Glasobjekte im höfischen Kontext. Produktion, Nutzung und Wirkung in der Frühen Neuzeit (1500-1800)

Glasobjekte im höfischen Kontext. Produktion, Nutzung und Wirkung in der Frühen Neuzeit (1500-1800)

Organisatoren
Forschungsprojekt „Glas in Thüringen 1600 bis 1800“; Rudolstädter Arbeitskreis zur Residenzkultur e.V.
Ort
Rudolstadt
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.11.2019 - 23.11.2019
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Von
Judith Thomann, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

Theodor Fontane bemerkte einst, dass es seiner Ansicht nach wichtigere Stoffe gebe als Gold: „Glas zum Beispiel halte ich für nützlicher.“ Als ausgebildeter Apotheker konnte Fontane dessen Nutzen allemal bezeugen. In Adelskreisen stellte Glas – auch jenseits der Festtafel – ebenfalls ein zentrales Material der standesgemäßen Repräsentation dar. Die Produktion, Nutzung und Wirkung von Glas im frühneuzeitlich-höfischen Kontext zu beleuchten, war das Ziel einer gemeinsamen Tagung des Rudolstädter Arbeitskreises für Residenzkultur und des BMBF-Projektes „Glas“, das im Rahmen der Förderlinie „Die Sprache der Objekte“ finanziert wird.

Die Tagung verband sich mit dem Jubiläum des Rudolstädter Arbeitskreises, auf das der Vorstandsvorsitzende Matthias Müller (Mainz) einging. Seit 20 Jahren vernetzt der Arbeitskreis Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen von Universitäten, Museen und kulturbewahrenden Institutionen wie etwa der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten in ganz Deutschland und ermöglicht einen fruchtbaren Austausch verschiedenster Perspektiven über die Grenzen der einzelnen Institutionen hinweg. Im Geist dieser interdisziplinären Zusammenarbeit trafen sich auf Schloss Heidecksburg rund 80 Spezialistinnen und Spezialisten aus Kultur- und Kunstwissenschaft, Geschichte und Musikwissenschaft, Restaurierung und Konservierung, Museologie und Naturwissenschaften sowie eine interessierte Öffentlichkeit, um sich über die Herstellung, Funktion und Bedeutung, aber auch Analyse und Konservierung wie auch Präsentation und Vermittlung von Glasobjekten auszutauschen.

Der Begrüßung durch die Direktorin der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Doris Fischer, und des Direktors des Thüringer Landesmuseums Heidecksburg, Lutz Unbehaun (beide Rudolstadt) folgte eine inhaltliche Einleitung in das Thema durch Annette Cremer (Gießen). Als Leiterin des BMBF-Projektes zeigte sie die Voraussetzungen, vor allem den enormen Ressourcenverbrauch des Glasmachens auf und ging auf das Innovationspotenzial von Glas in vielen Lebensbereichen der Frühen Neuzeit ein.

Die Unterschiedlichkeit der für den fürstlichen Raum relevanten Glasobjekte ging aus dem Themenspektrum der ersten Vortragssektion hervor, die sich mit Form, Funktion und Objekttypen befasste: PETER HEINRICH JAHN (Dresden) analysierte den Dresdener Zwinger als barocke Glasarchitektur, die selbst das Grand Trianon und die Orangerie in Versailles hinsichtlich des opulenten Einsatzes von Fensterglas übertraf. Barocke, textile Wandbespannungen mit Glasperlen-Stickerei, den sogenannten Schmelz, stellte ANTJE VANHOEFEN (Arnstadt) vor und entwickelte anhand der wenigen überlieferten in situ-Beispiele Thesen zur Auftraggeberschaft und einer örtlichen wie zeitlichen Eingrenzung dieser „Perl-Mode“. Spiegel als Handelsware nahm MARTIN POZSGAI (Darmstadt) in seinem Vortrag über die Geschäftskontakte eines nahe Paris ansässigen Luxuswarenhändlers in den Blick, während KÄTHE KLAPPENBACH (Berlin) die in frühneuzeitlichen Quellen als einfach (ordinair) rezipierte Gruppe der Kronleuchter mit gläsernen Armen vorstellte und dabei auf frühneuzeitliche Beispiele aus vielen glasproduzierenden Regionen Europas zurückgriff.

