The Frankfurt Jewish Community and Its Early Modern Surroundings

The Frankfurt Jewish Community and Its Early Modern Surroundings

Organisatoren
Seminar für Judaistik, Goethe Universität Frankfurt am Main
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.01.2019 - 23.01.2019
Url der Konferenzwebsite
Von
Wolfgang Treue, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Die Frankfurter jüdische Gemeinde war in der Frühen Neuzeit neben Prag die größte und bedeutendste des Alten Reiches. Bereits Anfang des 16. Jahrhunderts, im Streit um die Konfiskation jüdischer Bücher, wurde argumentiert, dass sich in Frankfurt die vornehmste Synagoge des Reiches befinde. Knapp 100 Jahre später hatte die Frankfurter Judenschaft eine Größenordnung von etwa 3.000 Personen erreicht. Durch die Vielfalt ihrer Institutionen, die Intensität des religiösen und wirtschaftlichen Lebens sowie die besondere Kaisernähe der Reichsstadt, die als Wahl- und Krönungsort des Reichsoberhaupts fungierte, nahm die Gemeinde eine zentrale Stellung innerhalb des aschkenasischen Judentums ein. Die Geschichte der Frankfurter Juden war immer auch Reichsgeschichte und europäische Geschichte. Daher es kann nicht verwundern, dass ihrer Erforschung aus historischer wie judaistischer Perspektive bis in die Gegenwart große Aufmerksamkeit geschenkt wird.

2004 und 2009 fanden in Kooperation des Seminars für Judaistik an der Goethe-Universität Frankfurt mit dem Jüdischen Museum Frankfurt sowie der Ben Gurion University (Beer Sheva, Israel) zuletzt zwei interdisziplinäre Tagungen zu diesem Thema statt, die eine große Zahl unterschiedlicher Forschungsansätze und -interessen erkennbar werden ließ und Impulse für weitere Arbeiten setzte.1 Seither hat sich die Forschung zur Frankfurter jüdischen Gemeinde in ihrem jüdischen wie christlichen Umfeld, von der lokalen bis hin zur Reichsebene, weiter intensiviert. Zahlreiche Aufsätze, Monografien, Dissertationen und Quellenpublikationen sind erschienen, andere in der Entstehung begriffen, in denen vorhandene Ansätze vertieft und neue Perspektiven eröffnet werden. Um dieser lebendigen Forschungslandschaft ein Forum zu Austausch und Weiterentwicklung zu geben, wurde unter der organisatorischen Leitung von REBEKKA VOß (Frankfurt), WOLFGANG TREUE (Duisburg-Essen) und RAHEL BLUM (Frankfurt) eine internationale Tagung initiiert.

Auf die Begrüßung durch Rebekka Voß folgte eine thematische Einführung von Treue und Blum, in der die rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen für die Existenz einer jüdischen Gemeinde in Frankfurt aufgezeigt und maßgebliche Themenfelder der aktuellen Forschung abgesteckt wurden.

Die erste Sektion fokussierte die mittelalterliche Situation der Gemeinde bis zur Einrichtung der später sogenannten Judengasse im Jahr 1462. In diesem Zusammenhang wurde von ELISABETH HOLLENDER (Frankfurt) das Gedenken an das Pogrom von 1241 in der liturgischen Memoria diskutiert. Wie deutlich wurde, spielte das Gedenken an den Untergang der ersten jüdischen Gemeinde in den späteren Frankfurter Gemeinden eine weit geringere Rolle als etwa in Nürnberg, so RAINER JOSEF BARZEN (Münster). Nürnbergs jüdische Gemeinde integrierte die Frankfurter Märtyrer durch Aufnahme in ihr Memorbuch als wesentlichen Bestandteil in die eigene Tradition. DAVID SCHNUR (Schwäbisch Gmünd) beschrieb die Frankfurter Gemeinde kurz vor der Umsiedlung in die Judengasse und die jüdischen Bemühungen um Kontinuität an einem neuen Ort in der Stadt, welche sich nicht zuletzt in der Mitnahme von Hausnamen zeigte.

Im Mittelpunkt der folgenden Sektion stand die frühneuzeitliche Gemeindeorganisation. Rahel Blum thematisierte die Entwicklung von Verwaltungs- und Führungsstrukturen in der Gemeinde im 17. und 18. Jahrhundert. Sie zeigte am Beispiel der Vorstandswahlen des Jahres 1752 auf, dass innergemeindliche Konflikte dazu führen konnten, dass die Juden selbst eigentlich verpönte Eingriffe seitens der christlichen Autoritäten in die Gemeindeautonomie ermöglichten. DEBRA KAPLAN (Ramat Gan/Jerusalem) wandte sich der Armenfürsorge in der Gemeinde zu. Die wachsende Zahl von Armen machte – ähnlich wie in der christlichen Gesellschaft – eine zunehmende Differenzierung zwischen "eigenen" und "fremden" Armen notwendig. Gleichzeitig wurde in der Judengasse wie in der Stadt ein gewisses Quantum an ärmerer Bevölkerung in Tätigkeiten im Niedriglohnbereich, wie bei der Betreuung des Gemeindespitals, benötigt, wodurch eine ambivalente Situation entstand.

In der dritten Sektion sprach AVRAHAM SILUK (Frankfurt) über die überregionale Ausstrahlung der Frankfurter jüdischen Gemeinde, deren Rabbinat bereits seit dem frühen 16. Jahrhundert häufig als zentrale Autorität im deutschen Sprachraum wahrgenommen wurde. Dies führte allerdings gelegentlich auch zu Irritationen und Spannungen mit anderen Gemeinden, die die Frankfurter Führungsrolle nicht immer widerspruchslos akzeptierten. Der besondere Einfluss der Frankfurter Gemeinde, so zeigte LUCIA RASPE (Berlin/Frankfurt) auf, war über Jahrhunderte hinaus auch im liturgischen Bereich durch die Verbreitung des Frankfurter Ritus, des Minhag Frankfurt, gegeben.

Die Frankfurter Juden lebten zwar abgesondert von den Christen in der Judengasse, doch bestanden trotzdem vielfältige Kontakte zwischen beiden Bevölkerungsgruppen. Einige spezifische Formen der Begegnung von Juden und Christen in der Stadt waren Thema der vierten Sektion. Dabei ging es zunächst um die Präsenz der Judenschaft im städtischen Raum anlässlich offizieller Ereignisse wie der feierlichen Rückführung der Juden in ihre Gasse nach der temporären Vertreibung im Zuge der Bürgerunruhen (1616) oder den Festivitäten zur Geburt eines kaiserlichen Prinzen (1716), welche RACHEL GREENBLATT (Darthmouth) analysierte. Weit unterhalb dieser Ebene lagen die zahllosen täglichen Begegnungen im Zusammenhang mit Handel, Konsum und materieller Kultur, worauf JULIA SCHMIDT-FUNKE (Erfurt) ihren Schwerpunkt legte. Trotz aller Routine kam es dabei häufig zu Konflikten und Repressalien, etwa hinsichtlich des Handels mit "Kolonialwaren" wie Kaffee, Tee und Zucker. Grundsätzlicher Konsens bestand auf christlicher wie jüdischer Seite im 18. Jahrhundert über die Beschränkung des Aufwands bei Hochzeiten und anderen privaten Festen, doch lässt die Diskussion um eine 1715 vom jüdischen Gemeindevorstand erlassene Luxusordnung erkennen, dass sich die Vorstellungen etwa über deren Anwendung auf die Führungsschichten deutlich unterschieden Ein weiterer Berührungspunkt waren die zahlreichen Prozesse von Frankfurter Juden vor den städtischen Gerichten, welche von VERA KALLENBERG (Cambridge, MA) präsentiert wurden. Dass diese Gerichte auch in innerjüdischen Konflikten oft in Anspruch genommen wurden, zeugt von beachtlichem Vertrauen in die obrigkeitliche Rechtspraxis. Wie an einem Fallbeispiel gezeigt wurde, tendierte die Frankfurter Justiz dazu – ebenso wie bei Prozessen unter Christen – etwa Dienstboten gegenüber ihren Herrschaften zu benachteiligen.

Die fünfte Sektion thematisierte die Beziehungen zwischen der Frankfurter Judenschaft und den benachbarten Gemeinden Worms und Mainz, wobei deutlich wurde, dass vor allem zwischen den Oberschichten dank kommerzieller Verbindungen und Heiratsmigration Netzwerke von beachtlicher Dichte entstanden. Im Unterschied zur traditionsreichen Wormser Gemeinde, die URSULA REUTER (Köln) betrachtete, blieb die Gemeinde der kurfürstlichen Residenzstadt Mainz, so ULRICH HAUSMANN (Mainz/Wien), allerdings lange Zeit klein und verfügte zum Beispiel nicht über einen eigenen Rabbiner, weshalb für sie auch das Frankfurter Rabbinat einen wichtigen Bezugspunkt dargestellt habe.

Neben der regionalen Vernetzung waren für die Geschichte der Frankfurter Juden vor allem die engen Beziehungen in die Kaiserstadt Wien von Bedeutung, die in der sechsten Sektion behandelt wurden. Eine zentrale Rolle spielte hier die Hoffaktorenfamilie Wertheimer, deren Mitglieder den Vertretern der Frankfurter Judenschaft in wichtigen diplomatischen Angelegenheiten den unmittelbaren Zugang zum kaiserlichen Hof verschafften, so MIRJAM THULIN (Mainz). In Wien ansässig war ferner der Reichshofrat, der als Appellationsgericht von Frankfurter Juden häufig – nicht zuletzt gegen die eigene Obrigkeit, den Rat – angerufen wurde, wie VERENA KASPER-MARIENBERG (Raleigh, NC/Jerusalem) zeigte. Neben den Urteilen, die in Fragen der Gemeindeautonomie oft zugunsten der Judenschaft ausfielen, war dabei auch der Umstand von Bedeutung, dass mit der Appellation die Urteile erster Instanz, auch in Form von Ratsdekreten, bis auf weiteres ausgesetzt wurden.

