Wintershall im Nationalsozialismus

Wintershall im Nationalsozialismus

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte
Ort
Kassel
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2019 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Janina Barth, Geschäftsstelle, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.

Unter dem Titel „Wintershall im Nationalsozialismus“ hatte Wintershall Dea in Kooperation mit der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) am 25. September 2019 zur Historischen Tagung im Kongress Palais Kassel eingeladen. In ihrer Begrüßung ordnete die Geschäftsführerin der GUG, ANDREA H. SCHNEIDER-BRAUNBERGER (Frankfurt am Main), die Forschung zur NS-Vergangenheit von Wintershall in den Gesamtkontext der unternehmenshistorischen Aufarbeitung der NS-Zeit ein. Unter Verweis auf die „Welle“ von Unternehmen, die ihre NS-Vergangenheit in den 1990er- und Anfang der 2000er-Jahren aufarbeiten ließen, bezeichnete sie Wintershall als „latecomer“. MICHAEL SASSE (Kassel), Kommunikationschef der Wintershall Dea, stellte heraus, sich gerade jetzt verstärkt mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, sei sowohl auf das 125-jährige Jubiläum des Unternehmens als auch auf den Zusammenschluss mit Dea in diesem Jahr zurückzuführen.

Einen knappen Überblick über die Unternehmensgeschichte gab MARVIN BRENDEL (Kassel), Unternehmensarchivar von Wintershall Dea. Der Firmenname des Unternehmens lasse sich auf die Anfänge des Unternehmens im Kalibergbau zurückführen: Er leite sich aus dem Namen des Gründers (Carl Julius Winter) und dem altdeutschen Wort „Hall“ (Salz) ab. Jedoch sei die Person, die das Unternehmen mit Blick auf die NS-Zeit maßgeblich geprägt habe nicht Winter, sondern August Rosterg. Rosterg führte das Unternehmen in der Zeit des Aufstiegs und der Expansion in neue Geschäftsbereiche (darunter die Erdölproduktion) Anfang des 20. Jahrhunderts und während des NS-Regimes. Für die Zeit nach 1945 zeichnete Brendel nach, wie Wintershall in den 1950er-Jahren erste Projekte in Peru, Kanada, Libyen und dem Oman verwirklichte, 1968 von BASF übernommen wurde und in den 1970er-Jahren das Kaligeschäft in die heutige K+S AG ausgliederte.

HARM SCHRÖTER (Bergen), der durch die Veranstaltung führte und selbst bereits zur ehemaligen „Kali und Salz“ AG geforscht hat, betonte mit Blick auf die nachfolgenden Vorträge, wie wichtig es sei, sich das Spannungsfeld zwischen der Bewertung August Rostergs und der des Unternehmen Wintershall bewusst zu machen: Rosterg sei nicht mit Wintershall, seine persönlichen Verwicklungen mit dem NS folglich nicht mit denen des Unternehmens gleichzusetzen. Nichtsdestotrotz dürfe man seine Bedeutung für das Unternehmen und seine Rolle in der Außenwirkung (als führender Kopf von Wintershall) nicht negieren.

RAINER KARLSCH (Berlin/München) zeichnete sodann nach, weshalb sich die Entwicklung von Wintershall in der NS-Zeit aus seiner Sicht als „Ökonomie der Zerstörung“ bezeichnen lasse. In den 1920er-Jahren hielt Wintershall 42 Prozent der Anteile am deutschen Kalisyndikat. Anfang der 1930er-Jahre war das Unternehmen ein trotz vorangegangener Wirtschaftskrise erfolgreicher, schwerpunktmäßig im Kaligeschäft angesiedelter Mischkonzern mit einem Bilanzvermögen von rund 334 Mio. RM und ca. 4.500 Angestellten und Arbeitern. Um seine Marktposition zu halten und evtl. auszubauen, setzte die Wintershall-Führung auf Diversifizierung (Mischdünger, Leichtmetalle, Weiterverarbeitung von Nebenprodukten wie Brom, Glaubersalze etc.). 1936 wurde Wintershall als Rüstungsbetrieb eingestuft. Dies war nicht zuletzt auf die enge Kooperation mit der Wehrmacht ab 1933 zurückzuführen. So wurde Munition heimlich in stillgelegten Kalischächten gelagert, womit Wintershall gegen den Versailler Vertrag verstieß. In Zeiten des Krieges expandierte Wintershall zudem nach Österreich, Polen, Ungarn und in die Ukraine.