MARGRET SCHARRER (Basel) stellte in ihrem Überblick über Musikinstrumente aus Glas die besondere Beliebtheit dieser Objekte im Thüringen des 18. und 19. Jahrhunderts heraus; ihr Vortrag wurde durch die abendliche Vorführung und Erläuterung von Musikstücken auf der Glasharmonika durch BRUNO KLIEGL (Augsburg) ideal ergänzt. Dem Konzert gingen die Vorträge von VERENA WASMUTH (Potsdam), die die Verwendung überlieferter, brandenburgischer Flötengläser für sprudelnden Champagner am preußischen Hof des 18. Jahrhunderts infrage stellte, und der öffentliche Abendvortrag von DEDO VON KERSSENBROCK-KROSIGK (Düsseldorf) zu Goldrubinglas als „alchemistischem Kunststoff“ voraus.

Die zweite Tagungssektion, die die Glasproduktion und das Selbstverständnis der glasproduzierenden und -verarbeitenden Gewerke mit dem Hof in Verbindung brachte, begann mit MARKUS LEO MOCK (Potsdam), der die ersten Glashütten Brandenburgs in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts als kurfürstlich gefördertes Pionierprojekt beschrieb, das sich aber mit dem Nachlassen fürstlichen Interesses nicht mehr an seinem Ursprungsort am Grimnitzsee halten konnte. REINHOLD REITH (Salzburg) portraitierte das Glaserhandwerk angesichts der klimatischen Veränderungen während der Kleinen Eiszeit als gefragten Beruf mit vergleichsweise wenigen Vertretern, deren Gesellen wegen ihrer weiten Wanderrouten mit dem sogenannten Geschenk ein besonderer Anreiz vonseiten ihrer Meister gestellt wurde. Der exklusive Kreis der Glasmacher von Murano, der während des Venedig-Besuchs von Heinrich III. von Frankreich 1597 eine spektakuläre Handwerksvorführung organisierte, wurde von LISA WOOP (Erfurt) in den Blick genommen, die die Präsentation der Glasmacher als transnationalen Werbe-Coup unter Geheimhaltung der eigenen Produktionsgeheimnisse interpretierte.

In der dritten Tagungssektion über Glasdekorationstechniken nahm SABINE TIEDTKE (Gießen) eine Revision der Zuschreibungen im Bereich des Nürnberger Glasschnitts im 17. und 18. Jahrhundert mithilfe signierter, authentischer Objekte und digitaler Fotografie vor. Der Vortrag von BETTINA SCHNEIDER (Berlin) über die restauratorisch-konservatorische Betreuung sowie digitale Erfassung der Glassammlung im Märkischen Museum in Berlin verdeutlichte die fruchtbringende Verschränkung von Restaurierung und museologischer Sammlungsarbeit, die unter anderem die Zusammenführung langer Zeit getrennter Objektteile ermöglichte. Die anschließende Führung durch die Paraderäume von Schloss Heidecksburg ermöglichte anregende Gespräche, u.a. über die Identifikation baugebundenen, frühneuzeitlichen Glases. In seinem Abendvortrag sprach TADEUSZ KRZESZOWIAK (Wien), Professor für Lichttechnik, über die Wirkung von Farblicht in höfischen Interieurs.