Mit der siebten und letzten Sektion wandte sich die Tagung dem "Weg in die Moderne" zu, einer Epoche, in der unter dem Einfluss von Geistesströmungen wie Pietismus, Chassidismus und Aufklärung in manchen Bereichen eine zunehmende Annäherung zwischen Juden und Christen stattfand. Das Interesse christlicher Gelehrter an jüdischer Mystik reicht bis in die Renaissance zurück, erhielt jedoch, so zeigte ELKE MORLOK (Frankfurt), durch die Begegnung von jüdischen Kabbalisten, christlichen Hebraisten und Pietisten im 18. Jahrhundert eine neue Qualität. Es blieb dies allerdings eine weitgehend exklusive und elitäre Bewegung, wogegen Rebekka Voß den starken Einfluss des Pietismus auf das Judentum zur selben Zeit in den jiddischen Schriften der Musar-Autoren (Verfasser ethischer Literatur) betonte, die keine Gelehrten, sondern gebildete Laien waren. Unter dem Einfluss der Aufklärung bzw. deren jüdischer Form, der Haskala, entstanden schließlich neue Allianzen und Konfliktlinien über die Religionsgrenzen hinweg, die Wolfgang Treue abschließend nachzeichnete. Ungeachtet aller Vorbehalte der konservativen Führungsschichten der Reichsstadt selbst und der Frankfurter Judenschaft setzte auch hier ein Prozess ein, der langfristig den Weg in eine neue, bürgerliche Gesellschaft eröffnete.

In der abschließenden Diskussion wurde die große Spannbreite der innerjüdischen und obrigkeitlichen Quellen hervorgehoben, welche für die Forschung zur frühneuzeitlichen Frankfurter jüdischen Gemeinde zur Verfügung stehen, so dass sich der interdisziplinäre Austausch als überaus gewinnbringend erweist.

Konferenzübersicht:

Begrüßung: Rebekka Voß (Frankfurt a. M.)

Einführung: Wolfgang Treue (Duisburg-Essen), Rahel Blum (Frankfurt a. M.)

Section 1: The Frankfurt Jewish Community in the Middle Ages

David Schnur (Schwäbisch Gmünd): Jewish Life in Frankfurt in the Middle Ages

Elisabeth Hollender (Frankfurt a. M.): The Liturgical Memory of 1241

Rainer Josef Barzen (Münster): The Persecution of 1241 in the Memorbook of Nuremberg: A List of Martyrs, Its Function and History

Section 2: The Early Modern Community

Rahel Blum (Frankfurt a. M.): The Jewish Lay Leadership in Frankfurt: Administrative Structures in the Context of City and Empire

Debra Kaplan (Ramat Gan): Differentiating among the Poor in Frankfurt's Judengasse

Section 3: Frankfurt's Outreach

Avi Siluk (Frankfurt a. M.): Transcending the City's Boundries? Frankfurt's Rabbinical Authority amongst Sixteenth-Century German Jewry

Lucia Raspe (Berlin/Frankfurt a. M.): Minhag Frankfurt: Sources, Features, Geographical Reach

Section 4: Jewish-Christian Encounters in the City

Rachel Greenblatt (Dartmouth): Outside the Judengasse: Jews in Other Frankfurt Streets (1616, 1716)

Julia Schmidt-Funke (Erfurt): Everyday Encounters and Routine Repressions: Jewish-Christian Relations in Commerce, Consumption, and Material Culture

Vera Kallenberg (Harvard): Non-Unity in Jewish History: Jews before the Frankfurt Penal Court, 1780-1814

Exkursion in das Museum Judengasse

Sabine Kößling (Frankfurt): Führung durch die neue Dauerausstellung und über den alten jüdischen Friedhof

Section 5: Regional Networks

Ursula Reuter (Köln): Worms and Frankfurt: Economic Relations and Family Networks in the Early Modern Period

Ulrich Hausmann (Mainz): Commercial Transactions, Marriages, Conflicts: The Relation between Mainz and Frankfurt Jews

Section 6: Frankfurt Jews in the Imperial City of Vienna

Mirjam Thulin (Mainz): Jewish Politics in Early Modern Frankfurt am Main

Verena Kasper-Marienberg (Raleigh/Jerusalem): Frankfurt Jews and the Inperial Aulic Council in the 18th Century

Section 7: Into Modernity

Elke Morlok (Frankfurt a. M.): Kabbala and Pietism in Frankfurt

Rebekka Voß (Frankfurt a. M.): Yiddish Musar Authors from Eighteenth-Century Hesse: A Pietist Path into Modernity

Wolfgang Treue (Duisburg-Essen): The Enlightenment and the Frankfurt Judengasse

Abschlussdiskussion

Anmerkungen:
1 Fritz Backhaus / Gisela Engel / Robert Liberles / Margarete Schlüter (Hg.), Die Frankfurter Judengasse. Jüdisches Leben in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/M. 2006; Fritz Backhaus / Gisela Engel / Gundula Grebner / Robert Liberles (Hg.), Frühneuzeitliche Ghettos in Europa im Vergleich, Berlin 2012.


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger