Porträts in Serie – Ordnung und Funktion von Bilderreihen in der Frühen Neuzeit

Porträts in Serie – Ordnung und Funktion von Bilderreihen in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Stefanie Freyer / Klaus Niehr / Silvia Schmitt-Maaß, Universität Osnabrück; Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.02.2019 - 12.02.2019
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Von
Katharina Möhle, Historisches Seminar / Matthias Bollmer, Kunsthistorisches Institut, Universität Osnabrück

Im Mittelpunkt des interdisziplinären Workshops stand der kollektive Charakter von Bilderreihen in Galerien, Kabinetten, Porträtbüchern oder Sammelalben, der über Einzeldarstellungen weit hinausweist. Trotz der teils leicht veränderlichen mobilen Ordnung von Porträts sind und waren Serien in der Regel bestimmte Sinnzusammenhänge übergeordnet. Der Fokus des Workshops lag auf „Porträts in Serie“, die als „synchron produzierte Abbilder einer Gruppe“ zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen wurden oder als „diachrone Serien von Einzelpersonen oder Personengruppen“ über längere Zeitspannen hinweg entstanden sind. Ziel war es, jene Balance zwischen ordnenden Reihungen und sinnstiftenden Funktionen anhand von Fallbeispielen näher herauszuarbeiten. Historische, kunsthistorische und literaturwissenschaftliche Beiträge erhellten dieses Thema, um Kontexte, Intentionen und Medien der seriellen Bildnis(re)produktion, die Rezeption und Nutzung von Bildnisreihen, gliedernde Anordnungen serieller Präsentationen und Fragen der Rezeption zu erörtern. Hierbei interessierten auch künstlerische Methoden.

Eröffnet wurde der Workshop von KLAUS NIEHR (Osnabrück), der Porträts in Serie „als Herausforderung für den Betrachter“ vorstellte. Er verwies darauf, dass Serien bereits seit dem frühen Mittelalter in der Heiligenverehrung zum Ausdruck kamen, etwa im Sinne einer „Vermehrung des Urbildes“. Sie waren aber auch an Reliquientafeln auszumachen (Domschatz Osnabrück), deren schematische, geometrische Ordnung statisch und fest gefügt war. Wie er am Beispiel des Papst-Kaiser-Rotulus aus der Staatsbibliothek Berlin erhellte, machten „offene Reihen“ aber eher noch auf historische Ereignisse und das „Fortschreiten der Zeit“ aufmerksam. Ein solches Verständnis setzte in jedem Falle die geeignete Anwendung und die richtige Art der Betrachtung voraus. Seit ca. 1500 wurden Einzelbildnisse zu Konvoluten gebunden. Ähnlich den späteren Ahnengalerien, die das Vorbeischreiten mit dem Betrachten verbanden, konnten „Leser“ der Bild-Text-Kombinationen nun umblättern und Sinnzusammenhänge erkennen oder herleiten. Die Serien repräsentierten Kollektive, so dass sie eine hohe politische und kulturelle Aussagekraft besaßen, indem sie etwa auf genealogische Zusammenhänge, Familie und Dynastie oder auch auf gemeinsame Amtsträgerschaft verwiesen. Laut Niehr erzeugten Bilderserien vor allem ein „Prinzip von Überzeugungskraft“, das künstlerisch durchaus herausforderte.

TRACY SOWERBY (Oxford) verwies auf die Verwendung von Porträts im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert als politische Instrumente in diplomatischen Belangen („diplomatic gifts“). Im Zentrum ihres Vortrags standen Porträts in den Palästen der Tudor-Herrscher, die teils nicht als Serie geplant waren, aber durchaus als solche angeordnet wurden (z. B. Hampton Court). Sowerby verdeutlichte, dass bestimmte Porträtserien als diplomatische Mittel dienten, um die Reichweite, die Tiefe wie auch die Stabilität von Allianzen zu bekräftigen, was sie am Beispiel einer Serie von Reformatorenbildnissen deutlich machte. Diese bildeten Ulrich Zwingli, Heinrich Bullinger und andere ab, nicht aber Martin Luther und Johannes Calvin. Sowerby mutmaßte, dass die Serie um 1600 im Whitehall Palace hinter Vorhängen verborgen wurde, wenn auf diplomatische Gäste Rücksicht genommen werden sollte. Die Serie verwies ihres Erachtens auf Verbindungen der Tudors zur englischen Community in Zürich und damit auf die Anfänge des elisabethanischen Puritanismus. In der Diskussionsrunde wurde das Verbergen von Gemälden hinter Vorhängen interessiert diskutiert.

