In den Zimmern der Macht. Körper und Kontaktchancen am frühneuzeitlichen Hof

In den Zimmern der Macht. Körper und Kontaktchancen am frühneuzeitlichen Hof

Organisatoren
Wissenschaftskolleg zu Berlin
Ort
digital (Berlin)
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.04.2021 - 30.04.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Lara Luisa Schott-Storch de Gracia, Arbeitsbereich Neuere Geschichte, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Ammen, Hofzwerge, Mätressen und Leibgardisten: Diese und weitere Akteurinnen und Akteure des frühneuzeitlichen Hofes standen im Mittelpunkt eines digitalen Workshops, der am Wissenschaftskolleg zu Berlin ausgerichtet wurde. Das Interesse galt jenen Personen, die aufgrund spezifischer körperlicher Eigenschaften oder Fähigkeiten – und den daraus resultierenden Dienstleistungen – in einem Klientelverhältnis zu einem hochrangigen Hofakteur standen oder Kontaktmöglichkeiten zum Herrscher erhielten. Kennzeichnend für diese Gruppe war folglich die physische Nähe zum Machtzentrum trotz einer simultanen sozialen Distanz zur adligen Hofgesellschaft. Ziel des Workshops war es, für die Analyse der Kontaktchancen im unmittelbaren fürstlichen Umfeld körpergeschichtliche mit sozialgeschichtlichen Ansätzen zu verknüpfen. Damit rückten auch Akteur:innen in den Fokus, die in der Hofforschung bislang nur marginal Beachtung fanden.

Nach einer kurzen Begrüßung durch Barbara Stollberg-Rilinger (Berlin) übernahmen Nadine Amsler und Nadir Weber (Berlin) die thematische Einführung. Sie verdeutlichten, dass gerade das Dienstpersonal, das sich in unmittelbarer physischer Nähe zum Herrscher bzw. zur Herrscherfamilie aufhielt, meist aus sozial niederen Kreisen stammte und daher quellenmäßig schwer zu erfassen sei. Die Kontaktsituationen im „Zimmer der Macht“ eröffneten aber die Möglichkeit, sich die Gunst und das Vertrauen der Herrschenden zu erwerben und sozial aufzusteigen oder Protektion zu bekommen. Andererseits konnten die geleisteten niederen Dienste, die starken Standesunterschiede oder körperliche Auffälligkeiten auch unüberwindbare Schranken darstellen, die einen Aufstieg am Hof verhinderten. Ob und wie weit Chancen der körperlichen Interaktion genutzt wurden und welche Bedeutung der Körperlichkeit dabei zukam, sollte im Workshop diskutiert werden.

Das erste Panel „Dynastische Körper“ eröffnete ELENA TADDEI (Innsbruck), die die Eignungsvoraussetzungen der Leib- und Hofärzte sowie deren Rolle am Hof anhand von ausgewählten Fallbeispielen darlegte.1 Als akademisch gebildete Experten, die für das gesundheitliche Wohlergehen des fürstlichen Körpers verantwortlich waren und sich im Idealfall stets im unmittelbaren Umfeld des Herrschers befanden, seien sie durchaus in der Lage gewesen, ein enges Vertrauensverhältnis zur Herrscherfamilie zu unterhalten. Über die medizinischen Dienstleistungen hinaus wurden Ärzte deshalb auch als Berater, Übersetzer, Gutachter oder Diplomaten eingesetzt. Im Gegenzug winkten sozio-ökonomische Privilegien, die sich positiv auf die akademische Reputation auswirkten. Die Omnipräsenz im Nahraum des Fürsten brachte allerdings auch Risiken mit sich: So konnten Leibärzte Opfer höfischer Intrigen werden oder für den schlechten Gesundheitszustand des Fürsten verantwortlich gemacht werden.

LEONHARD HOROWSKI (Berlin/Münster) lieferte einen diachronen Überblick über die Familie Richelieu und deren Versuche, sich in den Jahrzehnten nach dem Tod des Kardinals von Richelieu wieder am französischen Hof zu etablieren. Aus der Sicht des alten Schwertadels galten die Richelieu trotz des Herzograngs als soziale Emporkömmlinge – ein Umstand, der ihre Zielsetzung in einem höchst sklerotischen System erheblich erschwerte. Erst 1744 sei es dem Marschall-Herzog von Richelieu – u.a. mittels familiärer Beziehungen sowie militärischer Erfolge – gelungen, ein höfisches Amt zu bekleiden. Am Beispiel der Richelieu belegte Horowski die enorme Relevanz der Hofämter sowie der Nähe zum Monarchen für französische Adelsfamilien, um die eigene Stellung am Hof langfristig zu sichern und von sozio-politischen Ressourcen zu profitieren.

