Konfliktraum Ostsee: Historische Bilanz und Zukunftsperspektiven

Konfliktraum Ostsee: Historische Bilanz und Zukunftsperspektiven

Organisatoren
Abteilung für Regionalgeschichte mit Schwerpunkt zur Geschichte Schleswig-Holsteins in Mittelalter und Früher Neuzeit, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Deutscher Marinebund; Hermann Ehlers Akademie (HEA)
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.09.2019 -
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Von
Arne C. Suttkus, Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel

Die Tagung widmete sich der geschichtswissenschaftlichen Abgrenzung des Ostseeraums und seiner Einordnung in einen über diese Region hinausreichenden Kontext sowie der Analyse verschiedener historischer wie aktueller Konflikte. Eine kurze Einführung samt Begrüßung gaben vonseiten der Ausrichter OLIVER AUGE (Kiel), JANN MARKUS WITT (Laboe) und RICHARD NÄGLER (Kiel).

Den ersten von zwei Keynote Slots eröffnete OLIVER AUGE (Kiel) mit einem Vortrag über die Anfänge des Jahrhunderte währenden Konflikts zwischen Dänen und Slawen im westlichen Ostseeraum sowie seines wechselhaften Verlaufs. Im Fokus lagen dabei die Eroberung Rügens durch den Dänenkönig Waldemar I. und die verstärkt in die Forschung eingebrachte These, der Angriff sei als gerechter Krieg unter dem Kreuzzugsgedanken geführt worden. Zur Diskussion kam ebenfalls die unsichere Deutung des in den lateinischen Quellen verwendeten Begriffs pirata für Seekrieg treibende Personenkreise, der im Mittelalter nicht auf den Topos des Seeräubers beschränkt werden dürfe.

Den Konflikt zur See griff im zweiten Vortrag CHRISTIAN PEPLOW (Ferdinandshof) auf, in welchem er darauf hinwies, dass die Hansestädte aus dem wirtschaftlichen Interesse ihrer Kaufleute heraus Seekonflikte vermieden hätten. Vor allem der noch immer gängigen Vorstellung über das Ziel von Seeschlachten, den Gegner zu vernichten, erteilte er eine Absage, da sich ein derartiges Vorgehen unter dem Eindruck des Handels für keine Partei gelohnt hätte. Wenn es jedoch zu Konflikten kam, so seien es vielmehr Interessenverbände einzelner Städte gewesen, die Krieg führten, nicht aber der gesamte Hansebund.

JENS E. OLESEN (Greifswald) gab einen Überblick über die Konflikte im Ostseeraum im Hoch- und Spätmittelalter unter besonderer Berücksichtigung der Stellung Gotlands als Handelsdrehpunkt und Streitobjekt der Ostseemächte, auf welchen sowohl die skandinavischen Reiche als auch der Deutsche Orden und die wendischen Hansestädte sowie die Vitalianer im Wechsel Einfluss übten.

Die frühneuzeitlichen Konfliktlinien um das Dominium maris Baltici betrachtete JOACHIM KRÜGER (Greifswald). So stellte er drei Phasen der mit enormem Aufwand betriebenen Kriege zwischen Dänemark-Norwegen und Schweden vor, die zu noch heute erkennbaren Grenzverläufen in Skandinavien, aber schließlich auch mit dem Ende des Großen Nordischen Krieges 1721 zum Friedensdiktat durch fremde europäische Mächte führten. Darüber hinaus hob der Referent hervor, dass im Schatten des skandinavischen Konflikts vor allem Russland als neuer Machtfaktor im Kampf um das Baltische Meer heranwuchs, während Polen zu zerbrechen begann.

MARTIN KRIEGER (Kiel) weitete die Betrachtung des engeren Ostseeraums aus auf eine globalisierte Perspektive. Er konnte zeigen, dass die nordischen Länder nicht nur durch den Handel und den Besitz von Kolonien in Übersee in das Weltgeschehen eingriffen, sondern auch durch eine zum eigenen Vorteil genutzte, geschickte Ausnutzung der Konflikte zwischen anderen Mächten. In diesem Vorgehen sei Dänemark vor der Wende in den Napoleonischen Kriegen besonders erfolgreich gewesen.

