Die Chancen von Weimar im rheinisch-westfälischen Vergleich

Die Chancen von Weimar im rheinisch-westfälischen Vergleich

Organisatoren
NS-Dokumentationsstelle der Stadt Krefeld; Stadtarchiv Krefeld; Historisches Institut der Universität Mannheim; Lehrstuhl für Hessische Landesgeschichte der Philipps-Universität Marburg; Landschaftsverband Rheinland – LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, Bonn
Ort
Krefeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.09.2019 - 27.09.2019
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Von
Maike Schmidt, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte

Das Doppeljubiläum 100 Jahre Bauhaus / 100 Jahre Weimarer Republik, das dieses Jahr mit vielen Feierlichkeiten und Veranstaltungen begangen wird, hat bereits im Vorfeld eine vertiefte thematische Auseinandersetzung mit demokratischen Aufbrüchen auf der Ebene des Regionalen und des Lokalen angeregt. Auch im Westen der Bundesrepublik, der bekanntlich nicht sofort „Weimar“ und noch weniger „Bauhaus“-Assoziationen auf den Plan ruft, sind umfängliche, in diese Richtung gehende Aktivitäten zu verzeichnen, sowohl in der musealen Vermittlung als auch in der regionalhistorischen Forschung.1 Dies ist eine erfreuliche Entwicklung, da das Regionale in der vorwiegend auf Berlin konzentrierten Weimar-Forschung lange keine Rolle gespielt hat. Begrüßenswert ist nicht nur, dass in den Hintergrund geratene, regionale Themen von reichspolitischer Relevanz wieder verstärkt Beachtung finden2, sondern auch, dass derweil die Chancen der ersten deutschen Demokratie jenseits des am Ende stehenden Faschismus in den Fokus rücken.3 In diesem Diskursrahmen bewegte sich auch die zu bilanzierende Krefelder Tagung, die neben einer regionalen Fokussierung den interregionalen Vergleich gewagt und gleichzeitig auch noch Fragen nach der künftigen Rolle von Weimar in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit aufgeworfen hat. Das Konzept ging zurück auf Stefanie van de Kerkhof (Leiterin des Projekts „Moderne Zeiten im Westen? Konsumgeschichte und Industriekultur Krefelds, 1918-1933), Sandra Franz (Leiterin der NS-Dokumentationsstelle der Stadt Krefeld Villa Merländer) und Sabine Mecking (Inhaberin des Lehrstuhls für Landesgeschichte in Marburg) – ein Organisationsteam, das sich selbst an der Schnittstelle zwischen Forschung und Vermittlungspraxis bewegt. Kooperationspartner war das LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte Bonn.

Ziel der Veranstaltung war es, die Chancen von Weimar regionalhistorisch auszuleuchten, nicht klassisch verfassungsrechtlich, sondern übergreifend in den Sektionen „Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“, „Sprache, Kultur und Konsum“ sowie „Gender und Devianz“. Dieses thematische Spektrum bot eine Basis, um in einem zweiten Schritt über Potenziale einer stärkeren Einbettung von „Weimar“ in die Vermittlungsarbeit nachzudenken. Dazu berichteten Expertinnen und Experten aus dem Rheinland und aus Westfalen zunächst exemplarisch aus der Ausstellungs- und Gedenkstättenpraxis und diskutierten anschließend in einer von Sabine Mecking moderierten Gesprächsrunde gemeinsam mit Kollegen aus der Fachdidaktik über die Frage, ob die Weimarer Republik gerade an NS-Gedenkstätten inhaltlich eine stärkere Rolle spielen sollte. Den Organisatorinnen ging es insgesamt, wie Mecking einführend betonte, darum, die Kategorie der Region als „Meso-Ebene“ produktiv zu machen. Daneben müsse es, so Franz und van de Kerkhof, zu einer Objektivierung von Verklärungen und Mythen kommen, ohne dass die realen Chancen Weimars aus dem Blickfeld verloren werden. Der regionale Vergleich, verbunden mit einem Dialog zwischen Forschung und Vermittlung, könne, so argumentierte Franz, ein Umdenken in der Erinnerungskultur bewirken.

