Das postkoloniale Museum

Das postkoloniale Museum

Organisatoren
Museum der Arbeit, Hamburg; Christopher Nixon, Stiftung Historische Museen Hamburg; Claudia Wagner, Museum für Hamburgische Geschichte, Hamburg
Ort
digital (Hamburg)
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.06.2021 - 16.06.2021
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Von
Julian Mühlsteff, Goethe-Universität Frankfurt am Main; Luisa Bauer, Kunstuniversität Linz

Anlass und Rahmen der Tagung war die Ausstellung „Grenzenlos. Kolonialismus, Industrie und Widerstand” (30.09.2020 – 18.07.2021), mit der das Museum der Arbeit in Hamburg einen aktuellen Beitrag zum Umgang der Stadt mit ihrer kolonialen Vergangenheit und postkolonialen Gegenwart leistete. Die Tagung versammelte vielfältige Perspektiven und Beiträge. Sie machte deutlich, dass die Arbeit im Museum, das Sammeln, Kuratieren und Vermitteln, eine politische Praxis ist und als solche begriffen werden muss, wenn ein Nährboden für neue emanzipative und dekoloniale Räume geschaffen werden soll. Für diesen musealen Paradigmenwechsel in der traditionellen Selbstwahrnehmung braucht es mutige Museumsmacher:innen.

Die Tagung ermöglichte einen hochwertigen Einblick in die aktuellen Debatten und Praxen einer postkolonialen Museologie, die das konventionell bürgerliche Museum ständig herausfordert. Sie wurde den vielfältigen und vielstimmigen Stadtgesellschaften und postkolonialen sowie postmigrantischen Realitäten und Gegenwarten gerecht. Auch viele Agent:innen des Programms „360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“ haben an der Tagung mitgewirkt. Es wäre wünschenswert, wenn das Museum der Zukunft einige Impulse umsetzen und dadurch seiner sozialen Verantwortung gerecht werden würde.

Die Aufteilung der Tagung in vier Sektionen und sechs Panels spiegelte die Themenfülle wider, die von glokalgeschichtlichen Ansätzen des Erzählens – also einem neuen Blick auf die Geschichte – über das Sammeln, Kuratieren und kritische Kartografieren reichte. Die Organisator:innen haben Wert darauf gelegt, dass neben den theoretischen Diskursen zahlreiche Praxisbeispiele vorgestellt wurden. Dadurch wurde die Tagung auch zu einem Archiv, das die vergangenen Ausstellungs- und Sammlungsprojekte erstmals zusammenbrachte.

Nach Grußworten von Hans-Jörg Czech und Rita Müller (Hamburg) stellte CHRISTOPHER A. NIXON (Hamburg) drei zentrale Thesen auf, die die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit eines postkolonialen Museums darstellen. Erstens seien Museen weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart neutrale Orte. Er führte aus, dass bürgerliche, szientistische und imperialistische Diskurse des 19. Jahrhunderts die Repräsentationspolitiken prägten und prägen. Zweitens müssten Museen unvernünftig werden, um die in ihnen eingeschriebene koloniale Rationalität herauszufordern. Museen könnten sich als Orte des Ver-Lernens nur dann gegen die epistemologische Gewalt des Eurozentrismus behaupten, wenn sie sich den ökonomischen kulturindustriellen Verwertungslogiken widersetzen und ein Ort der Selbstkritik der öffentlichen Vernunft würden. Zuletzt machte Nixon deutlich, dass Museen marginalisiertes Wissen und Erfahrungen repräsentieren müssen, um Betrachter:innen zu einer ethischen Haltung aufzufordern, die die Empörung über Unrecht in eine solidarische Praxis überführt.

