Katholische Konfessionalisierung in Paderborn? Religiöse Prozesse in der Frühen Neuzeit

Katholische Konfessionalisierung in Paderborn? Religiöse Prozesse in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Nicole Priesching, Lehrstuhl für Kirchen- und Religionsgeschichte, Institut für Katholische Theologie, Universität Paderborn / Stefan Kopp, Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft, Theologische Fakultät, Universität Paderborn
Ort
Paderborn
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.06.2019 - 28.06.2019
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Von
Dennis Friedl, Paderborn

Akteure, Prozesse und Handlungsfelder der „katholischen Konfessionalisierung“ im Fürstbistum Paderborn waren Gegenstand einer vom 27. bis 28. Juni 2019 abgehaltenen interdisziplinären Tagung an der Theologischen Fakultät Paderborn. Geschichtswissenschaftliche und theologische Perspektiven wurden hier zusammengeführt, um das Profil des „Katholisch-Seins“ in der Frühen Neuzeit am konkreten Beispiel zu schärfen. Vor allem das vor Ort gepflegte Narrativ eines „von oben“ durchgeführten und dauerhaft wirksamen Konfessionalisierungsprojekts sollte so geprüft werden. Daher betonten die beiden Veranstalter, NICOLE PRIESCHING, von der Universität Paderborn, und STEFAN KOPP, von der Theologischen Fakultät, in ihrer Begrüßungsansprache das Potenzial der verschiedenen „Sehepunkte“ der beteiligten Disziplinen und Fachrichtungen, den fachlichen Diskurs, namentlich über eingefahrene Deutungsmuster wie das Konfessionalisierungsparadigma, neu anzuregen.

Der Eröffnungsvortrag von BETTINA BRAUN (Mainz) nahm mit Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg (amt. 1585–1618) einen der prominentesten, in der Hierarchie weit oben stehenden Akteur der Paderborner Konfessionalisierungsgeschichte in den Blick. Braun machte deutlich, mit welchen Mitteln ein geistlicher Landesherr die konfessionelle Vereinheitlichung eines Gebiets durch- bzw. überhaupt umzusetzen versuchte. Zu Beginn seiner Herrschaft sei dem Fürstbischof vor Augen geführt worden, dass die Beschränkung auf bischöfliche Mittel allein nicht ausreichte, um in Paderborn – vermutlich auch unter dem Eindruck der Wirren im benachbarten Kölner Erzbistum – die „katholische Reform“ voranzutreiben. Vielmehr bedurfte es einer flexiblen Kombination aus geistlichen und weltlichen Herrschaftsmitteln. Die Fürstbischöfe, so der Ausblick, hätten sich nach diesem Lernprozess in der komfortablen Situation befunden, über beide Gewalten zu verfügen.

An die so aufgeworfene Frage, wie normative Vorgaben praktisch umgesetzt wurden, knüpfte JÜRGEN BÄRSCH (Eichstätt) an. Sein Vortrag griff das von Günther Wassilowsky geprägte Konzept der „Konfessionskultur“ auf, um den Stellenwert der Liturgie für die Ausbildung des frühneuzeitlichen Katholizismus zu akzentuieren. Als Paderborner Beispiele vorgeführt wurden der 1602 neu geregelte Ritus der Krankensalbung und die sogenannte „Romswallfahrt“ als öffentliche Demonstration konfessioneller Identität an eigens dafür geschaffenen Sakralorten. Die Liturgie sei hier ein entscheidendes Instrument, durch äußere Repräsentation den Gläubigen das Heil und die Überlegenheit der katholischen Kirche erfahrbar zu machen. Dagegen wurde in der Diskussion eingewandt, dass diesem liturgischen Angebot die – freilich quellenmäßig deutlich schwieriger zu fassende – Sicht der Rezipienten gegenüberzustellen sei.

STEFAN KOPP (Paderborn) wandte sich der ortskirchlichen Verwirklichung der nachtridentischen Liturgie zu. Dafür richtete sich der Blick auf die Verteilung von liturgischen Büchern im Bistum Paderborn, namentlich des Breviarium Romanum von 1568, des Missale Romanum von 1570 und des Rituale Romanum von 1614. Visitationen bemängelten etwa den geringen Bestand an Messbüchern und die liturgische Unkenntnis der Pfarrer, sodass auf Synoden die Vorschriften stets wiederholt und verschärft wurden. Dieser Durchsetzungsprozess sei vor dem Dreißigjährigen Krieg keineswegs abgeschlossen gewesen, sondern habe sich weit darüber hinaus fortgesetzt. Wiederum zur Ergänzung dieses Befunds wurde in der Diskussion vorgeschlagen, die Perspektive der Laien, etwa anhand von Andachtsbüchern, stärker einzubeziehen.

Eine neue Herangehensweise an das Paradigma der Konfessionalisierung forderte ANDREAS HOLZEM (Tübingen) im öffentlichen Abendvortrag. Er plädierte dafür, „Konfessionalisierung“ nicht einseitig als Programm zu verstehen, sondern vielmehr den Fokus auf die Gläubigen zu verschieben. Im Zuge kulturwissenschaftlicher „turns“ blieben hier die „Spielräume der Vielen“ zu vermessen und so die Austauschbeziehungen zwischen Norm und Praxis stärker zu konturieren. Dafür müsse auch die herkömmliche Periodisierung überdacht werden, namentlich die Begrenzung des „konfessionellen Zeitalters“ durch das Stichjahr 1648 oder die umstandslose Gleichsetzung mit der Kulturepoche des Barock. Deshalb unterstrich Holzem den Zäsurcharakter des Dreißigjährigen Krieges auch und gerade für die Ausbildung katholischer Konfessionalität.

Ausgehend von der Vorgabe des Trienter Konzils, die geistliche Pflicht habe alle Lebensbereiche zu durchdringen, schlug TILMAN MORITZ (Paderborn) vor, die Geschichtsschreibung als Teil dieser Aufgabe zu begreifen. So liefere das Paderborner Beispiel mehrere fürstbischöfliche Projekte gezielter Geschichts- bzw. Erinnerungspolitik: hier namentlich gemacht an den Monumenta Paderbornensia und den Annales Paderbornenses, beide zurückzuführen auf die Initiative und eigenhändige Beteiligung Bischof Ferdinands von Fürstenberg (amt. 1661–1683). Während die Monumenta das Bistum als „Erinnerungslandschaft“ konstituierten und gewissermaßen transzendierten, die von Konfessionskonflikten unberührt bleiben konnte, seien die Annales als ihr historiographisches Gegenstück zu verstehen, das auf sachliche Bewältigung der Umbrüche ziele. In dieser Komplementarität, so die These, liege das Angebot an die Teilhaber der geistlichen Herrschaft zur geschichtspolitischen Gemeinschaftsbildung.

Anhand eines Vergleichs der fürstbischöflichen Residenzstädte Passau und Paderborn zeigte CAROLIN PECHO (Passau), welche Rolle Frauenorden bei der konfessionellen Neuordnung und Durchdringung von Herrschaftsräumen spielen konnten. So wurde in Passau der alteingesessene Orden der Benediktinerinnen von den Jesuiten aus der Stadt gedrängt, in Paderborn dagegen ging die Ansiedlung der Augustiner-Chorfrauen zu Lasten der städtischen Oberschicht. Zudem nahm der Orden hier bald Einfluss auf die bisher jesuitisch besetzte Mädchenbildung. In beiden Fällen maßgeblich gewesen sei die Initiative und Mitwirkung der Fürstbischöfe, die Frauenorden in ihren (geschlechts?)spezifischen Aufgabenstellungen gefördert oder behindert hätten, um das Stadtbild konfessionell zu prägen.

Die Gestaltung der Kirchenräume im Zeitalter der Konfessionalisierung machte ALBERT GERHARDS (Bonn) zum Thema und verwies dabei auf den Unterschied zwischen Katholiken, deren Kirchenräume durch das Konzil von Trient starken Veränderungen ausgesetzt waren, und Lutheranern, die eher zu einer Konservierung des alten Stils neigten. Gerhards kontrastierte dabei die dynamische Prozession als Erschließung frühneuzeitlicher Kirchen mit dem verstärkten Einsatz von Sitzbänken, die den Sakralraum zum Theater transformierten. Neben gestalterischen Unterschieden sei auch ein Austausch zwischen den Konfessionen im Kirchenbau zu beobachten. Dieser ergab sich etwa, wenn protestantische Gemeinden alte Kirchen übernahmen und in ihrem Sinne umgestalteten.

JOACHIM WERZ (Tübingen) stellte Predigt und volkssprachliche Postillen als zentrale Kommunikationsmedien katholischer Akteure vor. Im Mittelpunkt des Vortrags standen entsprechende Schriften Albert Eggincks, Abt des Paderborner Benediktinerklosters, aus dem Jahr 1594. Aus der darin beschlossenen Gegenüberstellung von Selbstkritik (am Fehlverhalten von Klerus und Stadtbevölkerung) und äußerer Bedrohung (die lutherische Lehre als „satanisches“ Grundübel) schlussfolgerte Werz, dass Egginck ein umfassendes Bedrohungsszenario entwerfe, um die Gläubigen enger an eine innerlich erneuerte katholische Kirche zu binden. Der verschärfte Ton gegenüber anderen Konfessionen zeige zugleich an, dass Paderborn von einem konfessionell indifferenten „Schwebezustand“ in eine Phase eigentlicher „Konfessionalisierung“ eingetreten war, die von verschiedenen Kräften im Bistum getragen bzw. orchestriert wurde.

