Feeling Dis/ease – New Perspectives on Contemporary History

Feeling Dis/ease – New Perspectives on Contemporary History

Organisatoren
Max Planck Institute for Human Development, Berlin; Minerva Research Focus Emotions and Illness "Histories of an Intricate Relation"; Bettina Hitzer
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.01.2020 - 31.01.2020
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Von
Jonas Feldt, Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Charité - Universitätsmedizin Berlin; Anke Desch, Institut für Sozial- und Kulturanthropologie, Freie Universität Berlin

Die Tagung am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung stellte den Abschluss des Minverva-Projektes „Gefühl und Krankheit – Geschichte(n) einer komplizierten Beziehung” dar. Die Projektgruppe, die seit 2014 von Bettina Hitzer geleitet wurde, befasste sich mit Krebserkrankungen aus medizin- und emotionshistorischer Perspektive sowie mit der Geschichte der Psychosomatik. Im Rahmen des Projekts entstand auch Hitzers Habilitation „Krebs fühlen – eine Emotionsgeschichte des 20. Jahrhunderts”.1 Ziel der Tagung war es, neben einer Bilanz der vergangenen fünf Projektjahre Impulse für die Emotions-, Medizin- und Gesellschaftsgeschichte zu geben. Die Entwicklung neuer Perspektiven, das Ausprobieren innovativer Methoden und der Austausch zwischen Forschungsprojekten zur Erarbeitung von Synergien sollten ebenfalls eine Rolle spielen. Schwerpunkte waren daher auch trans- und interdisziplinäre Fragestellungen.

Die ersten beiden Vortragsblöcke befassten sich mit den Sinneswahrnehmungen Klang, Berührung und Geruch. MELISSA VAN DRIE (Kopenhagen) sprach über die systematische Nutzung des Stethoskops seit dem frühen 19. Jahrhundert. Anstelle der verbalen Symptombeschreibungen durch PatientInnen sei das Innere des Körpers in den Fokus medizinischer Diagnostik gerückt. Die Auskultation ist eine Körpertechnik, bei der MedizinerInnen akustische Sinneswahrnehmungen zu unterscheiden und als gesund oder krankhaft zu interpretieren lernen. Auf Seiten der PatientInnen erforderte diese Technik ein Stillhalten und Verstummen. Die Nutzung des Stethoskops schuf so gleichzeitig eine neue Form der Nähe und Distanz zwischen ÄrztInnen und PatientInnen.

JAMES KENNAWAY (London) fasste die Ideengeschichte von Musik, Emotionen und Gesundheit seit der Aufklärung zusammen. Medizinisches Wissen über den Körper habe die Theoretisierung von Musik, Ästhetik, Sinneswahrnehmung und Emotionen maßgeblich geprägt. Mittelalterliche Ansätze betrachteten Musik als Element einer größeren kosmischen Harmonie. Mit der sich entwickelnden Medizin des Nervensystems dominierte ab dem 17. Jahrhundert das mechanistische Modell von Musik als reiner Nervenstimulierung. Als Kritik an dieser weiblich konnotierten Musikrezeption entwickelten Theoretiker das Konzept „absoluter, männlicher” Musik, bei der abstrakte auditive Eindrücke durch den Geist transformiert würden. Medizinische Bildgebungstechniken ermöglichten wiederum die Darstellung psychologischer Prozesse im Gehirn, vernachlässigten jedoch politische und kulturelle Kontexte. Eine kritische Neurowissenschaft müsse historische Kontexte der Konzepte von Musik, Emotionen und Gesundheit berücksichtigen.

Die Musikanthropologin TAMARA TURNER (Berlin) veranschaulichte anhand ihrer Fallstudie zum Heilungsritual Diwan in Nordafrika die kulturelle und historische Konstituiertheit von Krankheit. Physischem und mental-emotionalem Leiden werde in Sufi-Ritualen gemeinschaftlich durch Körperpraktiken begegnet. Durch die sensorisch-emotionale Erfahrung von Schmerz und Leid in Tanz, Gesang und Musik werde Krankheit nicht „geheilt”, sondern in kontrolliertem Rahmen durchlebt.