Als „Ökonomie der Zerstörung“ lasse sich die ökonomische Entwicklung des Unternehmens deshalb deklarieren, da das Unternehmen nach und nach so tief mit dem NS-Regime verflochten war, dass das Ende des Regimes zwangsläufig auch das Unternehmen hart treffen musste: Rund 90 Prozent der Produktion sowie alle Auslandsbeteiligungen gingen verloren. Zudem wurden die Produktionsstätten in der Sowjetzone enteignet.

INGO KÖHLER (Berlin) widmete sich in seinem Vortrag der Frage nach den Motiven des Verhaltens von Wintershall und Rosterg. Letzterer habe bewusst die Nähe zum Nationalsozialismus gesucht, um die Wirtschaftspolitik aktiv mitzugestalten. Im Zuge der Wirtschaftskrise entfernte er sich immer weiter von konservativen Idealen. Er plädierte für die Entfesselung der Märkte, die Ausschaltung der Gewerkschaften und eine diktatorische Staatsführung. Bereits im Februar 1931 fand ein erstes Geheimtreffen mit Adolf Hitler im Berliner Kaiserhof statt. Zusammen mit anderen Industriellen wurde Rosterg Teil des sogenannten „Keppler-Kreises“, einer Gruppe um den Hitler-Vertrauten Wilhelm Keppler. Nach der Machtergreifung war es das Ziel der NS-Führung, Angehörige des Kreises durch indoktrinierende Vorträge von der NS-Ideologie zu überzeugen und zu Spenden zu bewegen. In den nach dem Krieg stattfindenden Entnazifizierungsprozessen verteidigte Wintershall die umfangreichen Spenden Rostergs damit, jener habe sie geleistet, um Wintershall vor staatlicher Gleichschaltung zu schützen. Zwar geriet das Unternehmen während des Krieges tatsächlich in das Visier der Nationalsozialisten, unter anderem weil in einigen Werken weiterhin mit dem Bergmannsgruß statt mit „Heil Hitler“ gegrüßt wurde, jedoch zeugen z.B. die Beteiligung an Arisierungen oder Rostergs enge Freundschaft zu Himmler und Keppler (letzterem schenkte Rosterg ein Anwesen in Unna) von einer engen Verstrickung von Rosterg und Wintershall mit dem NS. Gleichzeitig habe Rosterg auch eine gewisse Distanz zum NS gewahrt, beispielsweise war er nicht Mitglied der NSDAP.

Vor diesem Hintergrund sprach Köhler von August Rosterg als „ökonomischem Opportunisten“ und „willigem Profiteur“, der weniger aus ideologischer Überzeugung als aus wirtschaftlichem Kalkül heraus agierte („Geschäft ging über Moral“). Beispielsweise sei er nicht mehr zu den Treffen des Keppler-Kreises gegangen, als diese keine ökonomischen Vorteile für Wintershall hätten bringen können. Zusammenfassend lasse sich in seinem Handeln der Wunsch erkennen, die politischen Bedingungen für sich arbeiten zu lassen, wobei er mit seinem ursprünglichen Ziel, die Privatwirtschaft vor staatlichen Einflüssen zu schützen, scheiterte.

