Albrecht der Bär, Ballenstedt und die Anfänge Anhalts

Albrecht der Bär, Ballenstedt und die Anfänge Anhalts

Organisatoren
Zentrum für Mittelalterausstellungen; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg; Stadt Ballenstedt
Ort
Ballenstedt
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.09.2019 - 27.09.2019
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Von
Michael Belitz, Bereich für Geschichte, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Anlässlich des sich im Jahr 2020 zum 900. Mal jährenden Todestages Albrechts des Bären fand im Schlossmuseum Ballenstedt eine wissenschaftliche Tagung statt, die sich der Person Albrechts, dem Schloss Ballenstedt sowie den Anfängen Anhalts widmete. Organisiert vom Zentrum für Mittelalterausstellungen Magdeburg und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg sollte es darum gehen, den wohl berühmtesten Vertreter der Askanier und sein Wirken zu würdigen und in einem interdisziplinären Zugang neu zu beleuchten.

Mit LUTZ PARTENHEIMER (Potsdam) eröffnete ein ausgewiesener Kenner der Materie die Tagung. Unter strenger Rückführung auf die Quellen zeigte er auf, was über Ballenstedt, die frühen Askanier und Albrecht den Bären überhaupt sicher zu sagen ist. Bereits Esico, der erste namentlich fassbare Askanier, für die Partenheimer eine Herkunft aus Schwaben diskutierte, hätte sich um den Ballenstedter Raum bemüht, was die Gründung einer Propstei vor Ort zeige. Die Lokalisierung dieser Propstei, die im Jahre 1123 unter Mitwirkung Albrechts des Bären in ein Benediktinerkloster umgewandelt wurde, sei jedoch problematisch. Gleiches gelte mit Blick auf die archäologischen und historiographischen Zeugnisse indes auch für die weiteren vermeintlichen Stammburgen der frühen Askanier in Aschersleben und dem Ort Anhalt. Hinsichtlich des Wirkens und Lebens Albrechts, von Partenheimer immer wieder quellennah dargestellt, sei eine Verlagerung des Herrschaftsschwerpunktes nach Osten zu konstatieren. Die fortwährende Bedeutung Ballenstedts zeige sich indes an der – historiographisch jedoch erst im 15. Jahrhundert überlieferten – Bestattung Albrechts des Bären dort.

„Albrecht der Bär und die Elbslawen“ standen im Zentrum der Ausführungen von MATTHIAS HARDT (Leipzig). Nach einer kurzen Skizzierung der Beziehungen in diesen Raum vor der Zeit Albrechts, wurde zunächst die Übertragung der Brandenburg an Albrecht den Bären behandelt. Diese sei nach Hardt nicht mit der Gründung der Mark Brandenburg gleichzusetzen. Vielmehr habe es sich um ein Ereignis gehandelt, das im Spannungsverhältnis zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und der Dynastie der Piasten gesehen werden müsse und dessen Langzeitwirkung zu diesem Zeitpunkt keinesfalls abzusehen war. Der zweite Teil der Ausführungen widmete sich dem Wiederaufbau diözesaner Strukturen östlich der Elbe sowie, nach Hardt noch wichtiger, dem dort durch Albrecht forcierten Landesausbau. Dieser hätte schlussendlich zu einer Assimilation der slawischen Bevölkerung und der Auflösung der slawischen Herrschaftsstrukturen östlich der Elbe geführt.

FLORIAN HARTMANN (Aachen) präsentierte Überlegungen zu den Beziehungen zwischen Albrecht dem Bären, Heinrich dem Löwen und Erzbischof Wichmann von Magdeburg. Auch wenn die welfisch-askanischen Beziehungen im 12. Jahrhundert durchaus von Spannungen geprägt waren, konnte Hartmann an verschiedenen Beispielen aufzeigen, dass es keine starre Front zwischen den beiden Geschlechtern gab. Albrecht und Heinrich versuchten ihre Macht nach den Spielregeln der Zeit strategisch auszubauen und gingen hierfür auch Bündnisse ein, wenn dies ihren eigenen Interessen förderlich schien. Gleiches gelte für das Handeln des Magdeburger Erzbischofs, der je nach Lage als Gegner oder Verbündeter des Löwen und des Bären agierte. Dass die Konflikte gerade zwischen diesen Parteien so stark waren, erklärte Hartmann damit, dass das Königtum zu dieser Zeit kaum Einfluss in Sachsen hatte und sich die Adelsgeschlechter hier ohne königliche Einschränkungen ausbreiten konnten, woraus eine Vielzahl von Konflikten resultierte. Das Handeln Albrechts, Wichmanns und Heinrichs, je nach Situation verbündet oder verfeindet, sei im Rahmen ihrer Zeit und Handlungsmöglichkeiten zu sehen; viel zu oft verleite den Historiker das Wissen um weitere Entwicklungen zu weitreichenden Schlüssen, die dem situativen Charakter des Handelns jedoch nicht gerecht würden.

