Starke Frauen? Adelige Damen im Südwesten des spätmittelalterlichen Reiches

Starke Frauen? Adelige Damen im Südwesten des spätmittelalterlichen Reiches

Organisatoren
Peter Rückert, Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart; Anja Thaller, Universität Stuttgart; Klaus Oschema, Ruhr-Universität Bochum
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.10.2020 - 16.10.2020
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Von
Anna Lidor-Osprian, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; Paul Schweitzer-Martin, Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die internationale, von der Fondation pour la Protection du Patrimoine Culturel, Historique et Artisanal (Lausanne) finanziell geförderte Tagung hatte sich eine breite kulturhistorische Annäherung an Margarethe von Savoyen (1420–1479) im Kontext anderer spätmittelalterlicher Fürstinnen im Südwesten des Reiches als Ziel vorgenommen. Die Beiträge folgten dafür unterschiedlichen disziplinären Zugängen und nahmen Margarethe von Savoyen aus verschiedenen (nationalen) Forschungstraditionen in den Blick.

Eine Besonderheit der Tagung war die räumliche Nähe zur laufenden Ausstellung „Die Tochter des Papstes: Margarethe von Savoyen“ im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Die Ausstellung ist dort noch bis zum 15.1.2021 zu sehen, bevor sie zum Château de Morges et ses Musées in der Schweiz (26.3. bis 4.7.2021) und dem Archivio di Stato di Torino in Italien (2.10. bis 10.12.2021) weiterzieht. Diese räumliche Nähe ermöglichte eine Tagung an und mit den Originalen. Viele zentrale Quellen und Artefakte, die im Rahmen der Tagung diskutiert wurden, lagen nur wenige Meter entfernt und konnten in den Pausen gemeinsam in Augenschein genommen werden. Diese ungewöhnlichen Rahmenbedingungen boten für die physisch anwesenden TeilnehmerInnen eine besondere Erfahrung. Als Ergänzung zu den Vorträgen wurden auch Kleingruppenführungen durch die Kuratoren angeboten.

Auf Grund der aktuellen Lage war es nicht allen Vortragenden möglich, persönlich vor Ort zu sein. Der inhaltliche Gesamtrahmen und die internationale Dimension konnten aber erfreulicherweise dennoch auf unterschiedlichen Wegen gesichert werden: Einzelne Beiträge wurden durch StellvertreterInnen verlesen, in anderen Fällen wurden die Vortragenden digital zugeschaltet. Wie auch der Begleitband zur Ausstellung, der auf Deutsch, Italienisch und Französisch erschienen ist, wollte die Tagung die unterschiedlichen Forschungstraditionen verknüpfen und international zugänglich machen.

In der Einführung legte das Organisationsteam die Forschungstraditionen dar. Zentral erscheint vor allem die Verortung des Herzogtums Savoyen zwischen der heutigen Schweiz, Italien und Frankreich. Die territorialen und sprachlichen Grenzen haben dazu geführt, dass es kaum Studien zu Savoyen gibt, die eine übergreifende europäische Perspektive ausarbeiten. Ausstellung und Tagung sind in ihrer polyglotten Anlage ein Versuch, die Forschungstraditionen zusammenzuführen, miteinander ins Gespräch zu bringen und vor allem die exzeptionelle Briefüberlieferung Margarethes von Savoyen, die im Hauptstaatsarchiv Stuttgart aufbewahrt wird, der außerdeutschen Forschung vorzustellen.

Der erste Tag war stark von geschichtswissenschaftlichen Zugängen geprägt. Ausgehend vom Herzogtum Savoyen gewannen das Leben und Wirken Margarethes in der ersten Sektion Kontur. Von der Innen- und Außenwahrnehmung des spätmittelalterlichen Savoyens ausgehend, unterstrich KLAUS OSCHEMA (Bochum) dessen Zugehörigkeit zum Reich. Savoyen wurde als durchaus bedeutsam wahrgenommen, und gerade Margarethes Vater Amadeus VIII., der zunächst Graf, dann Herzog und zuletzt (Gegen-)Papst war, ist eine schillernde Figur der Zeit mit überregionaler Ausstrahlung. Charakteristisch waren im Savoyen des 15. Jahrhunderts auffällig starke Bemühungen, Häresie und Hexerei zu verfolgen, die sich auch in den Schriften Enea Silvio Piccolominis niederschlugen. Die Alpentäler sind als Rückzugsräume für heterodoxe Gruppen bekannt, jedoch legen die Quellen eine besonders starke Verfolgung in Savoyen nahe, die sich möglicherweise auch im Umfeld Margarethes von Savoyen verbreitete.

