Objektive Berichte? – Leopold Mozarts Aufzeichnungen über südwestdeutsche Hofkapellen

Objektive Berichte? – Leopold Mozarts Aufzeichnungen über südwestdeutsche Hofkapellen

Organisatoren
Forschungsstelle „Geschichte der südwestdeutschen Hofmusik im 18. Jahrhundert“ der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Ort
Schwetzingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.09.2019 - 28.09.2019
Url der Konferenzwebsite
Von
Yevgine Dilanyan, Forschungsstelle „Geschichte der südwestdeutschen Hofmusik im 18. Jahrhundert", Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Anlässlich des 300. Geburtstags von Leopold Mozart veranstaltete die Forschungsstelle „Geschichte der südwestdeutschen Hofmusik im 18. Jahrhundert“ der Heidelberger Akademie der Wissenschaften unter der Leitung von Silke Leopold eine Tagung, bei der Leopold Mozarts Aufzeichnungen (Briefpassagen und Reisenotizen) über die südwestdeutschen Hofkapellen kritisch hinterfragt wurden.

Die breite Öffentlichkeit kennt Leopold Mozart zunächst als den Vater von Wolfgang Amadé Mozart und an zweiter Stelle als Komponisten oder Pädagogen. Dieses verfälschte Erscheinungsbild wurde zwar im Laufe der Zeit berichtigt, doch es blieb in vielerlei Hinsicht einseitig und unvollständig. In Bezug auf die süddeutschen Hofkapellen offenbart sich eine besonders interessante und bislang wenig berücksichtigte Facette von Leopold Mozarts Persönlichkeit: die eines informierten Zeitzeugen und Berichterstatters. Diesem Aspekt widmete sich die Tagung, indem die schriftlichen Zeugnisse Leopold Mozarts aus den Jahren 1763–1766, in denen er über die südwestdeutschen Hofkapellen berichtete, den vorhandenen Quellen gegenübergestellt wurden.

Eingangs machte der wissenschaftliche Mitarbeiter des Forschungsprojekts RÜDIGER THOMSEN-FÜRST die Zuhörerschaft auf die diesjährigen, Leopold Mozart gewidmeten Aktivitäten der Forschungsstelle aufmerksam. So wurde im ersten Halbjahr in Kooperation mit dem Museum und dem Stadtarchiv der Stadt Schwetzingen sowie mit dem Historischen Institut der Universität Mannheim eine Ausstellung „Es ist nur ein Dorf – Schwetzingen mit den Augen Leopold Mozarts“ im Karl-Wörn-Haus veranstaltet. Es war ein interdisziplinärer Versuch, die überlieferten Dokumente Leopold Mozarts – einen Brief und Reisenotizen zum Aufenthalt der Familie Mozart im Sommer 1763 während der sogenannten Wunderkindreise – im Kontext der Zeit und der Verhältnisse am Ort zu zeigen.

Als eine „Person eigenen Rechts“ bezeichnete SILKE LEOPOLD (Heidelberg) mehrfach Leopold Mozart in ihrem die Tagung eröffnenden Beitrag und problematisierte damit die Wahrnehmung seiner Persönlichkeit in der Forschung. Nach wie vor wird Leopold Mozart von der Nachwelt in erster Linie als Vater von Wolfgang Amadé Mozart gesehen. Im großen edierten Korpus der Briefe und Reiseaufzeichnungen von Leopold Mozart sucht man üblicherweise nach Informationen über seinen berühmten Sohn und übersieht oder überspringt hierbei die wertvollen Beiträge eines Zeitzeugen und aufmerksamen Beobachters, der mit scharfsinnigen Bemerkungen und Humor nicht nur über das Musikleben Europas, sondern auch ausführlich über Kleidung und Sitten, Kindererziehung und Medizin, Essen und Trinken, Religion und Konfession und nicht zuletzt über Geld und Preise berichtete. Wie gehaltvoll der Inhalt eines Briefs ausfiel, hing vom jeweiligen Adressaten ab. Die Briefe an den Freund und Gönner Johann Lorenz Hagenauer, in denen Leopold Mozart während der Wunderkindreise seine vielfältigen Beobachtungen festhielt, sollten eines Tages als Grundlage für eine Art europäischen Reiseführer dienen. Eine weitere Facette von Leopold Mozarts Persönlichkeit ist das seit langem etablierte negative Bild des gestrengen und despotischen Vaters, während eine nähere Beschäftigung mit den an den Sohn gerichteten Briefen eigentlich eine andere, fürsorgliche Seite seines Charakters zum Vorschein bringt. Bemüht um Wolfgangs Zukunft, versuchte er ihn mit gut gemeinten Ratschlägen, aber auch finanziell zu unterstützen. Aus der historischen Distanz erkennt man mittlerweile, dass der Vater des Öfteren Recht behielt: Der Sohn konnte mit Geld nicht umgehen, versagte in bestimmten Situationen und entzog sich der väterlichen Kontrolle. Besorgter Vater und Ehemann, Komponist und Verfasser der mehrfach wiederaufgelegten Gründlichen Violinschule, Beobachter und Zeitzeuge Leopold Mozart begegnete den Menschen und Ereignissen während seiner Reisen mit wachem Geist und offenen Augen. In der anschließenden Diskussion ging es um die Informationsquellen des Berichtenden und die Gegenbriefe. So verblüfft heute noch, dass er beispielsweise innerhalb einer Woche am kaiserlichen Hof in Wien eine Audienz bekam.

Das Impulsreferat von HANNA KNÖTZELE (Schwetzingen) legte den Forschungsstand zur kurpfälzischen Hofmusik in Mannheim/Schwetzingen im Jahr 1763 dar. Hierbei stützte sie sich sowohl auf die Arbeiten von Bärbel Pelker und Joachim Kresin als auch auf die noch nicht veröffentlichten Materialien der diesjährigen Leopold-Mozart-Ausstellung in Schwetzingen. Anschaulich verglich sie die in den Reisenotizen Leopold Mozarts genannten Orte mit den damals durchgeführten städtebaulichen Maßnahmen und ging detailliert auf alle angeführten Themen ein: das Miteinander verschiedener Konfessionen, die Speisen, die Personen (Musiker, Adelige etc.), die die Mozarts erlebten oder kennenlernten, und vordergründig den Auftritt von Nannerl und Wolfgang sowie die Eindrücke vom Hof und von der Hofkapelle. Das überschwängliche Lob, das Leopold Mozart der Mannheimer Hofkapelle und ihren als sittsam dargestellten Musikern aussprach, warf in der Diskussionsrunde Fragen auf. Dass die Musiker tatsächlich einen tadellosen Lebenswandel vorwiesen, lässt sich wohl schwer belegen. Die Absichten, die der Berichtende hierbei verfolgte, nährten unterschiedliche Mutmaßungen bis hin zu Zukunftsplänen für seine außerordentlich begabten Kinder.

Im Brief vom 11. Juli 1763 äußerte sich Leopold Mozart mit Argwohn über den Stuttgarter Hofkapellmeister Niccolò Jommelli, „der sich alle Mühe giebt die Teutschen an diesem Hofe auszurotten, und nichts als Italiener einzuführen“. Zugleich lobte er Jommellis Musik und das Spiel des Violinisten Pietro Nardini. SARAH-DENISE FABIAN (Schwetzingen) hinterfragte den Wahrheitsgehalt der Aussagen Leopold Mozarts. Auszüge aus dem Brief stellte sie der tatsächlichen Situation der Hofkapelle in Stuttgart und Ludwigsburg gegenüber. Hierbei untersuchte sie Jommellis Lebensumstände zu jenem Zeitpunkt sowie Anzahl und Stellung der Italiener innerhalb der Hofkapelle. Außer dem Kapellmeister gab es einen italienischen Konzertmeister, Nardini, und darüber hinaus waren viele italienische Sängerinnen und Sänger am Hof engagiert. Zahlreiche Landsleute Jommellis und Nardinis – im Jahr 1763 machten sie fast die Hälfte der Hofkapelle aus – waren als Kammermusiker eingestellt und vor allem in der Streichergruppe stark vertreten. Eine Erklärung dafür sah die Referentin in der Bestrebung Jommellis, Qualität und Ausdrucksfähigkeit des Orchesters zu verbessern, denn er legte großen Wert auf den instrumentalen Teil der Musik in seinen Opern. Erstaunlicherweise sind in seiner Amtszeit kaum Streitigkeiten oder Missstimmungen unter den MusikerInnen in den Dokumenten belegt. Somit gab Mozart, der mit seinen Kindern am Hofe zu seinem Verdruss nicht vorstellig werden konnte, die Situation am Hofe (wenn auch emotional gefärbt) ziemlich genau wieder. In den Mittelpunkt der Diskussion rückte überraschenderweise die Randnotiz Leopold Mozarts über den Geiger Nardini. Es wurde vermutet, dass sie sich getroffen haben – als Geiger kannte Nardini gewiss die Gründliche Violinschule –, und wahrscheinlich erlebte der fachkundige Salzburger das Spiel des Italieners in einem kleinen Rahmen. Ferner war man sich einig, dass Leopold Mozarts Informationen über Musiker und Musik trotz des persönlichen Ärgernisses korrekt waren.

Mit einem Schwarzen Loch unter den südwestdeutschen Hofkapellen verglich RÜDIGER THOMSEN-FÜRST (Schwetzingen) die bislang kaum untersuchte Hofkapelle zu Bruchsal. In einer kurzen Bemerkung Leopold Mozarts in seinen Reisenotizen vom 12. Juli 1763 bringt er seine Begeisterung für die neue Residenz zum Ausdruck. Über die Musik schreibt er hingegen sehr wenig. Welche Umstände in der Hofkapelle herrschten, welche Musik gespielt wurde und welche Musiker beschäftigt waren, legte der Referent anhand einer Grundlagenrecherche ausführlich dar. Mühsame Pionierarbeit auf diesem Gebiet hat Martin Schneider 1986 mit seiner Arbeit über Musik und Musiker am Bruchsaler Hof im 18. Jahrhundert geleistet, denn es existiert weder ein eigener Aktenbestand zur Hofkapelle noch sind Musikalien überliefert. Glücklicherweise existiert ein Hofkalender aus dem Jahr 1762, dessen Auswertung einige Überraschungen zutage brachte. Zunächst versetzt der Personalstand der Kapelle in Erstaunen. Zu jenem Zeitpunkt ist sie zahlenmäßig die drittgrößte hinter Mannheim und Stuttgart. Allerdings hatten alle Musiker noch andere Aufgaben, d. h., es wurden keine Berufsmusiker beschäftigt bzw. diese wurden nicht als solche eingestellt. Das sagt jedoch nicht zwangsläufig etwas über die Qualität der Musik aus. Die Bruchsaler Musikalien sind entweder vernichtet oder verschollen. Zur Struktur des Musiklebens liefert jedoch das im Hofkalender enthaltene Kalendarium wichtige Anhaltspunkte. Im Zentrum stand naturgemäß die Kirchenmusik mit Oratorienaufführungen in der Karwoche als Höhepunkt. Auch zu Tafelmusiken wurden die Hofmusiker herangezogen. Die im Hofkalender aufgeführten Musikernamen regten eine lebhafte Diskussion an. Die Namensliste weist keinen einzigen ausländischen Musiker auf. Außerdem beeindruckte die bereits erwähnte große Besetzung der Hofkapelle, der z. B. auch Klarinettisten angehörten.