Mit den Urkunden Albrechts des Bären beschäftigte sich CHRISTIAN WARNKE (Magdeburg/Cobbel). Speziell ging es ihm um das Markt- und Zollrechtsprivileg, das dieser um 1160 für die altmärkische Stadt Stendal ausgestellt haben soll. Nach Warnke handelte es sich bei diesem Diplom, dem für Fragen nach der Ausbildung der askanischen Landesherrschaft und der Stadt(rechts)entstehung einige Bedeutung zukommt, um eine spätere Fälschung. Diese sei vermutlich zu Beginn des 15. Jahrhunderts in deutscher Sprache angefertigt und in dieser Fassung im 18. Jahrhundert erstmals geduckt worden. Die heute in den einschlägigen Editionen zu findende lateinische Fassung der Urkunde sei eine gelehrte Übersetzung dieses deutschen Textes, die ebenfalls um die Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden sei. Die Beobachtungen beschränkten sich nicht nur auf das Stendaler Privileg, sondern zogen zugleich weitere, für die Argumentation wichtige Urkunden, wie ein Diplom Albrechts des Bären für Werben – für welches Warnke ebenfalls einen Fälschungsverdacht äußerte – ein.

STEPHAN FREUND (Magdeburg) widmete sich in einem öffentlichen Abendvortrag dem 12. Jahrhundert und der Zeit Albrechts als einer Umbruchszeit. Nach der Skizzierung des tiefgreifenden Wandels, der seit der Mitte des 11. Jahrhunderts in nahezu allen Bereichen von Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur und Klima auszumachen sei, wurde das Handeln Albrechts unter der Voraussetzung dieser sich ändernden Rahmenbedingungen näher beleuchtet. Der Askanier hätte versucht, die sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen, wobei der Erfolg unterschiedlich ausfiel. Er sei nicht als Visionär, sondern als Mann seiner Zeit zu verstehen. In einem zweiten inhaltlichen Abschnitt wurde das Nachleben Albrechts des Bären dargestellt, der immer wieder als Projektionsfläche jeweiliger Geschichtsbilder gedient habe. Neben Albrecht als Kämpfer gegen die Slawen und Albrecht als Gründer der Mark Brandenburg, sei ab dem 19. Jahrhundert eine fortschreitende Heroisierung der Person festzustellen und im 20. Jahrhundert seine Instrumentalisierung aus kolonialistischer und national-völkischer Perspektive erfolgt. Das historische Interesse an Albrecht sei zeitgebundenen und strukturellen Bedingungen geschuldet, woraus die verschiedenen Bilder von Albrecht entstanden, die es kritisch zu hinterfragen gelte.

Den zweiten Tag des Workshops eröffnete DIRK HÖHNE (Halle an der Saale) mit Überlegungen zur romanischen Krypta in Ballenstedt, die sich unter der heutigen Schlosskirche befindet. Bei der Krypta sei zwischen drei Bauphasen zu unterscheiden. Die heute nur noch rudimentär zu erkennende Fünfschiffigkeit entstand wohl erst in der letzten Bauphase, deren Datierung um die Mitte des 12. Jahrhunderts anzusetzen ist. Einerseits sei dieser Aufbau für diese Region untypisch, andererseits widerspreche sie dem klassischen Typus eines Baus nach Hirsauer Vorbild, dem sonst in vielen Punkten gefolgt würde. Die genaue Datierung der einzelnen Bauphasen sei, so wie viele weitere Fragen, nicht genau zu ermitteln. Auch wenn Parallelen beispielsweise zur fünfschiffigen Krypta der Konradsburg oder der Kapitell-Ornamentik der Grabkirche Lothars III. in Königslutter festgestellt werden können, müsse mit Blick auf Ballenstedt selbst vieles spekulativ bleiben. Inwiefern Albrecht der Bär selbst an der Umgestaltung der Krypta beteiligt war, lasse sich ebensowenig beantworten. Höhne warf insgesamt die Frage auf, ob die Bauforschung überhaupt noch wesentliche Erkenntnisse zur romanischen Krypta in Ballenstedt liefern könne.