Der Veranstaltungsort war nicht zufällig gewählt: Krefeld steht inmitten des durchaus kontrovers diskutierten Bauhaus-Kults in NRW für „mehr“, vielleicht für das „echte“ Bauhaus im Westen.4 OLAF RICHTER (Krefeld) betonte in diesem Kontext zu Recht die Relevanz der Stadt für das Bauhaus, bedingt nicht zuletzt durch das Wirken Mies van der Rohes, von dem vor kurzem noch unbekannte Bauzeichnungen im Stadtarchiv präsentiert worden waren. Die hohe Bedeutung der Textilindustrie brachte Krefeld bekanntermaßen den Beinamen „niederrheinisches Manchester“ mit seinen „Seidenbaronen“, eine Konstellation, an der, so STEFANIE VAN DE KERKHOF (Krefeld), die hohen Ambivalenzen der Weimarer Zeit deutlich zu Tage träten – ähnlich wie in der Biographie des Krefelder Seidenhändlers Richard Merländer, der sich Mitte der zwanziger Jahre im Krefelder Villenviertel eine eher feudale, zumindest nicht an das Bauhaus angelehnte Villa errichten ließ, um diese dann mit avantgardistischer Kunst von Heinrich Campendonk ausstatten zu lassen. SANDRA FRANZ (Krefeld), die das biographische Moment des jüdischen Wirtschaftsbürgers präsentierte, der in der Kölner und Düsseldorfer Homosexuellenszene aktiv war, verdeutlichte die Gegensätze von Konsum und Freiheiten einerseits, Prekarität und Ausgrenzung andererseits. Ähnliche Diskrepanzen wies die von van de Kerkhof vorgestellte Seidenindustrie aus: Sinkende Lebensstandards standen konträr zum Unterhaltungskonsum der sogenannten Goldenen Zwanziger. Krisen, Streikwellen und prekäre Arbeitsverhältnisse gab es in Krefeld auch in den wenn auch wenigen Jahren ungestörten Aufschwungs in der Textilbranche, die u. a. auf die Zentralisierung der Produktion und den aktiven Austausch zwischen Herstellern und Dessiniergrößen des Bauhauses wie Muche, Itten und Kadow zurückzuführen waren.

Die Ergiebigkeit einer regional-vergleichenden Perspektive zeigte sich anhand der Referate von GEORG MÖLICH (Bonn) und PHILIPP KOCH (Minden), die jeweils Sondersituationen von interregionaler Relevanz herausstellten, zunächst anhand eines breiten Zugriffs auf Politik- und Besatzungsgeschichte im Rheinland und in Westfalen, anschließend am Beispiel der wenig erforschten preußisch-hessischen Staatseisenbahn, die durch ihre schiere wirtschaftliche Relevanz, das Schienennetz und die provinzübergreifenden Direktionszuständigkeiten eine enge suprastrukturelle Verbindung zwischen den beiden preußischen Westprovinzen herstellte. Aus beiden Vorträgen gingen die überdimensionierten Herausforderungen hervor, vor die sich die junge Republik nach Kriegsende gestellt sah: die Omnipräsenz von Gewalt und die komplexe Problemlage der Waffenstillstandsverhandlungen. Koch wies auf das pikante Detail hin, dass der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger in Compiègne über eine Bahn verhandelte, die faktisch nicht dem Reich, sondern dem Land Preußen gehörte. Mölich zeigte die strukturelle Sonderstellung der Westprovinzen in der jungen Republik auf und sprach von einem „Inkubationszeitraum für Langzeitentwicklungen im Westen“. Die Rheinlandbesatzung, die hochgradig konfliktbeladene Ruhrbesetzung sowie Agitationen im Zusammenhang mit der Industriearbeiterschaft und dem rheinischen Separatismus machten den Westen zu einem zentralen Politikum, das sich trotz der großen Nachkriegsprobleme rasant entwickelte: Die Dichte an Großstädten und Industrie war reichsweit einmalig, Köln stach als sich entwickelnde Medienmetropole mit internationalen Großprojekten wie der PRESSA 1928 deutlich hervor.