MANFRED GRIEGER (Göttingen) beleuchtete sodann den Einsatz von Zwangsarbeitern und die betriebliche Sozialpolitik bei Wintershall, welche er als „zwei Seiten derselben Medaille rassistischer nationalsozialistischer Politik und Ideologie“ bezeichnete. Die Loyalität der deutschen Angestellten und Arbeiter zu Regime und Unternehmen sei mit Angeboten wie der Fahrtkostenübernahme zum Reichsparteitag, KdF-Fahrten, Sonderurlaub für die Militärausbildung, aber auch innerbetrieblichen Veranstaltungen wie der Organisation von Betriebssport-Wettkämpfen, Kameradschaftsabenden oder dem betrieblichen Wohnungsbau erkauft worden. Mit diesen Maßnahmen hätten sich die Betriebsführer an den einzelnen Standorten zugleich gegenüber lokalen NS-Akteuren legitimiert. Demgegenüber stünden die Zahlen von 6.200 eingesetzten Zwangsarbeitern im Öl-, 2.900 im Kali- und 500 im Fusor-Bereich, die Wintershall beschäftigte. Mit Blick auf ihre Anwerbung und „Kontrolle“ habe Wintershall auf dezentrale Steuerung gesetzt. So konnte die Unternehmensführung später behaupten, nicht zu wissen, unter welchen Bedingungen und teils dass überhaupt Zwangsarbeiter im Unternehmen eingesetzt wurden. Die Verantwortung lag in dieser Argumentation bei den jeweiligen Werksleitern.

Dass die staatliche Strafverfolgung der Gefangenen und die unternehmerische Aufsicht während der Arbeitszeit eng verschränkt waren, zeigt beispielhaft die Praxis, dass Zwangsarbeiter vom Werksschutz an der Baracke abgeholt und dort auch wieder hin zurückgebracht wurden. War kein staatlicher Aufseher für die Nachtwache in der Baracke vor Ort, übernahm der Werksschutz auch diese (eigentlich staatliche) Aufgabe. Grieger machte deutlich, dass sich Unternehmen in Bezug auf Zwangsarbeit nicht auf die Position des reinen Befehlsempfängers zurückziehen können. Die Zwangsarbeitsinitiative sei von den Unternehmen ausgegangen und vom Staat mitorganisiert worden.

In der anschließenden Diskussion kam unter anderem die Frage auf, wie groß das Interesse der NS-Führung an Rosterg gewesen war und ob es „einen Unterschied gemacht hätte“, hätte Rosterg sich aktiv gegen das Regime gestellt. Das Vermögen Rostergs werde auf 200 Mio. RM im Jahr 1945 geschätzt, was, so Köhler, für damalige Verhältnisse „steinreich“ sei. Dennoch stelle sich die Frage nach dem Verlauf der Geschichte im Falle des Widerstands Rostergs nicht: Wirtschaft und Politik seien bis heute interdependent. Rosterg hätte sich nicht gegen das Regime gestellt, da es seiner Rolle und seinem Selbstverständnis als Industrieller und Vertreter der Wirtschaft widersprochen hätte. Vielmehr habe er stets versucht, im Rahmen der jeweiligen politischen Situation gewinnbringend zu wirtschaften.

Auch die „latecomer-Rolle“, die Wintershall bei der Aufarbeitung seiner NS-Vergangenheit im Vergleich zu anderen Unternehmen einnimmt, wurde in der Diskussion aufgegriffen. Grieger bewertete die in der Relation späte Aufarbeitung als Chance, sich Fragen zu widmen, die ohne die vorangegangene Forschung nicht zu beantworten wären bzw. „vor zwanzig Jahren einfach noch nicht gestellt wurden“. Beispielsweise hätte man vor einigen Jahren vermutlich noch versucht, um jeden Preis herauszufinden, ob Rosterg ideologisch vom NS überzeugt war, heute würde man eher Köhlers These des „ökonomischen Opportunisten“ als Ausgangspunkt dafür nehmen, Rostergs Bedeutung im System und im Unternehmen zu erforschen.

Konferenzübersicht:

Marvin Brendel (Kassel)
125 Jahre Wintershall

Rainer Karlsch (Berlin/München)
Ökonomie der Zerstörung. Vom Kali- zum Mischkonzern 1931-1945

Ingo Köhler (Berlin)
Zwischen Opportunismus und Pragmatismus. Die Verstrickung der Wintershall AG und seiner Vorstände mit dem Nationalsozialismus

Manfred Grieger (Göttingen)
Betriebliche Sozialpolitik und Zwangsarbeit. Zwei Seiten der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ bei Wintershall

Diskussion


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts