Mit Vergnügen! Höfische Kultur im mitteldeutschen Raum des 18. Jahrhunderts

Mit Vergnügen! Höfische Kultur im mitteldeutschen Raum des 18. Jahrhunderts

Organisatoren
Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde Dresden; Dance & History e. V., Sächsisches Staatsarchivs Chemnitz
Ort
Chemnitz
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.09.2021 - 18.09.2021
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Von
Jörg Zedler, Institut für Geschichte, Universität Regensburg

Die Erleichterung war groß, als nach Monaten rein digitalen Austauschs die Tagung „Mit Vergnügen! Höfische Kultur im mitteldeutschen Raum des 18. Jahrhunderts“ am 17./18. September 2021 in Präsenz abgehalten wurde. Den Ausgangspunkt bildete die Beschäftigung mit einem in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zu datierenden Tanzbüchlein, das sich im Besitz einer der Linien der Grafen von Schönburg befand. Ausgehend von dieser zu edierenden Quelle war die Grundfrage der Tagung, inwiefern Kultur gerade kleiner Residenzen (vorwiegend im mitteldeutschen Raum) als Mittel der Repräsentation und damit der politischen Positionierung diente. Die interdisziplinäre Zusammensetzung der Vortragenden, die allgemeingeschichtliche genauso wie kunst- und musikhistorische Betrachtungen vortrugen, war nur folgerichtig.

Nach einer Einführung von JOACHIM SCHNEIDER (Dresden) zur höfischen Kultur mitteldeutscher Residenzen im 18. Jahrhundert, mit der er den Hof als zentralen Akteur von Macht, Administration und der Aushandlung adliger Stellung verortete und die höfische Repräsentation als Möglichkeit von dessen Legitimierung und Positionierung konturierte, wurden in einem ersten Block entsprechende Konkretisierungen aus kulturhistorischer Perspektive vorgenommen. Den Auftakt machte WINFRIED MÜLLER (Dresden) mit einem Beitrag über den Dresdner Hof zwischen 1697 und 1763, dessen barocke Festkultur er als Teil der Aufstiegs- und Repräsentationsstrategie vorstellte. Die vermeintliche Zäsur nach dem Tod Augusts III. 1763 – die barocke Pracht zuvor, der hausväterlich rechnende Hof im Anschluss – relativierte er freilich mit mehreren Hinweisen, so demjenigen auf ökonomische Überlegungen, die schon vor 1763 vorhanden (wenngleich schlechter erforscht) waren oder auf die auch danach nicht abbrechende Festkultur. Er schloss mit einigen luziden Beobachtungen zu einer schon unter August III. eingeschränkten Repräsentation, die einen Wandel der Repräsentationsstrategie(n) weit näher legen als eine abrupte Ruptur und deren Bewertung die Berücksichtigung geistes- genauso wie wirtschafts- und ereignisgeschichtlicher Entwicklungen unabdingbar macht, statt ausgewählte Aspekte zu verabsolutieren.

Das Diktum Ute Daniels, wonach sich Repräsentation stets an Standesgenossen wende, exemplifizierten im Anschluss FRANK GÖSE (Potsdam) und HENDRIK BÄRNIGHAUSEN (Dresden) an mehreren nordost- und mitteldeutschen reichsunmittelbaren Territorien (Göse) bzw. dem thüringischen Fürstenhof Schwarzburg-Sondershausen (Bärnighausen). Beide unterstrichen, dass auf dem Feld der Repräsentation der Abstand zu großen Höfen geringer ausfiel als auf dem der Machtpolitik. Deutlich wurde indes zugleich, dass dergestalt zwar Ansprüche mit durchaus realpolitischen Implikationen formuliert wurden (etwa, wenn das Haus Schwarzburg-Sondershausen glaubte, Besitzansprüche der Wettiner auf ihr Territorium mit der Darstellung einer besonderen historischen Dignität ihres Geschlechts abwehren zu können), dabei aber eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem zeremoniellen Anspruch und der sich darin artikulierenden Selbstwahrnehmung auf der einen Seite und den tatsächlichen, vor allem ökonomischen Möglichkeiten auf der anderen bestand. Die realen Rückwirkungen begrenzter finanzieller Mittel stellte ALEXANDRA THÜMMLER (Waldenburg) in ihrem Beitrag über die (zahlreichen) Schönburgischen Herrschaften in den Mittelpunkt, indem sie zeigte, dass die notwendige Sparsamkeit erhebliche Personalkürzungen nach sich zog, die zu einer (Über-)Forderung der Dienerschaft und in der Folge zu schwindender Loyalität in der Bevölkerung führten – freilich, ohne dass das landesherrliche Selbstverständnis hierunter gelitten hätte.