Das Vortragsthema von DANIELA CEREIA (Turin) wurde von Anja Thaller kurz skizziert. Hier wie in der Kurzfassung des Beitrags von ELISA MONGIANO (Turin) wurde die Biographie Amadeus‘ VIII. diskutiert. Im Rahmen der Sektion spielten die Fragen nach dem Einfluss seiner Erhebung zum (Gegen-)Papst Felix V. sowie nach den Hintergründen und Auswirkungen der Ehe Margarethes mit Ludwig IV. von der Pfalz (etwa hinsichtlich der Obödienz dieses wichtigen Kurfürsten) eine zentrale Rolle.

Nachdem in der ersten Sektion vor allem die Herkunft Margarethes und die Entwicklung ihrer Heimat erarbeitet worden waren, nahm die zweite Sektion ihre Biographie und ihre drei Ehen systematisch in den Blick. Die Kurzfassung des Beitrags von EVA PIBIRI (Lausanne) skizzierte die erste und kürzeste der drei Ehen mit Ludwig III. von Anjou sowie Margarethes Rückreise nach seinem Tod.

Verbindende Themen waren die Mitgiften, Wittümer und die (Territorial-)Konflikte zwischen der Pfalz und Württemberg: Nach dem frühen Tod ihres zweiten Mannes, Pfalzgraf Ludwig IV., heiratete Margarethe in dritter Ehe Graf Ulrich V. von Württemberg, was die bestehenden Konkurrenzen weiter beförderte, wie ERWIN FRAUENKNECHT (Stuttgart) verdeutlichte. Margarethes Witwensitz nach dem Tod des zweiten Ehemanns in Möckmühl war durchaus ungewöhnlich und weit entfernt vom Heidelberger Hof, wo ihr kleiner Sohn Philipp nach der Arrogation durch seinen Onkel Friedrich I. den Siegreichen verblieb. Ausschlaggebend war wohl der fehlende familiäre Rückhalt für Margarethe nach dem Tod des Vaters sowie die ausgebliebene vollständige Zahlung der Mitgift durch ihre Familie.

Im Hinblick auf ihre Zeit als Gräfin von Württemberg zeigte ANJA THALLER (Stuttgart) eindrücklich, wie ergiebig die genaue Lektüre des im Hauptstaatsarchiv überlieferten Briefbestandes zu Margarethe ist. So konnte sie unter anderem die Geburtsdaten der Töchter, die bisher nur sehr grob bekannt waren, durch Erwähnungen in den Briefen genauer eingrenzen und zahlreiche Reisen nachweisen. Erörtert wurden darüber hinaus die Motive für die dritte Eheschließung sowie die Rolle des Heiratsvermittlers. Ihre Ehe mit dem württembergischen Grafen ging Margarethe von Savoyen wohl aus eigenem Willen ein.

In seinem öffentlichen Abendvortrag weitete PETER RÜCKERT (Stuttgart) die Perspektive. Er kontextualisierte die Biographie und das Wirken Margarethes von Savoyen, indem er sie, Antonia Visconti, Henriette von Mömpelgard und Barbara Gonzaga als „internationale Fürstinnen“ am württembergischen Hof untersuchte. Wichtig waren hier neben dynastischen Gesichtspunkten auch Fragen des Kulturtransfers und nach dem Wirken der einzelnen Fürstinnen.

Die Frage nach den Tätigkeiten und Handlungsspielräumen der Fürstinnen zog sich wie ein roter Faden durch das Programm des zweiten Tages. Im Zusammenhang mit Aktivitäten, Netzwerken und (möglichen) Interessen Margarethes und anderer Zeitgenossinnen wurde hierbei auch die immer wieder aufkeimende Frage nach einer Definition von Fürstinnen als „starke“ Frauen im südwestdeutschen Raum thematisiert und reflektiert.

In Hinblick auf Fürstinnen im Literaturbetrieb richtete MARTINA BACKES (Freiburg) ihren Blick auf die Bedeutung fürstlicher Frauen als Mäzeninnen und Gönnerinnen von profaner wie auch religiöser Literatur. Handschriften aus dem Umfeld Margarethes versuchte sie auch Hinweise zu deren persönlichen literarischen Interessen zu entlocken, die sich wenn auch nicht bestimmen, so doch erahnen lassen. In Vortrag und Diskussion lag der Fokus mehrfach auf den methodischen Schwierigkeiten der Erforschung von Gönnerinnen. Verwiesen wurde hier auf die im deutschsprachigen – im Gegensatz zum französischsprachigen – Raum auch unter männlichen Mäzenen wenig verbreitete Widmungskultur, das (scheinbar) vorrangige Interesse von Frauen für geistlich-erbauliches Schrifttum, aber auch die Marginalisierung von Frauen als Förderinnen von Literatur in der Forschung.

Frauen des Hochadels betätigten sich im 15. Jahrhundert nicht nur als Mäzeninnen, sondern traten ebenso als Verfasserinnen und Übersetzerinnen auf. Dies zeigte mit Blick auf weitere Fürstinnen und Zeitgenossinnen Margarethes der Beitrag von CHRISTA BERTELSMEIER-KIERST (Marburg). Die außerordentliche kulturelle Transferleistung fürstlicher Frauen, die aus anderen Regionen Europas in deutsche Fürstenhäuser einheirateten, muss gerade für das späte Mittelalter nachdrücklich unterstrichen werden. In diesem Kontext fanden auch die Rolle und der Einfluss Mechthilds von der Pfalz Berücksichtigung, die sich auch unabhängig von ihren Ehemännern als Förderin von Literatur betätigte.

Neben einem Forschungsüberblick zu den Frauen der Habsburger im 15. Jahrhundert bot CHRISTINA ANTENHOFER (Salzburg) eine detaillierte Gegenüberstellung von Herkunft, finanziellen Ressourcen, Ehen sowie persönlichen Netzwerken dieser Fürstinnen. Die Methode des Vergleichs ermöglichte einen differenzierteren Blick auf die unterschiedlichen Lebenswege und unterstrich nicht zuletzt die Heterogenität in Ausgestaltung und Nutzung von Handlungsspielräumen fürstlicher Ehefrauen. Neben Herkunft, Status und der persönlichen wirtschaftlichen Situation konnte auch das jeweilige Alter als entscheidender Parameter für die Definition der individuell abgesteckten Aktionsräume der Akteurinnen festgestellt werden.

Handlungsspielräume und nicht zuletzt Aktivitäten von Frauen innerhalb wie außerhalb vermeintlich fester Grenzen waren auch in der letzten Sektion von zentraler Bedeutung, wobei sich zwei Vorträge vor allem dem geistlichen Stande widmeten. Gründe für den Eintritt in ein Kloster von Frauen aus oberen Gesellschaftsschichten sowie deren Verbindung zur Familie und die Handlungsmöglichkeiten im Kloster thematisierte SIGRID HIRBODIAN (Tübingen). Sie stellte u.a. die Frage nach der Auto- bzw. Heteronomie im Entscheidungsprozess für ein klösterliches Leben und konnte auf der Basis einer intensiven Quellenanalyse eindeutige Schemata für unterschiedliche Schichten festhalten. Wie zuvor für weltliche Fürstinnen konstatiert, waren Handlungsspielräume und Aufstiegsmöglichkeiten geistlicher Frauen gleichfalls abhängig vom Status ihrer Familie. Obschon die Familie zumeist ein wichtiger Bezugspunkt und auch für die Versorgung bedeutend war, agierten geistliche Frauen durchaus auch gegen diese. Quellen belegen Weigerungen gegen den Austritt aus dem Kloster genauso wie selbstbestimmtes Handeln von Äbtissinnen auch gegen die Interessen ihrer Herkunftsfamilien.

Am Beispiel Katharinas von Württemberg (1441–1497) präsentierte RACHA KIRAKOSIAN (Freiburg) den Lebensweg einer Fürstin, die sich über die (angenommenen) Grenzen weiblicher Selbstbestimmung hinwegsetzte. Als bestimmende Motive für die Flucht Katharinas nach der Translozierung der Kanonissen aus dem Prämonstratenserstift Adelberg in das reformierte Kloster Lauffen am Neckar stellte Kirakosian persönliche Freiheit und finanzielle Gründe fest. Da sich Katharina nach ihrer Flucht aus dem Kloster gegen Rückführungsversuche erfolgreich zu Wehr setzte und sich später auch im Streit um ihre Einkünfte durchzusetzen im Stande war, betonte der Beitrag nicht nur die Selbstbestimmtheit Katharinas, sondern auch ihr Selbstverständnis im Hinblick auf ihren Rang und die damit verbundenen Rechte.