Im Kontext von Gewalt und aggressiver Sprache breitete SILKE FEHLEMANN (Dresden/Düsseldorf) Überlegungen zu hate speech im öffentlichen Diskurs aus, die sie aktuell am Dresdener SFB „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ untersucht. Zentral war dieses Thema nicht nur, um zu verstehen, auf welch breiter antisemitischer, republik- und menschenfeindlicher Sprachgrundlage Hetze und Schmähungen später im Nationalsozialismus wieder aufgegriffen werden konnten. Die von Fehlemann untersuchten Quellen, u. a. Beleidigungsprozessakten, verdeutlichten auch aus tagespolitischen Konstellationen bekannte, z. T. fatale Eskalationsspiralen, wie sie etwa bei der Diffamierungskampagne gegen Friedrich Ebert eintraten. Die Justiz kam als Regulierungsinstrument nur bedingt in Frage. Selten brachten die Staatsanwaltschaften das Republikschutzgesetz im Fall von Beleidigung zur Anwendung. Kläger mussten den komplizierteren Weg des regulären Strafrechts gehen – mitunter ein Grund, weshalb Beleidigungsverfahren gegen Ende der Weimarer Republik immer weiter zurückgingen. Gertrude Cepl-Kaufmann schlug in der Diskussion vor, das Thema auch aus der Perspektive der Gegnerschaft operativer Hetze zu bearbeiten und verwies auf Heinrich Manns Essayband Der Haß.

Der wegen Krankheit entfallene Vortrag von BETTINA BRAUN (Koblenz) zur Ambivalenz des Kinos, das einerseits Vergnügungsstätte, andererseits „Kampfzone“ war, wurde stellvertretend von Georg Mölich kommentiert. Das Konfliktpotenzial des Kinos zeige sich u. a. anhand von Kinoprogrammen im besetzten Rheinland, die der z. T. restriktiven Zensur der Besatzungsbehörden unterlagen. Der Film als Aushandlungsmedium der Moderne und ihrer Utopien stieß hier auf klare Begrenzungen. Um gelebte und literarisierte Utopien, die progressive Werteanschauungen überhaupt erst in die gesellschaftliche Auseinandersetzung brachten, ging es in den Vorträgen von DANIEL CREMER (Düsseldorf) zur Künstlervereinigung „Das Junge Rheinland“ und GERTRUDE CEPL-KAUFMANN (Düsseldorf). Die Autorin des kürzlich erschienenen Buches 1919: Zeit der Utopien stellte anhand von literarischen Äußerungen aus und über Westfalen und Rheinland die sich verschiebenden Topographien nach dem Ersten Weltkrieg dar. Beide, sowohl das genuine Künstler- als auch das Schriftstellertum, deren Grenzen in Gruppierungen wie der Kalltalgemeinschaft in der Eifel oder in Bewegungen wie Dada freilich zerflossen, verband die Suche nach einem unkonventionellen, demokratisierten und solidarischen Umgang mit Literatur und Kunst. Deutlich wurden in beiden Vorträgen die neuen Aneignungsformen von Region: Dem „Jungen Rheinland“, selbst von internen Interessenkonflikten durchsetzt, ging es zwar um ein rheinisches Aktionsbündnis, dabei aber eher um „Entwicklung“ statt um politische Revolution durch die Schaffung eines, so Cremer, „ausjurierten Raums“, der das vormalige rheinische Kunstcliquentum unterlaufen sollte. Dies gelang mit Blick auf Protektoren – Stichwort Johanna Ey – nur bedingt. Die von Cepl-Kaufmann besprochenen literarischen und darstellerischen Gruppierungen, etwa der dezidiert politisch motivierte Aktivistenbund mit Gert Wollheim oder die „Truppe im Westen“, generierten einen eigenen, literarischen Westen der Industriemoderne und verabschiedeten sich von der Rheinromantik.

