Familienflüsterer. Familienunternehmen und ihre Berater. 16. Sitzung des Arbeitskreises Familienunternehmen

Familienflüsterer. Familienunternehmen und ihre Berater. 16. Sitzung des Arbeitskreises Familienunternehmen

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.
Ort
Wuppertal
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.11.2019 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Marcel Stierand, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte mbH

Um den Ruf von Beratern ist es in der Gesellschaft nicht immer um das Beste bestellt. Gerade wegen des vermuteten wie tatsächlichen „Einflüsterns“ auf Entscheider in Politik, Wirtschaft und damit auch Unternehmerfamilien wird diesem Berufsstand oftmals mit Argwohn und Skepsis gegenübergetreten. Gleichzeitig finden sie offenkundig gute Beschäftigung und werden gebraucht, in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart. Dies bietet ein interessantes Spannungsfeld, dem sich der Arbeitskreis Familienunternehmen in seiner 16. Sitzung widmete.

Wie in den zurückliegenden Sitzungen profitierten die Teilnehmer einmal mehr von den unterschiedlichen Blickwinkeln, mit denen auf das Thema eingegangen wurde. Historisch-kritische Betrachtungen wurden von Vortragenden wie Teilnehmenden ebenso vorgebracht wie Erfahrungsberichte aus der Praxis, sowohl von Unternehmerfamilien als auch von einem Berater selbst. Den passenden Rahmen boten dabei die Räumlichkeiten der Coroplast Fritz Müller GmbH & Co. KG in Wuppertal, in der MARTIN UEBELE (Wuppertal) zu Beginn des Arbeitskreises in die Geschichte des 1928 als „Fritz Müller Elektroisoliermaterial“ gegründeten Familienunternehmens einführte, welches seit 1948 den Zusatz „Coroplast“ im Firmennamen trägt. Im späteren Tagesverlauf konnten die Teilnehmer während einer Werksführung zudem Einblicke in die Produktion von Klebebändern gewinnen.

RAINER KURTZ (Kreuzwertheim), geschäftsführender Gesellschafter der Kurtz Holding GmbH & Co. Beteiligungsgesellschaft KG, zeigte in seinem Erfahrungsbericht zu Kurtz Ersa anhand verschiedener Fallbeispiele eine Vielzahl von Möglichkeiten auf, in denen ein Unternehmen in Geschichte und Gegenwart auf Berater zurückgegriffen hat und dies auch weiterhin tut. Die Varianz reicht dabei von Technologieberatung, Banken, dem eigenen Beirat bis hin zu Beratern aus dem Familien- und Bekanntenkreis, etwa in Rechtsangelegenheiten. Hinzu käme der Austausch in den Verbänden. Zusammengefasst sei festzuhalten, dass es dem Unternehmen durch die Beiträge der Berater insgesamt besser ergangen sei, als wenn es diese nicht gegeben hätte. Gleichwohl zeigten die Erfahrungen aber auch, dass es unter Beratern ebenso wie in Familien Streit geben kann. Bei bestimmten Themen, etwa gegenüber Banken, sei zu beachten, dass die Teilnahme von Beratern schlichtweg unumgänglich sei. Unverzichtbar seien in der Gegenwart gerade auch wissenschaftliche Beratung und Expertise für die Bereiche Technologien, Innovationen und Märkte. Somit komme ihnen eine große Bedeutung bei der strategischen Ausrichtung eines Unternehmens zu, besonders wenn dieses eine gewisse Größe und einigen Umfang erreicht habe. Festzuhalten sei aber auch, dass sie der Bezeichnung entsprechend Berater und keine Entscheider seien. Entscheidungen habe letztlich immer noch der/die Unternehmer/in selbst zu treffen und zu verantworten.

Anschließend präsentierte SEBASTIAN SCHÖTTLER (Berlin) einen Werkstattbericht seines Dissertationsprojekts zu Unternehmensberatungen als „Strategen des Strukturwandels?“, dem er sich aus den Perspektiven der beratenen Unternehmen widmet. Eines dieser Unternehmen ist Merck in Darmstadt, auf das Schöttler in seinem Vortrag einging und sich dabei auf die frühen 1980er-Jahre fokussierte. Besonders in Erscheinung getreten sei zu dieser Zeit die Boston Consulting Group (BCG), die in dieser Zeit mit der Durchführung von zwei Strategieprojekten beauftragt wurde. Im ersten Projekt sollte anhand des Wettbewerbs eine Überprüfung der eigenen Strategiepläne im Bereich Forschung vorgenommen werden, die eine Konzentration auf drei Forschungsfelder vorsahen. Der Fokus von BCG lag dabei auf dem kommerziellen Erfolg, nicht auf wissenschaftlicher Expertise. Genau dies, in Verbindung mit der Marktorientierung der BCG-Analyse und ihrer damit verbundenen starken Kritik an den Prozessen bei Merck, habe aber für Spannungen, Unverständnis und Ablehnung geführt. Gleichzeitig wurde jedoch eine intensive interne Diskussion angestoßen. Diese sei wohl auch eine Folge der Beratung gewesen. Dies erkläre eventuell auch, dass im Jahr darauf trotz dieser Urteile die BCG erneut von Merck beauftragt wurde, nun zur Analyse des Geschäftsbereichs Industriechemikalien. Hier habe es ebenfalls massive Kritikpunkte gegeben, die erneut zu einer weitgehenden Zurückweisung der Beraterempfehlungen und zu methodisch-inhaltlicher Kritik führten. Letztere sei allerdings, so Schöttler, kein Spezifikum für den Fall Merck gewesen. Im Ergebnis sei der Nutzen der Beratung, den Gedanken von Werner Plumpe folgend, unabhängig vom Inhalt der Empfehlungen zu sehen: in einer Irritation und Stabilisierung der unternehmerischen Entscheidungsfindung. Außerdem zeige sich in den frühen 1980er-Jahren der Aufstieg der Berater als Gesichter für die Vermarktlichung von Unternehmen.

Einem dritten Unternehmen und einem anderen Markt widmete sich MATTHIAS KIPPING (Toronto). Er referierte zum „frühen und häufigen“ Einsatz von Beratern im US-Stahlunternehmen Lukens. Den Blick auf den US-amerikanischen Markt zu richten war allein schon deshalb hilfreich, weil die Unternehmensberatung dort ihren Ursprung habe und folglich im Wirtschaftswesen viel früher als beispielsweise in Deutschland verankert gewesen sei. Dies zeige sich auch in der Tatsache, dass Lukens im 20. Jahrhundert „quasi ununterbrochen“ Berater eingesetzt habe, obgleich von Zeit zu Zeit Projekte vorzeitig abgebrochen wurden. So habe es im Laufe des Jahrhunderts drei „Generationen“ von Beratern gegeben, wobei Berater der ersten Generation zumeist auf Effizienzsteigerungen setzten, die zweite Generation sich vermehrt auf Organisations- und Strategieberatung konzentrierte, bevor die dritte Generation in Fragen der Buchhaltung, Wirtschaftsprüfung und IT beriet. An einem Fallbeispiel aus den 1930er-Jahren zeigte Kipping auf, wie ein Streit um die Berater zu einem Streit in der Nachfolge wurde und Berater als „Platzhalter“ für interne Konflikte eingesetzt wurden. Dem effizienten Einsatz sei dies, wie überhaupt die häufigen Beraterwechsel, nicht zuträglich gewesen. Ein umfassender und vielfacher Einsatz von Beratern war jedoch typisch. Er zeugt von einer Institutionalisierung der Beratung im Wirtschaftsleben, sei es aus funktionalen Motiven wie der Größe und Komplexität von Unternehmen oder der rechtlichen Lage durch Untersagung der Möglichkeit des direkten Wissensaustausches unter Unternehmen im Zuge der Anti-Trust-Gesetzgebung heraus. Folglich seien, so Kipping, Beraterleistungen auch in der Wissensübertragung, der Legitimation von „harten“ Entscheidungen gegenüber Dritten oder der Funktion des Ansprechpartners für „einsam entscheidende“ Top-Manager zu sehen.