JULIANE SCHMIEGLITZ-OTTEN (Celle) berichtete über Miniaturenserien aus der Zeit um 1595, die heute auf unterschiedliche Sammlungen verteilt sind, ursprünglich aber zur Ausstattung des Celler Hofes gehörten. Besonders erwähnenswert war die bisher kaum bekannte Serie von Miniaturduplikaten aus der Sammlung der Stiftung Schloss Friedenstein. Deren Verbreitung und Vorkommen zeigt Verbindungslinien und Beziehungsgeflechte als ein „Netzwerk protestantischer Ehebündnisse“ zwischen den Höfen auf. Die zentrale Figur dieser Serie ist Herzog Wilhelm d. J. von Braunschweig-Lüneburg, auf dessen Porträt sich sowohl die Bildnisse seiner Vorfahren als auch seiner Ehefrau, Kinder und Schwiegerkinder beziehen. Hierbei scheinen die Miniaturen stark verkleinerte Kopien von Großporträts von Angehörigen des Hauses Braunschweig-Lüneburg zu sein. Schmieglitz-Otten stellte zwei Thesen zum Zweck der Miniaturen auf, einen internen, privaten, der eine stets mobile und zugleich kostbare genealogische Anordnung der Bildnisse wie an einem Stammbaum ermöglichte, und einen externen, der auf die Darstellung eines protestantischen Netzwerks und die damit einhergehende Herrschaftslegitimation abzielte. In der anschließenden Diskussion wurde über den Zweck der Serie und über die tatsächliche Ähnlichkeit zwischen den Porträts und dem natürlichen Aussehen der Dargestellten diskutiert.

Die zweite Sektion wurde von CHRISTIAN HEITZMANN und JUDITH TRALLES (Wolfenbüttel) eröffnet. Ihr Beitrag beschäftigte sich mit der sogenannten Ikonographie des Anton van Dyck, die seit ihrem ersten Erscheinen 1641 in Europa weite Verbreitung erfuhr. Van Dyck hinterließ zwar nur einige wenige eigenhändige Radierungen, doch wurde seine Ikonographie postum stark erweitert und mehrmals herausgegeben. Vorgestellt wurde ein französischer Nachdruck im Original („Le Cabinet des plus beaux portraits […]“, um 1700) aus dem Besitz der Herzog August Bibliothek. Daneben stellte Tralles die Porträtdatenbank der Bibliothek vor, deren Grundlage Peter Mortzfeld erarbeitet hat. Ferner gab sie einen Einblick in das Virtuelle Kupferstichkabinett, das graphische Werke der herzoglichen Sammlungen aus den Beständen der Herzog August Bibliothek und des Herzog Anton Ulrich Museums zusammenführt. In der Diskussion wurde angeregt, in der Porträtdatenbank auch Serien kenntlich zu machen und ggf. Bildzusammenhänge herauszustellen.

SILVIA SCHMITT-MAASS (Osnabrück) ergänzte mit ihrem Beitrag „Welfen in Serien“ die Sektion der genealogischen Repräsentation. Sie brachte ein Bildnis von Herzog August d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel (Herzog August Bibliothek) mit einer Serie von Kinderbildnissen des Malers Anselm van Hulle (Privatbesitz) aus der Zeit um 1650 in Verbindung. Ursprünglich könnte ein ähnliches Porträt (in Anspielung an das Bildnis als ‚Friedensfürst‘) als Tugendspiegel und memento mori dem Kreis der Kinderbildnisse angehört haben. Die Reihung dürfte auf die Disziplinierung der Nachkommen angelegt worden sein, welche in die Fußstapfen des Vaters treten sollten. Zugleich sollte familiäre Einigkeit demonstriert werden. Außerdem orientiert sich diese Reihe an Beispielen am Hof der Oranier. Zum Vergleich referierte Schmitt-Maaß über eine Serie aus 15 Bildnissen von Thomas Gainsborough, die dieser 1782 vom damaligen britischen Königspaar, George III. und Charlotte, und ihren Kindern für ein privates Kabinett geschaffen hatte (Royal Collection, London). Hier wurde die genealogische Reihung als setzkastenartiges Corpus vollzogen, dessen Unversehrtheit zugleich aber durch das „unvollendete“ Abbild eines verstorbenen Kindes gebrochen wird. In der Diskussionsrunde kam unter anderem die Frage nach dem Vorhandensein eines Bildnisses der Ehefrau Herzog Augusts d. J. auf, das ursprünglich auch Teil der Serie gewesen sein könnte.

