Hof- und Leibärzte in der Frühen Neuzeit

Hof- und Leibärzte in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck; Forschungszentrum _Medical Humanities_ der Universität Innsbruck
Ort
Innsbruck
Land
Austria
Vom - Bis
26.09.2019 - 27.09.2019
Url der Konferenzwebsite
Von
Florian Ambach, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck

Im Zentrum der von Elena Taddei und Marina Hilber organisierten internationalen Tagung standen seit dem Spätmittelalter praktizierende Ärzte, deren Ausbildungswege, Strategien der Karriereanbahnung, Mobilität, außermedizinische Kompetenzen und Tätigkeiten sowie berufliche und familiäre Netzwerke wertvolle Einblicke in die Verzahnung ihrer medizinischen Praxis mit dem höfischen System gewähren. Ziel der Tagung war es, wie Elena Taddei in ihrer Eröffnung betonte, die vielfältigen Abhängigkeiten und nuancenreichen Zusammenhänge unterschiedlicher – privater, beruflicher, universitärer und höfischer – Netzwerke im Umfeld spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Ärzte herauszuarbeiten.

SABINE HERRMANN (Stuttgart) versuchte, auf der Basis ausgewählter Biographien Mechanismen der Ausbildung und Rekrutierung von Leibärzten sowie deren politische Funktionen am Hof der Gonzaga in Mantua zu identifizieren. Als Beispiel diente der aus Mantua stammende Marcello Donati, Sohn eines am Hof der Gonzaga tätigen Goldschmiedes, der nach seinem Studium in Padua 1566 in die Accademia degli Invaghiti (Akademie der Vernarrten) eintrat. Wohl aus Karrieregründen heiratete er die dreißig Jahre ältere Cecilia Laziosi, Witwe des Hofarztes Giovan Maria Facini. Durch seine philologische Tätigkeit und sein Kunstmäzenatentum avancierte er zum humanistischen Universalgelehrten. Darüber hinaus wurde er von den Gonzaga in verschiedene politische Funktionen eingesetzt.

MARTINA HACKE (Düsseldorf) widmete sich dem Leben des aus Basel gebürtigen Wilhelm Kopp (um 1461–1532), der das in seiner Heimatstadt begonnene Studium der Medizin in Paris abschloss und als Arzt König Ludwigs XII. und Franz᾽ I. tätig wurde. Auf die Frage nach den Faktoren, die Kopp die Tür zum französischen Königshaus geöffnet haben, zeigte Hacke, dass er sich in unterschiedlichen Netzwerken bewegte: Er behandelte die Studierenden deutscher Nation in Paris, stand in Kontakt mit dem in Basel tätigen Humanisten Johann Amerbach und war als Philologe und Übersetzer tätig. Letzteres und die Kontakte zu führenden Humanisten wie Johannes Reuchlin und Erasmus von Rotterdam, den er persönlich behandelte, waren ausschlaggebende Kriterien für seine Aufnahme am französischen Königshof.

Noël Vallants Arztkarriere im von religiösen und politischen Unruhen bedrohten Paris war der Forschungsgegenstand von DORIT BRIXIUS (Paris). Der Sohn eines Händlers aus Lyon absolvierte sein Medizinstudium in Montpellier, bevor er 1658 von Madame de Sablé in ihren literarischen Salon geladen wurde. Schnell war Vallant in aller Munde, sodass er in den 1660er Jahren als Arzt in diversen Frauenklöstern jansenistischer Prägung tätig wurde. Durch die Bekanntschaft mit der Äbtissin von Montmartre, Françoise Renée de Lorraine, erhielt er schließlich Zugang zu deren Schwester, Marie de Lorraine, der Duchesse de Guise. Brixius wies darauf hin, dass Vallant besondere kommunikative Fähigkeiten gehabt haben musste, denn er behandelte fast ausschließlich Frauen der gesellschaftlichen Elite.

BENJAMIN STEINER (München) unternahm den Versuch, die politische Rolle von Hofärzten am Beispiel des höfischen Systems von Versailles zu beschreiben. Unter Bezugnahme auf Ernst Kantorowicz᾽ Theorie der zwei Körper des Königs argumentierte er, dass das gesundheitliche Befinden des Königs immer im Zusammenhang mit dem politischen Zustand des Königreichs gedeutet wurde. Steiner zeigte, dass sich die Hofärzte während der Regierungszeit Ludwigs XIII. meistens in unmittelbarer Nähe des Königs befanden. Unter Ludwig XIV. wurde das Jagdschloss von Versailles zur dauerhaften Herrscherresidenz ausgebaut, wodurch auch Ärzte den Vorgaben des höfischen Zeremoniells unterworfen wurden. Neben einer prosopographischen Erschließung der Netzwerke der Hofärzte konnte Steiner auch das Arzt-Patienten-Verhältnis anhand von Arztjournalen skizzieren.

