The Kyiv Church Metropolia searching for its identity in the 16th – 18th centuries

The Kyiv Church Metropolia searching for its identity in the 16th – 18th centuries

Organisatoren
Julia Herzberg / Nataliia Sinkevych, Geschichte Ostmitteleuropas und Russlands in der Vormoderne, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Ort
digital (München)
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.11.2021 - 06.11.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
David Khunchukashvili, Historische Fakultät, Ludwig-Maximilians-Universität München

In der heutigen Forschung wird der Frage nach der Entstehung verschiedener Identitätsentwürfe im frühneuzeitlichen Osteuropa aktiv nachgegangen. Man denke beispielsweise an zahlreiche Konferenzen, die das Deutsche Historische Institut Moskau in den letzten Jahren zu diesem Thema veranstaltet hat. Auch der zu besprechende Workshop entwickelte dieses Thema weiter.

Schon der Titel verrät die Verbindung zum inzwischen ausgiebig erprobten Konzept der „erfundenen Tradition“ von Eric Hobsbawm. Die Gastgeberinnen, Julia Herzberg und Nataliia Sinkevych, bezogen sich zudem auf das Konzept der polyzentrischen Christentümer, das von Klaus Koschorke und der Kollegforschungsgruppe „Polyzentrik und Pluralität vormoderner Christentümer“ an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main entwickelt wird. Kiev sei den Organisatorinnen zufolge ein solches Zentrum gewesen, dessen identitätsstiftende Wirkung transfer- und verflechtungsgeschichtlich untersucht werden solle. Diese methodische Perspektive wurde zudem vom Konzept des Kiewer Christentums ergänzt, das der vor kurzem verstorbene ukrainische Historiker Ihor Skochylas entwickelt hat. Dieses Konzept beschäftigt sich mit der Suche nach den altrussischen Wurzeln der eigenen Tradition durch die orthodoxen sowie unierten Kleriker im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts. Ein solcher multiperspektivischer Blick auf die frühneuzeitliche Geschichte der Kiewer Metropolie durchdrang alle Vorträge, die in zwei Tagen innerhalb von fünf Panels vorgestellt und diskutiert wurden.

Im Rahmen des ersten Panels wurden visuelle und narrative Quellen besprochen, die eine zentrale Rolle in der Etablierung und Machteingrenzung der Kiewer Metropolie spielten. OLENKA PEVNY (Cambridge) untersuchte visuelle Motive wie Malerei in der Kirche Spas am Berestowo, die der Metropolit Petro Mohyla zur Darstellung des Kiewer Patriarchats heranzog.

Dem politisch-ikonographischen Ansatz von Pevny stand der textologische Zugang von VERA TCHENTSOVA (Bucharest) gegenüber. Sie fokussierte sich auf den vom Patriarchen von Konstantinopel Parthenius IV. unterzeichneten Synodalakt, dem zufolge der Metropolit von Kiew, Innocent Gizel, in Moskau geweiht werden durfte. Entgegen einigen Forschungen plädiert Tchentsova für die Authentizität dieses Dokuments und datiert es auf den Sommer 1676.

Der Beitrag von Tchentsova schlug eine methodische Brücke zum zweiten Panel, das sich ebenso auf die narrativen Quellen konzentrierte. LARYSA DOVGA (Kiew) thematisierte die in der bisherigen Forschung wenig untersuchte Übersetzungsliteratur, die durch die Kiewer Metropolie am Ende des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts herausgegeben wurde. Dovga zeigte, dass bereits die Wahl der Literatur, die in Kiew übersetzt und ediert wurde, identitätsstiftenden Zwecken diente und somit zur Herausbildung einer Kiewer Tradition beitrug.

STEPAN BLINDER (Cambridge) folgte der amerikanischen Sozialtheorie, die den kulturellen Transfer als einen sozialen und kommunikativen Prozess definiert. Aus diesem Blickwinkel analysierte er den Besuch des päpstlichen Nuntius Francesco Martelli von Zamość im Jahr 1678 und zeigte, dass die narrative Schilderung dieses Besuchs nicht als detailtreue Beschreibung, sondern vielmehr als identitätsstiftende Darstellung der eigenen kulturellen Vorzüge gelesen werden sollte.

Im Mittelpunkt des Beitrags von ALICJA NOWAK (Krakau) stand die Figur von Leon Kishka, des unierten Hierarchen. Sie analysierte zwei seiner kasuistischen Texte – „Now roźnych przypadków z pełni doktorow theologii Moralney zjawiony, to jest kazusy ruskiemu“ (1693) und „Sobranije pripadkov“ (1722). Beiden Texten sei in der bisherigen Forschung unzureichend Aufmerksamkeit geschenkt worden.

Der Fokus von IVAN ALMES (Lwiw) lag auf der Kulturgeschichte der basilianischen Bibliotheken der Eparchie von Lwiw in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Almes zeigte, dass der Klerus in dieser Zeit die Lesepraktiken und den Buchgebrauch nach dem katholischen Muster stärker regulierte und dass dieser Prozess dem Zweck der schrittweisen Unifikation innerhalb der unierten Kirche diente.

Das folgende Panel beschäftigte sich mit sozialen und theologischen Dimensionen der Glaubenspraktiken. KYRILL KOBSAR (Kiel) thematisierte soteriologische Aspekte der Kommemorationspraktiken im 16. Jahrhundert. Im Mittelpunkt stand dabei die 1517 erfolgte und in ihrer Art einzigartige Vereinbarung zwischen dem Kiewer Nikolaus-Kloster und dem Slutsker Dreifaltigkeitskloster, die das gegenseitige Gedenken an die verstorbenen Mönche regelte.