Die Fragestellung des ersten Tages nahm PAUL BECKUS (Halle) mit seinem Vortrag über das bau- und kulturpolitische Engagement verschiedener askanischer Linien des 18. Jahrhundert wieder auf. Gerade in der zugleich diachronen wie synchronen Betrachtung (Linien Anhalt-Dessau, Anhalt-Bernburg, Anhalt-Zerbst, Anhalt-Köthen) wurde erkennbar, wie stark Repräsentationsintensität und -strategien variieren konnten und eine Berücksichtigung wirtschafts- und ereignisgeschichtlicher Betrachtungen auch für kulturhistorische Fragestellungen unabdingbar ist. Mit MARTIN KRUMMHOLZ (Olomouc) und GERD-HELGE VOGEL (Berlin) rückte die kunsthistorische Annäherung an die leitende Fragestellung in den Fokus. Während Vogel die Ausgestaltung der Bibliothek des sächsischen Kabinettsministers Detlev Carl Graf von Einsiedeln hinsichtlich ihres Umfangs und der Sammelschwerpunkte erörterte, stellte Krummholz eine Typologie von Schloss- und Palastbauten in den österreichischen Erbländern vor. Deutlich unterstrich er dabei die – in dieser Form für das restliche Reich nicht vorhandene – zentrale Vorbildwirkung des Wiener Hofes und veranschaulichte die Möglichkeiten zur Rekonstruktion von Repräsentationsstrategien über raumhistorische Fragestellungen: von der Größe und Abfolge von Zimmern bis zu deren konkreter Ausrichtung und Lage.

Die letzte Sektion wechselte abermals den Blickwinkel, indem sie sich dem Thema aus musikwissenschaftlicher Perspektive annäherte. Den Auftakt machte ANDREA ZEDLER (Bayreuth) mit ihren Ausführungen zur Mobilität des Bayreuther Bühnenpersonals unter Markgräfin Wilhelmine und ihrem Musikoberdirektor Graf Schönburg. Ausgehend von prosopographischen Untersuchungen konnte sie zeigen, dass der markgräfliche Hof zwar außerstande war, die erste Garde an Sänger:innen dauerhaft an sich zu binden, aber auch (oder sogar gerade) deren Fluktuation zur kulturpolitischen Profilierung nutze, indem Auftritte als „Virtuoso/a di Bayreuth“ an anderen Höfen und in Italien (v.a. in Venedig) das markgräfliche Renommee stärkten oder eine (zeitweise) Rückkehr der Künstler:innen nach Italien weitere Anwerbungen des Hofes erleichterten. CAROLA FINKEL (Frankfurt am Main) öffnete die Perspektive auf die – erst am Anfang stehende – Erforschung des reichhaltigen Materials an Contredansesammlungen des Dresdner Hofes und bereitete mit ihrem Überblick über die 2.838 (!) Tänze den Boden, für die anschließenden Ausführungen von GERRIT BERENIKE HEITER (Wien) zu dem mutmaßlich um 1760 entstandenen Schönburger Tanzbüchlein (ebenfalls eine Sammlung von Contredanses). Ihre Überlegungen zu dessen Entstehung, Verwendung und sozialen Verortung schlossen damit zugleich den Kreis zur Initiative für diese Tagung.

