WuBo HoMiTa: Wuppertaler-Bochumer Hochmittelalter-Tag I

WuBo HoMiTa: Wuppertaler-Bochumer Hochmittelalter-Tag I

Organisatoren
Jochen Johrendt / Jessika Nowak, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Bergische Universität, Wuppertal; Gerhard Lubich / Lisa Klocke, Lehrstuhl für die Geschichte des Früh- und Hochmittelalters und Historische Hilfswissenschaften, Ruhr-Universität, Bochum
Ort
digital (Wuppertal / Bochum)
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.06.2021 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Jan Lemmer, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

„Zukunft der Vergangenheit“ könnte die Tagung mit dem illustren Titel WuBo HoMiTa ebenso überschrieben werden, denn als der Wuppertaler-Bochumer Hochmittelaltertag am 4. Juni 2021 seinen Auftakt erlebte und acht Nachwuchswissenschaftler*innen ihre Dissertations- und Habilitationsprojekte präsentierten, war das Interesse an der Veranstaltung bereits sehr groß. In der breiten Resonanz sah auch JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal) das Potential der Tagung. Er betonte, dass durch die bereits umfänglich geleistete Grundlagenarbeit in der hochmittelalterlichen Geschichte der Umgang mit Quellen nun besonders reflektiert erfolgen könne, was durch den thematischen „Rundumschlag“ und die inhaltliche Spannbreite der Tagungsbeiträge geleistet werde.

Im ersten Referat befasste sich STEPHAN EBERT (Darmstadt) mit der Verflechtung von Natur und Kultur im Frankenreich vom 8. bis zum 10. Jahrhundert. Natur und Kultur seien – in Anlehnung an Niklas Luhmann – eigene, aber miteinander gekoppelte Systeme. So könnten durch ein Bemühen der Kultur- und Naturarchive Wechselwirkungen untersucht werden. Aufbauend auf dieser Annahme entwickelte Ebert ein Modell der „Umweltgeschichte der verarbeitenden Wirklichkeit“. In diesem würden Ereignisse durch „Realitätsexperten“ gedeutet und in Wahrnehmungsmuster überführt, die den gesellschaftlichen (und erinnerungskulturellen) Umgang mit diesen Ereignissen maßgeblich formten. Mithilfe eines die Natur- und Geisteswissenschaften vereinenden Ansatzes kam Ebert zu dem Schluss, dass Naturereignisse allein selten ausschlaggebend für die Ausformung von Hungersnöten oder Todesfällen waren. Diese seien häufig erst durch eine Kombination mit menschengemachten Faktoren (Kriegen, Wirtschaftsweise) eingetreten. Während (und nach) Notsituationen sei durch die „Realitätsexperten“, die Ebert im christlich geschulten Beraterkreis der Eliten sah, ein „Versöhnungsmanagement“ mit der Transzendenz etabliert worden, das besonders in Krisenzeiten an Deutungsmacht gewann und handlungspraktisch perpetuiert wurde.

Die pragmatischen Probleme der Darstellung von Abhängigkeitsverhältnissen sowie der Aufbereitung von Annalenwerken in Editionen zeigte BART VAN HEES (Wuppertal) am Beispiel der Annales Laureshamenses-Mosellani. Da bei diesem Werk kein Urtext, sondern nur verschiedene Vorlagen nachweisbar seien, gestalte sich die Aufbereitung einer Edition besonders schwierig. Zudem seien die Annales Laureshamenses und Annales Mosellani nicht gegenseitige Vorlagen, sondern nur verschiedene Redaktionen eines Werkes. Für eine nutzbringende Darstellung biete sich hier die mehrspaltig synoptische Darstellung der Monumenta Germaniae Historica-Scriptores-Edition an, denkbar wäre auch eine digitale Aufbereitung. Nachweisbar seien durch die Abhandlung der komplizierten Abhängigkeitsverhältnisse besonders die Arbeitsweise und der Umgang der Kopisten und Geschichtsschreiber mit ihren Vorlagen.