Die Diskutant:innen des Auftaktpodiums erläuterten die Notwendigkeiten institutioneller Entwicklungen, die bisherige Hierarchien und Arbeitsweisen, Haltungen und Ressourcenverteilungen hinterfragen. HENNING MOHR (Bonn) schilderte die Unerlässlichkeit einer Transformation der Kulturpolitik im Sinne einer Verbesserung dauerhafter Förderungen sowie Anstellungen und eines dafür dringend erforderlichen und verbesserten Dialogs zwischen Politik, Verwaltung und Institutionen. MIRIAM SIRÉ CAMARA (Berlin) sprach sich für die Schaffung einer Grundlage für Kunst- und Kulturinstitutionen aus, die diskriminierungskritische, dekoloniale und diversitätsorientierte Arbeit ermöglicht. MAHRET IFEOMA KUPKA (Frankfurt am Main) stellte das Museum an sich als koloniale Institution in Frage. Dekolonisierung könnte bedeuten, das Museum grundsätzlich abzuschaffen. Im Verlauf der Diskussion wurde über radikale Machtkritik, diversitätsorientierte Organisationsentwicklung, neue Netzwerke und Nachwuchsförderungsprogramme in ihren Widersprüchen sowie (Un-)Möglichkeiten gesprochen. Einigkeit bestand vor allem darin, dass Museen ihre Deutungshoheit und ihre normativen Setzungen aufgeben müssten.

Das erste Panel war von Walter Benjamin und seiner These inspiriert, dass die Geschichte stets von Sieger:innen geschrieben wird, weswegen die Perspektiven und Erfahrungen marginalisierter Menschen darin fehlen. Die Impulsvorträge stellten Versuche dar, zu einem machtkritischen Geschichtsbegriff zu kommen und die lokale Verortung der globalen Geschichte durch künstlerische Interventionen neu zu erzählen. FIONA MCGOVERN (Hildesheim) fragte nach der Rolle von Künstler:innen als aktive Teilhaber:innen an den angestrebten Transformationsprozessen der Museen. THORSTEN HEESE (Osnabrück) stellte sein Konzept für stadt- oder regionalgeschichtliche Dauerausstellungen in einer postmigrantischen Gesellschaft exemplarisch und in seinen theoretischen Grundlagen vor. TIM SCHAFFARCZIK (Tübingen) behandelte aus der Museumspraxis heraus entwickelte Ansätze für das postkoloniale Museum. Dabei ging es nicht um das Bereitstellen praktischer Instrumente, vielmehr präsentierte er sein Konzept einer „Dekonstruktive des Kolonialen“ als Gerüst für das postkoloniale Vermitteln am Museum.

Das zweite Panel beschäftigte sich mit der Frage, wie eine Ethik des Archivs aussehen könne. Dabei ging es nicht ausschließlich um Provenienzforschung, sondern auch darum, wie sich die in Objekten eingelassenen Geschichten adäquat erzählen und wie sich hegemoniale Archive durch neue Objekte und intersektionale Perspektiven in partizipativen Verfahren erweitern lassen. ISABEL RAABE (Berlin) und MAHRET IFEOMA KUPKA (Frankfurt am Main) berichteten vom Prozess der Think-Tank- und Ausstellungsreihe „Talking Objects LAB. Decolonizing Knowledge and Memory”, die in den kommenden Jahren in Deutschland, Kenia, Senegal und Nigeria umgesetzt wird. Die enge Zusammenarbeit mit Künstler:innen und Wissenschaftler:innen des afrikanischen Kontinents und der Diaspora sei bei der Beschäftigung mit den kolonialen Vergangenheiten der europäischen Großnationen und ihrem Umgang mit Provenienz, Reparation und Restitution geraubter Kunst essentiell. VANESSA SPANBAUER und SUSANNE WERNSING (Wien) thematisierten die Bedeutung kolonialer Objekte in Natur- und Technikmuseen in Abgrenzung zu ethnologischen Museen im Hinblick auf Produktionstechnik, Wirtschaftsgeschichte, Rohstoffe und Produktwerbung. BERNHARD WÖRRLE (München) sprach über die Handhabung mit technischen Sammlungsbeständen sowie ethnographischen Sammlungen aus den ehemaligen deutschen Kolonien. Diese polyphonen Auseinandersetzungen mit dem Tagungsthema sind wichtig, um die Heterogenität, Komplexität und Prozesshaftigkeit des Umgangs eines postkolonialen Museums mit sich selbst, seinen Inhalten und seinen Vermittlungsmethoden herauszustellen. Scheitern und Neuformieren sind Teil des Prozesses.