PETER LANGEN (Berlin) führte das Thema mit einem Beitrag zu marmornen Kurfürstenstatuen im Alabastersaal des Berliner Schlosses fort. Hier ging es nicht um Kinder- oder Familienbilder, sondern einzig um Herrscherbildnisse, die eine patrilineare Repräsentation ermöglichten. Die Statuen in seitlichen Nischen des Alabastersaals dienten als monumentale Ahnengalerie und „Ruhmeshalle des Hauses Brandenburg“, die die dynastische Kontinuität der Hohenzollern als Kurfürsten akzentuieren und ihrem Rang Ausdruck verleihen sollten. Die im Auftrag des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg bestellten Kurfürstenstatuen aus der Werkstatt des Bartholomäus Eggers in Amsterdam beweisen schon aufgrund ihres Materials (weißer Marmor) besonderen Anspruch auf Kontinuität und an die Antike angelehnte Tradition. Zugleich wiesen sie Anzeichen eines seriellen Fertigungsprozesses in der Werkstatt auf. Im anschließenden Gespräch wurde die besondere Materialität der Serie thematisiert.

Die Literaturwissenschaftlerin MONA KÖRTE (Bielefeld) behandelte in ihrem Vortrag Horace Walpoles ersten und das Genre begründenden Schauerroman The Castle of Otranto – A Gothic Story (1764), in welchem ein Porträt aus einer Ahnengalerie und ein marmornes Standbild als Akteure auftreten. Die an einen Schauplatz des Mittelalters verlegte Handlung kreist um eine durch einen Fluch belegte italienische Familie, die unrechtmäßig bzw. nicht durch patrilineare Vererbung in den Besitz einer Burg gelangt ist, und handelt davon, wie die zum Leben erwachten Bildnisse von Vorfahren des rechtmäßigen Erben im Sinne des „tool of terror“ diesem zu seinem Anrecht auf die Burg verhelfen. Körte führte aus, dass die Bildnisse die „Bruchstellen familiärer Bande“ aufzeigten und dass sie das „Entfachen und Lösen von Geheimnissen“ bewirkten. Die „Übermacht der Phänomene“ erzeuge Überforderung. Zudem seien die Bildnisse für eine übergeordnete Rechtsordnung eingetreten. In der Diskussion wurde erörtert, inwiefern Ahnengalerien den Schein von Legitimität erzeugten und wie die Bildnisse im Schauerroman ein Vexierspiel der Blickwechsel zwischen Betrachter und Porträtierten eröffneten, infolgedessen Doppelung und Ähnlichkeit Ambivalenz erzeugten.

Zu Beginn des zweiten Tages behandelte ASTRID ACKERMANN (Jena) in ihrem Vortrag Porträts des Deutschen Ordens in der Sektion „nichtfamiliäre Serien“. Sie ging hierbei auf die Galerie der Hochmeister des Deutschen Ordens in Mergentheim aus der Zeit um 1660 ein und fragte nach dem hier transportierten Selbstverständnis des Ordens und dem Einfluss politischer Umbrüche auf die Galerie. Der Residenzwechsel nach Mergentheim könnte in Folge des Verlusts des Ordenslandes, auf das der Orden prinzipiell weiterhin Anspruch erhob, ausschlaggebend für die Konzeption der Galerie gewesen sein. Darüber hinaus behandelte sie eine Porträtserie im Rittersaal der Deutschordenskommende Lucklum, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eingerichtet wurde. In dieser Galerie sind Mitglieder verschiedener Stufen des Ordens wie Hochmeister, Landkomture, Hauskomture und Ritter dargestellt. In der Diskussion kam die Frage nach dem Vorhandensein einer vollständigen Galerie der Hochmeister auf. Eine solche Serie ist Ackermann aber nur in gedruckter Form, jedoch nicht in der Malerei bekannt.

Im Rahmen der nichtfamiliären Serien diskutierte STEFANIE FREYER (Osnabrück), inwiefern durch Serien Gruppenidentität geschaffen wird. Als Quellen untersuchte sie Porträts von Rudolstädter Kanzler, aus dem 17. und 18. Jahrhundert die mit zwei Bildnisserien überliefert sind. Freyer erörterte den möglichen Entstehungszeitraum und Zweck der bisher noch nicht untersuchten Serie ovaler Kupferporträts und stellte die These auf, dass es die Intention der kollektiven Abbildung gewesen sein könnte, das Kanzleramt als Regierungsspitze und gleichzeitig das Handeln des Einzelnen zu würdigen. Dadurch wird ein Identifikationsangebot geschaffen und eine vorbildhafte Arbeitsmoral abgebildet, die Tradition und Wirken vereint. Lücken innerhalb der Serie, die scheinbar durch eine nachträgliche Erweiterung entstanden sind und sich im Fehlen einiger Kanzlerbilder bemerkbar machen, schwächen allerdings deren Aussagekraft. Freyers These wurde aufgrund bislang (noch) nicht entdeckter, komplementärer Schriftquellen kritisch diskutiert.