MARKUS MICHALSKI (München) widmete sich dem Leben und Wirken des aus Danzig stammenden Balthasar Mansfeld (1440–1503), der in Rostock seine Studien aufnahm, vermutlich in Italien zum Doktor der Medizin promovierte und sich danach in München ansiedelte, wo er zum Leibarzt des abgedankten Herzogs Sigismund avancierte. Daneben war er als Stadtarzt tätig. Als solcher war er in der Ehegerichtsbarkeit tätig und versuchte mittels Einblattdrucken medizinisches Wissen zu vermitteln. Von besonders hohem Interesse ist ein gedruckter Ewiger Kalender in seinem Nachlass, in dem Mansfeld Informationen zu Patienten, Reisen, Familie und politischen Ereignissen notierte.

ULRICH SCHLEGELMILCH (Würzburg) versuchte, anhand der Untersuchung eines einzelnen Hofes allgemeine Faktoren auszumachen, die bei der Auswahl von Leibärzten ausschlaggebend waren. Der Einfluss der Leibärzte im kleinteiligen politischen System des Reichs, so seine Argumentation, sei nicht ansatzweise so bedeutsam gewesen, wie jener der Leibärzte des französischen Königs, mit dessen „politischem Körper“ eine sakrale Vorstellung einherging. An den Beispielen Wolfgang Fuhrmanns und Caspar Peucers wurden Arztkarrieren am Hof der anhaltischen Fürsten nachgezeichnet, wobei insbesondere auf das Studium in Wittenberg, die Nähe zum Reformator Philipp Melanchthon sowie die Rolle als Überbringer von vertraulichen Informationen eingegangen wurde.

ULF WENDLER (Chur) zeichnete die Lebensläufe der in Norddeutschland tätigen Mediziner Gervasius Marstaller (um1520–1578) aus dem Breisgau und Johann Bökel (1535–1605) aus Antwerpen nach. Beide waren überzeugte Lutheraner, die sich bewusst für ein Studium in Wittenberg entschieden. Wendler unterstrich den hohen Grad der Mobilität der beiden Mediziner, die sich auch in Italien und Frankreich ausbilden ließen, bevor sie für verschiedene Fürsten von Braunschweig-Lüneburg und Anhalt tätig waren. Ihre Pestschriften, gedruckte Ratgeber in der Volkssprache, anhand derer breiten Bevölkerungsschichten das Wissen um die Verbreitung der Seuche vermittelt wurde, waren besonderer Gegenstand der Untersuchung. Wendler kam zum Schluss, dass der frühmoderne Staat über die Publikationsarbeit von Leibärzten den Aufbau einer Gesundheitsvorsorge forcierte, was die Fürsten nutzen konnten, um als „Garanten der Gesundheit“ ihrer Untertanen aufzutreten.

KATHARINA SEIDL (Innsbruck) ging auf die Leibärzte Erzherzog Ferdinands II. ein. Der kunstliebende Erzherzog ließ Schloss Ambras bei Innsbruck im Stile der Renaissance umbauen und legte eine breite Kunst- und Wunderkammer an. Sein Leibarzt Georg Hansch und sein Apotheker Gorin Guaranta waren an der Entwicklung neuer Arzneimittel beteiligt. Seidl wies auf Muster der Netzwerkbildung von Leibärzten hin und zeigte, dass sich Ferdinand auf die Expertise von Ärzten aus dem italienischen Raum verließ, u. a. auf Pietro Andrea Mattioli, der auch Ercole II. und Alfonso II. d’Este, Herzöge von Ferrara, Modena und Reggio, behandelte.

Johann Sigismund Elsholtz war der ärztliche Akteur im Beitrag von MARION MÜCKE (Berlin). Der 1623 in Frankfurt an der Oder als Sohn lutherischer Eltern geborene Elsholtz nahm seine Studien in Wittenberg auf, wechselte dann nach Königsberg und promovierte schließlich in Padua. 1656 erstellte er ein Pflanzenverzeichnis der kurfürstlichen Gärten des Hofes Friedrich Wilhelms von Brandenburg, wodurch er zum „Hofmedicus“ und „Hofbotanicus“ aufsteigen konnte. Der Hof wurde in beeindruckender Weise ausgebaut, und Elsholtz konnte auf eine Hofapotheke, eine Hofbibliothek sowie ein Laboratorium zurückgreifen, in dem er seine Versuche zur Injektionstherapie durchführen konnte.

