Die Sichtbarmachung und Medialisierung von Gewalt seit dem späten 19. Jahrhundert

Die Sichtbarmachung und Medialisierung von Gewalt seit dem späten 19. Jahrhundert

Organisatoren
Jörg Requate / Dirk Schumann / Petra Terhoeven, Zeitgeschichtlicher Arbeitskreis Niedersachsen
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.11.2019 - 09.11.2019
Url der Konferenzwebsite
Von
Manfred Alexander Müller, Neuere und Neueste Geschichte, Universität Göttingen

An der Bandbreite der Vorträge wurde deutlich, dass der von Helga Grebing gegründete Zeitgeschichtliche Arbeitskreis Niedersachsen keineswegs eine rein landesgeschichtliche Ausrichtung verfolgt, sondern ein Forum für den Austausch zur allgemeinen Zeitgeschichte ohne strikte geografische Eingrenzungen bietet. Zum Konzept der Tagung merkte Mitorganisator Jörg Requate (Kassel) an, dass sie sich neben medialisierter Gewalt kolonialer oder politischer Art auch auf sonst weniger thematisierte Felder wie das der Gewalt in geschlossenen Institutionen richte und diese um Untersuchungen beispielsweise zum Thema der häuslichen Gewalt erweitere. Aktuell erscheine das Thema der Sichtbarmachung von Gewalt insbesondere aufgrund gegenwärtiger Entwicklungen wie beispielsweise der MeToo-Bewegung. Im Fokus stehen sollten die medialen Repräsentationsweisen verschiedener Formen physischer Gewalt und die zu ihr führenden gesellschaftlichen Prozesse.

Im ersten Panel arbeitete SILVAN NIEDERMEIER (Erfurt) die unterschiedliche Nutzung des Mediums der Fotografie auf Seiten der Kriegsteilnehmer heraus. Auf amerikanischer Seite fotografierten Kriegsteilnehmer einerseits (häufig nachgestellte) Kampfsituationen und alltägliche Szenen von Landschaften und sozialen Interaktionen untereinander und mit der lokalen Bevölkerung. Diese Bilder dienten sowohl zur Authentifizierung der eigenen Kriegserfahrung als auch zur Produktion eines Bildes maskuliner Härte. Die amerikanischen Soldaten machten aber auch Aufnahmen von Leichenbergen und zerstörten Dörfern als Folge von Kämpfen mit der philippinischen Armee. Hier sollte die Sinnlosigkeit des Widerstandes der Bevölkerung gegen die Amerikaner sichtbar gemacht werden. Die philippinische Seite nutzte Fotografien als Mittel der Selbstpräsentation. Bilder von westlich gekleideten Offizieren suggerierten, dass es sich bei der Auseinandersetzung keineswegs um einen Aufstand in einer Kolonie, sondern um einen Krieg zwischen zwei sich ebenbürtigen Nationen handele. Somit sollten die kolonialen Narrative von Zivilisierung und Befriedung, die von den Amerikanern als Rechtfertigung für die Kampfhandlungen herangezogen wurden, dekonstruiert werden.

Ebenfalls mit der Darstellung politischer Gewalt, hier aber im Kontext der Revolution von 1918/19 in Hamburg, beschäftigte sich CHRISTINA LIPKE (Hamburg). Anhand der Analyse von vier Hamburger Zeitungen stellte sie einerseits den Revolutionsverlauf in Hamburg, andererseits die Nutzung von Berichten über Gewalt als politisches Instrument dar. Von den untersuchten Publikationen waren das Hamburger Fremdenblatt und die Hamburger Fremdenzeitung dem bürgerlichen Lager zuzuordnen, während das Hamburger Echo und Die Rote Fahne sozialdemokratische bzw. sozialistische Positionen vertraten. Im Gegensatz zu anderen deutschen Großstädten wie Berlin und München, wo bürgerkriegsähnliche Zustände zum Teil zu Akten entgrenzter Gewalt führten, blieb es in Hamburg während der Revolutionszeit vergleichsweise ruhig. Lipke arbeitete heraus, dass dies sowohl auf das besonnene Handeln des Arbeiter- und Soldatenrats als auch auf die deeskalierende Berichterstattung der untersuchten Zeitungen zurückzuführen war. Selbst bürgerliche Zeitungen lobten die Zurückhaltung revolutionärer Sicherheitsdienste in der Auseinandersetzung mit konservativen Kräften. Auch in den sozialistischen Zeitungen wurde zur Vermeidung von Gewalt aufgerufen. Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Berichterstattung war zudem die Darstellung von Schreckensbildern der gewalttätigen Auseinandersetzungen in anderen Städten des Reichs, welche häufig im Einmarsch von Truppen der Reichsregierung endeten. Der Wunsch nach der Vermeidung einer Eskalation der Auseinandersetzungen in Hamburg einte hier die politisch unterschiedlichen Publikationen.