Die dritte Sektion „Gender und Devianz“ thematisierte Sittlichkeits- und Geschlechtervorstellungen sowie deren obrigkeitliche Kontrolle. Den Umgang mit als deviant definiertem Verhalten exemplifizierte MAREEN HEYING (Düsseldorf) anhand der Regulierungsmaßnahmen bezüglich weiblicher Prostitution und männlicher Trunksucht. Dabei stützte sie sich auf bislang unbeachtete Verwaltungsquellen – Personalakten und Listungen männlicher, juristisch sogenannter Trunkenbolde – aus Düsseldorf und Münster. Die unterschiedlichen Überlieferungslagen ließen zumindest für Alkoholexzesse in Münster erkennen, dass es das Bestreben gab, die Ordnung in der – so die Quellen – „sittlich besonders hochstehenden Stadt“ aufrechtzuerhalten. Für das linksrheinisch belgisch und rechtsrheinisch französisch besetzte Düsseldorf konnte Heying eine gesteigerte Kontrolle von Prostitution nachweisen, die sich in Listenführung, Erlässen zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten, Zwangsuntersuchungen und Festnahmen vermeintlich verdächtiger Frauen äußerte. Ziel dieser Maßnahmen war der Schutz der Männer und Soldaten vor angeblich „kranken heimlichen Dirnen“. FRANK SPARING (Düsseldorf) untersuchte männliche Homosexualität im Rheinland zwischen relativem Freiheitsgewinn und fortdauernder Stigmatisierung am Beispiel von Düsseldorf und Köln, wo sich in den zwanziger Jahren entsprechende Szenen herausbildeten. Beide Vorträge zeigten die Kontinuität alter Sittlichkeitsvorstellungen, wenn Freier „schützenswerte Kunden“ waren, homosexuelle Männer „Invertierte“ genannt wurden oder geschlechtswechselnde Damendarsteller (die eigentlich beliebte Bühnenstars waren) als besonders anmaßend galten. Thematisch knüpften die Vorträge sowohl an Besatzung, Schmähung und Denunziantentum als auch an Chancen an: Sparing wies darauf hin, dass – bedingt auch durch die wenig aktive Strafverfolgung – die Weimarer Republik eine „bis heute nie mehr gekannte und nie mehr erreichte“ Entfaltung der homosexuellen Subkultur ermöglicht hatte. Angesichts der frappanten Nachgeschichte der Kriminalisierung von Homosexualität und damit zusammenhängender Gesetze („freiwillige Entmannung“ oder Zwangssterilisierung; Zwangspsychatrisierung) ging es in der Diskussion konsequenterweise auch um Repression in der Bundesrepublik.

Es folgte die praxisbezogene Sektion zur Rolle Weimars in der Vermittlungsarbeit mit anschließendem Podium. Das museale Mitmachprojekt „Demokratie als Feind“, das LEONARD SCHMIEDING und PHILIPP SCHWERDTFEGER (Münster) vorstellten, lieferte ein Beispiel für die enge Zusammenarbeit von Geschichtswissenschaft, Ausstellungsgestaltung und Museumspädagogik. Die Projektleiter werden ab Frühjahr 2020 an unterschiedlichen westfälischen Standorten angeleitete Aktionen zur Auseinandersetzung mit Demokratiefeindlichkeit durchführen. Der Vermittlungsansatz sieht eine intergenerationelle Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern vor und arbeitet mit Beispielen aus der Weimarer Zeit und ihren Gegenwartsbezügen, u. a. mit konkret überlieferten Fällen demokratiefeindlicher Akte und Äußerungen aus Westfalen. Kontrovers diskutiert wurden die Frage nach dem Grad der Steuerung von Teilnehmenden und ebenso die in der Geschichtswissenschaft häufig problematisierten Gegenwartsanalogien. Sie seien derzeit aber, so SABINE REIMANN (Düsseldorf) vom Erinnerungsort Alter Schlachthof, gerade in der Arbeit an NS-Gedenkstätten angesichts des weiter zunehmenden Rechtsradikalismus nahezu unausweichlich. Reimann stellte grundsätzlich die Frage, ob es die Aufgabe von Gedenkstätten sei, NS-Verbrechen aus der Weimarer Republik heraus zu erklären. Dennoch plädierte sie für eine stärkere Kontextualisierung der Vorgeschichte, etwa von Biographien, da erste Erfahrungen antisemitischer Diskriminierung zumeist in der Weimarer Republik zu finden seien.

