Occidentalism and Cinema: East-West Dialectics in Audiovisual Culture

Occidentalism and Cinema: East-West Dialectics in Audiovisual Culture

Organisatoren
Ömer Alkın, DFG-Projekt „Ästhetik des Okzidentalismus“, Institut für Medienwissenschaft, Philipps-Universität Marburg
Ort
digital (Marburg)
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.11.2020 - 27.11.2020
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Von
Hayriye Kapusuz, Institut für Medienwissenschaft, Philipps-Universität Marburg

Der im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts „Ästhetik des Okzidentalismus. Yücel Çakmaklıs islamisch-turkistisches Millî Sinema („Nationales Kino“) (1964-2006)“ durchgeführte digitale Workshop fand am Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg statt. Forscher/innen aus Deutschland und der Türkei diskutierten die diskursanalytischen Ansätze des Okzidentalismus aus medienästhetischer Perspektive und leisteten damit einen wichtigen Beitrag zum Verhältnis zwischen (Okzidentalismus-)Diskurs und Ästhetik. Ausgehend von dem Forschungsinteresse des Projekts, medienästhetische Eigenqualitäten auf ihr Beitragspotential zur Konstituierung okzidentalistischer Diskurse zu untersuchen, reflektierten die Forscher/innen über das dichotomische Verhältnis von Orient und Okzident und den Zusammenhang von konservativen Politiken und islamisch-orientierten Medienkulturen sowie etwaiger anderer Diskursdynamiken. Die medienästhetischen Analysen der Forscher/innen, die die Orient-Okzident-Debatte aus unterschiedlichen Disziplinen und Perspektiven beleuchteten, gingen der Frage nach, wie filmische Bilder bei der Herstellung solcher konservativer Politiken aktiv sind. Die Vorträge kreisten um Themen wie das türkische Kino, das Migrationskino, den islamisch-konservativen Regisseur Yücel Çakmaklı und dschihadistische Videostrategien.

In seinem Einführungsvortrag, einem Diskurs über die unterschiedlichen Konzeptionen des Okzidentalismus, legte ÖMER ALKIN (Marburg) den theoretisch-diskursiven Rahmen dieses Konzepts fest. Dabei beschrieb und diskutierte er unterschiedliche theoretische Ansätze. In Anlehnung an Edward Said, Michel Foucault, Ian Buruma, Avishai Margalit, Fernando Coronil und Meltem Ahıska beschäftigte sich Alkin mit den Fremd- und Selbstkonstruktionen, Diskursstrategien, Repräsentationspraktiken und Diskursdynamiken des dichotomischen geopolitischen Kontexts von Westen und Nicht-Westen.

SAVAŞ ARSLAN (Istanbul) beschäftigte sich mit der historischen Entwicklung des islamisch-konservativen Kinos der Türkei. Dabei rückte er die Filmkultur von Yücel Çakmaklı, dem Begründer eines islamisch-konservativen Kinos in der Türkei, in den Fokus. Arslan stellte einen 13-minütigen Ausschnitt aus einem Videointerview mit Çakmaklı vor, in dem er den Regisseur zu dessen islamisch-turkistischer Filmprogrammatik eines Millî Sinema (Nationalen Kinos) befragte. Die populäre Yeşilçam-Filmkultur der Türkei wurde sowohl formal-ästhetisch als auch hinsichtlich ihrer narrativen Eigenschaften als Referenzkino für die unterschiedlichen politischen Filmprogramme der Türkei erörtert.

Ausgehend von ihrer Dissertation, beschäftigte sich AYŞE ÇAVDAR (Marburg) mit der Entwicklung des politischen Islamismus in der Türkei. Sie beschrieb den Islamismus nicht nur als politische und hegemoniale Inanspruchnahme der Muslime, sondern als eine effektive Ideologie, die als Hegemonialisierung der kollektiven Affekte und Emotionen der Muslime instrumentalisiert wird. Anhand ihrer vergleichenden Analyse von Filmen aus dem reichen Fundus des populären Kinos der Türkei (Yeşilçam) und literarischen Beispielen identifizierte Çavdar narrative Strategien und Archetypen, die sie mit der symbolischen Sprache und Rhetorik der in der Türkei herrschenden AKP-Regierung in Beziehung setzte.

DİLEK KAYA (Izmir) verhandelte anhand des ersten Spielfilms von Yücel Çakmaklı, Birleşen Yollar (TR, 1970), die diskursiven Strategien des Films vor dem Hintergrund der Modernisierungsgeschichte und der Entstehung des islamischen Kinos der Türkei. Sie stellte fest, dass auch in diesem Film die narrativen Konventionen des Yeşilçam-Melodramas adaptiert wurden. Im Vergleich zu den Melodramen des Yeşilçam-Kinos der 1970er Jahre beschrieb sie die diskursive Konstruktion der türkischen Modernisierung im Film von Çakmaklı als einen Appell für eine islamische Lebensweise. Die Übernahme populärer narrativer Strategien auf der einen Seite und eine Formulierung der Modernisierung als Islamisierung auf der anderen Seite fasste Kaya als „Neukonfiguration und Islamisierung des Mainstreams“ zusammen, die sie als Gegenreaktion auf die Hegemonie der säkularen Ideologie der Zeit interpretierte.