Im zweiten Panel sprach zunächst BARBARA MANTHE (Düsseldorf) zur „unsichtbaren“ Geschichte des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik von 1970 bis 1990. Rechtsextremistischer Terror war seit 1945 in Deutschland keineswegs ein Randphänomen und erreichte seinen bisherigen Höhepunkt in den 1970er und 1980er Jahren. Anhand dreier Fallbeispiele stellte Manthe dar, inwiefern die mediale Berichterstattung zur „Unsichtbarmachung“ des rechtsterroristischen Charakters von Gewalttatenbeitrug. Der Bombenanschlag mit 13 Toten auf das Oktoberfest 1980 sowie die Morde an Shlomo Lewin und Frida Poeschke im selben Jahr und die Ermordung zweier amerikanischer Soldaten und eines Ägypters durch Helmut Oxner 1982 wurden alle von Tätern aus dem rechtsextremen/neonazistischen Milieu begangen. Der Einfluss rechtsextremer Netzwerke und ihres Gedankengutes wurden allerdings in der Berichterstattung größtenteils verschwiegen. Die Täter wurden als „einsame Wölfe“ bezeichnet, ihre Taten als „Amokläufe“ ohne politischen Hintergrund kategorisiert. Die Täter wurden somit individualisiert, ihre Taten entpolitisiert und ihre Opfer unsichtbar gemacht. Rassismus und Antisemitismus wurden daher in diesem Kontext nicht als gesamtgesellschaftliche Probleme behandelt. Erst seit der Aufdeckung der NSU-Mordserie habe sich die Darstellung rechtsextremer Gewalttaten in den Medien signifikant gewandelt, hin zu einer intensiveren Berichterstattung, Beleuchtung der Opferperspektive und der Einsicht, dass Rechtsterrorismus eine signifikante Bedrohung darstellt.

Dem Beginn des 20. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten wandte sich im selben Panel HELKE RAUSCH (Freiburg) zu, die über Bemühungen der Rockefellers im Kontext von Zeitungsberichten zu Gewalt der Nationalgarde gegen streikende Minenarbeiter in Ludlow, Colorado, im April 1914 sprach. Die landesweite Sichtbarmachung der Gewaltakte der Nationalgarde und ihrer Folgen für die Minenarbeiter und ihre Familien, sowohl über Texte als auch Bilder, führte zu einer kurzfristigen Solidarisierung weiter Teile der Bevölkerung mit den Streikenden und zu einer Beschädigung des Ansehens des Minenbetreibers Rockefeller, das dieser mit einer aufwändigen PR-Kampagne wiederherzustellen versuchte. Die untersuchten Publikationen, deren Verfasser von ihren Kritikern häufig abwertend als „muckraker“ bezeichnet wurden, schufen durch die selektive Darstellung des Leidens von Frauen und Kindern und der gegen sie gerichteten Gewalt bei gleichzeitiger Auslassung beispielsweise von Bildern bewaffneter Minenarbeiter ein Narrativ, welches sich nahtlos in die Tradition der Rockefeller-Kritik einfügte. Diesen Vorgang bezeichnete Rausch als „gewerkschaftsnahe Skandalisierung“ und als typisch für progressiven amerikanischen Investigativjournalismus im Untersuchungszeitraum. Der resultierende Aufschrei führte zur Einrichtung einer präsidentiellen Kommission mit Vertretern von Arbeitgebern und der Arbeitnehmerseite, der Commission on Industrial Relations, deren Arbeit allerdings zu keinen nennenswerten Ergebnissen führte, allerdings zu medienwirksamen Auftritten Rockefellers beispielsweise in von seinem Unternehmen eingerichteten Schulen für die Kinder seiner Arbeiter. Die langfristige Wirkung der Episode war folglich deutlicher im Beginn intensiver Öffentlichkeitsarbeit Rockefellers als in tatsächlichen Veränderungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Streikenden spürbar.