MELANIE A. KIECHLE (Blacksburg) beschrieb, wie die Institutionalisierung von Public Health während des 19. Jahrhunderts in den USA auf Grundlage eines geschlechtsspezifischen Sensoriums argumentierte. Norm bei den Untersuchungen sei die Gesundheit von männlichen Arbeitern gewesen. Kulturelle und medizinische Vorstellungen von männlicher und weiblicher Sensitivität zeigten sich beispielsweise in der Abwertung weiblicher Zeugenaussagen in Gerichtsverhandlungen zur Evaluierung schädlicher Umwelteinflüsse. Die neue Diagnose der geschlechts- und klassenspezifisch definierten Krankheit Neurasthenie wertete die angeblich erhöhte Sensitivität von Frauen und von Männern der Oberklasse ab. Ebenso exkludierten rassistische Vorstellungen von Indigenen und AfroamerikanerInnen als unempfindlich gegenüber Umwelteinflüssen die Körper und Wahrnehmungen dieser marginalisierten Gruppen in der Public Health.

HOLLY FURNEAUX (Cardiff) sprach über Begegnungen zwischen Feinden in Zeiten der Waffenruhe im Krimkrieg, im Spanischen Unabhängigkeitskrieg und im Ersten Weltkrieg. In der britischen Presse wurde dem Bild des barbarischen Russen das des mitfühlenden Helden gegenübergestellt. Auf dem Schlachtfeld jedoch bedeutete das „Einsammeln“ der Toten und Verwundeten und die medizinische Versorgung gegnerischer Soldaten eine physisch-emotionale Begegnung, bei der durch Gespräche, Berührungen, Gerüche und Emotionen die Ähnlichkeit und Menschlichkeit des Feindes erfahren wurde. Dies war ein Widerspruch, der nicht nur bei der Wiederaufnahme des Kampfes erlebt wurde, sondern auch Veränderungen in der Legitimierung von Kriegen verlangte.

In ihrer Keynote setzte JOANNA BOURKE (London) sich mit den Methoden der Behandelnden von mutmaßlichen Opfern sexueller Gewalt auseinander, die häufig Scham als zentrale Reaktion zeigen. Laut Bourke spielen medizinische AkteurInnen eine bedeutende Rolle beim Verstehen, Interpretieren und Einordnen, aber auch beim Framing sexueller Übergriffe. Sinneswahrnehmungen der Behandelnden, wie beispielsweise die Registrierung des Atemgeruchs der Examinierten, hätten während der Untersuchung eine besondere Bedeutung. Dies führe zu erneuter Scham der Opfer während der Untersuchungen. Gründe hierfür seien unter anderem die Rolle der Untersuchenden, die sich mitunter selbst Anschuldigungen sexueller Übergriffe ausgesetzt sahen, die teilweise fehlende Wahrnehmung der mutmaßlichen Opfer als PatientInnen und der Ekel der Behandelnden. Eine Folge sei das Paradoxon der Schamhaftigkeit der Opfer anstatt der Täter, da die Stille um das Opfer-Sein auch beinhalte, dass sich diese von „normalen” Menschen unterschieden. Dem könne durch einen offeneren Umgang mit der Scham entgegengewirkt werden. Bourkes Untersuchung konzentrierte sich auf die USA und auf Großbritannien seit dem späten 19. Jahrhundert mit Fokus auf die Entwicklung rechtsmedizinisch relevanter Techniken und Technologien.2

Die Session Narrating Knowledge and Therapy setzte sich mit den Fragen der Erzählung und Dokumentation von Krankheit und Wissen auseinander. VOLKER HESS (Berlin) befasste sich mit der repräsentativen Formung von Krankheiten durch die ärztlich-administrative Dokumentation. In drei Beispielen aus dem Zeitraum von 1730 bis 1930 beschrieb er die Transformation vom Unwohlsein (aegritudo) zur Krankheit (nosos) und den Prozess der Entindividualisierung in der Krankheitsdokumentation. Die Dokumentationsprozesse seien eng mit sozialen und gesellschaftlichen Kontexten verschränkt. Darüber hinaus trage die Art der Krankheitsdokumentation zur Formung und zum Verständnis der Krankheit bei.