Die vierte Tagungssektion über das Erfassen, Bewahren und Analysieren von Glas begann mit dem Vortrag von YAMNA RAMDANI (Freiberg), die die noninvasive Untersuchung durch Raman-Spektroskopie im BMBF-Projekt „Glas“ vorstellte. Um das Damoklesschwert vieler Glassammlungen, die Glaskorrosion oder auch Glas-Krankheit, ging es bei WERNER HILLER-KÖNIG (Karlsruhe), der an der verdienstvollen Publikation eines Atlasses zur besseren Identifizierung, einheitlichen Kommunikation und Eindämmung dieses Schadbildes arbeitet. Über die Möglichkeiten eines Monitorings von musealen und baugebundenen Glasobjekten durch Glasdosimeter berichtete KATRIN WITTSTADT (Wertheim) am Beispiel des Großmoguls aus dem Grünen Gewölbe in Dresden und dem Kölner Dom. Die Neu-Präsentation der Glassammlung im Bayrischen Nationalmuseum, ihre Konzeption und konservatorischen Erfordernisse stellten ANNETTE SCHOMMERS und HANS-JÖRG RANZ (beide München) vor.

Im letzten Tagungsblock ging es um die historische Präsentation des Glases im höfischen Raum und dessen Wirkung. SUSANNE EVERS (Potsdam) befasste sich mit den Aufbewahrungskontexten und -möbeln von Glasobjekten in brandenburgisch-preußischen Residenzen und zeigte auf, wie die Präsentation von Glas im 18. Jahrhundert an Mobilität verlor und sich mehr und mehr auf feste Arrangements, ähnlich den Silberbuffets, konzentrierte. Dass auch Fensterglas bereits um 1500 als politisch-repräsentatives Kommunikationsmittel eingesetzt wurde, beleuchtete CHRISTINA WAIS-WOLF (Wien) mit ihrem Vortrag über Fensterstiftungen Kaiser Maximilians I., der Kirchenfenster entlang wichtiger Routen durch das Inntal und an den Erinnerungsorten seiner Kriegszüge stiftete. Mit einem genre- und epochenübergreifenden Vorstoß zur Darstellung von Glas im Gemälde rundete PHILIPP ZITZLSPERGER (Berlin) den Tagungsblock mit der Erkenntnis ab, dass das im Bild dargestellte Glas nicht zwangsläufig als Bestandteil frühneuzeitlicher
Alltagskultur zu verstehen, sondern seine ikonographisch-symbolische Bedeutung unbedingt zu reflektieren sei.

MATTHIAS MÜLLER (Mainz) hob in seinem abschließenden Kommentar einzelne auf der Tagung angeklungene Themen und Fragestellungen zusammenfassend hervor, so etwa die ökonomischen Aspekte der Glasproduktion und -verarbeitung, die Synästhesie von Glasobjekten, die Sozialgeschichte rund um das Glas, seine Eigenschaften als konservatorisch herausforderndes Material oder etwa seine Symbol- und Fetischhaftigkeit. In Rudolstadt wurde der Nutzen der breiten interdisziplinären Zusammenarbeit überdeutlich, die zu vielfachen Synergien und gegenseitigem Lernen führte. Die Tagungsergebnisse werden in der neuen Reihe des Rudolstädter Arbeitskreises bei Heidelberg University Press veröffentlicht und versprechen eine systematischere Annäherung über Fragen der Objektvielfalt, Glasproduktion und -veredelung, Konservierung und Wirkung hinaus. Die Tagung hat durch ihre thematische Vielfalt aufgezeigt, wie viele inhaltliche Schnittstellen und damit Kooperationsmöglichkeiten zwischen Institutionen wie wissenschaftlichen Disziplinen durch eine Fokussierung auf das Material Glas denkbar sind.

Konferenzübersicht:

Annette C. Cremer (Gießen) / Matthias Müller (Mainz, Rudolstädter Arbeitskreis): Begrüßung und Einführung

Sektion 1: Form und Funktion und Objektgruppen: Fenster, Spiegel, Kronleuchter & Co.
Moderation: Klaus Pietschmann (Mainz)

Peter Heinrich Jahn (Dresden): Der Dresdner Zwinger – eine barocke „Glasarchitektur“

Antje Vanhoefen (Arnstadt): Schmelz – Glasperlen als Ausstattungselemente höfischer Interieurs