ELISABETH LOBENWEIN (Klagenfurt) und ALFRED STEFAN WEISS (Salzburg) gingen der Biographie des aus Mainz stammenden und in Würzburg ausgebildeten Johann Jakob Hartenkeil (1761–1808) nach. Auf dem Emser Kongress kam er durch seinen Lehrer Carl Caspar von Siebold in Kontakt mit dem Salzburger Fürsterzbischof Colloredo, den er auf seiner Reise nach Brabant und Flandern begleitete. Colloredo schickte Hartenkeil zur Ausbildung nach London, ehe er ihn dauerhaft am Salzburger Hof anstellte. Lobenwein und Weiß konnten herausarbeiten, dass sich Hartenkeil durch seine Anstellung am Hof Colloredos, die Tätigkeit in seiner privaten Praxis, die Beschäftigung an der Universität und schließlich die Herausgabe der Medicinisch-chirurgischen Zeitung zwischen verschiedenen Tätigkeitsfeldern mit unterschiedlichen Beziehungsnetzwerken bewegte.

CHRISTOF PAULUS (München) ging in seinem schriftlich vorgelegten Beitrag von der Überlegung aus, dass die bisherige Forschung das Thema der Leibärzte selektiv und vornehmlich unter biographischen Aspekten beleuchtet hat, und plädierte für die Behandlung der vernetzenden Hofhistorie anhand der Auswertung von Rechnungsbüchern, Bestallungsurkunden und Rezeptsammlungen. Er zeigte auf, wie sich die bedeutendsten Herrscherdynastien ihre Leibärzte gegenseitig „ausliehen“ und unterstrich die Bedeutung dieser Überlegungen für den Aspekt der symbolischen Kommunikation. Anhand eines Vergleichs der Grabsteine spätmittelalterlicher Hofärzte konnte er nachweisen, „dass sich das ärztliche Selbstverständnis nicht nur aus beruflichem Erfolg speiste, sondern auch aus Stand, Gelehrsamkeit, Rang und familiärer Tradition“.

STEFANO SARACINO (München / Wien) präsentierte interessante Erkenntnisse zu drei aus Griechenland stammenden Iatrophilosophen, die an westeuropäischen Universitäten studierten und dadurch innerhalb des Osmanischen Reichs einen rasanten Aufstieg verzeichnen konnten. Alle drei wirkten auch in diplomatischer Mission in Wien, wie z. B. Alexandros Mavrokordatos, der hier Chefunterhändler des Friedens von Karlowitz war. Neben der Frage nach der Rolle der griechischen Ärzte bei der Etablierung der griechisch-orthodoxen Konfessionsgemeinde in Wien wurde auch die wissensgeschichtliche Dimension der Thematik beleuchtet, indem gezeigt wurde, wie diese Gelehrten in der westeuropäischen Welt des Humanismus vernetzt waren. Saracino kam zum Fazit, dass die Kontakte der drei griechischen Mediziner zum Hof in Wien, ihr Bewusstsein als Iatrophilosophen und ihr soziales Kapital die Basis für die Genese der ostorthodoxen Migrantengemeinde in Wien legten.

JULIA CARINA BÖTTCHER (Erlangen-Nürnberg) ging der Frage nach, ob mit dem Begriff der Funktionselite ein systematischer Zugang zur Thematik der Hof- und Leibärzte möglich sei. Sie zog die von Barbara Wasner identifizierten „elf Hauptfragen der Elitensoziologie“1 heran, um eine Systematik herauszuarbeiten, die sie exemplarisch unter Bezugnahme auf Mitglieder der Leopoldina, 1652 als Academia Naturae Curiosorum gegründet, diskutierte. Böttcher kam zu dem Schluss, dass die exzellent vernetzten Mitglieder der Leopoldina „neuralgische Punkte frühneuzeitlicher Personenverbände“ besetzten, „an denen in komplexen Loyalitätsbeziehungen Deutungsansprüche über Konzepte gesellschaftlicher Ordnung, Konzepte von Gesundheit und Krankheit, aber auch Konzepte von Natur ausgehandelt wurden“.

