Vom Ende der Hanse zur Geburt der Hanseaten

Vom Ende der Hanse zur Geburt der Hanseaten

Organisatoren
Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen
Ort
Bremen
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.05.2019 - 04.05.2019
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Von
Pia Mecklenfeld / Lukas Weichert, Niedersächsisches Landesarchiv Hannover

Die diesjährige Mitgliederversammlung und Jahrestagung der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, die am 3. und 4. Mai unter dem Thema „Vom Ende der Hanse zur Geburt der Hanseaten“ in Kooperation mit dem Hansischen Geschichtsverein in Bremen stattfand, wurde durch Begrüßungsworte der Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft, ANTJE GROTHEER, eröffnet. Sie wie der sich mit einleitenden Worten anschließende Vorsitzende der Kommission, HENNING STEINFÜHRER, wiesen übereinstimmend darauf hin, dass die Hansestadt letztmalig 1996 als Ort der Jahrestagung gedient hatte. Im Festsaal des als Tagungsort genutzten Hauses der Bürgerschaft leiteten folgend Steinführer (Braunschweig) selbst sowie ANGELA HUANG (Lübeck) den ersten Tagungstag mit ihrem geteilten Eröffnungsvortrag ein. Auf Grundlage guter archivalischer Quellenüberlieferung, namentlich der Rezesshandschrift im Stadtarchiv Braunschweig sowie der Instruktionen der beteiligten Städte, referierten Steinführer und Huang zu dem sich 2019 zum 350. Mal jährenden letzten Hansetag, zu dem sich die Abgesandten der Städte Braunschweig, Bremen, Danzig, Hamburg, Lübeck und in Vertretung Hildesheim, Osnabrück und Rostock sowie später noch Köln von Mai bis Juni 1669 in Lübeck trafen. Anhand eines Abrisses zur Entwicklung der Hanse im 16. und 17. Jahrhundert skizzierte Steinführer den letzten Hansetag als erste gesamthansische Versammlung seit 1629, wobei diese von den Bemühungen beherrscht war, die Kooperation der Hansestädte vor dem konkreten Hintergrund des Stalhofbrandes in London 1666 wieder aufleben zu lassen. Huang ging detailliert den Instruktionen der meinungsführenden Städte Lübeck, Braunschweig und Bremen hinsichtlich der Diskussion um den Stalhof und der Erneuerung der Konföderation nach, wobei sie mittels dieser deutlich das auseinanderlaufende Verständnis der Hanse als primär handelspolitische Privilegiengemeinschaft oder aber als Schutzbündnis herausarbeiten konnte. Verhinderte die schlechte finanzielle Lage wie die gleichzeitige abnehmende politische Autonomie der teilnehmenden Städte, die sich zunehmendem Druck der Landesherren wie auch inneren Fragen politischer Teilhabe ausgesetzt sahen, die Möglichkeit eines übergreifenden Schutzbündnisses aller Hansestädte, waren es gerade diese Faktoren der Wirtschaftskraft und politischen Eigenständigkeit, die die Konzentration auf Hamburg, Bremen und Lübeck vorzeichneten und damit zumindest für diese drei Städte den Weg vom letzten Hansetag zum Hanseaten beförderten.

ALEXANDER KREY (Frankfurt) legte in seinem Beitrag den Fokus auf eine prosopographisch angelegte Untersuchung der Akteure des letzten Hansetages von 1669. Die Zusammenkunft stellte einerseits ein Treffen von Juristen (Anteil 91 Prozent) und andererseits einen von Lübeck dominierten Hansetag dar, da viele Städte sich von Lübecker Juristen vertreten ließen, was den hohen Anteil der lübischen Abgesandten (50 Prozent) unter den Teilnehmern erklärt. Krey zeigte mit einer knappen Kollektivbiographie aller im Rezess genannten Unterhändler, dass die Hanse ein personell juristisch professionalisierter Apparat gewesen ist. Paradebeispiel dafür ist das Amt des Hansesyndikus, eingeführt im Jahr 1556, und 1669 wichtiger Teil der Agenda des Hansetages, da das Amt neu besetzt werden musste. Die Wahl des Lübeckers Bernhard Brauer (1629-1669) bewies dann zum einen das weiterhin lebhafte, realpolitische Interesse Lübecks an der Hanse und zeigte zum anderen an den Reaktionen beispielsweise Bremens, dass die Bereitschaft, weiterhin für die Kosten des Amtes des Hansesyndikus aufzukommen, gering war.