Auch das dritte Panel drehte sich um Sammlungs- und Archivpolitiken. NADINE ENGEL (Essen) berichtete über die politischen Verstrickungen der Sammlung „Archäologie, Weltkunst, Kunstgewerbe“ am Museum Folkwang, wodurch nun auch Kunstmuseen in die auf der Tagung geführten Debatten eingeschlossen wurden. Engel positionierte sich vor allem gegen eine positivistische Geschichtsschreibung und plädierte für eine kritische Aufarbeitung der Geschichte im musealen Kontext. Konstitutiv dafür seien die Lücken in der Geschichtsschreibung sowie fehlende bzw. verschwundene Objekte in der Sammlung des Museums. Abschließend wurde die prekäre Lage von Forscher:innen an Museen kritisiert, die eine solche Aufarbeitung massiv erschwere. CHRIS ZISIS (Hamburg) stellte das dokumentarische Werk von Lefteris Xanthopoulos vor und bezog sich auf sein PhD-Projekt, in dem er die visuellen und materiellen Repräsentationen der griechischen Arbeitsmigration der Nachkriegszeit in Deutschland analysiert. Er untersuchte postkoloniale Querverbindungen in Bezug auf innereuropäische Machtverhältnisse des visuellen Feldes.

IMANI TAFARI-AMA (Kingston) stellte sich zunächst als Griot, als Geschichtenerzählerin, vor. Griots sind zuständig für die mündliche Weitergabe von Geschichten an die nächste Generation und verbinden ihre Gemeinschaften mit der Vergangenheit. Die Geschichte, die Tafari Ama in ihrer Keynote erzählte, griff die Entstehung der Ausstellung „Rum, Schweiß und Tränen” des Flensburger Schifffahrtsmuseums auf, die sie 2017 kuratiert hatte. Anhand der Ausstellung erzählte sie die Geschichte der Versklavung Afrikas und verwies auf die koloniale Beziehung zur Stadt Flensburg, die von der Maafa – der Tragödie, die dem Kontinent auferlegt wurde – stark profitierte. Hierbei identifizierte sie die Beziehung der Vergangenheit zur Gegenwart. So betonte sie, dass die heutigen Herausforderungen der ehemals kolonisierten Länder und ihrer Diaspora direkt mit der Tatsache zusammenhängen, dass die systemischen Formen der Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen afrikanischer Herkunft bestehen blieben. Als Griot ist es ihr ein besonderes Anliegen, Geschichten vorzubringen, die zeigen, dass die Schwarze Erfahrung nicht nur eine des Beherrschtwerdens, sondern auch eine des Widerstands sei. Gerade die Geschichten über widerständige Gemeinschaften, Persönlichkeiten und Erzählungen können Wege in Richtung Gerechtigkeit und Heilung aufzeigen. Insofern ist das Geschichtenerzählen ein Akt des Widerstands gegen das europäische Vergessen, Verdrängen sowie Abstreiten kolonialer Vergangenheit und kolonialer Kontinuitäten.