Den zweiten Keynote Slot eröffnete OLAF MÖRKE (Kiel) mit einer These zur Grundlage für den auch im Ostseeraum erkennbaren Konflikt zwischen Ost und West. So hätten bereits Tacitus und Ptolemaios auf zweierlei Weise die ideologischen Grundzüge benannt, wie sie bis in die jüngste Zeit von den Konfliktparteien angenommen worden seien: das Prinzip der Freiheit aller Völker des Nordens wie auch die Zweiteilung in einen germanischen und einen sarmatischen Raum mit einer jeweiligen kulturellen Wertigkeit. Die germanische Auslegung sei aber die aggressiv-expansive Variante geworden, während die sarmatische Freiheit lediglich einen Eigenbezug entwickelt habe.

Für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg zeigte JANN MARKUS WITT (Kiel), dass die Ostsee lediglich ein Nebenschauplatz der militärischen Auseinandersetzungen gewesen sei, auf dem die deutsche Marine jeweils die Seehoheit über den Kriegsverlauf habe halten können. Während im Ersten Weltkrieg Finnland durch deutsche Unterstützung die Unabhängigkeit habe erlangen können, dehnte die Wehrmacht ihren Einfluss im Zweiten Weltkrieg aktiv auf Dänemark und Norwegen aus. Eigentlicher Kriegsschauplatz sei die Ostsee in selbigem Krieg erst 1944 durch das Vordringen der Sowjetunion geworden.

Die verstärkte militärische Präsenz der Sowjetunion in der Ostsee, die im Kalten Krieg gemeinsam mit den Bündnispartnern des Warschauer Paktes einen Großteil des Binnenmeeres kontrollierte, griff CHRISTIAN JENTZSCH (Potsdam) auf. Er erläuterte die verschiedenen, heute aus Quellen nachvollziehbaren sowie die teilweise noch spekulativen Manöveroptionen des Warschauer Paktes und der NATO, nach denen es zu einem heißen Krieg hätte kommen können. Die Bundeswehr als maßgeblicher Partner an der Ostseesperre habe sich in jedem Fall als angegriffen betrachtet.

Zum Abschluss des zweiten Keynote Slots gab FLORIAN HUBER (Kiel) Einblicke in die Arbeitsprozesse von Unterwasserarchäologen in der Ostsee an den Beispielen der schwedischen Schiffwracks der Hedvig Sophia und der Mars.

Im Anschluss an die Keynote Slots wurden mehrere aktuelle Forschungsperspektiven vorgestellt. So stellte JAN OCKER (Kiel) die postulierte Isolation Fehmarns im Spätmittelalter infrage und unterstrich stattdessen, dass die Insel bei ihrer günstigen Verkehrslage durchaus Begehrlichkeiten streitender Parteien geweckt habe. KILIAN BAUR (Eichstätt-Ingolstadt) zeigte daraufhin im Gegensatz zur vermeintlichen Erbfeindschaft zwischen den niederdeutschen Hansestädten und Dänemark die Perspektive eines Konfliktregulierungsraumes Ostsee auf der Alltagsebene einzelner Akteure auf. Anschließend führte STEFAN BRENNER (Kiel) in die bilateralen Verhältnisse zwischen Lübeck und Dithmarschen im Spätmittelalter ein und konnte nachweisen, dass eine engere Annäherung Dithmarschens zum Hansebund oder nur den wendischen Städten allgemein nicht eingetreten sei. Eine Übersicht zur Funktionalität und Transformation von Festungen als fortifikatorische Nachfolger der Burgen im Ostseeraum der frühen Neuzeit gab PER-OLE POHL (Kiel). Einen Ausblick auf die verschiedenen Formen und Wirkungsweisen des Konfliktes zwischen Deutschen und Dänen im Theaterwesen nach der Entwicklung des modernen Nationenverständnisses gewährte ARNE C. SUTTKUS (Kiel) und stellte eine Verbindung zwischen politisch-sozialen einerseits und kulturellen Konflikten andererseits her. KNUT KOLLEX (Kiel) skizzierte den Verlauf des Bürgerkrieges im zerfallenden russischen Zarenreich auf dem Boden der baltischen Länder, welcher von Freicorps vor allem auch deutscher Herkunft nach dem Ersten Weltkrieg unterstützt wurde. Diese Freicorps hätten sich, nach ihrem Rückzug von ihrer Gewalterfahrung geprägt, in besonderem Maße in den Kampf gegen die junge deutsche Republik eingebracht. MARTIN GÖLLNITZ (Marburg) schloss die Reihe der Vorträge mit dem Hinweis, der Ostseeraum, der bei genauerer Betrachtung zu vielen unterschiedlich definierten Räumen führe, müsse grenzüberschreitend und interdisziplinär betrachtet werden, um überhaupt alle wesentlichen Aspekte seiner Geschichte hinreichend erfassen zu können.

