Beutekunst?! Die Restitutionsdebatte in den Altertumswissenschaften

Beutekunst?! Die Restitutionsdebatte in den Altertumswissenschaften

Organisatoren
Hubertus Münch / Sandra Kyewski, Doktoratsprogramm der Basler Altertumswissenschaften (DBAW), Universität Basel
Ort
Basel
Land
Switzerland
Vom - Bis
02.12.2019 - 03.12.2019
Url der Konferenzwebsite
Von
Adrienne Cornut / Ilaria Gullo / Marta Billo-Imbach / Sandra Kyewski (Klassische Archäologie), Yasmin Müller (Ägyptologie), Simon Raith (Alte Geschichte), Departement Altertumswissenschaften, Universität Basel

Die Thematik von Beutekunst und der Umgang mit provenienzlosen Objekten sind zurzeit von besonderer Relevanz für die Altertumswissenschaften. Es geht nicht nur um die Diskussion von Antiken aus Raubgrabungen, sondern auch um die aufkeimende Debatte über Objekte aus kolonialem Kontext, die unter anderem die Rückgabe der Benin-Bronzen angestoßen hat. Die internationale Graduiertentagung sollte diese aktuelle Debatte über Restitution für die Studierenden der verschiedenen altertumswissenschaftlichen Disziplinen und die BesucherInnen in verschiedenen Kontexten beleuchten. Neben der Frage von Kulturgut und Identität, die die Doktorierenden in zwei vorbereitenden Workshops auf die Thematik einstimmte, ging es auch um konkrete Diskussionen zu Restitutionsforderungen sowie Best-Practice-Beispiele für die Rückgabe zweifelsfrei illegal angeeigneter Kulturgüter und die erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Behörden des jeweiligen Landes. Zudem wurde der Umgang mit provenienzlosen Objekten in Museen und im Kunsthandel thematisiert.

KARL-HEINZ KOHL (Frankfurt am Main) eröffnete die Tagung mit einem Beitrag zum moralischen Aspekt der Restitution von afrikanischem Kulturgut, das während der Kolonialzeit nach Europa kam. Er diskutierte die Problematik dieses Verfahrens, indem er auf dessen Bedeutung und Legitimation beziehungsweise Intention einging, und äußerte die Frage, ob sich hinter der moralistischen Motivation nicht eine neokolonialistische Einstellung verbirgt. Schließlich nehmen die Rahmenbedingungen einer Rückgabe, wie die Provenienz, die Bedeutung und ursprüngliche Funktion des Objektes sowie dessen gegenwärtige Empfänger und ihr Objektverständnis eine wichtige Rolle ein. Diese unterscheiden sich deutlich von Fall zu Fall; so wurden beispielsweise nicht alle afrikanischen Kultobjekte geraubt, einige davon gerieten mittels Handel oder als Geschenke in europäische Hände. Daraus ergibt sich, dass eine sinnvolle Restitution nicht allein auf einer moralistischen Intention basieren sollte, sondern dabei die genauen Raubumstände berücksichtigt und geklärt werden müssen.

Der Journalist PATRICK BAHNERS (Frankfurt am Main) behandelte die Rolle der Medien sowie deren Auswirkungen auf die Debatte zur Restitution von Kulturgut und deren Umgang damit. Dabei führte er die französische Kunsthistorikerin und wichtige Akteurin in diesem Diskurs, Bénédicte Savoy, und deren Art von Medienpräsenz sowie ihre damit einhergehende Publicity an. Er stellte drei für die Restitutionsdebatte wichtige und in bestimmten Situationen von ihr verwendete Textgenres vor: den „offenen Brief“ oder „Appell“, die „Denkschrift in amtlichem Auftrag“ und das „Interview“. Bahners thematisierte, wie jedes Genre auf ungleich effektive Art und Weise die öffentliche Restitutionsdebatte sowie Savoys Image beeinflusst hat. Die Verschriftlichung des Interviews über Savoys Rücktritt aus dem Humboldt-Forum bewirkte zum Beispiel eine Verselbstständigung ihrer überspitzt formulierten Aussage über das „Blut, das von den Kunstwerken tropft“. Dieses Zitat wurde so ein drastisches und prägendes Sinnbild für die Restitutionsdebatte.