STEFANIE LEIBETSEDER (Berlin) zeichnete in ihren Ausführungen die architektonische Entwicklung vom Benediktinerkloster zum Schloss in Ballenstedt nach. Mit der Reformierung des Klosters im 12. Jahrhundert seien einige typische Merkmale der hirsauischen Bauweise zu finden; der Komplex selbst habe jedoch für die Askanier schnell an Bedeutung verloren. Nach dem Verfall der Gebäude im 14. und 15. Jahrhundert sei es erst ab 1530 zu einem Wiederaufbau gekommen. Von diesem Zeitpunkt an seien verschiedene Nutzungen der einzelnen Gebäudeteile festzustellen, gleiches gelte für die Umbau- und Einrichtungsmaßnahmen. Mit der kurzzeitigen Funktion Ballenstedts als Residenz im 17. Jahrhundert, gingen einige Baumaßnahmen einher, ehe der Bau im 18. Jahrhundert die charakteristische Gestalt und Ausstattung eines Jagdschlosses jener Zeit erhielt. Dem trotz der vielen Umbaumaßnahmen noch erhaltenen Westbau und der Krypta kämen mit Blick auf die Legitimation und Betonung der Anciennität der Fürsten von Anhalt hierbei besondere Bedeutungen zu.

Der vom Architekten Paul Schultze-Naumburg gestalteten Gruft Albrechts des Bären widmete sich UTA HALLE (Bremen). Zunächst stand die Person Schultze-Naumburgs, sein Leben und Wirken im Fokus. Dieser habe bereits zu Beginn seines Schaffens und seiner Karriere antisemitische Tendenzen gezeigt, wobei es nach dem Ersten Weltkrieg zu einer Radikalisierung gekommen sei. In der Weimarer Republik war er mit vielen späteren Nazi-Größen bekannt, doch trotz dieses Netzwerks erhielt er nach dem Machtantritt Hitlers keine größeren öffentlichen Aufträge. Anschließend widmete sich Halle der Verbindung Schultze-Naumburgs zum Tagungsort Ballenstedt, wobei zu konstatieren sei, dass die Gestaltung der Gruft, die als Nachahmung der Ereignisse in Quedlinburg zu sehen sei1, in der Forschung bisher wenig Beachtung gefunden habe. Nach Halle sei der Auftrag zur Umgestaltung der Gruft nicht von Heinrich Himmler und gegen den Willen der Fürsten von Anhalt als Schlossherren ergangen, sondern die Fürstenfamilie selbst müsse als Auftraggeber in Betracht gezogen werden.

THOMAS STAMM-KUHLMANN (Greifswald) beschäftigte sich mit der in den 1930er-Jahren auf dem Großen Ziegenberg, unweit des Ballenstedter Schlosses, errichteten Nationalpolitischen Bildungsanstalt. Da es sich um einen Neubau handelte, sei die Frage nach der Ästhetik der nationalsozialistischen Architektur hier besonders anschaulich zu thematisieren. Der Bau, der an die „monumentalisierte Moderne“ erinnere, sei einerseits typisch für den Zeitgeist, andererseits auch Ausdruck einer Architektur der Macht. Dies gelte beispielsweise für den Turm, der bei aller Gleichheit, die in der Anstalt zwischen den Schülern herrschen sollte, eine strenge hierarchische Ordnung illustriere. Das erst nach dem Zweiten Weltkrieg fertiggestellte Gebäude diente auch in DDR-Zeiten als Kaderschule für parteiliche Eliten. Stamm-Kuhlmann sah hierin eine Kontinuität zwischen den beiden Systemen, da die Architektur des Gebäudes auch in repräsentativer Hinsicht den Anforderungen beider Systeme entspräche.