GESINE DRONSZ (Minden) zufolge setzte sich die Vereinheitlichung aber eben keineswegs überall durch, sodass sie ihre Betrachtung des landständischen Adels unter den – auch im Anschluss diskutierten – Begriff der „konfessionellen Ambiguität“1 stellte. Anhand gedruckter Leichenpredigten machte sie deutlich, dass der protestantische Adel in der katholischen Mehrheitsgesellschaft durchaus bestimmte konfessionelle Eigenarten bewahren konnte. Für die öffentliche Inszenierung ihrer Konfession sahen sich die Adligen allerdings gezwungen, in benachbarte Herrschaftsräume von Glaubensgenossen auszuweichen. Auch in katholischen Leichenpredigten aus Paderborn erkannte Dronsz eine gewisse Indifferenz und verwies u. a. auf die Vermeidung eines expliziten Marienkults. In der Diskussion wurde außerdem vorgeschlagen, die Quellen hinsichtlich ihrer Funktion als Kommunikationsmittel innerhalb des protestantischen Adels zu betrachten; dafür spreche etwa ihr Entwurf konfessioneller Vorbilder.

Zuletzt erschloss SIEGRID WESTPHAL (Osnabrück) eine Parallelperspektive auf das Fürstbistum Osnabrück. Dem Beitrag gelang es, die Diskussion um den Begriff „Konfessionalisierung“ weiter anzufachen, auch weil das Konfessionalisierungsparadigma auf den Sonderfall Osnabrück gar nicht anwendbar sei, wie Westphal betonte. So habe keiner der vier Fürstbischöfe vor dem Dreißigjährigen Krieg, weder der katholische noch die lutherischen, Maßnahmen zur konfessionellen Vereinheitlichung durchgesetzt. Vielmehr etablierte sich hier ein „dritter Weg“ in Form eines gemischtkonfessionellen Fürstbistums mit einem lutherischen Landesherrn an der Spitze, der anderen Konfessionen ein Existenzrecht einräumte. Diese Stoßrichtung erklärte Westphal mit einer pragmatisch orientierten Herrschaftspolitik Johann von Hoyas (amt. 1553–1574) und seiner Nachfolger, den Landfrieden der Kirchenreform voranzustellen.

Der Tagung gelang es, das Themenfeld der „Konfessionalisierung“ interdisziplinär und aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Kritische Anmerkungen betrafen vor allem die Konzentration auf normative Angebote gegenüber Zeugnissen ihrer Rezeption. Ebenso wurde in den Diskussionen die Themenwahl problematisiert, weil einige Handlungsfelder und Akteursgruppen unterbelichtet blieben. Zum Teil erklärte sich das aus kurzfristig nicht aufzufangenden Ausfällen, namentlich von Vorträgen zum Domkapitel, zu den Städten des Bistums und zu einem weiteren Vergleichsfall, dem Fürstbistum Münster. Der geplante Sammelband soll daher nicht nur die Erträge der Tagung sichern, sondern auch weitere Aspekte ergänzen. Insgesamt zeigte sich, dass es sich lohnt, die scheinbar bekannte Geschichte der „katholischen Konfessionalisierung in Paderborn“ tatsächlich mit Fragezeichen zu versehen und unter so veränderten Vorzeichen noch einmal aufzurollen. Zumal damit und sicher nicht zuletzt das altehrwürdige Konfessionalisierungsparadigma neue Akzente erhalten wird.

Konferenzübersicht:

Stefan Kopp (Paderborn) und Nicole Priesching (Paderborn): Begrüßung

Bettina Braun (Mainz): „Lehr vnd vnterricht“ vs. „forcht oder schmertzen der Straff“: Die Paderborner Fürstbischöfe und die Konfessionalisierung

Jürgen Bärsch (Eichstätt): Die Rolle der Liturgie für die Ausbildung einer katholischen Konfessionskultur

Stefan Kopp (Paderborn): Zur nachtridentinischen Reform der Liturgie im Bistum Paderborn

Andreas Holzem (Tübingen): Totgesagte leben länger? Das Paradigma „Konfessionalisierung“ in Zeiten kulturwissenschaftlicher „turns“ (Öffentlicher Abendvortrag im Auditorium Maximum)

Tilman Moritz (Paderborn): Seelsorge an der Geschichte. Konfessionelle Historiographie und Paderborner Geschichtspolitik des 17. Jahrhunderts

Carolin Pecho (Passau): „Lieb und andächtig“. Frauenklöster als Faktoren der Konfessionalisierung in Passau und Paderborn

Albert Gerhards (Bonn): Gebauter Glaube. Spezifische Merkmale der Kirchenräume im Zeitalter der Konfessionalisierung

Joachim Werz (Tübingen): Predigten aus dem Abdinghofkloster als Kommunikationsmedien konfessioneller Selbst- und Fremdwahrnehmung

Gesine Dronsz (Minden): Zwischen konfessioneller Ambiguität und konfessorischer Beharrlichkeit: Protestanten im Fürstbistum Paderborn im 17. Jahrhundert

Siegrid Westphal (Osnabrück): Zwischen Konfessionalisierung und „konfessionellem Schwebezustand“. Der „dritte Weg“ im Fürstbistum Osnabrück in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts

Anmerkung:
1 Für eine weitere begriffliche Klärung vgl. Tagungsbericht: Konfessionelle Ambiguität – Uneindeutigkeit und Verstellung als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit, 20.–22.9.2010 Münster, in: H-Soz-Kult, 2.11.2010, http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-3340 (02.10.19).


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