Darüber, dass eine stärkere Implementierung von Weimar im Vermittlungskonzept von NS-Gedenkstätten Potenzial hat, herrschte auch in der von Sabine Mecking moderierten Podiumsdiskussion weitestgehend Konsens. Gleichwohl wurde aus den Statements der DiskutantInnen, die jeweils aus ihrem Berufsverständnis heraus argumentierten, deutlich, dass das Umsetzbare klar eingegrenzt und Unterstützung geboten sein muss. Gedenkstätten sollten sich beim „Auffangen“ der großen gesellschaftlichen Kontroversen – ein Anspruch, von dem sich alle DiskutantInnen betroffen fühlten – begrenzen dürfen. In direkter Reaktion verwies van de Kerkhof aus der Sicht der Forschung auf die Tatsache, dass Gedenkstätten genau in diesem Punkt direkte und wichtige Ansprechpartner für WissenschaftlerInnen seien. Reimann erinnerte an den Hauptauftrag von Gedenkstätten, NS-Verbrechen darzustellen, ein Grund, warum an allen auf dem Podium vertretenen Institutionen Weimar nicht als Einzelthema vorkommt. Franz problematisierte aus der eigenen Arbeit die Randständigkeit des Themas und den geringen Wissensstand von Schülerinnen und Schülern: 1933 erschiene so als großer Bruch ohne Vorgeschichte. Die unzureichende Behandlung des Themas im Schulunterricht wurde einhellig für problematisch befunden. Eine konkrete Überlegung, wie Weimar künftig an Gedenkstätten umgesetzt werden könnte, brachte Alfons Kenkmann ein: Weimar müsse nicht zwingend über den mitunter voraussetzungsvollen Begriff „Demokratie“ erzählt werden. Zivilcourage sei zutreffender und im gegenwärtigen Kontext auch relevanter. Ein Zugang könne über konkrete Beispiele des Protests gegen rechts aus der Weimarer Zeit geschaffen werden. Stefan Mühlhofer plädierte dafür, an Gedenkstätten weiterhin eine fachliche Auseinandersetzung zu führen, da Grundannahmen aus der älteren Forschung z. T. lange nicht mehr hinterfragt oder neu gedeutet worden seien. Die Diskussion zeigte, dass Weimar in Westfalen und im Rheinland zwar mittelfristig mehr Raum geboten werden wird, die Konzeptualisierung aber noch am Anfang steht.

Die Tagung ist der Beweis für die gesteigerte Aktivität in Forschung und Vermittlung, die von Jubiläen ausgehen kann, auch wenn sie manchmal als offensiv und lästig empfunden werden. Mit Blick auf die präsentierten Forschungsdesiderate, die regional-vergleichenden Themen und den in die Tat umgesetzten Austausch zwischen Wissenschaft und politisch-historischer Bildungsarbeit ist das Gedenkjahr hier ein wahrhafter Glücksfall. Die Tagung hat gezeigt, wie immens wichtig der Dialog zwischen den genannten AkteurInnen ist. Es gilt in diesem Rahmen auch, die Position der Gedenkstätten bei der Erarbeitung von Konzepten und bei der Bewältigung von gesellschaftlichen Aufgaben zu stärken. Gedenkstätten sind nicht nur eine wichtige Vermittlungsbasis von Geschichtswissen, sondern häufig auch eine erste Anlaufstelle für Anfragen zur neuen Präsenz von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, die nun auch verstärkt auf der kommunalen Ebene spürbar wird.