Thematisch an die Vorgängervorträge anknüpfend stellte MICHAEL SCHÜTZ (Hildesheim) den Hansetag von 1669 aus Sicht der Stadt Hildesheim und ihres Stadtsyndikus‘ Dr. Melchior Hoffmeister in den Mittelpunkt seines Vortrages. In einem einführenden Abschnitt zur Rolle des am Schnittpunkt bedeutender Handelswege gelegenen Hildesheims in der Hanse verwies Schütz darauf, dass das 1267/68 erstmals in Zusammenhang mit der Hanse urkundlich genannte Hildesheim zu den Hansetagen wegen der hohen Gesandtschaftskosten bis weit in das 16. Jahrhundert hinein nur selten eigene Ratssendboten entsandte, sondern sich durch benachbarte Städte, meist Braunschweig, vertreten ließ. Erst im 17. Jahrhundert, das vom Bestreben der Hansestädte geprägt war, ihre Eigenständigkeit gegenüber der zunehmenden Einflussnahme der Landesherren zu wahren, beteiligte sich auch Hildesheim stärker als zuvor an hansischen Bestrebungen wie an den Hansetagen selbst. So schloss sich die Stadt mit dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges wieder deutlicher an die übrigen Hansestädte an, beschickte die Hansetage 1619 und 1621 und wirkte 1629 als Vermittler in den Auseinandersetzungen zwischen Magdeburg und Wallenstein. Während der Beginn des Engagements Hildesheims in eine prosperierende Phase der Stadt fiel, zeigte sich Hildesheim von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges auch im Vergleich zu den anderen Hansestädten jedoch enorm geschwächt, weshalb die Stadt sich in der zweiten Jahrhunderthälfte kaum in der Lage sah, die Hanse auch finanziell stärker mitzutragen. So entschied sich die Stadt wiederum aufgrund der hohen Reisekosten, wie aus einem im Stadtarchiv Hildesheim überlieferten Gutachten des Stadtsyndikus Dr. Melchior Hoffmeister vom Mai 1669 hervorgeht, keinen eigenen Bevollmächtigten zum Hansetag nach Lübeck 1669 zu entsenden, sondern Braunschweig mit seiner Vertretung zu beauftragen. Hildesheim mag deshalb zwar zu den am letzten Hansetag vertretenden Städten zu zählen sein, wenngleich schon die fehlenden detaillierten Instruktionen für den Braunschweiger Vertreter auf die allgemeine Entwicklung hindeuten, dass sich das Verhältnis der Stadt sowie ihres Syndikus‘ Hoffmeister zur Hanse und die Einbindung in diese zu diesem Zeitpunkt vor allem aus finanziellen Erwägungen vage gestaltete – nec prope nec procul.

In Vertretung des erkrankten Franklin Kopitzsch (Hamburg) hatte sich ALBRECHT CORDES (Frankfurt) kurzfristig bereit erklärt, den öffentlichen Abendvortrag zu übernehmen und damit thematisch zur Sektion II: „Neue Wege. Hanse und Hanseatische Politik vom 17. bis zum 19. Jahrhundert“ überzuleiten. Er setzte in einem breiten inhaltlichen und zeitlichen Rahmen den Schwerpunkt auf die Hanse im Staats- und Völkerrecht 1648–1920. Chronologisch den großen Debatten um die Hanse folgend, eröffnete Cordes mit der Feststellung, dass die Hanse letztmalig als solche 1648 auftrat. Schon zehn Jahre später bei der Wahlkapitulation Leopolds I. (1640–1705) trat die Hanse als den internationalen Mächten eher untergeordnete denn gleichrangige Organisation auf. Im 17. Jahrhundert wurden um die Rechtsform und Existenz der Hanse gleich zwei große Debatten geführt: war die Hanse erstens ein illegales, weil verschwörerisches Bündnis, und war zweitens die monopolartige Stellung der Hanse rechtens? Die Goldene Bulle beispielsweise verbiete die Hanse an sich nicht, weil die Goldene Bulle vor allem auf kriegerische Bündnisse hin angelegt worden sei. Auch die kaiserliche Haltung im 17. Jahrhundert vermied eine klare Festlegung, es gab keine ausdrückliche Genehmigung, aber auch eine vielfache Erwähnung der Hanse in den Reichsabschieden und damit die de facto Anerkennung. Die Monopolstellung war dagegen durch das römische Recht verboten, in realiter wurden aber längst nicht alle Monopolisten verboten. Ab 1815 und vor allem ab 1866 trat die Hanse dann nur noch in der Form der drei Hansestädte auf.

