wappen, womit der amtliche Charakter betont werde. Die Darstellung von Gottvater, Gottessymbolen oder Stadtheiligen diene der religiösen Legitimation. Die Abbildung von Herrscherpersönlichkeiten hob demgegenüber die weltliche Autorität hervor. Seit Dürers Titelblatt zur Nürnberger Reformation von 1522 begegneten dem Betrachter zudem Allegorien wie Justitia oder Liberalitas.

Der frühere Landesarchivdirektor FRIEDRICH BATTENBERG (Darmstadt) befasste sich mit der Wormser Reformation von 1498/99. Trotz markanten Entleihungen aus dem römischen Recht handele es sich dabei zuallererst um eine Überarbeitung und Festschreibung des älteren Wormser Stadtrechts mit dem Ziel, die Stellung des Magistrats gegen Einflussnahmen des Hochstifts und anderer kirchlicher Institutionen zu verteidigen. Die Wormser Reformation erfuhr in der Folgezeit mehrere Druckausgaben, wobei sich die Straßburger und Frankfurter Drucke an ein reichsweites Publikum richteten; so mutierte die Reformation zu einer Mustervorlage für Stadtrecht an sich.

Der BGH-Anwalt WENDT NASSALL (Karlsruhe), der über die praktische Anwendung des Freiburger Stadtrechts von 1520 promoviert hat, skizzierte die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieser von Ulrich Zasius verfassten Stadtrechtserneuerung. Nassall betonte, dass Zasius nicht nur Gelehrter, sondern als Stadtschreiber auch ein Mann der Praxis war, und dass sich die Stadtrechtsreformation auf der Basis des älteren Stadtrechts (insbesondere von 1120 und 1293) vor allem um praktikable Lösungen bemühte. Hervorzuheben sei auch die sprachschöpferische Leistung von Zasius, der an die Stelle lateinischer Fachtermini (wie Adoption) Lehnübersetzungen (wie Anwünschung) setzte.

Während die meisten auf der Tagung vorgestellten Stadtrechte aus großen und bedeutenden Städten stammen, präsentierte der Rechtshistoriker KLAUS-PETER SCHROEDER (Heidelberg) die 1544 gedruckte Stadtrechtsreformation des kleinen Wimpfen, das als alte Königspfalz zwar seine reichsstädtische Unabhängigkeit behaupten konnte, aber ganz im Schatten der benachbarten mächtigen Reichsstadt Heilbronn stand. Angeregt durch die Schaffung einer Heilbronner Stadtrechtsreformation (1541 durch den Syndikus Dr. Jakob Ehinger), entstand basierend auf älterem Stadtrecht ein systematisiertes Statut; römisch-rechtliche Einflüsse blieben aber gering. Initiator der Reformation dürfte der Wimpfener Oberhof gewesen sein, der seine regionale Bedeutung zu behaupten suchte.

Der Historiker und Stadtarchivdirektor JOHANNES LASCHINGER (Amberg) zeichnete die Stadtrechtsentwicklung der oberpfälzischen Residenzstadt Amberg nach. 1294 bestätigte Herzog Rudolf I. ein auf Herzog Ludwig II. zurückgehendes Stadtrecht. Noch im 14. Jahrhundert entstand eine eher unsystematische Sammlung städtischer Rechtssätze. In der Folge des Amberger Aufruhrs 1453/54 beschloss der Rat zur Manifestation der eigenen Befugnisse und zur Sicherung des Rechtsfriedens ein Eid- und Gesatzbuch. Ein Jahrhundert später beauftragte der Rat den Stadtschreiber Bernhard Büchelmair mit der Abfassung des neuen Gesatzbuchs, einer systematisierten Zusammenfassung des alten Rechts mit Anpassungen und Ergänzungen. Das Werk erschien 1554 im Druck. Die Revision des Gesatzbuchs um 1580 wurde hingegen nicht gedruckt.

Die Germanistin und Historikerin HEIKE HAWICKS (Heidelberg) befasste sich mit niederrheinischen Stadtrechten. Im Mittelalter bestanden dort mehrere Stadtrechtsfamilien mit entsprechenden Oberhofzügen, etwa rund um Kleve und Neuss. Die Situation in der Frühen Neuzeit war hochkomplex, da Mutter- und Tochterstädte zum Teil in unterschiedlichen Territorien lagen. Die Territorialherrschaften suchten diese Strukturen aufzubrechen, um eine territoriale Rechtsvereinheitlichung zu erreichen. Die Referentin ging exemplarisch auf Duisburg ein, wo es 1513 zu Bürgerunruhen kam. In Reaktion hierauf sei es 1518 zur Abfassung des neuen Stadtrechts gekommen, redigiert durch einen juristisch gebildeten Stadtsekretär, der sich im Aufbau an den römischen Zwölftafeln orientierte.

Den Einfluss kaufmännischer Sonderinteressen auf die beiden Frankfurter Stadtrechtsreformationen thematisierte die Rechtshistorikerin ANJA AMEND-TRAUT (Würzburg). Beide Reformationen seien vom ius commune geprägt, doch gebe es davon weitgehend unberührte Bereiche im Markt-, Handels-, Prozess- und Beweisrecht – so zugunsten der als Kaufleute aktiven Patrizier. Mit Gründung des Reichskammergerichts 1495 in Frankfurt und dem damit verbundenen vermehrten Auftreten studierter Juristen habe der Einfluss des ius commune auf die Frankfurter Gerichtspraxis zugenommen. Die Reformation von 1509 sollte hierdurch entstandene Rechtsunsicherheiten ausräumen. Die 1500 einberufene Kommission habe sich unter anderem an der Nürnberger Reformation orientiert. Anders als in Nürnberg wurde das Gesellschaftsrecht aber weitgehend ausgeklammert, um den Kaufleuten die Möglichkeit umfassender Privatverträge zu erhalten. Auch in der umfangreicheren Reformation von 1578 herrsche im Handelsrecht heimisches Recht vor.

Der Rechtshistoriker CHRISTOPH BECKER (Augsburg) stellte sich die Frage, warum es in Augsburg keine (regelrechte) Stadtrechtsreformation gegeben hat. Grundlage der Augsburger Rechtspraxis waren noch in der Frühen Neuzeit das lateinische Stadtrecht von 1156 sowie die mittelhochdeutschen Statuten von 1276, die man über die Jahrhunderte fortgeschrieben hatte. In der Rechtspraxis fand daneben das gemeine Recht Anwendung, sodass ein funktionsfähiges Rechtssystem vorlag. Dennoch gab es auch in Augsburg das Projekt einer Stadtrechtsreformation; Stadtsyndici sichteten das unübersichtlich gewordene alte Recht. Am Ende stand 1596 ein auf Dr. Georg Tradel zurückgehender Entwurf für eine Stadtrechtsreformation. Dann aber fehlte der von Religionskämpfen und Finanzkrisen gebeutelten Stadt die Kraft zur Umsetzung. Der Reformationsentwurf wurde jedoch verwaltungsintern in Gebrauch genommen.

Der Stadtarchivar PETR KREUZ (Prag) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der 1579 abgeschlossenen Kodifikation des Prager Stadtrechts durch den studierten Juristen und Stadtschreiber der Prager Altstadt Pavel Kristian von Koldin. Unter Einbeziehung römischen Rechts vereint das auf Tschechisch verfasste Statut älteres Altprager Recht, böhmische Stadtrechte (insbesondere von Iglau und Brünn) und böhmisches Landrecht. Koldins älteste Altprager Quelle war das deutschsprachige sogenannte Ottokarsche Recht (1269), das laut Kreuz entgegen der älteren Forschung kein auf König Ottokar II. zurückgehendes Stadtrecht sei, sondern eine Kompilation aus Brünner-Iglauer und Magdeburger Recht. Weitere Quellen waren die Statuten der Prager Altstadt (ab 1314) und die sogenannten Schöffenrechte (um 1380). Da Koldin kaum Deutsch konnte, griff er jeweils auf lateinische und tschechische Textfassungen zurück.

ALBRECHT CORDES und SONJA BREUSTEDT (beide Frankfurt am Main) untersuchten drei Stadtrechtstexte aus der Zeit um 1600: die Lübecker Statuta von 1586, die Hamburger Statuta von 1603/05 und den Bremer Entwurf eines Verbeterden Stadtbooks von 1606. Bei keinem der Texte sei eine gezielte Romanisierung zu beobachten. Ziel des Lübecker Magistrats sei lediglich eine Modernisierung des Rechts gewesen; Abweichungen vom sächsischen und kaiserlichen Recht seien bewusst beibehalten worden. Auch in Hamburg habe man vornehmlich altes Recht revidiert – unter Heranziehung süddeutscher Stadtrechtsreformationen. Der (nie umgesetzte) Bremer Entwurf versuchte eine Verschmelzung von ius commune, Sachsenspiegelrecht und Hamburger Recht unter gleichzeitiger Anlehnung an das Landrecht der wie Bremen reformierten Kurpfalz.

Die 1622 erfolgte Stadtrechtskodifikation im belgischen Löwen (Leuven) stellte der Rechtshistoriker STEPHAN DUSIL (Leuven) vor. Das Löwener Stadtrecht stand (samt dem Schöffenstuhl) seit dem 12. Jahrhundert in hohem Ansehen. Zu einer Kodifizierung kam es aber erst aufgrund einer Anordnung Kaiser Karls V., der 1531 eine Aufzeichnung der Brabanter Rechtsgewohnheiten befahl. Die Rechte sollten nach einer Redaktion durch örtliche Autoritäten der Regierung vorgelegt und von dieser autorisiert werden, was man Homologation nannte. Offenbar verzögerten die lokalen Obrigkeiten aber die Umsetzung. So kam es in Leuven zwar zu mehreren Entwürfen, aber erst 1622 konnten die „Costuymen“ in Kraft treten. Anders als etwa in Antwerpen spielt das römische Recht im Löwener Stadtrecht eine nur untergeordnete Rolle.