Der vergleichsweise kleine Hof in Donaueschingen war eine beliebte Station für reisende Musiker und Familie Mozart verbrachte im November 1766 zwölf Tage am Hofe. FELIX LOY (Albstadt) stellte umfassend die reziproken Beziehungen dar, die zwischen den Mozarts und Donaueschingen mehrere Jahre über diesen Besuch hinaus gepflegt wurden. Einerseits bestand ein Kontakt zu Sebastian Winter, mit dem Leopold Mozart eine Korrespondenz bezüglich zu liefernder Musikalien und Instrumente führte. Nicht nur Vater Mozart, sondern auch Wolfgang Amadé schrieb an Winter und schickte ihm seine Werke. Neben zahlreichen Abschriften und Bearbeitungen Mozartscher Musik im Donaueschinger Bestand findet sich eine D-Dur Sinfonie von Leopold Mozart aus dem Jahr 1771. Darüber hinaus machten die Mozarts die Bekanntschaft des Musikdirektors Franz Anton Martelli, der sie nach ihrer Ankunft in Empfang nahm. Auch den in Salzburg geborenen Flötisten und Oboisten Michael Obkircher, der von 1771 bis zu seinem Tod in Donaueschingen diente, dürften sie gekannt haben. Jahre später hielt der Mozart-Sohn immer noch Kontakt zu Wenzel Nördlinger, einem Nachfolger Martellis, dem er zwei seiner Violinkonzerte zusandte. Auch die Begegnung mit dem Fürsten Joseph Wenzel von Fürstenberg verlief wahrscheinlich in einer herzlichen Atmosphäre, denn „wir weinten alle beym Abschiede“, schrieb Leopold Mozart, „er bath mich ihm oft zu schreiben“. In der Diskussion wurde vordergründig das Problem thematisiert, dass die überlieferten Quellen und Zeugnisse über die Donaueschinger Hofmusik einen späteren Zeitraum beleuchten. Beispielsweise lässt sich die genaue Orchesterbesetzung zum Zeitpunkt des Mozartschen Besuchs kaum rekonstruieren.

Bei der Tagung wurden immer wieder Bezüge zwischen den Beiträgen hergestellt und diese in Relation zueinander betrachtet. Dank der Wechselwirkung von Beiträgen und Diskussionen, die wie Mosaiksteine allmählich ein Bild ergaben, konnte am Schluss die zentrale Frage des Symposiums beantwortet werden. Leopold Mozarts Berichte erweisen sich als eine unverfälschte und zuverlässige Quelle, die aber eine korrekte Interpretation erfordert. Die subjektive Färbung der Inhalte, die ein Zeitzeuge unvermeidlich einbringt, sollte deutlich ernster genommen werden. Gerade der subjektive Eindruck des Schreibers erlaubt den heutigen Lesenden, jene Zeit besser zu verstehen. Andererseits sei es bedauerlich, dass die Briefe Leopold Mozarts außerhalb der Musikwissenschaft kaum wahrgenommen werden, obwohl sie insbesondere für Historiker eine Fundgrube an Informationen über historische Fakten und Einordnungen bereithielten. Man könne nur hoffen, dass sich die Historiker irgendwann Leopold Mozarts einnehmen.

Konferenzübersicht:

Prof. Dr. Silke Leopold (Heidelberg): Leopold Mozart – ein Zeitzeuge mit Scharfblick

Hanna Knötzele (Schwetzingen): „wie viele merkwürdige ja ganz sonderbare sachen sehen wir“ – Schwetzingen 1763

Dr. Sarah-Denise Fabian (Schwetzingen): „nichts als Italiäner“? – Leopold Mozarts Blick auf die württembergische Hofmusik im Jahr 1763

Dr. Rüdiger Thomsen-Fürst (Schwetzingen): „die Residenz in Bruchsal ist sehenswürdig“ – Leopold Mozart und die Hofmusik des Fürstbischofs von Speyer in Bruchsal

Dr. Felix Loy (Albstadt): „er bath mich ihm oft zu schreiben“ – Leopold Mozart und der Fürstenbergische Hof zu Donaueschingen


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts