Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus im Rheinland

Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus im Rheinland

Organisatoren
LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte Bonn; Fachbereich III – Neuere und Neueste Geschichte, Universität Trier
Ort
Trier
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.11.2019 - 23.11.2019
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Von
Pascal Licher, Fachbereich III – Neuere und Neueste Geschichte, Universität Trier

Die Forschungsprojekte „Gestapo: NS-Terror vor Ort. Die Staatspolizeistelle Trier in der südlichen Rheinprovinz“ (Universität Trier) und „Widerstand im Rheinland 1933-1945“ (LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte Bonn) trafen sich im Trierer Cusanus Institut zu ihrem zweiten gemeinsamen Kolloquium, bei dem aktuelle Forschungsarbeiten vorgestellt und diskutiert wurden.

Den thematischen Einstieg bestritt LENA HAASE (Trier) mit einem Werkstattbericht zu ihrem Dissertationsvorhaben über das Verhältnis von Justiz und Polizei im Nationalsozialismus. Dabei kritisierte sie die verbreitete Vorstellung, Polizeibehörden hätten Staatsanwaltschaften und Gerichte aus der Strafverfolgung immer weiter zurückgedrängt. Anhand der Untersuchung von Fallakten aus dem Gebiet des ehemaligen Regierungsbezirks Trier kam Haase zu dem Schluss, dass das alltägliche Verhältnis der Behörden eher von Kooperation und Aushandlungsprozessen geprägt war. Wenn man die Verfolgung „normaler“ Delikte (wie beispielsweise Pass- oder Devisenvergehen) auf regionaler Ebene betrachte, zeige sich das Bild gegenseitigen Einvernehmens und einer guten Zusammenarbeit.

Die Aktivitäten des anarchosyndikalistischen Widerstands im Rheinland waren Gegenstand der Untersuchungen von YANNIC BIERNAT (Bonn). Er skizzierte zunächst Ideologie und historische Genese des gewerkschaftlich organisierten Anarchosyndikalismus und ging dann auf Formen des Widerstands der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) ein. Diese habe bis zu ihrer Zerschlagung 1937 in der Illegalität Broschüren und Flugblätter produziert sowie oppositionelle Schriften aus den Niederlanden in das Reich geschmuggelt. Daneben hätten Mitglieder der FAUD Fluchthilfe geleistet, politische Kurzbotschaften auf Straßen geschrieben und Spenden für die Familien inhaftierter Genossen gesammelt. Eine breite Öffentlichkeit habe der anarchosyndikalistische Widerstand im Rheinland allerdings nicht erreichen können. In der anschließenden Diskussion wurde vor allem nach dem Verhältnis der FAUD zu anderen linken Organisationen gefragt und die Zerrissenheit des Widerstands gegen den Nationalsozialismus problematisiert.

ANDREAS BORSCH (Trier) stellte den Übergang von der Preußischen Politischen Polizei zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Trier dar. Er konstatierte weitgehende Kontinuitäten polizeilicher Praxis, die er am Beispiel des Juristen Wilhelm Mäurer veranschaulichte. Mäurer sei 1933 zum ersten Leiter der Stapo Trier berufen worden; zuvor sei er als politischer Dezernent der Bezirksregierung für die Überwachung von KPD und NSDAP verantwortlich gewesen. Sein Lebensweg stehe somit exemplarisch für die Anpassung vieler Verwaltungsbeamter an den Nationalsozialismus. Zugleich seien die neuen Machthaber aber auch auf Experten wie Mäurer angewiesen gewesen. Weiterhin hob Borsch die Bedeutung kommunaler Behörden für die Inschutzhaftnahmen hervor und ging auf die Beobachtung des Saargebietes ein, mit der die Trierer Gestapo bis 1935 betraut war.

Auf das Desiderat, die Geschichte des Provinzialverbands der Rheinprovinz aufzuarbeiten, wies RENÉ SCHULZE (Bonn) hin. Er betonte, dass bisher nur für den Provinzialverband Westfalen eine umfangreiche Studie 1 vorliege und dessen rheinisches Pendant bisher vernachlässigt worden sei. Schulze stellte das Konzept seiner Masterarbeit vor, in der er die Verbindungen des Provinzialverbands und der Universität Bonn zur Zeit der Weimarer Republik und während des Nationalsozialismus untersuchen will. Hierbei sollen die kultur- und wissenschaftspolitischen Tätigkeiten des Provinzialverbands der Rheinprovinz im Mittelpunkt stehen.

LENNARD SCHMIDT (Trier) referierte über den Antisemitismus der „Neuen Linken“. Er kritisierte zunächst bisherige Forschungsarbeiten, denen oftmals eine breite Quellenbasis und ein geeigneter Theorie- und Methodenapparat fehlten. Zudem bemängelte er die Fokussierung auf linksextremistische Akteure, da so Ausmaße und tieferliegende Strukturen des Antisemitismus der „Neuen Linken“ nicht adäquat erfasst werden könnten. In seiner Dissertation will Schmidt daher den massenwirksamen Teil der „Neuen Linken“ in den Blick nehmen und mehrere einschlägige Zeitungen bzw. Zeitschriften im Zeitraum von 1965 bis 1973 untersuchen. Erkenntnisleitend seien dabei die Fragen, wo antisemitische Narrative gehäuft auftreten und wie die Verbreitung judenfeindlicher Einstellungen in einer sich als links verstehenden Bewegung zu erklären ist. Der Referent resümierte, dass der Antisemitismus der „Neuen Linken“ aus ihrer Ideologie hergeleitet werden müsse. In der anschließenden Diskussion wurde über den Quellenwert von Zeitungsartikeln gesprochen und angeregt, diese mit weiteren Dokumenten zu kombinieren. Daneben wurde auf den Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft nach 1945 verwiesen und nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur „Neuen Linken“ gefragt.

Abschließend befasste sich YORICK FASTENRATH (Bonn) mit der politischen Biographie Georg Leibbrandts, der in der Zeit des Nationalsozialismus leitende Positionen im Außenpolitischen Amt der NSDAP und im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete innehatte. Fastenrath stellte zunächst verschiedene Forschungsmeinungen dar, die vor allem Leibbrandts Kompetenz unterschiedlich beurteilen. Einige Historiker sähen in ihm einen fachkundigen Experten, andere beschrieben ihn dagegen als „überzeugten Nationalsozialisten, der nicht gerade begabt“ gewesen sei. Georg Leibbrandt habe aufgrund seiner Herkunft, seiner Forschungstätigkeit und seiner politischen Einstellung schnell Karriere im NS-Staat gemacht. Als Hauptabteilungsleiter im „Ostministerium“ und Mitglied des innersten Kreises um Alfred Rosenberg habe er die Ausgestaltung der deutschen Besatzungsherrschaft mitverantwortet. Leibbrandt habe dabei ein anderes besatzungspolitisches Konzept als Heinrich Himmler vertreten, der die Ausbeutung und Versklavung der „Völker des Ostens“ forcierte. Mit seinem Vorhaben, die einheimische Bevölkerung auf die Seite des deutschen Reiches zu ziehen, habe sich Leibbrandt im polykratischen Herrschaftssystem nicht durchsetzen können und sei im Sommer 1943 aus dem Reichsministerium herausgedrängt worden. Da ihm eine eigene Hausmacht gefehlt habe und das politische Gewicht Rosenbergs begrenzt gewesen sei, habe sich Leibbrandt im Kompetenzgerangel der NS-Bürokratie nicht behaupten können.

Konferenzübersicht:

Thomas Grotum (Trier) / Helmut Rönz (Bonn): Begrüßung und Einführung

Lena Haase (Trier): Das Verhältnis von Justiz und Polizei im Nationalsozialismus. Ein Werkstattbericht

Yannic Biernat (Bonn): Der anarchosyndikalistische Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Rheinland

Andreas Borsch (Trier): Die Staatspolizeistelle Trier in der Frühphase des NS-Staates

René Schulze (Bonn): Die Universität Bonn und der Provinzialverband der Rheinprovinz zwischen Weimarer Republik und „Drittem Reich“. Ein Werkstattbericht

Lennard Schmidt (Trier): Zum Antisemitismus der „Neuen Linken“. Eine qualitative Untersuchung linker Zeitschriften im Zeitraum 1965-1973

Yorick Fastenrath (Bonn): Georg Leibbrandt (1899-1982). Eine politische Biographie

Abschlussdiskussion

Anmerkung:
1 Karl Ditt, Raum und Volkstum. Die Kulturpolitik des Provinzialverbandes Westfalen 1923-1945, Münster 1988.