Konferenzübersicht:

Keynote Slot 1

Oliver Auge (Abteilung Regionalgeschichte, CAU Kiel): Slawen – Dänen – Sachsen: Die westliche Ostseeregion als Konfliktraum im 11. und 12. Jahrhundert

Christian Peplow (Ferdinandshof): „Dat vänlein is licht an de stange gebunden, aver it kostet vel, it mit ehren wedder af tho nehmen“ – Über das Wesen maritimer Konfliktführung der Hansestädte im Mittelalter

Jens E. Olesen (Greifswald): Krise und Konflikt in der Ostsee im Mittelalter

Joachim Krüger (Abteilung Allgemeine Geschichte, Universität Greifswald): Der Kampf um das Dominium maris Baltici (1563–1721) – Perspektiven der Forschung

Martin Krieger (Abteilung Geschichte Nordeuropas, CAU Kiel): Ostseemächte als Akteure in globalen Konflikten (17.–18. Jahrhundert)

_Keynote Slot 2

Olaf Mörke (Kiel): Der Ostseeraum und Konzepte von ‚Freiheit‘. Zwei Jahrtausende Konfliktkreation und Konfliktüberwindung

Jann Markus Witt (Deutscher Marinebund, Laboe): Die Ostsee im Ersten und Zweiten Weltkrieg

Christian Jentzsch (Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam): Kalter Krieg in der Ostsee

Florian Huber (SUBMARIS, Kiel): Arbeit unter Druck – moderne Unterwasserarchäologie in der Ostsee

Aktuelle Forschungsperspektiven

Jan Ocker (Abteilung Regionalgeschichte, CAU Kiel): Isoliert in der Ostsee? Die Insel Fehmarn als Zankapfel im ausgehenden Mittelalter

Kilian Baur (Abteilung Mittelalterliche Geschichte, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt): Freunde und Feinde: Niederdeutsche, Dänen und die Hanse im Spätmittelalter

Stefan Brenner (Abteilung Regionalgeschichte, CAU Kiel): Regionale Zusammenarbeit in Konfliktzeiten: Die dithmarsisch-lübischen Bündnisbeziehungen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts

Per Ole Pohl (Graduate School Human Development in Landscapes, CAU Kiel): Friedrichsort und die Festungstopografie des westlichen Ostseeraums im 17. Jahrhundert

Arne C. Suttkus (Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel): Grenzkampf als Kulturkampf. Verteidigung und Ausbreitung nationaler Kulturen Schleswig-Holsteins und Skandinaviens vom 18. bis zum 20. Jahrhundert

Knut Kollex (Abteilung Regionalgeschichte, CAU Kiel): Söldner, Marodeure, Konterrevolutionäre: Transnationale Gewaltakteure im Baltikum 1919

Martin Göllnitz (Institut für Hessische Landesgeschichte, Philipps-Universität Marburg): Konflikt und Kooperation. Die Ostsee als Handlungs- und Kulturraum

Podiumsgespräch und Diskussion
Moderation: Jann Markus Witt (Deutscher Marinebund, Laboe)

Claus-Friedrich Laaser (Institut für Weltwirtschaft, Kiel)

Sebastian Bruns (Abteilung Maritime Strategie und Sicherheit, CAU Kiel)

Christian Bock (Deutsche Marine/NATO Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters)


Redaktion
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