MARIETTA MEIER (Zürich) setzte sich mit der Frage auseinander, inwiefern AutorInnen medizinischer Aufzeichnungen und die Dokumentationspraxis Einfluss auf die Gewinnung von Wissen nehmen. Dafür befasste sie sich mit einer psychiatrischen Fallstudie aus dem Jahr 1953, in welcher der Autor trotz aktiver Teilnahme an einem Experiment dieses aus einer objektiven Beobachterperspektive zu beschreiben versucht. Die bewusste Exklusion von Emotionen in der Dokumentation könne als Narrationspraktik der AkteurInnen gesehen werden.

In der Session Narrating Disease stand die Auseinandersetzung mit verschiedenen Ansätzen wie dem Selbstbild oder Big Data bei Krankheitserzählungen im Vordergrund. FRANZISKA GYGAX (Basel) beschrieb die enge Verbindung von Erkrankung und Emotion in autonarrativen Krankheitsbeschreibungen. Die Texte dokumentieren Disruptionen des Alltags in Folge schwerer Erkrankungen, einige Autor/innen nutzten diese auch zur Erfassung von mentaler und physiologischer Veränderung, für andere hätten die Texte eine therapeutische Wirkung. Von hoher Relevanz sei hierbei die Auseinandersetzung der Schreibenden mit den eigenen Narrativen und der Spezifik der von ihnen gewählten Sprache. Die Narrativsuche bringe eine neue Sprache hervor, bei welcher der Ausdruck von Emotion eine zentrale Rolle spiele. Nicht-lineare und inkohärente Erzählungen würden zu einer alternativen Narrationsstrategie.

KIRSTEN OSTHERR (Houston) befasste sich mit der Veränderung der Narrative von Gesundheit und Krankheit durch die Digitalisierung und Big Data. Die digitale Gesundheit verspreche eine sterile Umgebung, in der Menschlichkeit einen höheren Stellenwert durch mehr Empathie einnehmen soll. Es brauche einen interpretativen Rahmen, um digitale Inhalte, auch in sozialen Netzwerken, analysieren zu können, da die Plattformen die Ausdrucksform von Nutzenden mit vorgäben. Dafür sei der Zugang zu gesammelten Daten für akademische Zwecke sowie eine verstärkte interdisziplinäre Kooperation mit Data Science Projekten notwendig, bei der Datensätze auch durch reverse engineering kritisch analysiert werden könnten.

Die Session Hybridisierung befasste sich mit Emotionen in medizinischen Fallbeispielen, in denen Grenzen von Lebensbereichen und Körpern unschärfer werden. MAGALY TORNAY (Bern) stellte ihre Meta-Analyse der Traumdeutungen Schweizer Krankenschwestern vor. Der Psychiater Roland Kuhn verpflichtete seine Mitarbeiterinnen in den 1960er Jahren, an einer psychoanalytischen Traumanalyse teilzunehmen, um deren Arbeitsleistung zu verbessern. Das durch die Arbeitsbedingungen (z.B. Personalmangel) beeinflusste Verhalten klassifizierte er als depressiv. So entstand ein hybrides Setting, in dem Arbeit, Emotionen, Geschlechterrollen und klinische Hierarchien im Alltag der Krankenschwestern aufeinandertrafen und ihre Rollen als Arbeiterinnen, Patientinnen und Privatpersonen ineinander übergingen. Der Zwang, Traumtagebücher zu führen und diese mit dem Arzt zu diskutieren, wurde von ihnen als demütigend empfunden und führte meist zum Abbruch oder zur Kündigung. Das Nicht-Träumen oder -Erinnern könne dabei als Widerstand gegen die Pathologisierung des eigenen Verhaltens interpretiert werden.