Für einen weiteren Blick in die Praxis, in diesem Fall aus Sicht eines Nachfolgeberaters, sorgte NILS KOERBER (Bremen). Koerber, der selbst aus einer Unternehmerfamilie stammt und zeitweise auch den väterlichen Betrieb führte, begleitet das Thema „Berater“ seit 55 Jahren. Das Scheitern der Übergabe des Unternehmens an den älteren Bruder sei eine Bruchstelle im Familiensystem gewesen. Er selbst habe nach einigen Jahren losgelassen. Überhaupt erlebe er die Nachfolgefrage als einen für zahlreiche Familienunternehmen äußerst schwierigen Prozess, in der Loslassen eine Kunst und ein Gewinn sein könne. Das Erleben der Erziehung zur Nachfolge, ohne sich selbst dafür ausreichend „erwärmen“ zu können, sei dabei genauso ein wiederkehrendes Motiv wie die Frage nach einer ausfüllenden Alternative. Wichtig sei es, dass die Nachfolgeberater selbst auch Unternehmer seien und keine klassischen Berater. Zudem hält er Mediationskompetenzen für unabdingbar, um in Fragen diesbezüglich gut beraten zu können. Das Thema Nachfolgeberatung sei in den vergangenen Jahren hoffähiger geworden und der Nachfolgeprozess vermehrt als Teil der Lebensphase angesehen. Der emotionale Aspekt sei gerade im kleinen Mittelstand ein wesentlicher Faktor. Zudem sei festzustellen, dass es Männern schwerer falle loszulassen. Auf die quantitative Entwicklung von Töchtern in der Nachfolge angesprochen, bleibe seines Erachtens leider festzustellen, dass dies noch viel zu wenig geschehe, aber gerade hinsichtlich der Problematik der Bevölkerungsentwicklung eine Aufgabe für die Zukunft darstelle. Im Übrigen münde die Beratung nicht in jedem Fall in einem "Loslassen". Zu einem Verkauf käme es in rund 60 Prozent der Fälle – und dies in vielen Fällen an andere Familien.

Der diesjährige Arbeitskreis ermöglichte durch die Fächerung des Vortragspanels einen Blick in einerseits sehr unterschiedliche, andererseits gut zu vergleichende Perspektiven. Die Beispiele aus Deutschland und den USA zeigten Unterschiede des Beraterverständnisses auf und lieferten hierfür Erklärungsansätze. Die Vorreiterrolle der USA in diesem Bereich hängt dabei eng mit dem Verbot des Austauschs zwischen Unternehmen im Rahmen der Anti-Trust-Gesetze zusammen, wohingegen dies in Deutschland innerhalb von Verbänden möglich sei. Auch die sich unterscheidenden Unternehmensgrößen und der in Deutschland tragende Mittelstand mögen Einfluss gehabt haben. An der Vermarktlichung von Unternehmen in der Bundesrepublik haben die marktorientiert agierenden Beratungsunternehmen sicherlich ihren Anteil. Doch zeigte sich auch, dass diese markanten und bekannten Vertreter nicht die einzigen "Familienflüsterer" in Unternehmerfamilien sind.

Konferenzübersicht:

Rainer Kurtz (Kreuzwertheim): Erfahrungen des Unternehmens Kurtz Ersa mit Beratern

Sebastian Schöttler (Berlin): Zwischen Erfahrung und Erwartung. Strategieberatung bei Merck in den frühen 1980er Jahren

Matthias Kipping (Toronto): Früh und Häufig. Berater bei Lukens Steel in den USA

Nils Koerber (Bremen): Zwischen Baum und Borke. Die Kunst des Loslassens


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