Nach der Mitgliederversammlung der Historischen Kommission am frühen Samstagvormittag wurde der zweite Tagungstag durch MAGNUS RESSEL (Frankfurt) mit seinem pointiert formulierten Vortragsthema „Die Stärke der schwachen Akteure: Die hanseatische Gemeinschaft als Außenhandelsvertretung des Alten Reichs im 18. Jahrhundert“ eröffnet. Ressel betonte, dass sich die Hanse im 18. Jahrhundert im oftmals koordinierten handelspolitischen Vorgehen Lübecks, Hamburgs und Bremens manifestierte. Dieses fand auf semantischer Ebene Ausdruck in der übereinstimmenden Bezeichnung dieser als Reichshansestädte, der sich primär auf den Rechtstitel der freien Reichsstadt und nicht auf die Hanse selbst beruft, und wurde auf politischer Organisationsebene durch das konsularische Netzwerk umgesetzt, wobei sich die drei Städte zugleich als Hansische Nation begriffen und bezeichneten. Die Bedeutung der hanseatischen Konsuln bestand dabei hauptsächlich im Schutz der Handelsverträge des 17. Jahrhunderts, wobei das konsularische Netzwerk in dieser Funktion die wesentliche Voraussetzung der Dominanz hanseatischer Kaufleute im Frankreichhandel bildete, die aufgrund ihrer weitreichenden Zollprivilegien hier die wesentliche Außenhandelsvertretung des Alten Reiches darstellten. Damit lässt sich für das 18. Jahrhundert in Rekurs auf und Dehnung ihrer Rechtstitel sowie Handelsverträge insgesamt eine Geschicklichkeit der (Reichs-)Hansestädte in der Ausnutzung der scheinbaren Schwäche der Hanse zur Stärkung ihrer Kaufleute in ganz Europa feststellen, die insbesondere im Vergleich zu den Niederländern, Schweizern und Italienern deutlich hervortritt.

Als einleitender Referent der abschließenden Sektion III: „Rezeption und Nachleben“ widmete sich FRANK HATJE (Hamburg) in seinem Vortrag den Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit zwischen den drei Hansestädten Lübeck, Hamburg und Bremen zwischen 1795 und 1815. Gemeinsame Konferenzen wie im Mai 1795, bei der als Ziele die weitergehende und weitgehende Unabhängigkeit und die Handelsneutralität vereinbart wurden, blieben die Ausnahme. Das prosperierende Hamburg, das sich enger an Frankreich anlehnende Bremen und das wirtschaftlich den Vorsprung der beiden anderen Städte nicht mehr aufholende Lübeck taten sich schwer, dauerhafte vereinte Initiativen zu entwickeln. Dennoch bestand ein intaktes Netzwerk zwischen den drei Städten vor allem in Personen wie dem Hamburger Anwalt Ferdinand Beneke (1774–1848), der wiederholt publizistisch, aber auch durch Besuche in Bremen die Idee einer Hanseatischen Republik vorantrieb. Auch sein Bremer Kollege Johan Smidt (1773–1857) warb noch 1810 auf dem vorerst letzten hanseatischen Treffen erfolglos für ein gemeinsam bremisch-hamburgisches Territorium. Letztlich handelten alle drei Städte individueller und weniger als Teil eines hansischen Dreistädte-Bundes.

