Religiöses Leben in Oberschwaben um 1500

Religiöses Leben in Oberschwaben um 1500

Organisatoren
Sigrid Hirbodian, Universität Tübingen; Sabine Holtz, Universität Stuttgart; Petra Steymans-Kurz, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Ort
Weingarten
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.03.2019 - 30.03.2019
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Von
Annika Zöll, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart

Das religiöse Leben um 1500 steht in der Forschung häufig im Schatten der Reformation und der sich anschließenden Konfessionalisierung. Anlässlich des Reformationsjubiläums im Jahr 2017 entstand die Idee, das religiöse Leben Oberschwabens um 1500 ins Zentrum einer Tagung zu stellen. Abseits von Verfallshypothese und Reformationsauslösern sollte der Facettenreichtum des religiösen Lebens in Oberschwaben beleuchtet und in seinen vielfältigen Ausformungen im Kloster, in der Stadt und auf dem Land interdisziplinär diskutiert werden.

Nach der Eröffnung der Tagung durch PETRA STEYMANS-KURZ (Stuttgart) führte SABINE HOLTZ (Stuttgart) in die Thematik ein, indem sie auf die zahlreichen religiösen Denkmale aus der Zeit um 1500 verwies, die sich noch heute in Oberschwaben finden lassen. Mit einem solchen Befund an materiell gewordener Frömmigkeit sollte die Vielfältigkeit des religiösen Lebens Oberschwabens um 1500 aufgezeigt werden.

Die erste Sektion eröffnete AGNES SCHORMANN (Tübingen), die das stiftische Leben Oberschwabens vorstellte. Sie betonte besonders die hohe Variabilität des Lebens der weltlichen Stiftsdamen, die alle in ihrem individuellen Selbstverständnis gewürdigt werden müssten. Nicht abzustreiten sei, so resümierte sie, dass sich die Stiftsdamen als geistlich lebende Frauen verstanden, die sehr großen Wert auf Gebet und Frömmigkeit legten. Gleichzeitig handelte es sich jedoch auch um Frauen, die eine wichtige Rolle in der weltlichen Politik (u. a. als Reichsfürstinnen) oder in den Familienbanden (ein Austritt aus dem Stift war nicht ausgeschlossen) spielten.

Auf diesen einführenden Überblicksvortrag aufbauend stellte EDWIN ERNST WEBER (Sigmaringen) das regulierte Augustinerchorfrauenstift in Inzigkofen vor, welches im 16. Jahrhundert von der Auseinandersetzung um die Observanz und die weibliche Erlebnismystik geprägt war. Zum Schluss ergänzte Weber, dass sich Inzigkofen von einem vorrangig adeligen Stift über eine verstärkte Observanz mit strenger Klausur hin zu einem Stift mit sehr geringer adeliger Präsenz entwickelt habe. Für Adelshäuser scheint es daher elementar gewesen zu sein, mit den Familienmitgliedern im geistlichen Stand unkomplizierten Umgang pflegen zu können.

WILFRIED SETZLER (Tübingen) lenkte mit seinem Vortrag den Fokus auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klosterlebens um 1500 und stellte den Klosterstaat Zwiefalten vor. Er präsentierte, wie das Kloster geschickt seine Herrschaft und Besitz verwaltete, unter welchen Bedingungen seine Bewohner lebten und zeigte eine Verbindung zwischen der wirtschaftlichen und der geistig-kulturellen Blüte im 1500 Jahrhundert auf.

In der zweiten Sektion zeigte DOMINIK SIEBER (Freiburg) auf, dass die Sorge für das Seelenheil, insbesondere die Totenfürsorge in der Stadt einen großen Schwerpunkt im religiösen Leben ihrer Bewohner bildete. Eine intensive Sterbevorbereitung und eine Grabstätte in oder in der Nähe von Sakralräumen, habe bis zur Reformation fest zur städtischen Frömmigkeit gehört.

Mit ANDREA RIOTTE (Biberach) kam eine konkrete Form städtischen religiösen Lebens zur Sprache: das Spital. Riotte konnte zeigen, dass religiöses Leben im Spital in Form von Mess-, Gebets- und Predigtzeiten einen großen Raum einnahm, sich das Ideal jedoch um 1500 vom allgemeinen Armen aus hin zum in Not geratenen Mitbürger verschob. Pfründzahlungen lösten so die Bezahlung mit Gebetsleistungen langsam ab.

EVA LEISTENSCHNEIDER (Ulm) schloss sich den bisherigen Ausführungen an und nahm nicht die Institutionen religiösen Lebens selbst in den Blick, sondern präsentierte die Stifter und Donatores der Stadt Ulm. Sie konnte aufzeigen, dass Kunstwerke zum Schmuck von Altären und Kirchen in Ulm vor allem in der zweiten Hälfte des 15. und im frühen 16. Jahrhundert in großer Zahl in Auftrag gegeben wurden; die Ulmer Bildhauer- und Malerwerkstätten erlebten in dieser Zeit ihre größte Produktivität und künstlerische Blüte. Sie stellte die These auf, das Patriziat habe konservativere Ikonographien bevorzugt und einige zünftige Kaufleute Darstellungsweisen favorisiert, die den Donator zum Bestandteil des religiösen Bildgeschehens werden lassen und in Ulm bislang nicht gebräuchlich waren.

Eine regionale Sonderform der fluiden und anpassungsfähigen beginischen Lebensform stellte BARBARA BAUMEISTER (Augsburg) ins Zentrum ihres Vortrags. Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden im Rahmen bürgerlicher Seelgerätstiftungen in den ostschwäbischen Städten sogenannte Seelhäuser, die kleineren Gemeinschaften von frommen Frauen Unterkunft und Auskommen gewährten. Diese Frauengemeinschaften gingen im Spannungsfeld von Memoria, Caritas und Laienspiritualität im Laufe des 15. Jahrhunderts unterschiedliche Wege. Sie fielen der städtischen Armenpflege zu und wurden in kommunale Fürsorgeeinrichtungen umgewandelt ohne allerdings ihren religiösen Charakter ganz zu verlieren oder gingen den Weg der Verklösterlichung.

LORENZ ENDERLEIN (Tübingen) beendete die Sektion mit seinem Vortrag, in dem er die Ausstattung der Franziskanerkirche St. Luzen in Hechingen analysierte. Das Programm der Kirche rekurriere nicht zuletzt auf die seit dem 15. Jahrhundert verbreiteten „topographischen Wallfahrtsheiligtümer“, die dem Bedürfnis nach imitativer Frömmigkeit entgegenkamen. Zugleich wurde untersucht, inwieweit in St. Luzen das Gesamtkonzept einer gegenreformatorischen Residenzgründung Ausstattung und Architektur mitbestimmte.

Die dritte Sektion eröffnete JÖRG WIDMAIER (Tübingen), der sich mit verschiedenen Ebenen religiöser Aneignung von Landschaft unter dem Stichwort „Sakralisierung der Landschaft“ beschäftigte. Ausgehend von jenen Zeugnissen, die die oberschwäbische Landschaft seit dem Spätmittelalter und bis weit in die Neuzeit hinein prägten und sich trotz oder gerade aufgrund von Umbrüchen wie der Reformation, der Säkularisation oder der Industrialisierung erhalten haben, formulierte Widmaier die These, die oberschwäbische Kulturlandschaft habe Zeugnischarakter als sakral durchwobener Raum.

Mit ENNO BÜNZ (Leipzig) kam die Pfarrei als die unterste Ebene des kirchlichen Lebens, auf der die meisten Menschen im Alltag mit der Amtskirche in Berührung kamen, in das Blickfeld der Tagung. Ein besonderes Augenmerk legte er auf die Frage, in welchem Maße die Laien die Pfarrei als Institution mitprägten und das kirchliche Leben mitgestalteten.

VOLKER TRUGENBERGER (Sigmaringen) rundete das Vortragsprogramm der Tagung durch die Betrachtung spätmittelalterlicher Frömmigkeit schwäbischer Hochadelsfamilien ab. Der Adel hatte aufgrund seiner sozialen und politischen Stellung sowie seiner wirtschaftlichen Potenz sehr viel mehr Möglichkeiten, persönliche Frömmigkeit auszudrücken, Frömmigkeitsformen anderer zu unterstützen oder in deren religiöses Leben einzugreifen. Adelige übernahmen Kontrollfunktionen für die kirchliche Ordnung, gaben Söhne und Töchter in den geistlichen Stand, gründeten standesübergreifende Bruderschaften und stifteten Kirchen und sakrale Ausstattung. Die Frage nach der persönlichen Frömmigkeit einzelner Adeliger konnte nicht trennscharf beantwortet werden, da sich private Frömmigkeit und Repräsentation nicht eindeutig trennen lassen.

Statt eines lange Zeit angenommenen Niedergangs des religiösen Lebens um 1500, haben die Vorträge eine lebendige Vielfalt, eine hohe Relevanz und eine starke institutionelle Präsenz von Religiosität für die Region Oberschwaben um 1500 gezeigt. Vielleicht, so das Resümee zum Abschluss von SIGRID HIRBODIAN (Tübingen), lag gerade darin die Sprengkraft, die zu Reformation und Bauernkrieg geführt hat.

An den drei thematischen Sektionen wurde deutlich, wie facettenreich das religiöse Leben am Vorabend der Reformation sich in der Region Oberschwaben präsentierte. Durch die interdisziplinären Vorträge konnten zudem einschlägige Phänomene vielschichtig beleuchtet werden. Angeregte Diskussionen im Anschluss an die einzelnen Vorträge zeigten das große Interesse an dieser noch wenig eigenständig beleuchteten Zeit und führten zudem immer wieder Forschungsdesiderate vor Augen. Eine Publikation der Tagungsergebnisse ist in der Reihe „Oberschwaben – Forschungen zu Landschaft, Geschichte und Kultur“ geplant.

Konferenzübersicht:

Sektion „Klöster“
Moderation: Petra Steymans-Kurz (Stuttgart)

Agnes Schormann (Tübingen): „Gott zu lob und den seelen die ir almusen her geben habenndt zu trost unnd hilf“ Stiftisches Leben in Oberschwaben

Moderation: Maria Magdalena Rückert (Ludwigsburg)

Edwin Ernst Weber (Sigmaringen): Zwischen Reform und Reformation. Wege der Frömmigkeit im Augustinerchorfrauenstift Inzigkofen im 16. Jahrhundert

Wilfried Setzler (Tübingen): „Zu unserer armen lüt und unseres gotzhuß nutz und gutem“ Der Klosterstaat Zwiefalten um 1500

Sektion „Städte“
Moderation: Dietmar Schiersner (Weingarten)

Dominik Sieber (Freiburg): „[…] der Lüeben Seel zue Trosst und Hülff“ Spätmittelalterliche Frömmigkeit und Totenfürsorge in den Reichsstädten Oberschwabens

Andrea Riotte (Biberach): „Gott zuo lob und den armen durfftigen zuo guott“ Das „Gotshus“ Spital zum Heiligen Geist in Biberach

Moderation: Sabine Holtz (Stuttgart)

Eva Leistenschneider (Ulm): Der Stifter ist im Bild. Altar- und Kunststiftungen in Ulm und Oberschwaben

Barbara Baumeister (Augsburg): Meomoria, caritas und fromme Frauen. Überlegungen zu den ostschwäbischen Seelhausstiftungen im Spätmittelalter

Lorenz Enderlein (Tübingen): Rom in Hohenzollern. Die Ausstattung der Franziskanerkirche St. Luzen in Hechingen

Sektion „Land“
Moderation: Sigrid Hirbodian (Tübingen)

Jörg Widmaier (Tübingen): Sakralisierung der Landschaft. Zum historischen Quellenwert des Denkmalbestandes in Oberschwaben

Enno Bünz (Leipzig): Pfarrei und Seelsorge auf dem Land. Beobachtungen in Oberschwaben vor der Reformation

Volker Trugenberger (Sigmaringen): „alle tag zwaimal zu kirchen“ Formen spätmittelalterlicher Frömmigkeit bei schwäbischen Hochadelsfamilien


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