Konferenzübersicht:

Olaf Richter (Krefeld), Sabine Mecking (Marburg), Georg Mölich (Bonn), Sandra Franz (Krefeld): Grußworte

Stefanie van de Kerkhof (Krefeld): Einführung

Sektion 1: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

Georg Mölich (Bonn): Weimar im Westen – Grundzüge der Entwicklung im Rheinland und in Westfalen

Sandra Franz / Stefanie van de Kerkhof (Krefeld): Seidenindustrie und Seidenhandel in Krefeld und dem Niederrhein

Philipp Koch (Wesel): Die Preußisch-Hessische Staatseisenbahn in Rheinland-Westfalen zwischen Krieg, Revolution und Besatzung 1918 bis 1920

Sektion 2: Sprache, Kultur und Konsum

Silke Fehlemann (Dresden/Düsseldorf): „Hate speech“ im Rheinland

Brigitte Braun (Koblenz): Das Kino als Vergnügungsstätte und Kampfzone im (besetzten) Rheinland und Westfalen

Daniel Cremer (Düsseldorf): Entwicklung statt Revolution? Die Künstlervereinigung „Das Junge Rheinland“

Gertrude Cepl-Kaufmann (Düsseldorf): Utopien in der rheinischen und westfälischen Literatur im Vergleich

Sektion 3: Gender und Devianz

Mareen Heying (Düsseldorf): Verdächtige Frauen und betrunkene Männer. Zur Kontrolle von „Prostituierten“ und „Trunkenbolden“ im Rheinland und in Westfalen

Frank Sparing (Düsseldorf): Homosexualität im Rheinland

Sektion 4: Die Weimarer Republik als Erweiterung der Gedenkstättenarbeit?

Leonard Schmieding / Philipp Schwerdtfeger (Münster): Demokratie als Feind – Das völkische Westfalen, 1918-1933

Sabine Reimann (Düsseldorf): Biographische Spurensuche im Rheinland

Podiumsdiskussion
Der historische Ort von Weimar in der Gedenkstätten- und Vermittlungsarbeit
Moderation: Sabine Mecking, Lehrstuhl für Hessische Landesgeschichte der Philipps-Universität Marburg, Vorsitzende des Brauweiler Kreises für Landes- und Zeitgeschichte e. V.
Diskutanten: Sandra Franz, Villa Merländer, NS-Dokumentationsstelle der Stadt Krefeld; Alfons Kenkmann, Lehrstuhl für Geschichtsdidaktik der Universität Leipzig, Vorsitzender des Arbeitskreises NS-Gedenkstätten NRW e. V.; Sabine Reimann, Erinnerungsort Alter Schlachthof, Düsseldorf; Leonard Schmieding / Philipp Schwerdtfeger, Projekt Demokratielabor, Geschichtsort Villa ten Hompel, Münster

Anmerkungen:
1 So stand 2018 u. a. schon die Jahrestagung der Historischen Kommission für Westfalen unter dem Titel „Aufbruch in die Demokratie. 100 Jahre Revolution im Rheinland und in Westfalen“: H-Soz-Kult, 27.05.2018, <www.hsozkult.de/event/id/termine-37392>/. Mit dem Auftaktsymposium „Die Welt neu denken“ auf Zeche Zollverein wurde im September desselben Jahres das Bauhaus-Jahr 2019 in NRW eingeläutet: H-Soz-Kult, 23.07.2018, <www.hsozkult.de/event/id/termine-37811>. Begleitend zur multimedialen Wanderausstellung „Weimar im Westen: Republik der Gegensätze“ entstand ein gleichnamiger Essayband: Regina Göschl/Julia Paulus (Hrsg.), Weimar im Westen. Republik der Gegensätze, Münster 2019.
2 Beispielhaft zu nennen ist die Rheinlandbesatzung nach dem Ersten Weltkrieg, vgl. dazu Besatzungsherrschaft und Alltag im Rheinland – Die belgische, britische und amerikanische Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg, 27.06.2019 Köln, in: H-Soz-Kult, 27.08.2019, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8411>.
3 Zu „Weimar als Chance“ vgl. die von der Forschungsstelle Weimarer Republik Jena veranstaltete Tagung 2018: Die Weimarer Reichsverfassung: Aufbruch und Innovation, 06.12.2018 – 08.12.2018 Berlin, in: H-Soz-Kult, 23.11.2018, <www.hsozkult.de/event/id/termine-38847>.
4 Vgl. Christiane Lange/Anke Blümm (Hrsg.), Bauhaus und Textilindustrie. Architektur – Design – Lehre; München 2019, mit Schwerpunkt Krefeld.