13. Forum junger BildungshistorikerInnen

13. Forum junger BildungshistorikerInnen

Organisatoren
Sektion Historische Bildungsforschung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE)
Ort
online
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.09.2020 - 25.09.2020
Url der Konferenzwebsite
Von
Agneta Floth, Allgemeine Erziehungswissenschaft, Universität Bielefeld; Andreas Oberdorf, Institut für Erziehungswissenschaft, Westfälische-Wilhelms Universität Münster

Seit fast 25 Jahren gehört das Forum junger BildungshistorikerInnen zu den festen Veranstaltungsformaten der Sektion Historische Bildungsforschung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). Das Nachwuchsforum bietet jungen WissenschaftlerInnen die Möglichkeit, ungeachtet ihres jeweiligen Arbeitsstands Strategien und Ergebnisse ihrer laufenden Forschungsarbeiten zu präsentieren, die einen Bezug zu Themen und Fragen der Historischen Bildungsforschung aufweisen, einschließlich kultur- bzw. systemübergreifende oder -vergleichende Ansätze. Nach der Wahl des neuen Sprechers für den wissenschaftlichen Nachwuchs Andreas Oberdorf (Münster) und seiner Stellvertreterin Agneta Floth (Bielefeld) sollte das Forum in diesem Jahr am Institut für Erziehungswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster stattfinden. Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde die Veranstaltung kurzfristig und erstmals in ein digitales Format umgewandelt, das auf positive Resonanz stieß und von den TeilnehmerInnen als durchaus tragfähiges Organisationsmodell aufgenommen wurde.

Insgesamt konnten elf Beiträge im diesjährigen Forum präsentiert werden. Die sowohl deutsch- als auch englischsprachigen ReferentInnen formierten sich breitgefächert in Bezug auf ihre nationalen wie internationalen Projekte ebenso wie in ihren disziplinären Verortungen. An jede Präsentation schloss sich eine Diskussionsrunde an, die projektspezifisch – teils inhaltlich, teils forschungsmethodisch – ausgewählte Aspekte der Forschungsprojekte problematisierte sowie Empfehlungen und Hinweise zur Fortführung der Dissertationsprojekte gab. Als DiskutantInnen konnten Michèle Hofmann (Zürich), Rebekka Horlacher (Zürich), Pieter Verstraete (Leuven) und Tim Zumhof (Münster) gewonnen werden, die auch die Moderation der Diskussionsrunden übernahmen.

Nach dankenden Grußworten der Stellvertreterin des Vorstands der Sektion, Michaela Vogt (Bielefeld), gestaltete SVEN SOLTERBECK (Münster) den Auftakt der Veranstaltung. Als Lektor des Verlags Waxmann lieferte er mit seiner Expertise allen teilnehmenden jungen WissenschaftlerInnen wertvolle Hinweise für deren zukünftige Publikationsprojekte. Sein praxisorientierter Vortrag gab versierte Einblicke in die Vor- und Nachteile von Verlagspublikationen und Selbstveröffentlichungen und informierte über Herausforderungen und Chancen von Open-Access-Publikationen.

Aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs stellte STEFANIE JÄGER (Innsbruck) ihr Dissertationsvorhaben vor, in dem sie sich mit dem Einfluss des deutschen Schriftstellers Berthold Auerbach auf den russischen Volksbildner Lew N. Tolstoi auseinandersetzt. Davon ausgehend kam in der Diskussion die generelle Frage auf, welches bildungshistorische Interesse überhaupt an der Erforschung von Bildungsromanen bestehe.

Mit der Auswahl deutscher Dichtung für den Deutschunterricht an britischen Schulen befasst sich CATHERINE MASON (London) in ihrem Dissertationsprojekt. Sie ging vergleichend auf zwei Gedichtanthologien ein, die ab 1916 und ab 1941 für den deutschen Spracherwerb eingesetzt wurden und die verdeutlichen, wie auch im Zeichen der Weltkriege an deutscher Dichtung festgehalten wurde. Die anschließende Diskussion unterstrich zum einen die Bedeutung der Forschungsfrage für die historische Schulbuchforschung, zum anderen blieb als interessante Anschlussfrage offen, wie die LehrerInnen die Anthologien im Unterricht didaktisch einsetzen.

Eine historisch-systematische Rekonstruktion und Analyse des Konzepts von Glück hat sich MARION S. VISOTSCHNIG (Stuttgart/Weingarten) zur Aufgabe gemacht. Ausgehend von der Beobachtung, dass dem Streben nach und der Erziehung zum Glück heute eine immer größere Bedeutung zugemessen wird, sollen im Dissertationsvorhaben mehr als zweitausend Jahre „westliche“ Geschichte durchschritten und entsprechende Glückstheorien von der griechischen Antike bis zur Zeitgeschichte rekonstruiert und vor den jeweiligen sozialhistorischen Kontexten reflektiert werden. Angemerkt wurde unter anderem die Schwierigkeit, bei einer solchen Perspektive den Blick auf Details zu behalten und die Rekonstruktion einer Kontinuitätsgeschichte des Glücks zu vermeiden.