Martin Pozsgai (Darmstadt): Der Pariser mirotier marchand Charles Granier als Lieferant von Spiegelglas an deutsche Fürstenhöfe

Käthe Klappenbach (Berlin): Die „gläsernen Cronen“ – Glasarmkronleuchter aus europäischen Glashütten

Margret Scharrer (Bern): Gläserne Klänge

Verena Wasmuth (Potsdam): Champagnerflöten am preußischen Hof. Tafelkultur und Luxusgläser im 18. Jahrhundert

Öffentlicher Abendvortrag

Dedo von Kerssenbrock-Krosigk (Düsseldorf): Goldrubin – ein alchemistischer Kunststoff

Bruno Kliegl (Augsburg): Glas und Akustik: Historisches Glasharmonikaspiel

Sektion 2: Glasproduktion, Selbstverständnis der Glaser und Verbindung zum Hof
Moderation: Stephan Hoppe (München)

Markus Leo Mock (Potsdam): Auf zu neuen Ufern! Die ersten Glashütten Brandenburgs am Grimnitzsee

Reinhold Reith (Salzburg): Ein „geschenktes Handwerk“? Das Handwerk der Glaser in der frühen Neuzeit

Lisa Woop (Erfurt): Die Präsentation der Glasmacher beim Herrscherempfang Heinrichs III. 1597 in Venedig

Sektion 3: Oberfläche – Dekorationstechniken

Sabine Tiedtke (Gießen): Nürnberger Glasschnitt im Detail – Zuschreibungskriterien für Nürnberger Glasschneider im 17.und 18. Jahrhundert

Triin Jerlei (Vilnius): Artists as inventors. Heinrich Schwanhardt’s accidental discovery of acid-etching (17th century) (ausgefallen)

Elisa Ambrosio (Romont/Schweiz): Täuschung und Spielerei in der Hinterglasmalerei des frühen 17. Jahrhunderts (ausgefallen)

Johanna Cremer (Köln): Sprichwörter und Fabeln auf Emailgläsern des 16. und 17. Jahrhunderts (ausgefallen)

Öffentlicher Abendvortrag

Tadeusz Krzeszowiak (Wien): Zur Wirkung von Glasfarblicht in höfischen Interieurs

Sektion 4: Analyse, Erfassung, Erforschung & Behandlung von Glasobjekten
Moderation: Martin Eberle (Kassel)

Yamna Ramdani (Freiberg): Ramanspektroskopie – Zerstörungsfreie Glasanalyse

Werner Hiller-König (Karlsruhe): Korrosionsabläufe in neuzeitlichen Hohlgläsern, Benennung, Dokumentation und Sammlungsmanagement

Katrin Wittstadt (Wertheim): Naturwissenschaftliche Forschung zum Erhalt von Kunstobjekten. Glasdosimetermessung zur Sicherung der barocken Emailpretiosen (Grünes Gewölbe Dresden) und Glasmalereien (Kölner Dom)

Bettina Schneider (Berlin): Waschen, Legen, Föhnen – die digitale Erfassung der Glassammlung des Stadtmuseums Berlin

Annette Schommers / Hans-Jörg Ranz (München): Die Neupräsentation der Glassammlung des Bayerischen Nationalmuseums: Ausstellungskonzept – Didaktik – Präventive Konservierung

Sektion 5: Präsentation und Wirkung
Moderation: Susanne Müller-Bechtel (Dresden)

Susanne Evers (Potsdam): „Glas Cammer“ und „Gläser Spinde“. Fürstliche Glassammlungen und ihre Präsentation in den brandenburgisch-preußischen Schlössern von 1670 bis 1740

Christina Wais-Wolf (Wien): Zur Medialität von Darstellungen habsburgischer Landesherren auf Fensterverglasungen der Frühen Neuzeit

Philipp Zitzlsperger (Berlin): Bildliche Repräsentation von Glas – zur symbolischen und sozialen Bedeutung von Glasobjekten in frühneuzeitlichen Bildmedien

Matthias Müller (Mainz): Kommentar


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