NADINE AMSLER (Berlin) widmete sich den Ammen des fürstlichen Nachwuchses. Sie betonte drei grundlegende Eigenschaften des Ammendienstes: ein meist niedriger sozialer Status, die körperliche Fähigkeit des Stillens sowie die Ersetzbarkeit bei Hof. Obwohl Ammen eine unabdingbare Dienstleistung in den ersten beiden Lebensjahren des Kindes erbrachten und einen engen physischen Kontakt zu den fürstlichen Säuglingen pflegten, waren ihre Handlungsspielräume begrenzt. So wurde ihre Tätigkeit von Oberhofmeisterinnen und Leibärzten streng kontrolliert und der Zugang zum Nachwuchs mittels Instruktionen reglementiert. Grundsätzlich seien die Dienste jedoch ökonomisch gut honoriert und Bittgesuche der Ammen oft positiv erwidert worden. Das Beispiel der Marie-Madeleine Mercier, die den französischen König Ludwig XV. gestillt hatte, belege, dass ein sozialer Aufstieg nach dem Ammendienst zumindest am französischen Hof möglich war. So verhalf Merciers erfolgreiche körperliche Tätigkeit in den „Zimmern der Macht“ ihrem Ehemann, ihrem ältesten Sohn sowie einer ihrer Töchter zu Hofämtern und Wohlstand.

ELISABETH NATOUR (Regensburg) leitete mit ihrem Vortrag zu Musikern am Fürstenhof die zweite Sektion „Zugänge zur Macht“ ein. Sie verwies auf das komplexe Verhältnis von Körper, musikalischer Akustik und Sichtbarkeit. So seien Musiker zwar physisch in den Räumen der Macht präsent und ihre klangreiche Dienstleistung hörbar gewesen, sie blieben durch gezielte Sichtbarrieren, die den Effekt der fürstlichen Majestas bestärken sollten, in der höfischen Gesellschaft aber meist unbemerkt. Es handelte sich hierbei um eine paradoxe Situation, da die Musik eine immense Bedeutung für die symbolische Inszenierung des Fürsten als „Gottesvertreter auf Erden“ einnahm, ihre Produzenten jedoch sozial marginalisiert wurden. Obwohl ein sozialer Aufstieg am Hof dem Großteil der Hofmusiker verwehrt blieb, profitierten diese doch von der Patronage der Fürstenfamilie sowie von finanziellen Zuwendungen.

Im Vortrag von PASCAL FIRGES (Taipeh/Bielefeld) wurde deutlich, dass männliche Adelige ihre außerehelichen Kontakte zu höherrangigen Mätressen durchaus nutzen konnten, um ihre eigene Laufbahn am Hof zu fördern. Am Beispiel der Memoiren des Marquis de Valfons erörterte Firges die intimen Beziehungen des Marquis zu ranghöheren Frauen und die daraus resultierenden Klientelverhältnisse, von denen er profitierte. Allerdings stellte die höhere soziale Position der weiblichen Partnerinnen eine Inversion der üblichen außerehelichen Beziehungspraxis dar. In seinen Aufzeichnungen habe der Marquis auf die narrative Strategie der Erniedrigung seiner Geliebten zurückgegriffen, um seiner Männlichkeit Nachdruck zu verleihen und die eigene Unterlegenheit zu kaschieren. Das Verhältnis zu den Ehemännern der außerehelichen Partnerinnen umschrieb Firges als „respektvolle Dissimulation“.

KEVIN KLEIN (Frankfurt am Main) untersuchte die Rolle des Sicherheitspersonals am kaiserlichen Hof. Die allgegenwärtige körperliche Nähe der Trabanten und Hartschiere zum Herrscher sei eine grundlegende Voraussetzung für die Gewährleistung des fürstlichen Schutzes gewesen. Die Leibgarde habe jedoch ebenso sehr als symbolisches Instrument gedient, indem sie die Grenzen des höfischen Raumes bei Auftritten des Kaisers auch außerhalb der Residenz markierte. Neben militärischen Kompetenzen und einer gewissen körperlichen Leistungsfähigkeit habe Diensttreue zu den wesentlichen Qualifikationen der Leibwache gezählt. Im Falle eines erfolgreich geleisteten Dienstes sei Angehörigen der Leibwache der Erhalt eines eigenen Wappens sowie eine soziale Beförderung im geringen Maße möglich gewesen.