Insgesamt lieferte die Tagung ein sehr viel differenzierteres Bild von den Stadtrechtsreformationen als es bislang vorlag. Die Forschung wird sich neue Gedanken machen müssen, was die typischen gemeinsamen Merkmale dieser Rechtsquellengattung sind. Vielleicht liefert der geplante Tagungsband erste Antworten. Das Verhältnis der Stadtrechtsreformationen zu den Landrechtsreformationen soll außerdem Thema einer Tagung im März 2021 sein.

Konferenzübersicht:

Peter Graf Kielmansegg (Altpräsident der Heidelberger Akademie der Wissenschaften): Grußwort

Eine thematische Annäherung

Gerhard Dilcher (Frankfurt am Main): Italienische Stadtstatuten des Mittelalters. Verfassungsgrundlage, Regelungsmaterien, gelehrte Rechtskultur

Gerhard Köbler (Innsbruck): Stadt, Stadtrecht und Stadtrechtsreformation

Mittelalterliche Stadtrechte – Aufzeichnung hergebrachten Rechts oder frühe Beispiele für eine Rezeption

Arend Mihm (Duisburg-Essen): Kölner Stadtrechte und die Funktion ihrer mittelalterlichen Aufzeichnungen

Bernd Kannowski (Bayreuth): Zu Struktur und Glossierung des Magdeburger Weichbildrechts

Katalin Gönczi (Magdeburg): Von Magdeburg nach Ofen. Rechtsverbindungen zur Zeit der städtischen Rechtsaufzeichnungen im mittelalterlichen Königreich Ungarn

Die Stadtrechtsreformationen – Zu Entstehung, Vorlagen, Quellen, Inhalt und Fortwirken

Almuth Bedenbender (Heidelberg): Zu textuellen Beziehungen und Abhängigkeiten von Stadtrechtsreformationen

Walter Bauernfeind (Stadtarchiv Nürnberg): Die Stadtrechtsreformationen der Reichsstadt Nürnberg

Manshu Ide (Tokio): Die sprachliche Modernität des reformierten Stadtrechts – dargestellt am Beispiel der Reformation der Stadt Nürnberg von 1479/84

Andreas Deutsch (Heidelberg): Zum Bildprogramm auf den Titelblättern der gedruckten Stadtrechtsreformationen

Johannes Friedrich Battenberg (Darmstadt): Die Wormser Reformation von 1498/99

Wendt Nassall (Karlsruhe): Das Freiburger Stadtrecht des Ulrich Zasius von 1520 und seine praktische Anwendung

Klaus-Peter Schroeder (Heidelberg): Die Wimpfener Stadtrechtsreformation von 1544

Johannes Laschinger (Archivdirektor, Amberg): Die Reformationen des Amberger Stadtrechts

Heike Hawicks (Heidelberg): Mittelalterliche Stadtrechtsfamilien am Niederrhein und die Vereinheitlichung des Rechts als Herausforderung der Landesherrschaft im 16. Jahrhundert

Anja Amend-Traut (Würzburg): Kaufmännische Sonderinteressen und ihr Einfluss auf die Frankfurter Stadtrechtsreformationen von 1509 und 1578

Christoph Becker (Augsburg): Über fehlgeschlagene Versuche einer Augsburger Stadtrechtsreformation

Petr Kreuz (Prag): Pavel Kristián von Koldíns Prager Stadtrechtsbuch von 1579 im Vergleich mit dem mittelalterlichen Altprager Stadtrecht

Albrecht Cordes / Sonja Breustedt (beide Frankfurt am Main): Die späten Stadtrechtsreformationen im Hanseraum

Stephan Dusil (Leuven): Zum Einfluss des gelehrten Rechts auf Brabanter Stadtrechte: Das Beispiel Leuven

Peter König (Heidelberg): Zusammenfassung

Öffentliche Abendveranstaltung
Thomas Wilhelmi / Max Graff (beide Heidelberg): Mandate wider das Zutrinken
(musikalisch umrahmt durch das Ensemble für Alte Musik _I Ciarlatani unter der Leitung von Johannes Vogt_)
Organisation: Christina Kimmel-Schröder

Führung durch die Forschungsstelle des Deutschen Rechtswörterbuchs

Anmerkungen:
1 Beispiele aus dem Corpus von https://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drqedit-cgi/zeige (13.05.2019).