Reichstag – Reichsstadt – Konfession. Worms 1521

Reichstag – Reichsstadt – Konfession. Worms 1521

Organisatoren
Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte
Ort
digital und hybrid (Worms)
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.06.2021 - 19.06.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Martin Belz, Institut für Mainzer Kirchengeschichte, Bistum Mainz E Mail:

Im Jahr 2021 jährt sich der berühmte Wormser Reichstag zum 500. Mal, auf dem Martin Luther unter Berufung auf sein Gewissen vor Kaiser und Reichsständen den kirchlich geforderten Widerruf seiner Reformschriften verweigerte. Auch das anti-lutherische Wormser Edikt konnte den Siegeszug der Reformation im Reich nicht aufhalten.
Das Jubiläumsjahr nahm die Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte mit zahlreichen Kooperationspartnern Mitte Juni zum Anlass, auf den Reichstag von 1521 und die nachfolgende Ausbildung diverser Konfessionskulturen in Worms zu schauen. Im Zentrum standen zum einen die rechtliche Institution und die zeremonielle Ausgestaltung des Reichstags sowie die Situation der Reichsstadt Worms. Zum anderen wurde das konfessionelle Mit- und Nebeneinander in Worms bis zum „Wormser Memorandum" im Jahr 1971 in den Blick genommen.

Nach der Begrüßung durch Propst Tobias Schäfer (Worms) und dem Grußwort von Oberbürgermeister Adolf Kessel (Worms) führte Claus Arnold (Mainz) kurz in die Tagung ein, die pandemiebedingt in überwiegend digitaler Form stattfand.

Die erste Sektion stand unter dem Titel „Reichstag und Reichsstadt". Den ersten Vortrag hielt Dietmar Heil (Regensburg) über den „Wormser Reichstag von 1521 und die Reichsreform". Heil konstatierte, dass der Wormser Reichstag von 1521 in der Verfassungsfrage schon aufgrund der personellen Kontinuität auf der Seite der Reichsfürsten kaum innovative Ansätze entwickelte. Seine Bedeutung bestand darin, die Reformergebnisse der Maximilianszeit gebündelt und durch die Erneuerung des Reichskammergerichts und des Landfriedens für die Zukunft bewahrt zu haben. Weiterhin ungelöst blieben allerdings die Defizite bei der Exekutionsproblematik. Das wichtigste Ergebnis des Reichstags, eine modifizierte Neuauflage des ersten Reichsregiments von 1500, erwies sich als verfassungspolitischer Irrweg, wie Heil bilanzierte.

Im Anschluss sprach Gerold Bönnen (Worms) über „Reichsstadt und Wormser Rat: Interessen und Spielräume der reichsstädtischen Obrigkeit 1520/21 und danach". Mit dem Anschauungsmaterial reich verzierter Handschriften aus dem Stadtarchiv Worms führte er in die Entwicklung der Privilegien der Nibelungenstadt ein. Dabei erläuterte er auch die Freiheiten der Stadt, die Kaiser Karl V. 1521 bestätigt hatte. Anhand von Inventaren von Klöstern und städtischen Pflegschaften sowie einiger Urkunden zeichnete Bönnen nach, wie sich die Besitzverhältnisse klösterlicher Besitzungen in den 1520er-Jahren von kirchlichen auf weltliche Träger verschoben – auch in diesem Umstand offenbarten sich Konsequenzen des Ereigniskomplexes „Reformation".

In seinem Vortrag „Die Bühne des Reichs. Zeremonialgeschichtliche Perspektiven auf den Wormser Reichstag von 1521" zeigte Matthias Schnettger (Mainz), dass der Wormser Reichstag auch in symbolgeschichtlicher Perspektive einen hohen Stellenwert beanspruchen kann. Als einer der am besten besuchten Reichstage überhaupt bietet er gute Voraussetzungen dafür, die Präsenzkultur nachzuvollziehen, die für die Integration von Kaiser und Reichsständen zu einem Ganzen wesentlich war (B. Stollberg-Rilinger). Die Ordnung des Reichs, die auf der Wormser „Bühne" unter anderem durch Einzüge, Audienzen, Gottesdienste und solenne Reichstagssitzungen dargestellt wurde, war eine ständische, vom Adel dominierte Ordnung. Gestört wurde das Zeremoniell in Worms 1521 noch kaum durch den Glaubenskonflikt, wohl aber durch etliche Rangstreitigkeiten, nicht zuletzt zwischen den Kurfürsten und den Gesandten der auswärtigen Monarchen, wie Schnettger analysierte.

In ihrem Kommentar zum ersten Tag betonte Bettina Braun (Mainz), dass die erste Sektion gezeigt habe, wie ertragreich es sei, den Reichstag von Worms 1521 als solchen zu behandeln, also jenseits der sonst zumeist dominierenden causa Lutheri. Deutlich geworden seien die spezifischen Interessen der ausrichtenden Stadt Worms, die mit dem Reichstag ihre ganz eigene Agenda in der Auseinandersetzung mit dem Bischof um die Unabhängigkeit der Stadt verfolgt habe. Der Blick auf die Verhandlungen zur Reichsreform in Worms 1521 aus der Perspektive der Zeit Maximilians habe zahlreiche Kontinuitäten zutage gefördert, die bei einer Untersuchung nach Regierungszeiten leicht übersehen werden. Die Analyse des Zeremoniells und der Rituale auf dem Reichstag erwies einmal mehr die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes – gerade auch für den Wormser Reichstag 1521, auf dem durch die Anwesenheit des Kaisers und als erster Reichstag nach dessen Wahl und Krönung besonderer Glanz entfaltet wurde.

Einen besonderen Programmpunkt bildete der öffentliche Abendvortrag, der in hybrider Form sowohl in Präsenz im Wormser Dom als auch als digitaler Stream veranstaltet wurde. In seinem Vortrag widmete sich Volker Leppin (Tübingen / Yale) dem Thema „Der Wormser Reichstag 1521, die causa Lutheri und der Anfang vom Ende der Einheit der Kirche". Dabei skizzierte er insbesondere, wie im Konflikt um Luther die inneren Spannungsverhältnisse der spätmittelalterlichen Kirche, Theologie und Mystik aufbrachen und schließlich zur Spaltung führten.

Die zweite Sektion stand unter dem Titel „Reichsstadt und Konfession". Diesen zweiten Tag eröffnete Burkard Keilmann (Worms) mit einem Vortrag zu „Klerus und Rat im Kampf um den Beistand Gottes und der Heiligen". Er legte dar, wie nach dem Auszug des Wormser Säkularklerus 1499 Bürgermeister und Rat der Stadt versuchten, die durch Bann und Interdikt bedrohte städtische Sakralgemeinschaft zu wahren. Wichtige Elemente ihrer Politik waren die möglichst konsequente Aussperrung des Stiftsklerus, die Aufrechterhaltung der Marienverehrung (Liebfrauenkirche), die Translation des Cyriakuskultes von Neuhausen in den Dom, die Sicherung der Sakramentenspendung durch Anstellung eigener Priester und Indienstnahme der Bettelorden sowie die Gründung einer städtischen Lateinschule. Wie Keilmann erläuterte, richteten sich die städtischen Maßnahmen an den Normen spätmittelalterlicher Frömmigkeit aus. Kritik an der Lebensweise des Klerus oder Romkritik sind den Quellen nicht zu entnehmen.

Im Anschluss befasste sich Christoph Nebgen (Saarbrücken) in seinem Vortrag mit den Jesuiten in der Nibelungenstadt. Die jesuitische Präsenz in Worms begann bereits unmittelbar nach der päpstlichen Bestätigung des Ordens im Jahr 1540. In seinem Vortrag stellte Nebgen dar, wie in der überlieferten Korrespondenz von Peter Faber, Petrus Canisius und Friedrich Spee mit der römischen Ordenszentrale frühe und damit grundlegende Erfahrungen mit Reformation und Konfessionalisierung dargestellt und welche Schlüsse ordensintern hieraus gezogen wurden. Langfristige Folgen für die jesuitische Position bezüglich der Reformation und ihrer Protagonisten hatten insbesondere die Wahrnehmungen und Darstellungen von Faber und Canisius während der Wormser Religionsgespräche von 1540/41 und 1557. Wie Nebgen erläuterte, fiel in die Zeit von Friedrich Spees Worms-Aufenthalt 1616–1618 als Lehrer am dortigen Kolleg die Konzeption eines ersten überlieferten poetischen Textes, der bereits die grundlegenden literarischen Besonderheiten Spee’scher Dichtung aufweist.

Carolin Katzer (Kaiserslautern) betrachtete in ihrem Vortrag anhand der reformierten Gemeinde die Frage, wie sich das Zusammenleben der verschiedenen christlichen Konfessionskulturen im 18. Jahrhundert in Worms gestaltete. Gerade die offizielle Aufnahme der Reformierten im Jahr 1699 stellte eine besondere Herausforderung für die Reichsstadt Worms dar. Denn der Minderheitsstatus der Reformierten, der im Vertrag mit dem Rat der Stadt Worms von 1699 festgehalten war, erwies sich während des gesamten 18. Jahrhunderts als höchst problematisch. Dies zeigte sich insbesondere in dem beispielhaft dargestellten Konflikt von 1714 bis 1719, als die Reformierten ihre eigenen Ansprüche als Gemeinde gegenüber dem Magistrat ausweiten wollten. Neben solchen Konflikten waren aber auch, wie der Vortrag zeigte, gemischtkonfessionelle Ehen ein wesentliches Merkmal des konfessionellen Mit-, Neben- und Gegeneinanders. Für die Obrigkeit und Geistlichen, die um klare Abgrenzungen zwischen den Konfessionskulturen bemüht waren, stellten diese Ehen eine Herausforderung dar, weil konfessionsverschiedene Ehen Spielräume zur Ausgestaltung der eigenen Glaubensvorstellungen der Wormser Einwohner boten, wie Katzer darlegte.

Zum Abschluss befasste sich Martin Belz (Mainz) in seinem Vortrag mit dem „Wormser Memorandum" von 1971. Mit diesem Text forderten führende Katholiken aus Anlass des 450. Jubiläums von Luthers Auftreten in Worms von Papst Paul VI. eine Rehabilitierung des Reformators seitens der katholischen Kirche. Wie Belz quellennah darstellte, wurde die Wormser Initiative in der evangelischen Kirche weitgehend positiv aufgenommen. Dagegen stieß sie auf katholischer Seite auf Grund von Luthers antirömischer Einstellung und bleibender theologischer Differenzen zwischen den Konfessionen auf Vorbehalte und Kritik. In seiner Interpretation zeigte Belz, wie sich das Memorandum einerseits in die ökumenischen und laienpartizipatorischen Aufbrüche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) einordnen lässt. Andererseits blieb der Text auf der symbolischen Ebene stehen und klammerte die dogmatischen Streitpunkte aus.

In seinem Schlusskommentar zog Claus Arnold (Mainz) ein Resümee zum zweiten Tag der Tagung. Dabei zeichnete er die Linien nach, die sich von der Reformationszeit bis zur jüngsten Vergangenheit ergaben: Die pastoralen Idealvorstellungen des Wormser Rates um 1500 deckten sich ironischerweise mit denen, die später von den Jesuiten im Zuge der Katholischen Reform in Worms vertreten wurden. Da der Rat trotz der Trikonfessionalität der Stadt im Grundsatz am Ideal eines einheitlichen (lutherischen) corpus christianum festhielt, waren Konflikte unvermeidbar. Arnold betonte, dass in der Gesamtschau auf die Vorträge des zweiten Tages deutlich wurde, wie sehr frühe Erfahrungen mit der jeweils anderen Konfession prägend für die folgenden Jahrzehnte und Jahrhunderte waren. Dies galt nicht nur für die Streitparteien der Lutheraner und Katholiken, sondern auch innerreformatorisch, wie das Beispiel der reformierten Gemeinde in Worms im 18. Jahrhundert von Carolin Katzer deutlich machte. Gerade das Wormser Beispiel zeigt, wie mühsam diese Konflikte bis ins 20. Jahrhundert hinein waren und wie verständlich es darum ist, dass gerade die Katholiken von Worms zu Vorreitern der Ökumene im Bistum Mainz und darüber hinaus wurden.

Von über einhundert angemeldeten Personen hatten sich zu Spitzenzeiten 67 Teilnehmende im digitalen Konferenzraum eingefunden. Diese bereicherten die Vorträge und die beiden Kommentare durch zahlreiche anregende und weiterführende Fragen und Beiträge in den Diskussionsrunden. Sowohl die Organisatoren als auch die Teilnehmenden zogen daher ein äußerst positives Fazit der Tagung. Dabei wurden insbesondere das breite historische Panorama und die innovativen Zugänge der Vorträge aus diversen Wissenschaftsdisziplinen lobend hervorgehoben.
Die Publikation der Vorträge ist für 2022 geplant. Der Abendvortrag von Volker Leppin ist zum Nachhören auf dem Youtube-Kanal des Erbacher Hofs eingestellt: https://youtu.be/pPjBale2IVU

Konferenzübersicht:

Propst Tobias Schäfer (Worms): Begrüßung

Oberbürgermeister Adolf Kessel (Worms): Grußwort

Claus Arnold (Mainz): Einführung

Erste Sektion: Reichstag und Reichsstadt
Moderation: Claus Arnold (Mainz), Martin Belz (Mainz)

Dietmar Heil (Regensburg): Der Wormser Reichstag von 1521 und die Reichsreform

Gerold Bönnen (Worms): Reichsstadt und Wormser Rat: Interessen und Spielräume der reichsstädtischen Obrigkeit 1520/21 und danach

Matthias Schnettger (Mainz): Die Bühne des Reichs. Zeremonialgeschichtliche Perspektiven auf den Wormser Reichstag von 1521

Bettina Braun (Mainz): Kommentar und Abschlussdiskussion

Öffentlicher Abendvortrag
Moderation: Felicitas Janson (Mainz)

Volker Leppin (Tübingen / Yale): Der Wormser Reichstag 1521, die causa Lutheri und der Anfang vom Ende der Einheit der Kirche

Zweite Sektion: Reichsstadt und Konfession
Moderation: Gerold Bönnen (Worms), Matthias Schnettger (Mainz)

Burkard Keilmann (Worms): „Petre, amas me?" – Wer schließt den Wormsern den Himmel auf? Klerus und Rat im Kampf um den Beistand Gottes und der Heiligen

Christoph Nebgen (Saarbrücken): „Gedenke des erlesenen Trostes, den Unser Herr dir in Worms in seinen Gebeten gab …" – Konjunkturen einer wechselvollen Beziehung: Worms und die Gesellschaft Jesu 1540–1773

Carolin Katzer (Kaiserslautern): „Bekehrungssucht und Religions-Haß"? Das mehrkonfessionelle Zusammenleben in Worms im 18. Jahrhundert

Martin Belz (Mainz): „Ut sint unum"? Das „Wormser Memorandum" (1971) und die Ökumene in Worms im 20. Jahrhundert

Claus Arnold (Mainz): Kommentar und Abschlussdiskussion