Im Panel „Kuriose Körper“ lotete ALE-XANDER BEVILACQUA (Berlin) am Beispiel des brandenburgisch-preußischen Hofes die Präsenz der sogenannten Kammermohren aus. Insbesondere im 17. Jahrhundert habe eine hohe Nachfrage nach schwarzen Pagen und Kammerdienern an europäischen Höfen bestanden. Die wesentliche Eigenschaft, die diese Menschen in die Nähe des Machtzentrums rückte, war das körperliche Merkmal der Hautfarbe. Der auf Gemälden herausgehobene optische Kontrast zur weißen Haut der fürstlichen Familienangehörigen sei zu einem Bestandteil dynastischer Selbstinszenierung geworden. Gemäß Bevilacqua deutet dieser Umstand auf ein frühneuzeitliches Bewusstsein der „embodied difference“ hin. Einzelnen „Kammermohren“ – wie dem 1685 getauften Friedrich Wilhelm – gelang es dennoch, sich am Berliner Hof eine soziale Existenz aufzubauen.

EVA SEEMANN (Zürich) richtete den Blick auf die sogenannten Hof- bzw. Kammerzwerge an deutschsprachigen Höfen. Sie ging der Frage nach, ob sich den kleinwüchsigen Menschen besondere Wege des sozialen Aufstiegs am Hof eröffneten. Ihre Aufgabenfelder erstreckten sich von der Unterhaltung im höfischen Kammerdienst bis zur Tätigkeit als Lehrpersonen und Spielkameraden in der fürstlichen Kinderstube. Diese räumliche Nähe habe eine besondere Vertrauensbeziehung zur Herrscherfamilie begünstigt. Aufgrund ihrer geringen Körpergröße seien Hofzwerge zudem nicht als Bedrohung wahrgenommen worden – ein Faktor, der eine informelle Beziehung zum Herrscher erleichterte. In einigen Fällen seien sie wie fürstliche Ziehkinder behandelt worden; vereinzelt ist die Erhebung in den Adelsstand belegt. Seemann verdeutlichte allerdings, dass Nobilitierungen von vielen Faktoren abhängig waren und mit kritischer Vorsicht zu hinterfragen sei, ob die Kleinwüchsigkeit dabei eine Rolle spielte.

Abschließend beleuchtete NADIR WEBER (Berlin) die Anwesenheit von Kammertieren im höfischen Raum. Obwohl die tierischen Begleiter direkten Kontakt zum Herrscher hatten, waren sie – so Weber – keine höfischen Akteure im engeren Sinne, da sie keine eigenen sozio-politischen Interessen vertraten. Dennoch seien Kammertiere als integrale Mitglieder des Hofes zu erfassen, die nicht nur zur emotionalen Rekreation des Fürsten beitrugen und partiell als exotische Statussymbole dienten, sondern auch zur Repräsentation dynastischer Tugenden dienten. Weber nahm ferner die Pfleger der Kammertiere in den Blick, die über ihre Tätigkeit die Möglichkeit hatten, mit dem Fürsten zu interagieren. In seltenen Fällen habe sich daraus die Chance eines sozialen Aufstiegs ergeben. An dieser Stelle lässt sich das Beispiel des niederadligen Falkners Charles d´Albert hervorheben, der am Hof Ludwigs XIII. zum wichtigsten Günstling des Königs aufstieg.

Die Abschlusskommentare steuerten Rudolf Schlögl (Konstanz) und Barbara Stollberg-Rilinger bei. Schlögl hob den körperhistorischen Blick der Tagung hervor. Dieser berge zwar das Potenzial, die bisherige Forschung durch eine neue Perspektive zu bereichern, erfordere aber auch eine besonders sorgsame Quellenkritik. Der frühneuzeitliche Fürstenhof habe in vielerlei Hinsicht den Charakter einer „totalen sozialen Institution“ gehabt. Daher sei die Frage zu reflektieren, ob sich in einem solch ritualisierten Gebilde überhaupt freie Interaktion zu entfalten vermochte. Möglicherweise seien anwesende Menschen als bloße Körper und nicht als Personen wahrgenommen worden. Schlögl ergänzte, dass der Aspekt des Performativen künftig stärker gewichtet werden sollte und die Berücksichtigung bestimmter Unterscheidungen – z.B. zwischen der Öffentlichkeit und der Privatheit oder der Interaktion und der Organisation – für die weitere Erforschung der Thematik konstruktiv sein könnte.

