Partizipation in der Museumsarbeit: Berufsbilder – Konzepte – Herausforderungen

Partizipation in der Museumsarbeit: Berufsbilder – Konzepte – Herausforderungen

Organisatoren
Freia Anders, Historisches Seminar, Universität Mainz; Museum für Stadt- und Industriegeschichte, Rüsselsheim
Ort
Rüsselsheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.06.2019 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Christoph Müller, Universität Mainz

In der Museumsszene finden rege Debatten darüber statt, wie Museumsbesucher/innen Geschichte nahegebracht werden soll und wie diese am sozialen Raum Museum teilhaben können. Neben grundlegenden Fragen der Museumsdidaktik haben Themenfelder wie Inklusion und Partizipation Eingang in eine Museumslandschaft gefunden, die mit kleinen Budgets, Unterbesetzung, klammen Haushalten und staubigen Strukturen zu kämpfen hat. Kurz: Die Museumsarbeit ist auch unter schwierigen Bedingungen immer auf der Suche nach neuen Wegen, um das Museum als „Ort für Alle“ offen zu halten. Der von Studierenden des Historischen Seminars der Universität Mainz unter der Leitung von Freia Anders in Kooperation mit dem Museum für Stadt- und Industriegeschichte in Rüsselsheim organisierte Workshop „Partizipation im Museum“ befasste sich mit der Genese partizipativer Konzepte der Museumsarbeit seit den 1970er-Jahren und ging theoretisch und praktisch – mit Bezugnahme auf das 1979 mit dem Museumspreis des Europarates ausgezeichnete Konzept des Rüsselsheimer Museums – der Frage nach, wie sich diese auswirken: Wie haben sich klassische Museumsaufgaben verändert? Welche Rückwirkungen sind auf die Berufsbilder von Museumsmitarbeiter/innen zu verzeichnen? Wie reagiert Museumsarbeit auf gesellschaftliche Herausforderungen?

BÄRBEL MAUL (Rüsselsheim) machte die Teilnehmer/innen in ihrem Einleitungsreferat mit den sozial- und technikgeschichtlichen Grundlagen der konzeptionellen Arbeit des Stadt- und Industriemuseums Rüsselsheim vertraut. Zudem erläuterte sie den Studierenden Wege in das Berufsfeld Museum, von Praktika über Mitarbeit im Besucherservice bis hin zur Betreuung von Mitmachausstellungen. Gerade letztere sind vor dem Hintergrund der Frage, wie sich das Museum als Institution in der Stadtgesellschaft aufstellen müsse, Symptom eines Paradigmenwandels. Integrale Teilhabe am musealen Leben und der Museumskultur bedeute, Geschichte als etwas wahrzunehmen, das unterschiedlich erzählt werden kann und unterschiedlich perzipiert wird. Wichtig sei, die Geschichten der Museumsbesucher/innen und ihre Eindrücke des Stadtlebens in ihrer Kontinuität ernst zu nehmen. Ein Teilaspekt hiervon sei die Arbeit mit kognitiv eingeschränkten Menschen.

FREIA ANDERS (Mainz) stellte die Arbeit des Seminars „Zeitgeschichte im Museum: Zwischen Teilhabe und User Generated Content“ vor, das sich auf drei Ebenen mit Museen beschäftigt hat: mit praktischer Museumsarbeit, ihren theoretischen Hintergründen und der Wahrnehmung des Museums als Erinnerungsort und Ort sozialer Interaktion gleichermaßen. Die Studierenden waren der Frage nachgegangen, wie für Partizipation und Inklusion im Museum gesorgt werden könne und wie Museen mit diesen Werkzeugen gesellschaftliche Gegenwart einfangen. Anders erinnerte an partizipative Ansätze der linken Geschichtsbewegung der 1960er-Jahre und die zeitgenössische Aufregung um die innovativen Konzepte des Historischen Museums Frankfurt in den frühen 1970er-Jahren. Das inhaltlich und personell daran anknüpfende Museum Rüsselsheim konnte sich demgegenüber über die Verleihung des Museumspreises des Europarates 1979 schnell etablieren.

CORNELIA RÖHLKE (Rüsselsheim) führte in ihrem Beitrag in ein Projekt zur Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen in Zusammenarbeit mit den Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e.V. und der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel ein. Der Fokus des Projekts liegt auf einer Annäherung von Menschen mit Beeinträchtigungen an das Museum als Lernort. Die jeweiligen Veranstaltungen knüpfen an den Bedürfnissen und Kapazitäten der Zielgruppe und an ihrer Alltagswelt an. Dabei sei es wichtig, deren Lebenssituation, insbesondere das enge Korsett des Heimalltags und/oder das Framework einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung zu berücksichtigen. Dem Projekt gelang es durch den gemeinsamen Bau einer begehbaren Stadtskulptur, Menschen mit Beeinträchtigungen im musealen Kontext sichtbar zu machen und ihren Bedürfnissen im Alltag der Stadt Gehör zu verschaffen. Eine Perspektive auf die Stadt, die die Erfahrungen behinderter Menschen einschließt, trägt dazu bei, Behinderung als soziales Konstrukt zu erkennen und Hindernisse, die der Raum Stadt Menschen mit Einschränkungen stellt, als Teil desselben zu essentialisieren. Röhlke berichtete anschaulich, welch umfangreichen organisatorischen Schwierigkeiten die Projektkoordination mit sich brachte und beleuchtete gleichzeitig die Chancen und Perspektiven, die aus den Erfahrungen und Erlebnissen im Rahmen des Projektes erwachsen konnten. Die Sicherung der Kontinuität der Arbeit mit Menschen mit Behinderung bleibe dem Museum Rüsselsheim ein wichtiges Anliegen.

LISA SPANKA (Bremen) stellte ihre vergleichenden Forschungen zu Nation und Geschlecht im Dänischen Nationalmuseum und dem Deutschen Historischen Museum vor. Das unter einer identitätsstiftenden Notion in den 1980er-Jahren gegründete DHM werde bis heute als nationales Projekt perzipiert. Identitätsstiftung im national-musealen Kontext sei, auch mit Blick auf das zweite Forschungsobjekt, das Dänische Nationalmuseum, eine wichtige Prämisse kulturhistorischer Museen weltweit, die Frage sei aber, wie die zu stiftende Identität im musealen Kontext inhaltlich und kuratorisch gefüllt werde. Als außerschulische Bildungsorte seien Museen ein Bindeglied zwischen einem institutionell-wissenschaftlichen und einem durch Besucher/innen repräsentierten Alltagsdiskurs, zu deren Zielen es gehöre, Bedürfnisse nach Orientierung und Selbstvergewisserung unter den Besucher/innen zu befriedigen. Hürde für moderne kulturhistorische Museen sei hier die Präsumtion eines authentischen Geschichtsnarrativs. Besonders chronologisch konzipierte Ausstellungen ließen die Tendenz erkennen, Geschichte und in Folge nationale Identität über die Kontinuitäten, Erfahrungen und Traditionen einer mehr oder weniger homogenen, als „Gemeinschaft“ bestimmten Gruppe zu definieren.