BEAT SCHÖNENBERGER (Basel) beleuchtete die Restitutionsdebatte von der juristischen Seite. Zu unterscheiden sind die eigentumsbezogene und die nicht eigentumsbezogene Restitution. Im Fall von antiken Kulturgütern handelt es sich meist um die zweite. Die nicht eigentumsbezogene Restitution kann durch Hindernisse wie den gutgläubigen Erwerb, die Verjährung der Straftat oder die international unterschiedliche Rechtsprechung erheblich erschwert werden. Auch eine ausreichende Beweislage ist in solchen Fällen häufig problematisch. Mit der UNESCO-Konvention von 1970 wurde die Rückführung diesbezüglich erleichtert. Besonders heikel bleiben aber nach wie vor archäologische Kulturgüter aus Raubgrabungen, da sowohl ihr Kontext wie ihre Herkunft meist ungewiss sind, was eine Restitution erheblich erschwert. Laut Schönenberger ist auch zu überlegen, ob Restitution in allen Fällen das Richtige ist, weil auch kulturgüterinhärente Interessen wie Erhaltung und Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit berücksichtigt werden müssen.

JEAN-ROBERT GISLER (Bern) arbeitete viele Jahre für das Bundesamt für Polizei (fedpol) und unterstütze die Behörden in Fällen von Raub und illegalem Handel mit archäologischen Objekten. Der Handel mit Kulturgütern ist heute nach dem Waffen- und Drogenhandel weltweit der drittgrößte illegale Markt. Doch betonte Gisler, dass dies kein modernes Phänomen ist; bereits in der Antike haben Menschen Kulturgüter geraubt und geplündert. Die Strafverfolgung kennt heute sechs Typen von Tätern: den Alleindieb, den zwanghaften Sammler, den institutionellen Dieb, den Opportunisten, die Diebesbande und die organisierte Kriminalität. Den Profilen entsprechend können die Verhaltensweisen der Täter antizipiert werden und es kann nach ihnen gefahndet werden. Die Schweiz war wegen der Zollfreilager lange sehr attraktiv für illegalen Handel. Im Jahr 2005 trat deshalb das Kulturgütertransfergesetz in Kraft, das eine Identifizierung der Herkunft und der Besitzer aller importierten Kulturgüter verlangt. Seit 2009 ist zudem ein Inventar der Kulturgüter obligatorisch. Mit diesen Maßnahmen versucht die Schweiz aktiv, den illegalen Kulturgüterhandel zu bekämpfen.

DAVID WIGG-WOLF (Frankfurt am Main) stellte das Projekt NETcher (NETwork and social platform for Cultural Heritage Enhancing and Rebuilding) vor. Mit NETcher ist ein Netzwerk im Aufbau, das europaweit institutionelle und private Akteure, die auf unterschiedlichste Weise in die Erhaltung und den Schutz von kulturellem Erbe involviert sind, zusammenbringen möchte. Dazu soll NETcher zum einen wie ein soziales Netzwerk funktionieren, in dem Akteure miteinander in Verbindung treten können. Zum anderen werden Daten aus unterschiedlichen Ressourcen und Datenbanken an einem Ort gesammelt und durch NETcher zur Verfügung gestellt. Mit der Fertigstellung von NETcher wird ein Informationsnetzwerk entstehen, das europaweit einen möglichst einheitlichen „code of good practice“ im Umgang mit kulturellem Erbe definieren wird, involvierte AkteurInnee trainieren und aus- bzw. weiterbilden sowie Empfehlungen an die Europäische Kommission formulieren kann. Dadurch soll eine Basis für ein gemeinsames, europaweites Bewusstsein und Handeln im Kampf gegen den Antikenhandel etabliert werden.