LU SEEGERS (Hamburg/Bückeburg) näherte sich den „Hanseaten und dem Hanseatischem im 20. Jahrhundert“ in ihrem abschließenden Vortrag in einem begriffsgeschichtlichen Zugang. Mit einem vorrangigen Fokus auf Hamburg betonte sie die heutige liberale und pragmatische Konnotation des Hanseatischen und wies gleichzeitig auf den starken Wandlungsprozess der Begriffsverwendung im 20. Jahrhundert hin. Diente die hanseatische Geschichte und die diesbezügliche Zuschreibung schon im Kaiserreich im Rahmen kolonialpolitischer Bestrebungen der politischen Legitimation, verlor der Begriff infolge des Bedeutungsverlustes des Handelsbürgertums nach dem Ersten Weltkrieg in der Stadt zunächst an Bedeutung. In der Weimarer Republik zeigte man sich der Begriffsdeutung demgegenüber polyvalent und benutzte ihn sowohl in nostalgischen Verwendungszusammenhängen wie auch als politischen Kampfbegriff. Daran anknüpfend fand das Attribut nach 1933 zur Abfederung des Regimewechsels Verwendung, wozu das Hanseatische mit der vermeintlichen ökonomischen Stärke Hamburgs verbunden wurde und dabei ausklammerte, dass die Autarkiebestrebungen des NS-Regimes die auf den Außenhandel ausgerichtete Hamburger Wirtschaft schwächte. Gleichzeitig ist auch eine rassistische Durchdringung des Begriffs festzustellen, der den NS-Staat als politische Erfüllung des Vermächtnisses der Hanse begriff, wobei vor diesem Hintergrund im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges besonders im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Expansion in den annektierten östlichen Gebieten auf den Begriff rekurriert worden ist. Gleichwohl ist die Zuschreibung des Hanseatischen auch in dieser Zeit nicht als einzig ideologisch besetzter Terminus einzuordnen, wurde er doch zugleich auch genutzt, um sich vom NS-Regime abzugrenzen. Nach 1945 spielte das Hanseatische sodann eine bedeutende Rolle in der Beschreibung eines vermeintlichen hanseatischen Sonderweges im Umgang mit dem NS-Regime und marginalisierte damit zugleich eine eigene Mitverantwortung. Ebenso sollte die Betonung des Hanseatischen dem Wiederaufbau demokratischer Strukturen dienen und fungierte in diesem Sinne als Integrationsklammer der heterogenen Hamburger Stadtbevölkerung in der Nachkriegszeit, womit auch die Verlagerung des Attributs von der hanseatischen Kaufmannschaft alleine auf die breite Bevölkerung einherging. Wurde der Begriff in dieser Deutung in den 1950er-Jahren parteiübergreifend zu Wahlkampfzwecken genutzt, vollzog sich die Loslösung des Hanseatischen von der sozialen Herkunft mit der Person Helmut Schmidts. Insgesamt zeigten sich die Bedeutungen des Begriffs im 20. Jahrhundert somit fluide und fungierten auch deshalb als Identifikationsangebote, da das Hanseatische trotz politischer Verwendungszusammenhänge stets polyvalent geblieben war.

Die Tagung schlug somit den Bogen vom letzten Hansetag 1669 bis zur zeitgeschichtlichen Verwendung des Hanse-Begriffs. Den Vortragenden gelang es, aufzuzeigen, dass die geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung gerade der neuzeitlichen Hansegeschichte durchweg lohnt.

Konferenzübersicht:

Sektion I „Der letzte Hansetag und das Ende der Hanse“

Angela Huang (Lübeck) / Henning Steinführer (Braunschweig): Der letzte Hansetag

Alexander Krey (Frankfurt): Die juristischen Akteure des letzten Hansetages

Michael Schütz (Hildesheim): "nec prope nec procul" - Der Hildesheimer Stadtsyndikus Dr. Melchior Hoffmeister und der Hansetag von 1669

Öffentlicher Abendvortrag
Albrecht Cordes (Frankfurt): Die Hanse als Gegenstand gelehrter Jurisprudenz vom 17. bis zum 19. Jahrhundert

Sektion II „Neue Wege. Hanse und Hanseatische Politik vom 17. bis zum 19. Jahrhundert“

Magnus Ressel (Frankfurt): Die Stärke der schwachen Akteure: Die hanseatische Gemeinschaft als Außenhandelsvertretung des Alten Reichs im 18. Jahrhundert

Sektion III „Rezeption und Nachleben“

Frank Hatje (Hamburg): Die 'hidden agenda' einer "Hanseatischen Republik". Hansestädtische Netzwerke und Politik zwischen 1795 und 1815

Lu Seegers (Hamburg/Bückeburg): Hanseaten und das Hanseatische im 20. Jahrhundert: Deutungen und Praxen

Schlussdiskussion


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