Methodisch verwendet Spanka den Begriff des Leitmotivs aus der Musik- oder Literaturwissenschaft, um von den Kuratoren als bedeutsam für das jeweilige Geschichtsverständnis begriffene Schwerpunkte der Ausstellungen zu analysieren. Ausgewählte Leitmotive für das DHM seien Krieg und Wirtschaft, bedingt durch eine politik- und herrschaftsgeschichtliche Perspektivierung der Ausstellung. Im dänischen Nationalmuseum seien Familie und Arbeit als Leitmotive zu verzeichnen, da die Ausstellung einen alltagsgeschichtlichen Ansatz verfolge. Die vor diesem Hintergrund durchgeführte Analyse verschiedener Displays erlaube es festzustellen, dass in beiden Museen eine heteronormative Zweigeschlechterordnung als gegeben gesetzt und in Anordnungen von Texten und Objekten im Raum rekonstruiert werde. Weiterhin werde Zweigeschlechtlichkeit durch das wiederholte Aufgreifen bestimmter Themen als geschichtliche und somit auch nationale Kontinuität reproduziert. Das Ausklammern queerer und nicht heteronormativer Lebensentwürfe und Geschlechtsidentitäten werde dabei authentischen geschichtlichen Sachverhalten nicht gerecht und diene mehr dem Zweck der Selbstvergewisserung bestimmter Besucher/innengruppen im Zusammenhang mit dem Verständnis von Nation und Wohlstand in einem geschlechtlich und sexuell binären und heteronormativen Framing. Gesellschaftlichen Mehrheiten könne so zwar ein Gemeinschaftsgefühl auf Grundlage nationaler Geschichte verschafft werden, dem Anspruch moderner Museumsforschung und der Forderung nach Diskursrepräsentation diverser gesellschaftlicher Gruppen werde dieser Ansatz jedoch auf keinen Fall gerecht.

Shortcomings dieser Art von Ausstellungspraxis in den national-kulturhistorischen Museen werden von den Kurator/innen und Museumsmacher/innen nicht unbedingt bewusst perpetuiert, sondern rühren aus veralteten Sammlungspraktiken, Unsichtbarkeiten in gesellschaftlichen Denkmustern und nicht zuletzt aus der Natur staatlicher Aufträge. Man müsse die Perspektivierung der Vergangenheit im Kontext gegenwärtiger gesellschaftlicher Aushandlungen sowie kontemporäre Sammlungs- bzw. Ausstellungspraxis reflektieren und dem Entwurf homogener und scheinauthentischer Geschichtsnarrative entgegenrudern, um Ausschlüsse zu vermeiden. Die Repräsentation vieler Akteur/innen führe jedoch nicht immer zu einer inklusiven Narration. Vielmehr müssten verschiedene gesellschaftliche Gruppen eingeladen werden, sich bei der Konzeption und Gestaltung von Ausstellungen zu beteiligen, um ein hohes Maß an Einordnung und Reflexion geschichtlicher Sachverhalte über kontemporäre Diskurse zu ermöglichen. Spanka’s Vorschlag liest sich als notwendiges Plädoyer für ein Museum des 21. Jahrhunderts, das queere, postmigrantische, behinderte, feministische und intersektionale Perspektiven in partizipative Ausstellungspraktiken einbettet.

HAUKE-HENDRIK KUTSCHER (Münster) stellte den Landschaftsverband Westfalen-Lippe und seine Arbeit im Kontext der Museumsberatung und Förderung durch das LWL-Museumsamt für Westfalen vor. Er präsentierte die Arbeit des LWL in seiner Struktur und Natur als Arbeit eines Verbandes, der suprakommunale und kommunalübergreifende Aufgaben übernimmt und dabei unter anderem soziale, kulturelle und bildungspolitische Aspekte unter der Prämisse bedient, für gleichwertige Lebensverhältnisse in der Region zu sorgen. Das Museumsamt unterstütze Museen der Region bei Ausstellungskonzeptionen und -vorbereitungen mit Fachwissen und kuratorischer Expertise und berate zu Aspekten der Museumspädagogik, Bestandserschließung sowie zu konservatorischen und sicherheitstechnischen Fragen. Im Rahmen überkommunaler Infrastruktur gehe es darum, Impulse für eine nachhaltige Qualifizierung und Professionalisierung zu setzen. Kutscher betonte die Wichtigkeit angewandter Inklusion in der Arbeit des LWL und verwies auf den Aktionsplan Inklusion, der Leitlinien für inklusive und barrierefreie Ansätze unter anderem im Kontext des Museumswesens setzt. Im Auftrag des LWL nehme die Zugänglichkeit und Offenheit von musealen Ausstellungen, um sie zu einem Ort für alle Bürger/innen zu machen, einen hohen Stellenwert ein. In diesem Beratungskontext beleuchtete Kutscher die Museumslandschaft in Westfalen-Lippe und bemerkte die Zunahme ehrenamtlicher Teilhabe und den Aufbau von ehrenamtlichen Strukturen durch einzelne Museen. Die Entwicklung von musealen Strukturen sei zu Teilen abhängig von der demografischen Entwicklung des Besucher/innennetzes, was Chancen und Probleme mit sich bringe, auf die man Museen adäquat vorbereiten wolle. Weiterhin betonte er den Einfluss der Digitalisierung, der in der kontemporären Ausstellungspraxis, aber auch für das Wesen von Sammlungen, immer mehr an Bedeutung gewinne.