MICHAEL MÜLLER-KARPE (Mainz) appellierte für ein sofortiges Handeln seitens der Kulturinstitutionen, der Wissenschaft und der Gesetzgeber gegen aktuell stattfindende Raubgrabungen und den Handel und Besitz provenienzloser (oder provenienzlückenhafter) Antiken. Er betonte, dass archäologische Funde ungeklärter Herkunft regelmäßig aus Raubgrabungen stammten und somit Opfer krimineller Handlungen seien, durch die Kulturgut und insbesondere der Fundkontext unwiederbringlich zerstört würden. Durch diese Zerstörung gehe der eigentliche Wert eines Objektes verloren – nämlich die Informationen, die es transportiert. Müller-Karpe erinnerte daran, dass die hohen Geldbeträge, zu denen provenienzlose Antiken gehandelt würden, der Motor für Raubgrabungen seien und unter anderem terroristische Organisationen und mafiöse Strukturen finanzierten, weshalb der Handel mit Antiken unterbunden werden müsse. „Wir müssen jetzt handeln!“

RAHEL ACKERMANN (Basel) zeigte am Beispiel von Münzen auf, wie hilfreich die Dokumentation von Objekten zur Prävention – beispielsweise bei Diebstahl oder Verlust – ist. Sie besprach einerseits die Wichtigkeit der schriftlichen und fotografischen Dokumentation von ausgegrabenen und eingelagerten Funden und andererseits die vielfachen und einfachen Möglichkeiten im digitalen Zeitalter. So ist die anfallende Massendokumentation bei Münzen heutzutage technisch gut zu bewältigen. Ackermann forderte daher dazu auf, die Verantwortung der Funddokumentation und damit auch der Sicherheit der Objekte wahrzunehmen.

KATARINA HORST (Karlsruhe) berichtete von ihren Erfahrungen als Museumsmitarbeiterin mit Rückgaben an Griechenland und den damit verbundenen Schwierigkeiten. Eine Ausstellung der 1970er Jahre zur Kunst und Kultur der Kykladen stellte sich für die aktuellen Museumskuratoren als großes Hindernis heraus und verunmöglichte den Erhalt von Leihgaben aus Griechenland. Nach vielen Nachforschungen (bei denen sich zeigte, dass der damalige Ausstellungskatalog in Zweitverwendung als Verkaufskatalog für Antiquitäten diente) und Überzeugungsarbeiten bei KollegInnen, JuristInnen und PolitikerInnen konnten mit der definitiven Rückgabe von zwei stellvertretenden Objekten an Griechenland ein Kooperationsvertrag sowie eine enge Zusammenarbeit mit der griechischen Antikenbehörde ermöglicht werden. Dadurch kamen eine Ausstellung zum Jugendstil im Benaki-Museum in Athen sowie die Mykene-Ausstellung mit ausschließlich griechischen Leihgaben im Badischen Landesmuseum zustande. Außerdem wurden eine wissenschaftliche Tagung und die Ausstellung „Stolen Past – Lost Future“ organisiert. Die dreisprachige Wanderausstellung befasst sich mit der Problematik von Raubgrabungen und dem illegalen Kulturgüterhandel. Horsts Erfahrungen zeigen, dass mit großem Engagement und wenigen Rückgaben viel erreicht werden kann. Ihrer Meinung nach ist die Aufarbeitung spezieller Fälle wichtiger als eine komplette Rückgabe aller Objekte an die Ursprungsländer der antiken Welt.

GABRIELE PIEKE (Mannheim) sprach zur Restitutionsdebatte über die Büste der Nofretete und bezog deutlich Stellung zu den wiederkehrenden Rückgabeforderungen der ägyptischen Regierung. Die Büste der Königin war nach ihrem sensationellen Fund am 6. Dezember 1912 durch den Archäologen Ludwig Borchardt neben anderen Fundstücken aus der Amarna-Zeit nach Deutschland gekommen. Moralische Bedenken waren seitdem häufig geäußert worden, doch nach rechtlichen Maßstäben war der damalige Erwerb legal gewesen. Zum Zeitpunkt der Grabungen stand der Antikendienst, die oberste Denkmalpflegebehörde Ägyptens, durch den die Fundteilung im Jahr 1913 erfolgte, unter französischer Obhut. Gemäß den damaligen Bestimmungen geschah diese Fundteilung „zu gleichen Teilen“ für Ägypten, vertreten durch Gustave Lefebvre, und das die Grabung leitende Land, das Deutsche Reich. „Wenn es einen Fehler gegeben hat“, so gestand der spätere Direktor der ägyptischen Altertümerverwaltung, Pierre Lacau, „ist es der unsrige.“