Im dritten Panel trug zunächst MARCUS BÖICK (Bochum) zum Thema der „schwarzen Sheriffs“ in München vor. Die „schwarzen Sheriffs“ waren private Sicherheitskräfte, die seit den 1970er Jahren unter der Ägide einer zunächst konservativen Regierung in der Metropole Aufgaben zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit wahrnehmen und somit die Arbeit der Polizei unterstützen sollten. Böick kontextualisierte sein Untersuchungsobjekt zunächst anhand eines kurzen Abrisses der Geschichte privater Sicherheitsdienste in Deutschland seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. In Anlehnung an Eckart Conze verortete er die Arbeit der „Sheriffs“ dann im Spannungsfeld der Herausbildung von Sicherheitskulturen als Reaktion auf eine zunehmende Wahrnehmung mehr oder weniger spezifischer gesamtgesellschaftlicher Bedrohungen und dem von ihm vorgeschlagenen Begriff des „Sicherheitskapitalismus“ im Kontext einer sich zunehmend individualisierenden Gesellschaft. Die zunehmende Abgabe von Kompetenzen weg von staatlichen und hin zu privaten Akteuren löste eine politische Debatte über das Machtgefüge von Staat und Markt aus, die größtenteils zwischen dem rechten und dem linken politischen Lager geführt wurde. Dabei spielten nationale Sicherheitskulturen ebenso eine Rolle wie transnationale Beziehungen. Besonders die Vereinigten Staaten wurden als Bezugspunkt herangezogen und dortige Medienereignisse wie Schießereien oder steigende Verbrechensquoten von beiden Seiten als Argumente instrumentalisiert. Die zunehmende Professionalisierung und öffentliche Präsenz privater Sicherheitsdienste seit den 1970er Jahren spiegele, wie Böick betonte, die Entwicklung des Sicherheitskapitalismus und halte die Diskussion über die Rolle des Marktes als Garant öffentlicher Sicherheit und der damit verbundenen Machtverschiebungen weiterhin aktuell.

Auf Böick folgte BARBARA WAGNER (Friedrichshafen) mit ihrem Beitrag über das Selbst als Medium zur Sichtbarmachung von Gewalt. Sie analysierte einige Fallbeispiele von Performance Art der 1970er Jahre, bei denen Künstler sich öffentlich entweder selbst Verletzungen zufügten oder die Zuschauer in die Darstellung integrierten, indem sie ihnen die Möglichkeit gaben, beispielsweise die Kleidung der KünstlerInnen zu zerschneiden oder zu bemalen oder gar ihren Körper zu verletzen. Gerade bei der sich selbst zugefügten oder zugelassenen Gewalt erreichten die KünstlerInnen eine Auflösung der Täter-Opfer Dichotomie. Selbstverletzung steht hier der von anderen zugefügten Gewalt gegenüber. Diese besonders Perspektive fand sich auf der Tagung nur im Vortrag Wagners wieder und regte zu einer Erweiterung des Gewaltbegriffs an. Der Vortrag trug allerdings nicht nur auf semantischer Ebene zum Verständnis der Analyse von Gewalt bei. Die Verortung der Analyse in der Perfomance-Art-Szene der 1970er Jahre erlaubte zudem, die Untersuchung von Gewalt als Linse sowohl auf das sich wandelnde Verständnis von Körper und Selbst als auch die Auflösung gesellschaftlicher Konventionen in den Jahren nach 1968 zu nutzen. Besonders im Verhältnis vom Selbst zur Gesellschaft fanden sich Anknüpfungspunkte an die Problemstellungen, die auch Böick aufgezeigt hatte.

Im letzten Panel, das sowohl filmische Darstellung als auch tabuisierte Gewalt umfasste, beschäftigte sich zunächst JULIANE HORNUNG (Köln) mit der filmischen Medialisierung von Jagdtrophäen. Die Quellengrundlage ihrer Untersuchung waren die Filmaufnahmen der Afrikareisen des New Yorker Ehepaars Margaret und Lawrence Thaw. Das wohlhabende Paar hatte in den 1930er Jahren mehrfach den afrikanischen Kontinent bereist und war dort mit einem Tross lokaler Führer und Träger auf Safaris gegangen. Szenen des Lebens in der „Wildnis“, der Jagd und der Zerlegung der erlegten Tiere beziehungsweise deren Weiterverarbeitung zu Jagdtrophäen bildeten einen Großteil des Filmmaterials. Die filmische Darstellung von Gewalt gegen Tiere erweiterte hierbei die schon von Niedermeier präsentierten Überlegungen zur Visualisierung von Gewalt. Ihre Reiseberichte und Filme brachten die Thaws zu einiger Berühmtheit in den wohlhabenden Zirkeln New Yorks und erlaubten Vortragsreisen und Werbeverträge. Hier wird deutlich, dass die Darstellung von Gewalt gegen Tiere im Untersuchungszeitraum durchaus normalisiert, sogar romantisiert wurde. Dies, wie auch die folgenden Beiträge, hebt besonders den sowohl diachron als auch synchron wandelbaren Charakter von Gewaltrezeption hervor.