JACOB SCHILLING (Halle) präsentierte hingegen eine prosopographische Untersuchung der Leopoldina, die im Zeitraum zwischen 1652 und 1769 insgesamt 721 Mitglieder zählte. Er konnte die Beobachtung machen, dass bis 1670 nur maximal zwei Leibärzte als Mitglieder registriert waren. Erst im Zuge der Reform von 1670 – in diesem Jahr wurde auch erstmals die Zeitschrift herausgegeben – kam es zu einer Öffnung zum Wiener Hof. In den folgenden Jahren wurden vermehrt Ärzte, die mit dem Kaiserhof vernetzt waren, in die Akademie aufgenommen. Ein Meilenstein war die kaiserliche Privilegierung (1688), in deren Folge der Präsident der Leopoldina in den Adelsstand erhoben wurde. Dennoch zeigte sich, dass die Akademie nicht zur habsburgischen Klientel wurde: Als mit Karl VII. ein Wittelsbacher den Kaiserthron bestieg, begab sich zum ersten und einzigen Mal ein Präsident der Akademie, Andreas Elias Büchner, zur Krönung. In der Zeit des Siebenjährigen Krieges wurden die Patronageverhältnisse weiter diversifiziert – es kam zu einer Anbindung insbesondere an die geistlichen Kurfürsten. Schilling schlussfolgerte, dass in der ursprünglich einem egalitären Ideal verpflichteten Leopoldina zunehmend „Anzeichen von Verhöflichung“ zu beobachten waren.

Die Tagung konnte die vielfältigen Zugänge zum frühneuzeitlichen Hofärztewesen eindrucksvoll beleuchten. Medizingeschichtliche, wissensgeschichtliche, kulturgeschichtliche, migrationsgeschichtliche und ideengeschichtliche Betrachtungsweisen zeigten, wie vielschichtig und aufschlussreich die Thematik der Hof- und Leibärzte für die Erforschung der Frühen Neuzeit ist. Die Einzelbeiträge der Tagung werden in der Reihe Innsbrucker Historische Studien erscheinen. Durch seine primäre Konzentration auf das Heilige Römische Reich wird der Sammelband eine gehaltvolle Ergänzung zum 2013 von Andretta und Nicoud herausgegebenen Sammelband 2 darstellen, der sich dem italienischen, französischen und spanischen Raum widmete.

Konferenzübersicht:

Elisabeth Dietrich-Daum (Innsbruck): Begrüßung

Elena Taddei (Innsbruck): Einführung

Schwerpunkt 1: Italien und Frankreich

Sabine Herrmann (Venedig): Arztkarrieren am Hof von Mantua

Martina Hacke (Düsseldorf): Wilhelm Kopp und die Pariser medizinische Fakultät. Ein Sprung von der Universität zum Hof?

Dorit Brixius (Paris): Die Pariser Karriere des Noël Vallant. Zwischen Arzneien, Abteien und sozialer Abhängigkeit

Benjamin Steiner (München): Hofärzte als Politiker. Einbettung und Verankerung im höfischen System am Beispiel Versailles

Schwerpunkt 2: Heiliges Römisches Reich: Akteure I

Markus Michalski (München): Dr. Balthasar Mansfeld (1440–1503). Ein Arzt in München an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit

Ulrich Schlegelmilch (Würzburg): Räte, Erzieher, Informanten – und Leibärzte: Gelehrte Karrieren in Anhalt im 16. Jahrhundert

Ulf Wendler (Chur): Gervasius Marstaller und Johann Bökel. Zwei Leibärzte der 1570er Jahre gegen die Pest

Schwerpunkt 2: Heiliges Römisches Reich: Akteure II

Katharina Seidl (Innsbruck): Pietro Andrea Mattioli und Georg Handsch. Leibärzte Erzherzog Ferdinands II

Marion Mücke (Berlin): Johann Sigismund Elsholtz. Kurfürstlich brandenburgischer Hofmedikus zu Cölln an der Spree in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts

Elisabeth Lobenwein (Klagenfurt) / Alfred Stefan Weiß (Salzburg): Johann Jakob Hartenkeil (1761–1808). Leibchirurg des Salzburger Fürsterzbischofs Hieronymus Graf Colloredo und Arzt an der Wende zur Moderne

Schwerpunkt 3: Heiliges Römisches Reich: Netzwerke I

Christof Paulus (München): Leibärzte und höfische Kommunikation im Europa des ausgehenden Mittelalters

Stefano Saracino (Wien / München): Griechische Hofärzte in der Residenzstadt Wien und ihre Bedeutung für die Entstehung der dortigen griechischen Konfessionsgemeinde

Schwerpunkt 4: Heiliges Römisches Reich: Netzwerke II

Julia Carina Böttcher (Erlangen-Nürnberg): Mediziner als neue Funktionselite? Mitglieder der frühen Leopoldina im Spannungsfeld zwischen Naturforschung und Politik

Jacob Schilling (Halle): Die Leib- und Hofärzte in der Academia Naturae Curiosorum

Anmerkungen:
1 Barbara Wasner, Eliten in Europa. Einführung in Theorien, Konzepte und Befunde. Wiesbaden 2004, S. 23–27.
2 Elisa Andretta / Marilyn Nicoud (Hrsg.), Être médecin à la cour. Italie, France, Espagne, XIIIe-XVIIIe siècle (SISMEL/Edizioni del Galluzzo. Micrologus Library 52), Florenz 2013.