WuBo HoMiTa: Wuppertaler-Bochumer Hochmittelalter-Tag II

WuBo HoMiTa: Wuppertaler-Bochumer Hochmittelalter-Tag II

Organisatoren
Jochen Johrendt / Jessika Nowak, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Bergische Universität, Wuppertal; Gerhard Lubich / Lisa Klocke, Lehrstuhl für die Geschichte des Früh- und Hochmittelalters und Historische Hilfswissenschaften, Ruhr-Universität, Bochum
Ort
digital (Wuppertal / Bochum)
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.06.2021 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Jan Lemmer, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Mit ebenso starkem Interesse, wie es bereits die vorausgegangene Veranstaltung vom 4.6.2021 gefunden hatte, ging die Tagungsreihe WuBo HoMiTa am 11.6.2021 in die zweite Runde. Wie schon beim ersten Treffen eine Woche zuvor fanden sich wieder acht junge Wissenschaftler*innen ein, um ihre Forschungen zu präsentieren und mit einem großen Kreis per Zoom zu diskutieren.

LISA KLOCKE (Bochum) eröffnete mit einem Beitrag zu Erzbischöfen, Urkunden und Geschichtsschreibung die Tagung. Ihr Fokus galt der Verortung des Mainzer Erzbischofs Aribo in einem metaphorisch verstandenen Netzwerk. Zudem sollte die dynamische Entwicklung dieses Gruppengefüges während des ottonisch-salischen Dynastiewechsels herausgearbeitet werden. Methodisch kombinierte sie die qualitative und quantitative Auswertung von herrscherlichen Urkunden und historiographischen Quellen, um auf die Bedeutung der Person im Netzwerk des Kaisers schließen zu können. Klocke konnte durch differierende Quellenbefunde feststellen, weshalb Netzwerke auf unterschiedlichen Ebenen wie „Amt“ und „Person“ beleuchtet werden könnten. Die Ebenen seien dabei aber immer noch Bestandteil desselben Netzwerkes, aufeinander bezogen und nicht zu trennen. Abschließend stellte sie deshalb die Frage nach der in der Forschung allgemein postulierten Bedeutung von Intervenientennennungen in Urkunden, da diese nun nicht mehr nur auf die Relevanz der Person, sondern auch auf die reine Tragweite des Amtes verweisen könnten, und sprach sich für eine Neubewertung dieses altbekannten Phänomens aus.

JOHANNES LUTHER (Zürich) untersuchte im Anschluss die bischöflichen Gruppenbildungen und Vernetzungen im burgundischen Raum zwischen 1032 und 1156. In diesem vorher nur wenig bearbeiteten Forschungsfeld konnte er besonders drei Entwicklungsphasen von Gruppenbildung und Vernetzung nachweisen: In der ersten Phase (1032-1072) setze sich die bischöfliche Gruppe aus „frühen Kirchenreformern“ zusammen, die sich unter anderem durch eine Tendenz zur freien Bischofswahl und die Bekämpfung simonistischer Praktiken auszeichne. Es habe Kooperationen mit dem römisch-deutschen und dem französischen König sowie dem erstarkenden Papsttum gegeben. In der zweiten Phase (1073-1125) setzte sich die Gruppe immer noch aus Kirchenreformern zusammen, diese seien aber aufgrund des sog. Investiturstreits in zwei Blöcke (Papst und Kaiser) gespalten gewesen. Dennoch habe es noch Verbindungen zwischen den verschiedenen Bischofsgruppen gegeben. In der dritten Phase (1125-1156) stammten zwar alle Prälaten aus monastischen Kontexten, Einigkeit wie unter den ersten Kirchenreformern sei dabei aber nicht mehr feststellbar. Insgesamt wurden die unterschiedlichen Zugriffe von Autoritäten, die Fruchtbarkeit des methodischen Konzepts der Gruppenbildung und die Praktiken des Vermittelns und der Reform als Bindeglied für den burgundischen Raum dargelegt.

Mit den Bischöfen der Reimser Kirchenprovinz im Kontext der Kirchenreform (1050-1150) befasste sich SEBASTIAN GENSICKE (Paris). In der Skizze seiner Dissertation nahm er die Bedeutung der personellen Bindungen Innozenz’ II. nach Frankreich zum Anlass, um nach Bischofsgruppen zu fragen, auf die schon Timothy Reuther und John S. Ott aufmerksam gemacht haben. Zur Charakterisierung der sich mit Fragen der Kirchenreform befassenden Akteure nutzte er den Begriff des Milieus. Um die Handlungsspielräume der Bischöfe sowie ihr Verhältnis zueinander, aber auch zu den anderen, und um die Kirchenprovinz Reims als politische Landschaft prägenden Herrschaftsträgern zu bestimmen, sollen deren Urkunden untersucht werden. Die Identifizierung von Personen und Institutionen soll mittels einer XML-Auszeichnung direkt in den Urkundentexten vorgenommen werden. Diese Form der Datenerhebung ermögliche statistische Auswertungen und Visualisierungen, die dabei helfen sollen, Personenkonstellationen auszumachen.

MATTHIAS WEBER (Bochum) präsentierte den Entwurf seines aktuellen Forschungsprojektes. Anhand des Vergleichs zweier markanter historischer Ereignisse, bei denen ein Großteil der politischen Führungsschicht starb („Römische Katastrophe“ 1167 unter Kaiser Friedrich I. Barbarossa und der Untergang des „White Ship“ 1120 unter dem englischen König Heinrich I.) möchte er die Nachfolgepraktiken in Extremsituationen herausarbeiten. Da die Nachfolge auch in Normalsituationen oftmals uneindeutig war, sollen durch dieses Vorgehen Aussagen über die Erbnachfolge sowie über die Bedeutung verschiedener Faktoren bei der Beseitigung einer Vakanz im Allgemeinen getroffen werden (lehnrechtliche Regelungen, Tausch, Erwerb, Nachbarschaft, Raub, u.a.). Grundlage dafür bildet die mittels einer Datenbank automatisierte Auslese von Regestenwerken, wobei – soweit möglich – weitere Quellen eingeflochten werden. Dazu trete im Anschluss eine qualitative Auswertung der Daten, da quantitativ keine Unterscheidung (z.B. zwischen Anwesenheit oder Abwesenheit) getroffen werden könne.

Die Nachrichtenübertragung und -überlieferung im 13. Jahrhundert schilderte BENJAMIN TORN (Freiburg). Zentral seien dabei vor allem zwei Elemente: zum einen das Zusammenspiel von Anwesenheit und Abwesenheit sowie die Modalitäten des Eintreffens von Nachrichten (beispielsweise mit oder ohne feierlichen Boten). Die Boten versteht Torn als Kommunikationsträger und damit als Bindeglied zwischen Auftraggebern und Adressaten, wobei besonders die jeweilige Bindung an den Auftraggeber, beispielsweise durch Bezeichnungen wie fidelitas und familiaritas, eine Rolle gespielt habe. So wiesen vor allem die Rahmenbedingungen der Nachrichtenübermittlung auf die Bedeutung zwischenmenschlicher Zusammenhänge und explizit auf ein entgegengebrachtes Vertrauen.

CLEMENS REGENBOGEN (Sigmaringen) erläuterte das burgundische Erbe der Staufer zwischen 1180 und 1227. In einem kursorischen Überblick stellte er dar, dass sich Burgund nach und nach vom Reich gelöst habe und die dauerhafte Etablierung eines staufischen Herrschaftsgefüges nicht möglich gewesen sei. Als Schlüsselzeitraum identifizierte er die äußerst konfliktreichen 1190er-Jahre, als es zwischen dem staufischen Erben und anderen, verwandten Prätendenten wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam. Methodisch wurden die Akteure auf ihren Rang, auf die Etablierung von Macht und Herrschaft und die politischen Aushandlungsprozesse zwischen Konflikt und Konsens untersucht. Regenbogen kam zu dem Ergebnis, dass die Pfalzgrafen Otto I. und Otto II. ein „Rangproblem“ innerhalb des politischen Raumes Burgund besessen hätten, nicht zuletzt da auch dessen Adel nicht vollständig hinter ihnen gestanden habe.

Über das Lehnswesen und die Herausforderungen im Umgang mit einem Forschungsparadigma referierte REBEKKA DE VRIES (Freiburg). Die generelle Annahme einer Verbindung von Lehen, Vasallität und Treue müsse hinterfragt werden, denn es gebe neben der Übersetzungsmöglichkeit „Lehen“ auch die Interpretation als „Leihe“. Durch die leihweise Übertragung von Gütern allein könne nicht auf ein hierarchisches Lehnswesen geschlossen werden. Insgesamt könne man unterschiedliche Formen der Leihe identifizieren, die von der reinen Güterübertragung bis zur Etablierung von Abhängigkeitsverhältnissen verschiedene Funktionen erfüllen konnten.

Im letzten Vortrag der Tagung befasste sich TERESA STEFFENINO (Basel) mit Frauenherrschaft und Kinderlosigkeit im Südwesteuropa des 13. Jahrhunderts. Anhand der Gräfin Aurembiaix von Urgell, einer der bekanntesten Frauen der katalanischen Regionalgeschichte, stellte sie im Spannungsfeld von Kinderlosigkeit, Weiblichkeit, Macht und Frauenherrschaft heraus, dass auch kinderlose Frauen Herrschaftsträger sein konnten, und möchte dahingehend in ihrer Dissertation unter anderem die Verbindung von fehlender Mutterschaft und dem Scheitern von Herrschaftsausübung in Frage stellen.

Der momentanen Forschungsausrichtung entsprechend besitzen viele der vorgelegten Ansätze interdisziplinären Charakter und betten sich so in den „ewig fortschreitende(n) Strom der Kultur“ ein, der – wie Otto Oexle einmal schrieb – der Wissenschaft neue Problemstellungen zuführt und zur ewigen Jugendlichkeit der historischen Disziplin beiträgt.1 Es ist damit ein Format, das vor allem aufgrund der Diskussionsmöglichkeiten und des Austausches für die Nachwuchswissenschaftler*innen am 21.01.2022 fortgeführt wird.

Konferenzübersicht:

Jochen Johrendt (Wuppertal) / Gerhard Lubich (Bochum): Begrüßung

Lisa Klocke (Bochum): Von Erzbischöfen, Urkunden und Geschichtsschreibung. Aribo von Mainz im Licht der Quellen

Johannes Luther (Zürich): Reformer und Vermittler. Bischöfliche Gruppenbildungen und Vernetzungen im burgundischen Raum (1032 - 1156)

Sebastian Gensicke (Paris): Die Bischöfe der Reimser Kirchenprovinz im Kontext der Kirchenreform (1050 - 1150)

Matthias Weber (Bochum): Die „Römische Katastrophe“ (1167) und die Folgen. Nachfolgemuster und neue Formen prosopographischer Forschung

Benjamin Torn (Freiburg): Briefe und Boten römisch-deutscher Könige:
Zur Nachrichtenübertragung und -überlieferung des 13. Jahrhunderts

Clemens Regenbogen (Sigmaringen): Das burgundische Erbe der Staufer (1180 - 1227). Untersuchungen zu Rang, Herrschaft und Konfliktführung in einer westlichen Randzone des Reiches

Rebekka de Vries (Freiburg): Das Lehnswesen – Über die Herausforderungen des Umgangs mit Forschungsparadigmen

Teresa Steffenino (Basel): Si ego decesero sine filiis de mio utero procreatis. Frauenherrschaft und Kinderlosigkeit im Südwesteuropa des 13. Jahrhunderts

Anmerkungen:

1 Oexle, Otto Gerhard, Von Fakten und Fiktionen. Zu einigen Grundsatzfragen der historischen Erkenntnis, in: Laudage, Johannes (Hrsg.), Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung (Europäische Geschichtsdarstellungen 1), Köln 2003, S. 1-42, S. 42.