Schließlich berichtete NICHOLAS K. JOHNSON (Münster) aus seinem Dissertationsprojekt, in dem er die Wannsee-Konferenz in Film und Fernsehen im Schnittfeld von Geschichtskultur, Public History und Bildungsforschung untersucht. Anhand der Produktionen Die Wannseekonferenz (BR/ORF 1984) und Conspiracy (HBO/BBC 2001) machte er deutlich, dass es zum einen um die Prüfung der historischen Authentizität und Präzision gehe, zum anderen um die Thematisierung des Produktionsprozesses an sich. Dabei stieß der Umstand, dass die Filme ursprünglich nicht nur als reine Unterhaltung, sondern auch als „consciousness or awareness-raising films“ bzw. als Bildungserlebnis konzipiert wurden, auch bei den TeilnehmerInnen auf breites Interesse.

Der zweite Tag begann mit zwei Beiträgen zur Erziehungsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Zunächst stellte STEFANIE VOCHATZER (Tübingen) die Ergebnisse ihrer Masterarbeit über das Erziehungsinstitut für junge Demoiselles von Caroline Rudolphi zur Diskussion. Grundlage der Arbeit bildet die Schrift Gemälde weiblicher Erziehung, die Rudolphi als Handreichung für die Praxis konzipiert hat. Indem Rudolphi als vergessene Pädagogin des 18. Jahrhunderts gekennzeichnet wird, leistet die Arbeit einen wertvollen Beitrag, die in der pädagogischen Geschichtsschreibung zum 18. Jahrhundert einseitig männliche Perspektive mit einer weiblichen zu ergänzen – was bestätigenden Anklang fand.

MICHAEL ROCHER (Halle a. d. Saale) thematisierte zwei „Musterschulen“ des 18. Jahrhunderts, und zwar das Pädagogium Regium der Franckeschen Stiftungen in Halle und das Philanthropin in Dessau. In seinem fortgeschrittenen Dissertationsprojekt stellt Rocher die Schülerschaft in den Mittelpunkt des Interesses und thematisierte in seiner Präsentation unterschiedliche Klassensysteme sowie das Prüfungs- und Versetzungswesen der Bildungseinrichtungen. Aus sozialgeschichtlicher Perspektive soll gezeigt werden, inwiefern die Organisation von Schule und Unterricht einem Leistungsprinzip folgte. Angeregt wurde die Frage, welchen Beitrag die Ergebnisse auch über den konkreten Fall hinaus für die deutsche Schulgeschichte im Allgemeinen leisten kann und soll.

Mit dem Ruhrgebiet wiesen zwei Beiträge einen spezifischen regionalen und sozialräumlichen Bezug auf: ANNE OTTO (Halle a. d. Saale) fragt in ihrem Dissertationsprojekt nach der „neuen Erziehung“ in der Weimarer Republik sowie nach den Strategien und Praktiken einer systematischen Begabungsförderung und -auslese im Zusammenhang von Schule und Demokratisierung. Sie stellte heraus, dass ein differenziertes Verständnis von Begabung existierte, welches sich vorwiegend an der imaginierten gesellschaftlichen Leistungsfähigkeit orientierte. In der anschließenden Diskussion wurde u.a. nach den wissenschaftlichen (pädagogischen, psychologischen) Verfahren der Beobachtung und Auslese gefragt sowie nach den übergreifenden bildungshistorischen Kontexten, für die das Ruhrgebiet beispielhaft stehen könnten.

NICOLE NUNKESSER (Dortmund) befasst sich in ihrem Dissertationsprojekt mit Raumvereinnahmungen und Inszenierungen weiblicher Jugendlicher im Ruhrgebiet der 1950er Jahre und frühen 1960er Jahre. Dafür untersucht sie anhand zeitgenössischer Fotografien von Stadt- und Pressefotografen sowie von ausgewählten Privatleuten vor allem, wie sich junge Frauen im öffentlichen Leben des Ruhrgebiets präsentierten und sich Freiräume zur Selbstentfaltung schufen. In der Diskussion wurden sowohl forschungsmethodische Aspekte der Bildanalyse fokussiert als auch die Frage aufgeworfen, ob und inwiefern auch Verfahren der Oral History miteinbezogen werden sollten.

Die Geschichte der Erwachsenenbildung ist Thema des Dissertationsvorhabens von CLAUDIA ZIMMERLI-RÜETSCHI (Basel). Mit ihrem Projekt möchte sie die diskursive Praxis der Erzählungen der Geschichte der Erwachsenenbildung in der Schweiz textanalytisch rekonstruieren, auch zugrundeliegende gesellschaftliche, bildungspolitische und wirtschaftliche Diskurse der vergangenen 100 Jahre. Während sie ihr Vorgehen bereits forschungsmethodisch und methodologisch stützen kann, war die Auswahl des Quellenkorpus zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Diesbezüglich konnten Hilfestellungen und darüber hinaus verschiedene Anregungen zur thematischen Präzisierung zusammengetragen werden.