FREDRIK HAGEN (Kopenhagen) besprach am Beispiel des dänischen Ägyptologen H. O. Lange die Geschichte des ägyptischen Antiquitätenhandels am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts – sowie die Problematik dieses Handels. Er beschrieb, wie die heutigen Sammlungen ägyptischer Objekte an ihren Bestimmungsort gelangten. Der ägyptische Staat in Gestalt des Antikendienstes war um die Jahrhundertwende infolge zahlreicher Ausgrabungen in den Besitz so vieler Objekte gekommen, dass der Bedarf an Kulturgut für die eigenen Museen schnell gedeckt schien. Daher gelangten unzählige Stücke legal und illegal auf den Antiquitätenmarkt. Demnach war es in erster Linie dieser Handel, der die Vitrinen der Museen in Europa füllte. Hagen schuf mit seinem Vortrag eine erhöhte Sensibilität für die unterschiedliche Herkunft zahlloser Objekte und damit ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer lückenlosen und detaillierten Provenienzforschung.

Fazit

Die Vorträge zeigten, wie differenziert das Thema der Restitution von antiken Kulturgütern ist und dass keine generalisierenden Lösungen für Rückgabeforderungen gefunden werden können. Dies bleiben Einzelfallentscheidungen. Die Aufarbeitung von fehlenden Provenienzen oder illegal erworbenen Objekten in Museen oder Sammlungen und gegebenenfalls die Restitution einzelner Objekte können jedoch zu neuen internationalen Kooperationen führen, die für alle beteiligten Institutionen fruchtbar sind, zum Beispiel im Hinblick auf einen Austausch von Objekten oder eine generelle Kollektionsmobilität.

Ein bedeutendes Ergebnis der Tagung ist, dass der Blick der Altertumswissenschaften weniger auf die vergangenen Umstände, die zum Erwerb von Objekten geführt haben, sondern primär auf die Gegenwart und Zukunft gerichtet werden solle, da Raubgrabungen und illegaler Kunsthandel weiterhin ein immenses Problem darstellen. Statt allzu häufig über vergangene Entscheidungen zu diskutieren, sollte man sich gemeinsam und grenzübergreifend der Prävention und Verhinderung von illegalem Kulturgütertransfer widmen. Dies zeugt von einer Verantwortung, die AltertumswissenschaftlerInnen, aber auch PolitikerInnen und JournalistInnen übernehmen sollen, um Kulturgüter aktiv zu schützen und so für die Zukunft zu bewahren.

Konferenzübersicht:

Karl-Heinz Kohl (Frankfurt am Main): Nur eine Frage der Moral? Das Dilemma der Restitution

Patrick Bahners (Frankfurt am Main): Kampagne in Frankreich und Deutschland. Die Restitutionsdebatte in den Medien

Beat Schönenberger (Basel): Restitution von Kulturgut – Ein kurzer Überblick über die (rechtliche) Entwicklung

Jean-Robert Gisler (Bern): Die Archäologie als Epiphänomen des illegalen Handels mit Kulturgütern

David Wigg-Wolf (Frankfurt am Main): NETCHER – Social Platform for Cultural Heritage. Ein Horizon 2020-Projekt im Kampf gegen den illegalen Antikenhandel

Michael Müller-Karpe (Mainz): Auch Restitution! Vom Schutz einer Erkenntnisquelle

Rahel Ackermann (Bern): Dokumentation als Prävention. Möglichkeiten im digitalen Zeitalter am Beispiel von Münzen

Katarina Horst (Karlsruhe): Als Zeichen des Friedens – die Rückgabe von zwei Kykladen-Objekten an den griechischen Staat

Gabi Pieke (Mannheim): „Die Schöne ist gekommen“… doch soll sie bleiben? Zum Fall Nofretete und Co.

Fredrik Hagen (Kopenhagen): The History of the Trade in Egyptian Antiquities: Principles and Practices