Mit der medialen Darstellung einer lange eher tabuisierten Form von Gewalt in Printmedien befasste sich ARNO GÖRGEN (Bern). In seinem Vortrag zur medialen Berichterstattung über Gewalt an Kindern im SPIEGEL und in der FAZ von 1950 bis 2013 arbeitete er die sich wandelnden Darstellungen dieser spezifischen Gewalthandlungen in den untersuchten Medien heraus. Dabei stellte er an sein Untersuchungsobjekt drei Fragen. Erstens: Welche Konjunkturen gibt es in der Darstellung von Gewalt gegen Kinder in den Medien? Zweitens: Wie wird über diese Gewalt gesprochen? Und drittens: Wer spricht über wen? Zur ersten Frage diagnostizierte Görgen eine tendenziell wachsende Anzahl von Beiträgen zum Thema, die bei spezifischen Medienereignissen wie besonders stark rezipierten Missbrauchsfällen Höhepunkte erreicht. Görgen erklärt dies nicht nur mit einem gesellschaftlichen Wertewandel seit 1968, sondern auch mit einer breiteren Definition des Gewaltbegriffs. Zur zweiten Fragestellung lieferte der Vortragende eine Entwicklungslinie, die von einer Züchtigungsdebatte in den Medien vom Beginn des Untersuchungszeitraums bis 1980 über eine Periode der Darstellung im Ausland verorteter und somit externalisierter Gewalt zwischen etwa 1985 und 1995 bis hin zur seit etwa 1995 dominanten Darstellung internalisierter Gewalt reicht. Die Frage nach dem „Wie“ der Gewaltdarstellung erlaubt einen Zugriff auf historische Auseinandersetzungen, die ihrerseits gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und Problemstellungen aufzeigen. Die Betrachtung von Berichten über Gewalt erlaubt beispielsweise eine Sicht auf machtpolitische Aushandlungsprozesse, wie die Etablierung und das Aufbrechen sozialer Kontrolle oder, wie im Fall der Körperstrafen in der Schule, das Verhältnis von Staat und Eltern bei der Kindererziehung.

Im letzten Vortrag widmete sich CARINA GABRIEL-KINZ (Kassel) der Sichtbarmachung unsichtbarer Gewalt in der Satire. Zum einen fragte sie nach dem unterschiedlichen satirischen Umgang mit sexuellem Missbrauch von Kindern in der französischen Zeitschrift Charlie Hebdo und in der deutschen Titanic. Zum anderen ging sie der Frage nach, ob und wie sich die radikale Enttabuisierung des Themas in den Satirezeitschriften auf den bestehenden Diskurs auswirkt. Sie stellte dabei heraus, dass es sich bei beiden Satirezeitschriften um Medien handelt, die bereits vor der öffentlichen Skandalisierung sexuelle Gewalt in kirchlichen Einrichtungen visualisierten. Diese Darstellungen hätten allerdings nicht dazu beigetragen, breite Debatten über den Kindesmissbrauch zu entfachen. Erst nach Bekanntwerden des Skandals seien vor allem die satirischen Darstellungen zur sexuellen Gewalt gegenüber Kindern von Titanic ins Zentrum der Diskussion gerückt. Der Diskurs habe sich an dieser Stelle weg von dem eigentlichen Skandal hin zu Fragen nach den Grenzen von Satire verlagert, die gerade mit Blick auf das Thema Religion seit dem sogenannten Karikaturenstreit 2006 neu verhandelt werden würden.