In den beiden letzten Vorträgen standen Schulbücher im Mittelpunkt. FRIEDERIKE KROSCHEL (Hildesheim) befasst sich in ihrem Dissertationsvorhaben mit Fragen der Naturerziehung in Schulbüchern der DDR und fragt nach dem Mensch-Natur-Verhältnis in der Erziehung zur „sozialistischen Persönlichkeit“. In ihrer Präsentation veranschaulichte sie dies anhand von Abbildungen zum Schulgartenunterricht („Der arbeitende Körper“) aus den 1980er Jahren, die sie bildanalytisch auswertete. Die anschließende Diskussion lieferte Impulse für eine Ausweitung der Quellen auf die begleitenden Schulbuchtexte.

HANAN ABU EL-GYAB (Hamburg) rekonstruiert und analysiert die Repräsentation von Sinti und Roma in deutschen Schulbüchern zwischen 1980 und 2020. In ihrem Vortrag legte sie ihr Bestreben dar, die interdisziplinäre Antiziganismusforschung durch eine bildungshistorische Perspektive zu ergänzen, wobei sie sich von den theoretischen Ansätzen der Bild-, Stereotypen- und Rassismusforschung leiten lassen könne. Die Auswahl entsprechender Schulbücher für die Untersuchung stand noch aus. Im Anschluss an den Vortrag wurde angemerkt, ob nicht gerade die frühen 1980er Jahre intensiver bearbeitet werden könnten, zumal 1982 die nationalsozialistischen Verbrechen an Sinti und Roma offiziell als Genozid anerkannt wurden und diese Phase hinsichtlich einer (De-)Thematisierung in Schulbüchern interessant wäre.

Die Vielfalt der Forschungsarbeiten, die aus dem Gebiet der Historischen Bildungsforschung präsentiert und diskutiert wurden, führt einmal mehr die Breite und Lebendigkeit des Fachs vor Augen. Die Beiträge reichten von der vormodernen Erziehungs- und Bildungsgeschichte bis hin zur jüngeren Zeitgeschichte von Bildung, Erziehung, Schule und Unterricht. Sie zeigten auch die Herausforderung von lokalspezifischen Forschungsbezügen, deren Exemplarität für übergeordnete Forschungsfragen und Erkenntnisinteressen stets zu klären ist. Zudem wurde in den Diskussionen zu den forschungsmethodischen Ausrichtungen deutlich, dass ein enormes Entwicklungs- und Innovationspotenzial für das Fach der Historischen Bildungsforschung besteht und dieses auch Gegenstand künftiger Nachwuchsforen sein wird.

Konferenzübersicht:

Agneta Floth (Bielefeld), Andreas Oberdorf (Münster), Michaela Vogt (Bielefeld): Begrüßung und Eröffnung

Sven Solterbeck (Münster): Publizieren in wissenschaftlichen Verlagen

Stefanie Jäger (Innsbruck): Die Pädagogik Lew N. Tolstois und der besondere Einfluss Berthold Auerbachs

Catherine Mason (London): A lost inheritance. A comparison of the content and context of two German poetry anthologies published for school use, 1916 and 1941

Marion S. Visotschnig (Stuttgart und Weingarten): Mit Erziehung zum Glück? Eine historisch-systematische Rekonstruktion des Konzeptes von Glück in Bezug auf aktuelle Strömungen in der Literatur und der pädagogischen Praxis

Nicholas K. Johnson (Münster): Lessons from a dark past. The Wannsee Conference in film and television

Stefanie Vochatzer (Tübingen): Caroline Rudolphis Erziehungsinstitut für junge Demoiselles. Über die Erziehungsfrage von Mädchen im 18. Jahrhundert

Michael Rocher (Halle a. d. Saale): Zwei „Musterschulen“ des 18. Jahrhunderts? Das Pädagogium Regium Halle und das Philanthropin in Dessau im Vergleich

Anne Otto (Halle a. d. Saale): Schule und Demokratie im Ruhrgebiet in der Weimarer Republik

Nicole Nunkesser (Dortmund): Vereinnahmung des städtischen Raums und jugendkulturelle Selbstinszenierung durch junge Frauen im Ruhrgebiet der 1950er Jahre

Claudia Zimmerli-Rüetschi (Basel): Vielseitige Geschichten – einseitige Erzählweise. Die Geschichte der Erwachsenenbildung in der Schweiz. Eine bildungshistorische Diskursanalyse

Friederike Kroschel (Hildesheim): Naturerziehung in Schulbüchern der DDR. Eine bilddiskursive Analyse des Mensch-Natur-Verhältnisses in der Erziehung zur „sozialistischen Persönlichkeit“

Hanan Abu El-Gyab (Hamburg): Analyse der (De-)Thematisierung von Sinti und Roma in deutschen Schulbüchern. Diskursanalytische Untersuchung von Wissenskonstruktionen, 1980–2020


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