Die dritte Sektion widmete sich den unterschiedlichen Versuchen der musealen Aufbereitung postkolonialer und antirassistischer Geschichte. Dabei rückten im Panel 4 Ausstellungsräume jenseits klassischer Museumsräume in den Blick. JEANNE NZAKIZABANDI (Frankfurt am Main) stellte die Ausstellung „Hingucker. Kolonialismus und Rassismus ausstellen“ der Bildungsstätte Anne Frank vor. Dabei hinterfragte sie Ausstellungspraktiken und -methoden und die ihnen innewohnende kolonialrassistische Logik und zeigte Möglichkeiten der Brechung bzw. Irritation in Bezug auf die Reproduktion kolonialer Gewalt auf. ISMAHAN WAYAH und PUNEH HENNING (Frankfurt am Main) präsentierten ihre Zusammenarbeit mit dem „Stadtlabor“, ein Format, das durch den Einbezug der Stadtbevölkerung Ausstellungen partizipativ konzipiert und gestaltet. Aus dieser intensiven Zusammenarbeit entstand die Ausstellung „Ich sehe was, was du nicht siehst. Rassismus, Widerstand und Empowerment“. Beide Ausstellungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht von und für einen weißen – meist nicht als solchen markierten – Blick entworfen wurden. VERA RYSER (Zürich) präsentierte eine im Theater Basel realisierte Ausstellung, in der koloniale Verflechtungen der Schweiz aufgezeigt wurden. Dabei kamen Theater, Museum und politische Bildung zusammen.

Das fünfte Panel widmete sich mit drei Ausstellungsprojekten an ethnologischen Museen Fragen nach postkolonialem Kuratieren und Vermitteln. JULIA ALBRECHT und STEPHANIE ENDTER (Frankfurt am Main) reflektierten kritisch die Entstehungsgeschichte des Weltkulturenmuseums, die Herkunft der Objekte und Artefakte und deren kolonialen Verstrickungen. Die Ausstellungspraxis war ein Versuch, hegemoniale und koloniale Ordnungssysteme zu hinterfragen, um einen Zugang zu neuen und ungesehenen Narrativen zu schaffen. AURORA RODONÒ (Köln) und ESTHER POPPE (Frankfurt am Main) fragten nach Möglichkeiten, dekoloniales und diversifiziertes Wissen an ethnographischen Museen zu etablieren. Mit ihrer Arbeit an der Ausstellung „RESIST! Die Kunst des Widerstands“ stellten sie sich die Frage, wie man ein Vermittlungsprogramm schaffen kann, das Teil der Ausstellung ist und einen kritischen Zugang für Besucher:innen ermöglicht. MIKE SCHATTSCHNEIDER und ROSALIE MÖLLER (Stuttgart) berichteten aus ihrer Arbeit am „Lindenlab 5”, einem Projekt am Linden-Museum Stuttgart. Dabei gehe es darum, neue Formen musealer Wissensproduktion, -vermittlung und -präsentation experimentell zu erarbeiten. Das Panel zeigte zum einen, dass es noch reichlich dekoloniale Arbeit an ethnologischen Museen braucht, aber dass es zum anderen auch schon vielversprechende Projekte gibt, die kritisch und partizipativ intervenieren, dialogisch aufarbeiten und experimentell ein hegemoniales Wissen hinterfragen und aufbrechen.

Im Format eines Talks sprachen CHRISTOPHER A. NIXON und SUY LAN HOPMANN (Hamburg) über die Ausstellungen „Grenzenlos. Kolonialismus, Industrie und Widerstand“ und „Hey Hamburg, kennst Du Duala Manga Bell” die zeitgleich in verschiedenen Museen in Hamburg stattgefunden hatten und in denen sie jeweils als Kurator:innen tätig gewesen waren. Ziel beider Ausstellungen war es, Kolonialgeschichte anders zu erzählen, das heißt, eine neue Perspektive auf den historisch-kolonialen Diskurs zu werfen. Dabei sollten Brüche in die Kontinuitäten der Geschichte eingeführt werden, um diese zu dekonstruieren und um ungesehene, marginalisierte Geschichten in den Vordergrund zu rücken. So vollzieht sich ein Produktivmachen der Vergangenheit, um Welt umzugestalten. Die Gesprächspartner:innen machten sich für ein diverses Museum stark, für die Repräsentation von marginalisierten Personen im öffentlichen Diskurs und für eine neue Zukunft, die sich auch in musealen Praktiken des Sammelns und Ausstellens widerspiegeln müssten. Ziel sei es, eine pluralistische, multiperspektivische Museumspolitik zu realisieren.