TOBIAS P. JANSEN (Bonn) befasste sich mit der These von der Entstehung des „Heliand“ im frühmittelalterlichen Bistum Verden und den Beziehungskonfigurationen zwischen Heimatgeschichte und universitärer Forschung. Dabei seien auf beiden Seiten sowohl Vorteile als auch Nachteile hinsichtlich des gegenseitigen Profitierens voneinander festzustellen: Zwar könne auf Seiten der Heimatgeschichte auf eine große „Manpower“ zurückgegriffen werden, was bei der Bearbeitung von unerschlossenem regionalem Quellenmaterial von Vorteil sei, allerdings müssten auch immer wieder von Heimatforschern vorgebrachte zweifelhafte Thesen und von ihnen verfasste umfangreiche Werke aufwendig gesichtet und beurteilt werden. Der universitär gebundenen Mediävistik wurde hingegen ein Defizit hinsichtlich der Vernetzung mit geschichtlich interessierten Laien attestiert. So resümierte Jansen auch in Bezug auf die Entstehung des „Heliand“ in Verden, dass diese lokal beinahe zum Mythos erhobene Legende aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar sei. Insgesamt betonte er aber das Potential der Vernetzung von Heimatgeschichte und universitärer Forschung im Bereich der Mediävistik.

Verschiedene bestehende Forschungsperspektiven zur Herausbildung des schwäbischen Herzogtums stellte DANIEL SCHUMACHER (Freiburg) dar. Unter der eingängigen, eigenen Formulierung „Anarchie im Südwesten“ thematisierte er zunächst die für das 10. Jahrhundert gängigen Deutungen (Aufbruchs- bzw. Niedergangsphase, Transformation), um schließlich anhand der Konflikte der 910er-Jahre um Konrad I., der Erhebung Erchangers zum Herzog und der Auswirkung auf andere Prätendenten die Dynamik und Wechselwirkung der Ereignisse forschungsgeschichtlich zu diskutieren. Indem er die Eigendynamik der Geschehnisse herausstellte, konnten kontrastierend verfassungsgeschichtliche Modelle der Landesgeschichte und der Reichsgeschichte aufgezeigt werden. Der Referent schloss mit einem Hinweis auf den allgemeinen Konstruktionscharakter von Forschungsinterpretationen, denen auch die Begriffe der von ihm verwendeten alternativen Formulierungen („Anarchie“ und „Südwesten“) unterlägen. Wichtig sei die „Bewusst-Machung“ dieser Paradigmen.

LARS WOLFRAM (Paderborn) behandelte die Selbstdarstellung Venedigs um das Jahr 1000. Aufgrund seiner besonderen politischen, kirchenpolitischen und geographischen Lage habe sich in Venedig zur Behauptung gegen andere Mächte früher als anderswo ein „Wir-Gefühl“ herausgebildet, das an ein bestimmtes Territorium und vor allem an die Institution des Dogen gebunden war. Wolfram benannte fünf Themenbereiche, in denen venezianische Autoren sich mit dem Kontakt zwischen ihrem eigenen Gemeinwesen und seinen Nachbarn beschäftigten: Grenzen, Diplomatie, Krieg, Handel und Religion. Er konnte zeigen, dass Venedig als historischer Raum in den historiographischen Quellen geographisch konstruiert wurde, dass die Dogen als dem Kaiser ebenbürtig inszeniert, die militärische Schlagkraft Venedigs nach außen als „bewaffnete Friedfertigkeit“ dargestellt und im Streit um Bedeutung und Besitz der Kirche Geschichte umgedeutet wurde. Insgesamt betonte Wolfram die Autonomie Venedigs als übergeordnetes Ziel der Selbstdarstellung.

SABRINA BLANK (Aachen) legte die Legitimationsstrategien der Päpste im Schisma von 1130 dar. Die Päpste hätten dafür auf die differenten Mittel der Wahlanzeige und Wahldekret zurückgegriffen. Die Differenzierung sei dabei seit dem 7. Jahrhundert existent, wobei die von Wählern verfassten Dekrete als Legitimationsgrundlage dienten, Anzeigen hingegen nur informierenden Charakter gehabt hätten. Blank zeigte für das Schisma des Jahres 1130, dass beide Kommunikationsarten situativ genutzt worden sind. Innozenz II. jedoch verwandte – im Gegensatz zu Anaklet II. – hauptsächlich Wahlanzeigen. Da in den von ihr untersuchten Beispielen besonders der Wahlakt hervorgehoben worden sei, könne auf die Wahl als wichtigste Legitimationsgrundlage geschlossen werden.

Störwahrnehmung und intellektuelle Bewältigungsversuche in den Schisma-Traktaten des 12. Jahrhunderts präsentierte ANNA ESSER (Aachen). Schismen hätten große Herausforderungen für die Kirche hervorgerufen, da neben administrativen und kirchenrechtlichen Problemen auch Fragen der Heilswerdung in solchen Zeiten ungeklärt gewesen seien. Auf diese Deutungs- und Ordnungsprobleme hätten einige Geistliche in und mit Traktaten reagiert. Die darin enthaltene zeitgenössische Wahrnehmungswelt der Autoren möchte die Referentin in ihrer Dissertation mit einer auf sprachliche Sinnkonstruktionen ausgerichteten Analyse herausarbeiten. Allerdings seien nur wenige solcher Traktate überliefert, was auf ein Nischenphänomen und schwache Rezeption hindeute. Insgesamt böten die Traktate Zugang zur zeitgenössischen Wahrnehmung und Deutung von Schismen, rezipierten Störwirkungen und präsentierten Bewältigungsstrategien. Die Dissertation will die Deutungsmuster krisenübergreifend untersuchen.

Zum Abschluss führte MARIA KAMMERLANDER (Paris) in das Pariser Schulmilieu des 12. Jahrhunderts ein. Aus wissensgeschichtlicher Perspektive ergründet sie in ihrem Dissertationsprojekt den sozialen und kulturellen Raum dieser Schulen. Dabei bot sie pointierte Einblicke in den Wissensdiskurs des universitas-Konzeptes vom 11. bis zum 13. Jahrhundert. Damit deckte sie gleichzeitig die bisweilen wenig beachteten historischen Kontexte auf, innerhalb derer sich vielschichtige Begriffsverständnisse etablierten, die den Wissensraum „Paris“ mit konturierten. Aufgrund jener Entwicklungen differenzierte er sich aus, wurde mit diesem Prozess konsistent und unterlag – so die Hauptthese der Referentin – einer zunehmenden Politisierung, die es nicht zuletzt in ihrem Projekt zu untersuchen gilt. Anhand der Gemeinschaften des Roberts von Thorigny und Wilhelms von Champeaux exemplifizierte die Referentin überzeugend, in welchen politischen Kontexten neue Praktiken der zeitgenössischen Wissensvermittlung und -produktion aufkamen und welche sich letztlich mit der Pariser Universität institutionalisierten. Die Anfänge der Pariser Universität zu ergründen – so schloss Kammerlander – hieße daher auch, einen sich neu formierenden sozialen Raum zu erforschen.

Insgesamt zeigte die Tagung das breite Themenspektrum historischer Nachwuchsforschung sowie das Potential neuer und innovativer Ansätze auf.

Konferenzübersicht:

Jochen Johrendt (Wuppertal) / Gerhard Lubich (Bochum): Begrüßung

Stephan Ebert (Darmstadt): Der Umwelt begegnen. Zur Verflechtung von Natur und Kultur im Frankenreich (8. - 10. Jahrhundert)

Bart van Hees (Wuppertal): Editing annals: The case of the Annales Laureshamenses-Mosellani

Tobias Jansen (Bonn): Zur These der Entstehung des ‚Heliand‘ im frühmittelalterlichen Bistum Verden. Nachlese und Erfahrungsbericht aus dem Spannungsfeld zwischen universitärer Forschung und Heimatgeschichte

Daniel Schumacher (Freiburg): Anarchie im Südwesten – Forschungsperspektiven auf die Herausbildung des schwäbischen Herzogtums im 10. Jahrhundert

Lars Wolfram (Paderborn): Wie erschreibt sich Venedig seinen Platz in der Welt? Autonomie als Ziel der Selbstdarstellung Venedigs um 1000

Sabrina Blank (Aachen): si huiusmodi mendacia ad tam longinquas dirigant nationes... Legitimationsstrategien in den Erhebungsanzeigen und Wahldekreten des Schismas von 1130

Anna Eßer (Aachen): Quod sine Romano pontifice possit homo salvus esse. Störwahrnehmung und intellektuelle Bewältigungsversuche in den Schisma-Traktaten des 12. Jahrhunderts

Maria Kammerlander (Paris): Altes Wissen, neue Wege – Die Pariser Schulen des 12. Jahrhunderts aus wissensgeschichtlicher Perspektive