Materielle Quellen – besonders in Erinnerung bleibt eine heute im New Yorker Metropolitan Museum of Art aufbewahrte Armbrust, die Margarethe ihrem dritten Gemahl Ulrich V. schenkte –, bereits in einigen Beiträgen erwähnt, rückten im abschließenden Vortrag von JULIA BISCHOFF und INGRID-SIBYLLE HOFFMANN (beide Stuttgart) nochmals dezidiert in den Fokus. Eingebunden in das Narrativ einer zeitgenössischen Chronik über den Besuch Kaiser Friedrichs III. in Stuttgart und somit zugleich in ihrem historischen Kontext verortet, wurden die materiellen Spuren Margarethes und Ulrichs präsentiert. Klar zum Vorschein kam so das Selbstverständnis des Grafenpaares und die damit im Einklang stehende repräsentative Hofhaltung, die sich unter anderem in den baulichen Tätigkeiten in der württembergischen Residenzstadt niederschlug.

In einer konzisen Zusammenfassung hob Jörg Peltzer (Heidelberg) die Vielgestaltigkeit der Ergebnisse hervor, die insbesondere in der internationalen Öffnung landeshistorischer Befunde produktiv würden. Die neu gewonnenen Erkenntnisse reichten dabei von zunehmender Sicherheit in spezifischen Detailfragen bis zu weiterreichenden Rahmenkonstruktionen wie der Wahrnehmung Savoyens als integralem Teil des spätmittelalterlichen Reichs oder auch der sprachübergreifenden Vernetzung des Adels in der untersuchten Region.

Insgesamt belegte die Tagung die Fruchtbarkeit der Zugänge zur spätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Landesgeschichte. Angesichts der qualitativ wie quantitativ stellenweise hervorragenden Quellenlage eröffnen sich hier weiterhin vielfältige und interdisziplinäre Untersuchungsperspektiven. Die aktuelle Forschung demonstriert damit nicht zuletzt nachdrücklich, dass insbesondere für diese Periode quellenkritische historische Arbeit an bekannten und auch neuen Text-, Bild- und Sachquellen in Kombination mit innovativen Fragestellungen weiterhin großes Potenzial in sich birgt.

Konferenzübersicht:

Nicole Bickhoff (Stuttgart): Begrüßung

Massimiliano Lagi (Stuttgart): Grußwort

Klaus Oschema (Bochum) / Anja Thaller / Peter Rückert (beide Stuttgart): Einführung

Haus und Herrschaft Savoyen

Moderation: Anja Thaller (Stuttgart) / Peter Rückert (Stuttgart)

Klaus Oschema (Bochum): Herzog, Hexen, Heiratsmarkt? Wahrnehmung und Rolle des spätmittelalterlichen Savoyen im Südwesten des Reichs

Daniela Cereia (Turin): Politiche matrimoniali per le figlie dei duchi di Savoia nel XV secolo

Elisa Mongiano (Turin): Amedeo VIII di Savoia: conte, duca, papa

Margarethe von Savoyen: Königin, Kurfürstin, Gräfin

Moderation: Benjamin Müsegades (Heidelberg)

Eva Pibiri (Lausanne): Margherita di Savoia: pietra angolare delle alleanze politiche di Casa Savoia

Erwin Frauenknecht (Stuttgart): Vier Jahre Ehe – Streit für eine Generation. Margarethe von Savoyen zwischen Pfalz und Württemberg

Anja Thaller (Stuttgart): Zwischen fürstlichem Prunk und finanziellen Nöten: Margarethe von Savoyen als Gräfin von Württemberg

Abendvortrag

Peter Rückert (Stuttgart): Internationale Fürstinnen des späten Mittelalters in Württemberg

Fürstinnen: Handlungsspielräume und kulturelle Profile I

Moderation: Karin Zimmermann (Heidelberg)

Martina Backes (Freiburg): Margarethe von Savoyen und ihre literarischen Interessen. Erfolge und Probleme mediävistischer GönnerInnenforschung

Christa Bertelsmeier-Kierst (Marburg): Fürstinnen und ihr Anteil am literarischen Kulturtransfer im deutschen Südwesten vor 1500

Christina Antenhofer (Salzburg): Habsburger Fürstinnen des 15. Jahrhunderts: Handlungsspielräume, Beziehungsmuster, Geschlechterrollen

Fürstinnen: Handlungsspielräume und kulturelle Profile II

Moderation: Mark Mersiowsky (Stuttgart)

Sigrid Hirbodian (Tübingen): Geistliche Fürstinnen im deutschen Südwesten

Racha Kirakosian (Freiburg): Kanonisse Katharina von Württemberg: Eine Gräfin auf der Flucht

Ingrid-Sibylle Hoffmann / Julia Bischoff (beide Stuttgart): Materielle Spuren der Hofkultur unter Margarethe von Savoyen und Ulrich V. von Württemberg

Jörg Peltzer (Heidelberg): Schlussworte