Die Tagung hat ein weiteres Mal gezeigt, dass es ausgesprochen aufschlussreich sein kann, das Erkenntnisinteresse auf Höfe jenseits von Paris und Wien oder auch der kurfürstlichen Residenzen zu richten. Die Strategien der mindermächtigen Höfe, sich auf kulturpolitischem Feld gegenüber den in machtpolitischen Fragen unerreichbaren Standesgenossen zu profilieren, aber auch die Frage, ob, inwiefern und in welcher Form sie Repräsentationsstrategien an die Untertanen richteten, bilden ein ausgesprochen ergiebiges Untersuchungsfeld. Deutlich wurde überdies, dass derart entsprechende Forschungen ein weites Terrain betreten, das klassische wirtschafts-, sozial- oder ereignisgeschichtliche Aspekte genauso beachten muss wie kulturhistorische. Dass dabei ein trans- und interdisziplinärer Zugang neue Perspektiven und Erkenntnisse verspricht, liegt auf der Hand. Allerdings ist, auch das wurde im Verlauf des Symposiums erkennbar, für eine fruchtbare Ergänzung der Disziplinen eine vorherige Abstimmung über das Erkenntnisinteresse unerlässlich. Gelingt dies, wird der Weg, die Fragmentierung von Kultur und Politik zu überwinden, weiter beschritten. Auch für die Erforschung der (Selbst-)Positionierungsstrategie(n) kleiner Residenzen wäre das ausgesprochen zu begrüßen.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Höfische Repräsentation – Mitteldeutsche Beispiele

Winfried Müller (Dresden): Der (be)rechnende Hof: Dresdner Hofkultur zwischen Augusteischer Epoche und Rétablissement

Frank Gose (Potsdam): Varianten höfischer Kultur und ihre Netzwerke in nordost- und mitteldeutschen Reichsterritorien

Hendrik Bärnighausen (Dresden): Schwarzburg-Sondershausen – zum Profil eines Fürstenhofes in Thüringen

Alexandra Thümmler (Waldenburg): „Eine komische Gattung Leute“ – Höfe und Untertanen in den Schönburgischen Herrschaften des 18. Jahrhunderts

Podiumsdiskussion zum Thema: Schlösser und Burgen für die Öffentlichkeit. Strategien der historischen Vermittlung zwischen Bildungsanspruch und Edutainment
Moderation: Andreas Rutz (Professur für Sächsische Landesgeschichte, TU Dresden und Direktor des ISGV Dresden)

Diskutant:innen: Tobias Pfeifer-Helke (Stiftungsdirektor, Stiftung Schloss Friedenstein, Gotha) / Andrea Thieme (Bereichsleiter Museen, Stiftung Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen, Dresden) / Dieter Herz (Referatsleiter i.R., Sächsisches Staatsministerium für Kultus) / Mareike Greb (Lehrbeauftragte Tanz, Hochschule für Musik und Tanz Leipzig und freischaffende Künstlerin). Musikalische Zwischenspiele: Kammermusikensemble für historische Musik „Les Matelots“

Sektion II: Mittel der höfischen Repräsentation im 18. Jahrhundert

Paul Beckus (Halle): Alte Fürsten und kleine Höfe? Die höfische Repräsentation der Fürsten von Anhalt im Verhältnis zur mitteldeutschen Hoflandschaft des 18. Jahrhunderts

Martin Krummholz (Olomouc): Modisch und standesgemäß: Zur Typologie der Schlösser und Paläste der Aristokratie in Böhmen und Mähren und in Wien

Gerd-Helge Vogel (Berlin): Detlev Carl Graf von Einsiedel (1737–1810) - ein Vertreter des aufgeklärten sächsischen Adels im Spiegel seiner Bücher- und Kunstsammlung

Sektion III: Musik und Tanz als Mittel der Repräsentation und Festkultur im 18. Jahrhundert

Andrea Zedler (Bayreuth): „Dem Sänger Steffanino Reisegeld von Bayreuth bis Potsdam“. Zur Mobilität des Bayreuther Bühnenpersonals unter Markgräfin Wilhelmine

Carola Finkel (Frankfurt am Main): Der Kurfürst tanzt – Die Contredansesammlungen für den Dresdner Hof

Gerrit Berenike Heiter (Wien): Das Schönburger Tanzbüchlein - Einsichten in eine regionale Tanzpraxis


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