Stollberg-Rilinger lobte die gelungene thematische Verzahnung der Vorträge. Der Vergleich der verschiedenen subalternen Personengruppen am Hof erweise sich als aufschlussreich, und es biete sich an, künftig auch noch weitere Akteure – wie Narren oder Waisenkinder – zu berücksichtigen. Stollberg-Rilinger resümierte, dass eine Überwindung der sozialen Distanz nur in seltenen Ausnahmefällen belegt ist. Offenbar bestätige sich Norbert Elias’ Beobachtung, dass Domestiken in der höfischen Gesellschaft als nicht anwesend behandelt wurden. Anstelle der Dichotomie von öffentlich und privat schlug Stollberg-Rilinger eine alternative Dialektik zwischen Sichtbarkeit und Formalität auf der einen und Unsichtbarkeit und Informalität auf der anderen Seite vor. Die Beiträge deuteten zudem darauf hin, dass die sozio-ökonomischen Perspektiven von niederen Hofbediensteten außerhalb des Hofes stärker zu berücksichtigen seien. Generell stelle sich dabei das Problem, dass aussagekräftige Quellen meist äußerst schwer systematisch zu erschließen sind, womit der verstärkte Rückgriff der Vortragenden auf Bildquellen, Fallbeispiele oder Anekdoten zu erklären sei.

Die vielseitigen Beiträge und anregenden Diskussionen des Workshops haben verdeutlicht, dass sich der Geschichtswissenschaft ein junges, vielversprechendes Forschungsfeld eröffnet, das neue Zugänge zur Hofgeschichte gewährt. Im Zentrum stand die Frage, ob der mit bestimmten Eigenschaften ausgestattete Körper Chancen des sozialen Aufstiegs im unmittelbaren höfischen Umfeld zu erzeugen vermochte. Obwohl die Nähe zum Fürsten zu Privilegien, der Gewährung eines hohen Amtes oder der Nobilitierung eines subalternen Hofakteurs führen konnte, waren dies Einzelfälle, die kritisch einzuordnen sind. Prosopographisch-vergleichende Studien zu niederrangigen Hofbediensteten bleiben daher weiterhin ein Desiderat, wenn es darum geht, die Möglichkeiten und Grenzen der sozialen Mobilität genauer zu bestimmen. Die Vortragenden loteten zudem die Möglichkeiten eines Anschlusses an die bisherige sozialgeschichtliche Hofforschung aus. Trotz methodischer Hürden und Schwierigkeiten in der Quellenerschließung birgt die Untersuchung aus einer körperhistorischen Perspektive ein beträchtliches Potenzial, um differenziertere Kenntnisse hinsichtlich des frühneuzeitlichen Hofes und seiner Akteur:innen zu erhalten. Insofern setzte die Tagung einen wertvollen Impuls für die künftige Hofforschung.

Konferenzübersicht:

Barbara Stollberg-Rilinger (Berlin): Begrüßung

Nadine Amsler und Nadir Weber (Berlin): Einleitung: Körper und Kontaktchancen am frühneuzeitlichen Hof

I. Dynastische Körper

Elena Taddei (Innsbruck): Dienst am fürstlichen Körper und Leib. Hof- und Leibärzte

Leonhard Horowski (Berlin/ Münster): Der Marschall, die Mätressen und die Minister. Das Haus Richelieu und der Hof, 1661-1822

Nadine Amsler (Berlin): Chancen und Grenzen des (Körper-)Kontakts von Ammen fürstlichen Nachwuchses

II. Zugänge zur Macht

Elisabeth Natour (Regensburg): Vom Ohr des Königs in das Herz der Macht? Musikalische Körper am französischen und englischen Königshof in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts

Pascal Firges (Taipeh/Bielefeld): „[…] je ne veux être que la première sujette de ton royaume.“ Männlichkeitskonstruktion, höfischer Klientelismus und außereheliche Beziehungen in den Memoiren des Marquis de Valfons

Kevin Klein (Frankfurt am Main): Chancen an den Organisationsgrenzen am Beispiel der kaiserlichen Leibgardisten

III. Kuriose Körper

Alexander Bevilacqua (Berlin): Attendants and Allegory. The Black Presence at the Court of Brandenburg-Prussia

Eva Seemann (Zürich): Special Friends: Hofzwerge als (Spiel-)Gefährten und Vertraute

Nadir Weber (Berlin): Kabinettsfalken, Kammerhunde und beißende Affen: Tiere im Zimmer der Macht

Kommentare und Schlussdiskussion

Rudolf Schlögl (Konstanz): Kommentar

Barbara Stollberg-Rilinger (Berlin): Kommentar

Abschlussdiskussion

Anmerkung:
1 Die Fallbeispiele wurden dem folgenden kürzlich erschienenen Tagungsband entnommen: Marina Hilber / Elena Taddei (Hrsg.), In fürstlicher Nähe – Ärzte bei Hof (1450-1800), Innsbruck 2021 (Innsbrucker Historische Studien, Bd. 33).