IRMELA MAREI KRÜGER-FÜRHOFF (Berlin) analysierte Narrative von Parkinsonkranken, die durch die Krankheit und eine Hirnschrittmacherprothese die Entfremdung des eigenen Körpers erleben. In Autobiografien und Comics nutzten die Betroffenen zur Beschreibung ihrer körperlich-emotionalen Erfahrungen sprachliche und visuelle Metaphern vom Körper als einer Maschine und vom Aufrechterhalten eines Gleichgewichts durch die Prothese und die Möglichkeit, sie temporär auszuschalten. Durch den Hirnschrittmacher entstehe eine „künstliche Natürlichkeit” und relationale Autonomie, bei der die „Aus-Phase” als fragiler Moment der Freiheit von der Krankheit und Technik erlebt und genutzt würde. Die Praxis des Schreibens und Zeichnens und die so entstehenden Narrative seien nicht nur durch die Erkrankung, sondern auch durch Genre-Erwartungen und den soziokulturellen Hintergrund der AutorInnen bedingt.

In der Session Constructing Objects and Spaces wurde die Rolle von Materialität und Räumlichkeit im sensorisch-emotionalen Erleben von Krankheit diskutiert. MONIKA ANKELE (Hamburg) beleuchtete anhand der Etablierung der Bettbehandlung in der Psychiatrie um 1900 die Ko-Konstitution von Materialität, Praktiken und sensorischer Wahrnehmung. Das Bett sei zum Ko-Akteur der Therapie geworden, der PatientInnen subjektivierte, indem er sie zum Objekt konstanter Beobachtung machte. Die Reduzierung externer Stimuli und Bewegungen führte zu einem erhöhten Bewusstsein der eigenen Krankheit, aber auch der MitpatientInnen. Zwar sollten Selbstreflexion und Ruhe Heilung initiieren, jedoch rief die Bettbehandlung bei den PatientInnen ein Gefühl der Machtlosigkeit hervor. Da ihre Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt waren, interagierten sie vor allem visuell mit ihrer Umwelt. Das Krankenbett strukturierte so nicht nur den Raum, sondern auch dessen Wahrnehmung und die Interaktionsmöglichkeiten der PatientInnen.

BRENDA LYNN EDGAR (Genf) analysierte die Nutzung von Naturbildern zur Förderung von Heilung in Gesundheitseinrichtungen im 20. Jahrhundert. Idyllischen Naturbildern würde in verschiedenen Disziplinen ein gesundheitsfördernder Effekt zugesprochen. Dieser Auffassung lägen Annahmen der Evolutionspsychologie über die Wirkung „paradiesischer“ Natur zugrunde, die erst in den 1980er Jahren durch das Konzept der Biophilie argumentativ begründet wurden. Sie seien eng verknüpft mit Emotionsnormen, die in Medizintheorie, Literatur, Architektur und Kunst, aber auch durch Körperpraktiken vermittelt würden. Naturbilder in Heilungseinrichtungen seien somit Produkte kapitalistischer Gesellschaften, die auf der Grundlage von kulturellen Konstrukten und Metaphern positive Emotionen hervorrufen sollten. Die immersive Wirkung der Darstellung intakter Natur könne als Spiegelung der angestrebten Heilung verstanden werden.

ANNMARIE ADAMS (Montreal) veranschaulichte den Einsatz von Architektur und Design zur Selbstinszenierung und Steuerung der affektiven Wahrnehmung am Beispiel der Eingangshalle zum Montreal Neurological Institute and Hospital. Der Neurochirurg Wilder Penfield wollte mit der Gestaltung der Halle die absolute Kontrolle über die Wahrnehmung des Raums durch BesucherInnen des Krankenhauses zu erreichen. Zentrales Element der kirchenähnlich gestalteten Halle sei eine Statue, zu der Penfield eine intensive emotionale Bindung gehabt habe. Gehirn und Nervenstränge fänden sich auf Zeichnungen und würden durch Deckengestaltung und Möbel nachempfunden. Sie vermittelten den Eindruck, im Inneren eines Gehirns zu sein. Der Raum spiegele die angestrebten emotionalen Reaktionen der BesucherInnen sowie die von Penfield selbst wider.