Die Abschlussdiskussion eröffnete Requate mit dem Hinweis auf die Problematik, das Spannungsfeld zwischen medial repräsentierter Gewalt und real ausgeübter Gewalt genau auszuloten. Er wies darauf hin, dass sich ein Teil der Beiträge dem Problem eher von der medialen und ein anderer Teil eher von der Seite der real ausgeübten Gewalt genähert habe. Bei der Analyse der medialen Rezeption von Gewalt habe sich gezeigt, dass Medien eine zentrale Rolle hinsichtlich der Frage nach der Sensibilität für die verschiedenen Gewaltformen spielten. Eine große Herausforderung sei es aber weiter, die Wechselwirkungen zwischen medial wahrgenommener und real ausgeübter Gewalt zu erfassen. Hubertus Büschel (Kassel) fügte hinzu, dass mediale Darstellungen von Gewalt selbst möglicherweise Gewalt auf ihre Rezipienten ausübten. Manthe betonte, dass das Medium der Übertragung immer eine Filterfunktion einnehme und daher stets Teil der analytischen Reflexion bilden müsse. Bernd Weisbrod (Göttingen/Berlin) wies auf eine zentrale Problematik der Untersuchung medialer Darstellungen hin, indem er anmerkte, dass deren Untersuchung in der Regel mehr Erkenntnisgewinn über das Medium selbst als über die transportierten Inhalte gewähre. Zur nicht-medialen zur Sichtbarmachung von Gewalt trug Gabriel-Kinz bei, dass die Quellenlage hier leider in der Regel nicht besonders gut sei. Einen Vorschlag zu einem ergiebigen Quellenfeld machte Böick mit dem Hinweis auf Gerichtsakten, deren Rekonstruktion von Gewaltakten ganz anderer Natur sei als die in den Massenmedien. Lipke wies auf den starken Akteursfokus innerhalb medialer Darstellungen hin und hob die individuelle Perspektive des Rezipienten gegenüber massenmedialen Darstellungen hervor. Manthe schlug dazu vor, individuelle Opferperspektiven beispielsweise durch eine Untersuchung von Demonstrationen gegen rechte Gewalt im Italien der 1980er Jahre sichtbar zu machen. Insgesamt ergaben die Beträge den von Weisbrod gezogenen Schluss, dass die Problematisierung des Mediendiskurses an sich eine Chance für die Forschung biete. Niedermeier fügte hinzu, dass auch das Konzept der „Sichtbarmachung“ an sich notwendigerweise problematisiert werden müsse. Dazu gehöre auch zu betrachten, wer überhaupt zu welchem Zeitpunkt was sichtbar machen könne. In seinem Abschlusswort schlug Dirk Schumann (Göttingen) als mögliche Rahmung der hier vorgestellten Arbeiten und des Forschungsfeldes überhaupt vor, den Fokus auf jeweilige gesellschaftliche Sensibilitätsregime zu richten und somit Verbindungslinien zwischen verschiedenen Gewaltformen und ihren Thematisierungen auszumachen. Die überarbeiteten Vorträge werden in einem Sammelband zusammengefasst, der in der Reihe des ZAKN 2021 erscheinen wird.

Konferenzübersicht:

Panel I: Darstellung politisch motivierter Gewalt

Silvan Niedermeier (Erfurt): Koloniale Gewalt und gegenhegemoniale Subjektpositionen in Fotografien des philippinisch-amerikanischen Kriegs

Christina Lipke (Hamburg): Gewalt in den Medien während der Revolution 1918/19 in Hamburg als Erfahrung und Instrument

Panel II: Sichtbarkeit und Sichtbarmachung

Barbara Manthe (Düsseldorf): Die unsichtbare Geschichte des Rechtsterrorismus

Helke Rausch (Freiburg): Enthüllungsjournalismus und technokratische Regulierung: Antworten auf Gewalt gegen US-amerikanische Arbeiter in der progressive era

Panel III: Demonstrative private/individuelle Gewalt

Marcus Böick (Bochum): Die „schwarzen Sheriffs“ von München. Zu Gewalt-Debatten über private Sicherheitsdienste

Barbara Wagner (Friedrichshafen): Was ich nicht will, das du mir tust, das füge ich mir selber zu, oder: Das Selbst als Medium zur Sichtbarmachung von Gewalt

Panel IV: Filmische Darstellung von Gewalt und tabuisierte Gewalt

Juliane Hornung (Köln): Nach der Jagd – zur filmischen Medialisierung von Trophäen

Arno Görgen (Bern): Kulturen der (Ent-)Tabuisierung? Mediale Berichterstattung zu Gewalt an Kindern in Der Spiegel und Frankfurter Allgemeine Zeitung von 1950 bis 2013

Carina Gabriel-Kinz (Kassel): Die Sichtbarmachung unsichtbarer Gewalt in der Satire: Visuelle Darstellungen sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Kontext und mediale Anschlussdebatten in Deutschland und Frankreich