In Anlehnung an Michel Foucaults Konzept der Biopolitik und Judith Butlers Konzept der Gender-Performativität verhandelte AYSEL ÖZDİLEK (Hamburg) die Verwicklung und den Zusammenhang von Körper, Mode, Politik und patriarchalischer Ideologie. Am Beispiel von populären Yeşilçam-Filmen der 1960er und 1970er Jahre machte sie deutlich, dass Kostüm und Mode unterschiedliche Funktionen und Bedeutungen haben. Sie funktionieren unter anderem als symbolische Metapher für die soziale Klassenzugehörigkeit, den Habitus, die Selbstoptimierung oder „Technologien des Selbst“ der Filmcharaktere.

ÖMER ALKIN (Marburg) untersuchte symbolische und visuelle Bedeutungskonstruktionen im Yeşilçam-Kino, u.a. in Anlehnung an Meltem Ahıskas Konzept des „kritischen Okzidentalismus“. Am Beispiel einer ausgewählten Filmszene bezog er die Analyse von Zeit- und Raumkonstruktionen im Film Memleketim von Yücel Çakmaklı (TR, 1974) auf die Zugmetapher von Ahıska und deutete sie mit dem Verwestlichungswunsch der Türkei einerseits und dem ständigen Verfehlen von Modernität andererseits. Die Frage nach der Spezifizität visueller Konstruktionen sozialer Wirklichkeit und ihrer Untersuchung aus einem medienästhetischen Verständnis heraus und aus der Perspektive der Visuellen Kultur (Mitchell 2015) standen im Fokus seines Vortrags.

SIMONE PFEIFER und ROBERT DÖRRE (beide Mainz) analysierten die visuellen und narrativen Merkmale des dschihadistischen Videos Fitrah: The West Behind the Mask im Zusammenhang mit dem Konzept des Othering von Gayatri C. Spivak. Neben der Herausarbeitung der Ästhetiken und Dimensionen des Othering untersuchten sie detailliert die Social-Media-Strategien, mit denen das dschihadistische Video an die Öffentlichkeit gebracht wurde.

DENİZ GÜNEŞ YARDIMCI (Istanbul) beschäftigte sich mit der Ost-West-Dialektik im postmigrantischen Kino. Dabei legte sie den Fokus auf Konzeptualisierung, Historisierung und Ästhetiken des (deutsch-türkischen) migrantischen sowie postmigrantischen Kinos.

In der Abschlussdiskussion setzten sich die Forscher/innen mit den bestehenden binären Kategorien und ihren Reproduktionen (Ost-West) kritisch auseinander. Sie kreiste um hegemonial/diskursive und ästhetische Analysekategorien, die Notwendigkeit ihrer Umgehung, aber zugleich auch ihrer Unumgehbarkeit sowie die politischen Folgen jener Auseinandersetzungen aufgrund ihrer permanenten Reproduktion. Mit diesen Kategorien wurden Möglichkeiten und Grenzen der Dekonstruktion von dichotomischen Konzeptionen erörtert. Mit Mouffes und Laclaus Theorie der „Signifikation“ deutete Alkin auf die ideologische Gefahr jener repräsentationslogischen Kategorien wie West, Ost, Orient, Okzident hin: Mit zunehmender diskursiver Beschäftigung wachse die Gefahr, die bezeichneten Meta-Kategorien soweit zu signifizieren, dass daraus ein Teufelskreis aus symbolischer Nullwertigkeit (leere Signifikanten) entsteht, der so die Konzepte zu unumgänglichen Hyperkategorien samt ihrer Umkehrbarkeit und Polysemie produzieren würde.

Der Versuch, die nicht nur im wissenschaftlichen, sondern auch im global gesellschaftlichen Diskurs reproduzierten Repräsentationskategorien mithilfe ästhetischer Analysekategorien zu überwinden und jenseits geographischer Abgrenzungen zu denken, eröffnete neue Perspektiven und Forschungsfragen im Feld der Medienästhetik und der hegemonial-ideologischen Ansätze. Die Beiträge der Forscher/innen aus unterschiedlichen Disziplinen diskutierten die Konzeption und Dimensionen des Okzidentalismus mit besonderem Fokus auf audiovisueller Kultur, Mediennutzungspraxis, Medienästhetik und Körper-Diskurse. Damit lieferte der Workshop einen wichtigen Beitrag zur Verschiebung der Perspektive in der Debatte über Okzidentalismus und audiovisuelle Kultur.

Konferenzübersicht:

Ömer Alkin (Philipps-Universität Marburg): Discoursive Fundament of the Project

Savaş Arslan (Bahçeşehir University Istanbul): From Drama to Melodrama: The Turkish-Western Dialectics in Yeşilçam Cinema

Ayşe Çavdar (Philipps-Universität Marburg): Heroes trapped in their fairy tales: Landscape of insatiable spirits in Memleketim (1975, TR)

Dilek Kaya (Yaşar University Izmir): Crossroads (1970, TR). Islamicizing Modernity, Cinema and Melodrama

Aysel Özdilek (Universität Hamburg): Body Politics and National Identity: Women's Fashion in Yeşilçam

Ömer Alkın (Philipps-Universität Marburg): Media Aesthetics of Occidentalism

Simone Pfeifer / Dr. Robert Dörre (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz): The West Behind the Mask – On the Aesthetics of Othering in Jihadi Videos

Deniz Güneş Yardımcı (Bilgi University, Istanbul): Post-Migration Cinema. Transnational Aesthetics, Transnational Identities


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