JENNIFER LYNN THOMAS (Champaign) analysierte die Gestaltung von psychiatrischen Kliniken in den USA des 19. Jahrhunderts. Der Natur wurde dabei ein restorativer Effekt auf die Gesundheit von PatientInnen zugesprochen. Ebenso galt körperliche Betätigung als förderlich für die Genesung. Gartenbau, Freizeitaktivitäten in der Natur und ein weiter, ländlicher Ausblick waren daher zentrale Elemente des Designs und Alltags in Psychiatrien. Gleichzeitig sei die Architektur hierarchisch und segregiert aufgebaut und vermittle medizinische-institutionelle Autorität. Naturverbundenheit sowie soziale und medizinische Struktur sollten die Wiederherstellung der mentalen Gesundheit der PatientInnen unterstützen.

Die Session Predicting and Securing setzte sich mit Fragen nach dem Einfluss von Emotion im Rahmen von Präventionsprogrammen nach 1945 auseinander. ALEXA GEISTHÖVEL (Berlin) und MARCEL STRENG (Düsseldorf) befassten sich mit der psychotherapeutischen Behandlung von Straftätern in den 1960er und 70er Jahren. Der Fokus der Betrachtung lag auf dem westdeutschen forensischen Psychiater Wilfried Rasch, der unter anderem mit dem Entwurf von Modelleinrichtungen in Nordrhein-Westfalen betraut war. In diesen sollten die Straftäter lernen, einen „gesunden” Zugang zu und Umgang mit ihren Gefühlen zu finden.

ANJA LAUKÖTTER (Straßburg) setzte sich mit Fernsehsendungen auseinander, die ZuschauerInnen für Gesundheitsgefahren und Möglichkeiten der Prävention und Früherkennung sensibilisieren sollten. In diesen seien Erkrankungen durch eine Mischung aus fiktiven und nonfiktiven Elementen so dargestellt worden, dass bei den Zuschauenden eine emotionale Wirkung erzeugt werden sollte. Emotionen seien bewusst eingesetzt worden, um Informationen zu transportieren. Auf den Einsatz sei jedoch dann verzichtet worden, wenn die Emotionalisierung überstrapaziert zu werden drohte. Dadurch etablierte sich ein paternalistischer Ansatz, den man als „Furcht vor zu viel Furcht” bezeichnen könnte.

ANNA C. ZIELINSKA (Nancy) beschäftigte sich mit einem israelischen Gen-Screening-Programm, das Paare mit Kinderwunsch vor der Hochzeit auf häufige und schwerwiegende Erbkrankheiten testet. Ziel des Programms sei unter anderem, founder mutations zu identifizieren und Krankheiten künftiger Generationen durch die Partnerwahl zu verhindern. Das Programm verfolge einen präventiven Ansatz, der beständig um Krankheitsbilder erweitert werde. Dadurch entstünde ein Druck, Kinder zu zeugen, da diese mit höherer Wahrscheinlichkeit genetisch gesund seien. Das Programm sei darüber hinaus eine Folge neoliberalistischer Tendenzen in Israel.

In der von Bettina Hitzer und Rob Boddice geleiteten Abschlussdiskussion wurde die trans- und interdisziplinäre Breite der Vorträge sowie die Einnahme einer Doppelperspektive auf Emotionen (von Behandelten und Behandelnden) als zentrale Stärke der Tagung betont. Die Beiträge zeigten, dass körperliche und soziale Kontrolle häufig durch die Pathologisierung von Emotionen entlang der Kategorien von Geschlecht, Rasse und Klasse erfolgte, Machtstrukturen also unmittelbare Auswirkungen auf Formen der (Ent-)Emotionalisierung hatten. Als methodische Herausforderung wurde die angesichts der gerade im medizinisch-naturwissenschaftlichen Bereich angestrebten Objektivität und der „Unausprechlichkeit” von Empfindungen begrenzte Dokumentation von Emotionen in historischen Quellen benannt. Die Beiträge konnten ein Schlaglicht auf die Komplexität und Tiefe der Themen werfen, deren Verdichtung künftig eine Herausforderung für die Emotionsgeschichte bleiben wird. Sie zeigten jedoch eindrucksvoll die vielversprechende Kombination emotionshistorischer Zugänge mit anderen methodischen Perspektiven. Aus den Beiträgen der Tagung wird ein Sammelband entstehen, der voraussichtlich 2021 veröffentlicht wird.