Die genannten strukturellen Hürden in der Museumslandschaft könnten auch mit Hilfe von Museumsförderung überkommen werden. Die Förderungsrichtlinien beinhalteten die ausdrückliche Aufforderung an die Häuser der Region, sich um inklusive Projekte und die Ansprache von „bildungsfernen Gruppen“ zu bemühen und gleichzeitig die Barrierefreiheit in den Museen bestmöglich umzusetzen. Hierzu sollen zeigemäße Präsentationsformen implementiert und die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen priorisiert werden, sowie Anstrengungen zur Online-Accessibility unternommen werden. Kutscher strukturalisierte den Begriff Partizipation in einem fortschrittlichen Entwurf von Museumsberatung unter der Zurkenntnisnahme der Variabilität von partizipativen Projekten und Ansätzen. Das Verständnis des Bezugs von Partizipation auf inhomogene Gruppen und das Verhältnis gesellschaftlicher Akteure zueinander sei der Schlüssel zur adäquaten Beratung von Museen in dieser Hinsicht. Dabei verfolge sie im Einzelnen unterschiedliche Ziele, die individuell und umstandsabhängig ausgehandelt werden müssten.

Eine Führung durch die Dauerausstellung des Stadt- und Industriemuseums Rüsselsheim im Rahmen des Workshops erlaubte es den Teilnehmer/innen darüber hinaus besprochene Konzepte hautnah zu erleben und partizipative Ausstellungselement ‚auszuprobieren‘. Der Workshop präsentierte sich in seiner Gesamtheit als fruchtbare Veranstaltung, die zum einen durch die Redebeiträge interessante Impulse zur zeitgenössischen Museumszene generieren konnte und Einblick in die Genese des Museumswesens, inklusive Projektarbeit, aktuelle Forschung und strukturelle Aufstellungen gewährte. Zum anderen boten seine Zwischentöne, die Diskussionen und Reflexionen zwischen den Vorträgen, den Teilnehmer/innen Möglichkeit, eigene Erfahrungen im Zusammenhang mit partizipativer Arbeit in musealen Räumen einzubringen. Dabei wurde die Vielschichtigkeit der Hintergründe des Teilnehmer/innenfeldes offensichtlich, was einen Austausch in besonderem Maße beflügelte und in den Diskussionen unzählige wertvolle Perspektiven öffnete. Es lässt sich hoffen, dass Veranstaltungen wie diese in der Museumslandschaft auf Resonanz stoßen und dazu beitragen, dass Museen mit Hilfe inklusiver und partizipativer Konzepte eines Tages, wie Heterotopien im foucault’schen Sinne, die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit repräsentieren.

Konferenzübersicht:

Bärbel Maul (Rüsselsheim): Eröffnung

Freia Anders (Mainz): Annäherungen an ein Berufsfeld im Seminar „Zeitgeschichte im Museum: Zwischen Teilhabe und User Generated Content“

Cornelia Röhlke (Rüsselsheim): „Rüsselsheim anders bauen – Wie wir leben wollen“. Erfahrungen mit partizipativer Arbeit im Projekt „StadtMuseum inklusive: beteiligen – nicht behindern!“

Lisa Spanka (Bremen): Geschichten für die Gegenwart: Museale Aushandlungen von Geschlecht und Nation untersuchen

Hauke-Hendrik Kutscher (Münster): „Partizipation- und Inklusion als Kriterien der Museumsberatung und Förderung“


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