In der vierten Sektion setzten sich CORINNA HUMUZA, KATHARINA SCHMIDT und KATRIN SINGER (Hamburg) mit Themenfeldern der kritischen Kartographie auseinander. Letztere geht davon aus, dass sich hegemoniale Machtverhältnisse in den städtischen Raum und entsprechende Karten einschreiben. Dieser Raum ist durch Ausschlüsse und Spuren der Kolonialgeschichte gekennzeichnet. Die kritische Kartographie biete verschiedene Möglichkeiten, die Erfahrungen von marginalisierten Personen innerhalb der hegemonialen Machtverhältnisse sichtbar zu machen, etwa durch partizipative, kollektive, künstlerische, neue und andere Karten. Ziel sei es, die postkoloniale Gegenwart abzubilden und den Museumsbesucher:innen zugänglich zu machen – eine Methode, die sich im Sinne einer konstituierenden Kritik mit der eigenen Positionalität und den systemischen Machtstrukturen auseinandersetzt, um zu dekonstruieren und die Möglichkeit in das Feld des Tatsächlichen einzuführen.

Das sechste Panel setzte sich aus der Perspektive der kritischen Kartographie mit zwei Projekten auseinander. Die Panelist:innen reflektierten dabei kritisch die Verschränkungen von (post-)kolonialer Geschichte und städtischem Raum. SARAH BERGH (München) und EVA BAHL (Göttingen) stellten das Kollektiv „Decolonize München“ vor und berichteten über mapping.postkolonial.net, ein interaktives Online-Archiv, das die Kolonialgeschichte der Stadt spür- und sichtbar macht. “Decolonize München” ist ein Bündnis verschiedener antirassistischer Gruppen aus München, die die Wanderausstellung „freedom roads!“ zu kolonialen Straßennamen nach München holten. Ergänzend organisierte das Kollektiv künstlerische Positionen, die gezielt koloniale Einschreibungen in den Stadtraum München ausstellten. KAROLINE KAISER und LAURA VÖLZ (Hamburg) vertraten das Projektseminar “Hamburg (post-)kolonial“, das aus der historisch-kulturwissenschaftlichen Werkstatt (HKW) entstand. Die Panelist:innen sind Teil einer selbstorganisierten Gruppe von Studierenden, die kritische Perspektiven auf den Umgang mit Quellen in den Kulturwissenschaften werfen, um eine engagierte Kulturwissenschaft zu entwickeln, die zur Einordnung, Bewertung und Dekonstruktion kolonialer Verhältnisse im Stadtraum beitragen kann.

Neben Vorträgen und Diskussionsformaten zählten digitale Ausstellungsführungen, ein Workshop sowie eine Filmvorführung zum Programm der Tagung.

Zum Abschluss sprach CHRISTOPHER A. NIXON über die Frage nach der Bedeutung von Postkolonialität. Er bezog sich dabei auf Homi K. Bhabha und beschrieb das Postkoloniale als Zusammenspiel aus unterschiedlichen, postmodernen/modernen Therorieentwürfen, die immer schon mit einem widerständigen Moment einhergehen. Das post in „postkolonial“ sei dabei ein zurückgestelltes, verzögertes post, das zwischen dem Kolonialismus und einem zukünftigen Zustand eine utopische Raum-Zeit eröffne. In diesen postkolonialen Zwischenräumen könne man die kolonialen, rassifizierenden, rassistischen Bedeutungen und Bedeutungszuschreibungen kritisch hinterfragen und verwerfen. Die postkolonialen Zwischenräume seien in ihrer Verhältnismäßigkeit, das heißt ihrem relationalen Charakter nach, Möglichkeitsräume, die durch ihre Ambivalenz und Irritationsmomente subversive Orte des Widerstands werden können. Um vielstimmig, partizipativ, divers, transparent zu agieren, müssten Museen die Möglichkeiten jenseits seiner institutionellen Verfasstheit ausloten.

Die Tagung bildete die diversen Diskurse und die heterogenen Perspektiven zum postkolonialen Museum ab. Durch vielstimmige, plurale, wissenschaftliche und künstlerische Positionen und Beiträge, die im Sinne einer einschneidenden Kritik mit den Kontinuitäten hegemonialer Geschichtsschreibung brachen, wirkte die Tagung selbst als Intervention und Irritation für den bestehenden Museumsbetrieb. Ebenso problematisierte CLAUDIA WAGNER (Hamburg) die befristeten Interventionen durch Stellen wie die der 360°-Agent:innen im Prozess der Dekolonisierung; gerade Stellen von Schwarzen Expert:innen und Expert:innen of Color sind befristet. Dies birgt insbesondere die Gefahr der temporären Einverleibung der Kenntnisse entsprechender Museumsmacher:innen und suggeriert einerseits, dass eine befristete Auseinandersetzung mit Jahrhunderten kolonialer Ausbeutung und Konstituierung von (wissenschaftlichen) Rassismen ausreichend sei. Andererseits birgt die temporäre Einbeziehung dieser Expert:innen die Gefahr der Tokenisierung, das heißt, es werden marginalisierte Personen einbezogen und angestellt, nur um zu zeigen, dass die Institution divers sei. Die Tagung hat somit die strukturelle und ökonomische Ebene der Auseinandersetzung ebenso ernst genommen wie die epistemologische und ontologische Dimension der Debatte. Es bleibt ein Prozess ohne Ende, der in Projekten wie diesen immer wieder einen Anfang findet.

Konferenzübersicht:

Eröffnung: Hans-Jörg Czech (Stiftung Historische Museen Hamburg), Rita Müller (Museum der Arbeit)

Christopher A. Nixon (Stiftung Historische Museen Hamburg): Einführung

Podiumsdiskussion: Politik(en) des Museums
Moderation: Aida Ben Achour (DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum)

Miriam Siré Camara (akoma coaching & consulting, Berlin), Hans-Jörg Czech (Stiftung Historische Museen Hamburg), Mahret Ifeoma Kupka (Neue Deutsche Museumsmacher:innen), Henning Mohr (Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V.)

Sektion I: Die Geschichte gegen den Strich bürsten. Glokalgeschichte und vielstimmiges Erzählen

Panel 1
Moderation: Christopher A. Nixon (Stiftung Historische Museen Hamburg)

Fiona McGovern (Universität Hildesheim): Mining the Museum and beyond. Glokalgeschichtliche Narration als künstlerische Praxis

Thorsten Heese (Museumsquartier Osnabrück): Glokalgeschichte als Ausstellungsprinzip

Tim Schaffarczik (Universität Tübingen): Dekonstruktive des Kolonialen: Vorschläge zur Gestaltung postkolonialer Museen

Sektion II: Keine politische Macht ohne Kontrolle des Archivs. Sammeln neu denken

Panel 2
Moderation: Suy Lan Hopmann (Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK), Hamburg)

Isabel Raabe (Berlin) und Mahret Ifeoma Kupka (Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main): Talking Objects LAB. Decolonizing Knowledge and Memory

Vanessa Spanbauer und Susanne Wernsing (Tehnisches Museum Wien): Kautschuk, Kaffee, Kakao: Objekte aus kolonialem Kontext am Technischen Museum Wien

Bernhard Wörrle (Deutsches Museum, München): Wunschobjekte. Altlasten. Konzepte für die Zukunft? – Zum Umgang mit kolonialem Sammlungsgut am Deutschen Museum, München

Panel 3
Moderation: Ismahan Wayah (Historisches Museum Frankfurt am Main)

Nadine Engel (Museum Folkwang, Essen): The Politics of Display – Displaying the Politics. Wie mit der Sammlung „Archäologie, Weltkunst, Kunstgewerbe“ am Museum Folkwang Politik gemacht wurde

Chris Zisis (Universität Hamburg): Visual and Material Representations of Greek Post-war Labour Migration. The Documentary Work of Lefteris Xanthopoulos. Implications for Museum Practice and the „Heter-archive“

Keynote lecture

Imani Tafari-Ama (The University of The West Indies, Kingston, Jamaika): The Political Economy of Perspective

Kuratorenführung für Menschen mit Rassismuserfahrungen
Digitale Führung durch die Sonderausstellung „Grenzenlos. Kolonialismus, Industrie und Widerstand“ des Museums der Arbeit

Sektion III: There Is Always More Than One Way of Looking. Postkoloniales Kuratieren und Vermitteln

Panel 4
Moderation: Sophie Eliot (Stiftung Stadtmuseum Berlin)

Jeanne Nzakizabandi (Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt am Main): Rassismuskritisches Kuratieren – Möglichkeiten und Grenzen

Ismahan Wayah und Puneh Henning (Historisches Museum Frankfurt am Main): Partizipative und diskriminierungssensible Ausstellungsprozesse gestalten

Vera Ryser (Zürich): „Stimmen aus einer archivierten Stille“. Eine Rechercheausstellung zur Baseler Kolonialgeschichte

Panel 5
Moderation: Claudia Wagner (Museum für Hamburgische Geschichte)

Julia Albrecht und Stephanie Endter (Weltkulturenmuseum, Frankfurt am Main): „Hidden in Plain Sight. Vom Unsichtbarmachen und Sichtbarwerden“. Eine Ausstellung kuratiert aus der Perspektive der Bildung und Vermittlung

Aurora Rodonò (Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln) und Esther Poppe (Frankfurt am Main): RESIST! Die Kunst des Widerstands. Oder: How to Start Processes of Decolonizing Ethnographic Museums?

Mike Schattschneider und Rosalie Möller (Linden-Museum Stuttgart): (in) Beziehungen. Kritische Reflexion von Sprache und Bild im Museum

Workshop

Dominik Fasel, Mbingo Itondo, Sandra Karangwa, Selma Lampart und Diana Schuster (Köln): ver | lern | raum. Postkoloniale Ausstellungsrundgänge am Museum Ludwig. Digitale Werkbesprechungen mit anschließender Projektvorstellung und Fragerunde

Filmvorführung

Palimpsest of the Africa Museum. Dokumentarfilm, Belgien 2019, 70 min., Regie: Matthias De Groof

Talk

Christopher A. Nixon (Stiftung Historische Museen Hamburg) und Suy Lan Hopmann (MARKK – Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt, Hamburg) im Gespräch über die Ausstellungen „Grenzenlos. Kolonialismus, Industrie und Widerstand“ und „Hey Hamburg, kennst Du Duala Manga Bell”

Kuratorenführung für Tagungsteilnehmer:innen

Christopher A. Nixon (Stiftung Historische Museen, Hamburg): Digitale Führung durch die Sonderausstellung „Grenzenlos. Kolonialismus, Industrie und Widerstand“ des Museums der Arbeit

Sektion IV: Not an Atlas. Postkoloniales Mapping

Lecture

Corinna Humuza (Hamburg), Katharina Schmidt (Universität Hamburg) und Katrin Singer (Universität Hamburg): Kartographien der Positionalität

Panel 6
Moderation: Tania Mancheno (Universität Hamburg)

Sarah Bergh (München) und Eva Bahl (Universität Göttingen): Spuren – Schichten – Gespenster. Das interaktive Online-Archiv mapping.postkolonial.net und die Ausstellung „Decolonize München“

Karoline Kaiser und Laura Völz (Universität Hamburg): Engagierte Museums- und Stadtraumforschung aus historisch-kulturwissenschaftlichen Perspektiven? Das studentische Projektseminar „Hamburg (post-)kolonial“

Ausklang

Christopher A. Nixon (Stiftung Historische Museen Hamburg) und Claudia Wagner (Museum für Hamburgische Geschichte)