HOLE RÖSSLER (Wolfenbüttel) richtete seinen Vortrag auf druckgraphische Autoren- und Gelehrtenserien. Rößler begann seinen Beitrag mit der Überlegung, dass jede Serie eine Spannung zwischen Individuum und Gruppe erzeugen würde. Er stellte verschiedene Beispiele von diachronen Gelehrtenserien der Malerei vor, in deren Tradition spätere druckgraphische Serien einzureihen sind. Rößler erhellte, dass es der Zweck von Gelehrtenserien sei, zwischen den Dargestellten eine Verbindung qua Amt herzustellen, die nicht durch „Blut“ bzw. Vererbung besteht, wie dies in Ahnengalerien der Fall ist, dennoch erinnern sie formal an jene. Zugleich ist im Verlauf des 18. Jahrhunderts ein besonderer Markt für Gelehrten- und Autorenporträts entstanden, die „Serienstars“ in Porträtbüchern zusammenstellten. Für jene die ganze Buchblattseite einnehmenden Porträts wurde mithin ein besonderer Aufwand betrieben, wie Rößler anhand von Beispielen zeigte. Er stellte ferner die Überlegung an, dass das Einreihen in Serien bedeutender Persönlichkeiten die Bedeutung des Einzelnen erhöht und Gleichrangigkeit suggeriert. Dadurch kann eine Person an der Bedeutung einer anderen teilhaben. In dem abschließenden Gespräch wurde über den Sinn und Zweck von Gelehrtenserien diskutiert.

Dass Bildnisserien die Wirkung von Einzelwerken potenzieren, bzw. (teilweise auch simulierte) Einigkeit oder Zusammengehörigkeit demonstrieren sollten, ist anhand der ausgewählten Fallstudien deutlich geworden. Hierbei war zu beobachten, dass bestimmte zugehörige Einzelbildnisse das Rollenverständnis innerhalb der Bilderreihe vorführten, konterkarierten oder kontrastierten. Neben facettenreichen Funktionen wurde zudem auch gerade bei nichtfamiliären Serien deutlich, dass sie mit ihrer Ordnung die Selbstsicht der dargestellten Gruppen bzw. Institutionen vermittelten, nach außen und nach innen (an die eigenen Mitglieder) gerichtet waren und so die Wahrnehmung und Identifikation beeinflussen sollten. Während der einzelnen Vorträge kam insbesondere die Frage auf, ob und inwiefern die Begriffe „Serie“, „Reihe“, „Ensemble“ und „Sammlung“ voneinander unterschieden werden könnten. Hierzu müssen etwa auch etymologische Kenntnisse über den historischen Wortgebrauch von „Serie“ eingebracht werden. Der Workshop hat zahlreiche neue Forschungsfragen offengelegt, die Gegenstand zukünftiger wissenschaftlicher Untersuchung sein können.

Konferenzübersicht:

Eröffnung

Klaus Niehr (Universität Osnabrück): Schauen, Blättern, Rollen, Gehen – Porträts in Serie als Herausforderung für den Betrachter

Sektion I – Serien als politisches Instrument

Tracey Sowerby (University of Oxford, UK): Portraits in Series in Tudor Palaces as Diplomatic Discourse

Juliane Schmieglitz-Otten (Residenzmuseum Celler Schloss, Celle): Bildliche Familienbande – Miniaturserienporträts im Dienste politischer Netzwerke

Sektion II – Serielle Produktion

Christian Heitzmann / Judith Tralles (Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel): Anton van Dyck und die Porträtsammlung der Herzog August Bibliothek

Sektion III – Genealogische Repräsentation

Silvia Schmitt-Maaß (Universität Osnabrück): Welfen ‚in Serien‘ – Van Dyck bis Gainsborough

Peter Langen (Stiftung Humboldt Forum, Berlin): »[...] sed magis miror Augustam Electorum Brandenburgicorum seriem« - Die Kurfürstenstatuen im Alabastersaal des Berliner Schlosses

Mona Körte (Universität Bielefeld): Lebende Bilder? Ahnenportraits in Horace Walpoles The Castle of Otranto

Sektion IV – Nichtfamiliäre Serien

Astrid Ackermann (Friedrich-Schiller-Universität Jena): Geistliche (Herrschaft) im Bild

Stefanie Freyer (Universität Osnabrück): Gruppenidentität durch Serien? Die Porträts der Rudolstädter Kanzler

Hole Rößler (Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel): Serienstars. Zur symbolischen Ökonomie druckgrafischer Gelehrtenserien im 18. Jahrhundert