Im letzten Vortrag der Tagung ging SIMON GROTH (Frankfurt am Main) der Frage nach, ob und wie eine Rezeption Albrechts des Bären in der DDR-Mediävistik vorzufinden sei. Da die Personengeschichte im historischen Materialismus einerseits wenig populär, Albrecht als Repräsentant eines deutschen Dranges nach Osten andererseits negativ besetzt war, habe eine intensive Beschäftigung mit der Person selbst nicht stattgefunden. Mit Blick auf das größere Themenfeld der sogenannten Ostbewegung konnten dennoch Einblicke, auch in die Bewertung und Rezeption Albrechts gewonnen werden. Zunächst wurde, auch in Abkehr von der ‚Westforschung‘, die Grausamkeit der Ostsiedlung hervorgehoben. Doch war, so konnte Groth aufzeigen, ‚die DDR-Mediävistik‘ keinesfalls eindimensional und hätte somit nicht nur eine Ansicht vertreten. Vielmehr sei es im Laufe der Zeit und durch die verschiedenen Forscher sowie ihre Schulen zu durchaus unterschiedlichen, teils auch sehr differenzierten Meinungen zur Ostexpansion gekommen. Auch wenn die Person Albrechts selbst in diesen Forschungen keine besondere Tiefe gewann, sei eine Abkehr von einer anfänglich negativen Wertung seiner Person hin zu einer neutraleren Betrachtungsweise festzustellen.

Die Tagung leistete einen wichtigen Beitrag dazu, die Geschichte Ballenstedts und des anhaltischen Raumes – auch über das Mittelalter hinaus – näher zu beleuchten. Mit Blick auf Albrecht den Bären konnte ein differenziertes Bild des Askaniers entwickelt werden. Dies gilt einerseits mit Blick auf sein als zeittypisch zu bewertendes Handeln, andererseits in Bezug auf die Forschungs- und Rezeptionsgeschichte, der wichtige neue Impulse vermittelt wurden. Als Ergebnis der Tagung tritt Albrecht nun neben seinen bekannteren Zeitgenossen wie Heinrich dem Löwen profilierter hervor und kann zugleich als Beispiel dafür dienen, wie die Geschichtswissenschaft historische Persönlichkeiten als Projektionsfläche nutzt und so zu einer Heroisierung, mitunter gar Instrumentalisierung beiträgt.

Konferenzübersicht:

Begrüßung / Grußworte: Gunnar Schellenberger (Staatssekretär für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt), Michael Knoppik (Bürgermeister der Stadt Ballenstedt)

Lutz Partenheimer (Potsdam): Ballenstedt, die frühen Askanier und Albrecht der Bär

Matthias Hardt (Leipzig): Albrecht der Bär und die Elbslawen

Florian Hartmann (Aachen): Protagonisten und Antagonisten – Albrecht der Bär, Heinrich der Löwe, Wichmann von Magdeburg

Christian Warnke (Magdeburg/Cobbel): Die Urkunden Albrechts des Bären

Grußworte: Joachim Liebig (Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts)

Abendvortrag von Stephan Freund (Magdeburg): Bewegte Zeiten. Albrecht der Bär und der Umbruch des 12. Jahrhunderts – eine kritische Bestandsaufnahme

Christian Mühldorfer-Vogt (Ballenstedt): Führung durch Krypta und Schloss Ballenstedt

Dirk Höhne (Halle an der Saale): Ballenstedt – Die romanische Krypta

Stefanie Leibetseder (Berlin): Ballenstedt – Vom Kloster zum Schloss (Baugeschichte)

Uta Halle (Bremen): Paul Schultze-Naumburg und die Gruft Albrechts des Bären

Thomas Stamm-Kuhlmann (Greifswald): Der große Ziegenberg und die Ästhetik des Totalitarismus

Simon Groth (Frankfurt am Main): Albrecht der Bär und die mittelalterliche deutsche Ostexpansion. Über ein Narrativ der Geschichtswissenschaft der DDR

Stephan Freund (Magdeburg): Zusammenfassung

Anmerkung:
1 Uta Halle, 936 Begräbnis Heinrichs I. – 1936 die archäologische Suche nach den Gebeinen in Quedlinburg und die NS-Propaganda, in: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 16 (2005), S. 15-21.


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