Konferenzübersicht:

Welcome and Introduction
Bettina Hitzer (Max Planck Institute for Human Development, Berlin)

Sensing Sound

Melissa van Drie (University of Copenhagen): Medical Listening and Its Stages. Of Stethoscopes, Sensory Practice and Sonic Affect

Tamara Turner (Max Planck Institute for Human Development, Berlin): Moving Feelings. Vibrating Dis-ease through Interoceptive Bodily Practices with Music

James Kennaway (University of Roehampten, London): Musical Emotions, Health and Disease since the Enlightenment

Commentary: Daniel Morat (Freie Universität Berlin)

Keynote

Joanna Bourke (Birkbeck, University of London): Forensic Sense. Sexual Violence, Medical Professionals, and the Senses

Sensing: Touch and Smell

Melanie A. Kiechle (Virginia Tech): Domestic Environs and the “Weaker” Sex: How the Gendered Sensorium Shaped Nineteenth-Century Public Health

Holly Furneaux (Cardiff University): Treating the Enemy

Commentary: Rob Boddice (University of Tampere)

Narrating Knowledge and Therapy

Volker Hess (Charité Universitätsmedizin Berlin): Writing Disease and Medical Recording, 1730–1930

Marietta Meier (University of Zurich): Third Person: Narrating Dis/ease and Knowledge in Medical Texts

Commentary: Kerstin Maria Pahl (Max Planck Institute for Human Development, Berlin)

Narrating Disease

Franziska Gygax (University of Basel): Feeling (and Falling) Ill. Finding a Language of Illness

Kirsten Ostherr (Rice University): Digital Therapeutics, Virtual Health, and Robot Pathographies

Commentary: Elizabeth J. Donaldson (New York Institute of Technology)

Hybridizations

Irmela Marei Krüger-Fürhoff (Freie Universität Berlin): Balancing Neuroprosthetic Regulation and Individual Agency. Written and Drawn Experiences of Living with Parkinson’s Disease and Deep Brain Stimulation

Magaly Tornay (University of Bern): Dreaming Nurses. A Situated History of Psychoanalysis
Commentary: Sybilla Nikolow (Bielefeld University)

Constructing Objects

Monika Ankele (University Medical Center Hamburg-Eppendorf): Constructing Objects, Transforming Practices. The Sickbed in Psychiatry

Brenda Lynn Edgar (University of Geneva): Projecting Paradise? Some Questions for the History of Emotions on the Therapeutic Use of Images of Nature, 1930’s–Present

Commentary: Jeanne Kisacky (New York)

Constructing Spaces

Annmarie Adams (McGill University, Montreal): Inside Penfield. Emotions, Neurology and Hospital Architecture

Jennifer Lynn Thomas (University of Illinois at Urbana-Champaign): Landscape as Treatment. Contextualizing the Insane Asylum Movement in the United States

Commentary: Benno Gammerl (Goldsmiths, University of London)

Predicting and Securing

Alexa Geisthövel (Charité Universitätsmedizin Berlin) / Marcel Streng (University of Düsseldorf): “Inner Security”: Psychological Diagnosis and Treatment for Criminal Offenders in the Late 1960s and the 1970s

Anja Laukötter (University of Strasbourg): Fear of Fear? Medicine on TV Screens in Postwar Germany. Some Reflections

Anna C. Zielinska (University of Lorraine, France; Archives Henri Poincaré): Distressing Conception. Reproductive Medicine in Israel and Flexibility of Norms

Commentary: Frank Biess (University of California, San Diego)

Abschlussdiskussion

Chairs: Bettina Hitzer (Max Planck Institute for Human Development, Berlin) / Rob Boddice (University of Tampere)

Anmerkungen:
1 Hitzer, Bettina: Krebs fühlen. Eine Emotionsgeschichte des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2020.
2 Siehe auch: Sexual Harms and Medical Encounters, https://shame.bbk.ac.uk/.


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