Die identitätsstiftende Wirkung der Schenkungspraktiken der Kiewer klerikalen Elite in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts untersuchte OKSANA PROKOPYUK (Kiew) und schilderte sie am Beispiel der Schenkungen des Petschersker Archimandriten Zosima Valkewytsch.

ALINA KONDRATIUK (Kiew) analysierte theologische Diskussionen zwischen den Kiewer und Moskauer Kleriker über die Transsubstantiationslehre in den visuellen Quellen des 18. Jahrhunderts.

Im Mittelpunkt des nächsten Panels stand die traditionsbildende Wirkung der Heiligenkulte. NAZAR KOZAK (Kiew) beschäftigte sich am Beispiel der Akathistos-Zyklen mit den bemerkenswerten Veränderungen in der visuellen Kultur, die in der Kiewer Metropolie am Anfang des 17. Jahrhunderts zu beobachten waren. Er zeigte, wie diese Zyklen einerseits ihren byzantinischen Wurzeln treu zu bleiben versuchten und sich andererseits für die „modernen“ visuellen Mitteln öffneten.

PATRYK MICHAŁ RYCZKOWSKI (Innsbruck) thematisierte das 1628 in Wilna publizierte Poem „Josaphatis“ des basilianischen Mönchs Jozafat Isakowicz, das das Martyrium von Jozafat Kuncewicz, des unierten Polocker Bischofs, zum Thema hatte. Er zeigte, wie die Gestalt von Kuncewicz als eifriger Verfechter der Union im Poem mit Hilfe von literarischen Stilmitteln moderater gemacht wurde, um seine Kanonisation zu erleichtern.

MAKSYM IAREMENKO (Kiew) stellte die Frage nach der Logik der Zusammensetzung des Kiewer Kirchenkalenders und was sie über das Selbstbild der Kiewer Metropolie aussagt. Vor allem die Differenzierung zwischen den „örtlichen“ und den „russischen“ Heiligen rief eine lebendige Polemik hervor.

Das letzte Panel des Workshops schilderte die Erfindung einer Kiewer Tradition in den historischen Narrativen. OLEKSII RUDENKO (Budapest) untersuchte die Art und Weise, wie der flexible und daher sehr anpassungsfähige Roxolanen-Mythos im 17. Jahrhundert von den Kiewer Klerikern aufgegriffen wurde, um eine in die tiefe Vergangenheit reichende Abstammungsgenealogie zu konstruieren. Um die Besonderheiten dieser Aktualisierung noch deutlicher herauszuarbeiten, zog Rudenko die vergleichende Perspektive heran.

YAROSLAV ZATYLIUK (Kiew) thematisierte die Rezeption eines weiteren, dieses Mal zentralen Bausteins der sich entwickelnden Kiewer Tradition – die Kiewer Rus’ und allen voran ihre Bedeutung als Zentrum der Orthodoxie. Zatyliuk verglich unterschiedliche Akzentsetzungen im intellektuellen Diskurs der Kiewer Kleriker in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.

NATALIIA SINKEVYCH (München) beschäftigte sich mit der Rolle, die das orthodoxe Erbe der Kiewer Rus’ in der Erfindung der Kiewer Tradition im 17. Jahrhundert spielte. Im Fokus ihres Beitrags standen die Konstruktionen der Narrative über die Taufe der Rus’ sowie das „Große Schisma“, das das westliche und östliche Christentum spaltete. Sinkevych zeigte den polemischen Charakter solcher narrativen Aktualisierungen.

In der Abschlussdiskussion wurde die Frage nach der Existenz einer Kiewer Tradition sowie ihren Alleinstellungsmerkmalen erörtert. Von hoher Relevanz war auch die von Julia Herzberg gestellte Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Forschungsobjekt der Beiträge und seiner Politisierung in den heutigen Diskursen, die aufgrund der angespannten politischen Lage zwischen Russland und der Ukraine eine besondere Brisanz erlangt. Die Konferenz hat somit nicht nur einen Einblick in die Geschichte der Kiewer Metropolie gegeben, sondern auch ein erfolgreiches Beispiel dafür geboten, dass quellenkritische Forschung der anachronistischen Politisierung entgegenwirken und Dialog ermöglichen kann.

Konferenzübersicht:

Julia Herzberg / Nataliia Sinkevych (Ludwig Maximilians University, Munich): Welcome

Panel 1: Kyiv church Metropolia in between of ecclesiastical and political centres
Chair: Olga Trufanova

Olenka Pevny (Cambridge Ukrainian Studies, University of Cambridge): ”To have at home, what you seek elsewhere”: visualising universal union and a patriarchate in 1640’s Kyiv

Vera Tchentsova (Institute for South-East European Studies, Romanian Academy, Bucharest): Parthenios IV’s concession of the Kyivan metropolitan’s ordination: the date of the Act Plus Some of the Hetman’s Secrets

Panel 2: Books and reading practices in Kyiv Church Metropolia
Chair: David Khunchukashvili

Larysa Dovga (Kyiv Mohyla Academy): Random choice vs. search for roots: a repertoire of translations published in the printing houses of the Kyiv Orthodox Metropolia at the end of the 16th and first half of the 17th centuries

Stepan Blinder (University of Cambridge): “Bibliothecam lustrauit”: why apostolic nuncio Francesco Martelli (1633-1717) visited the Zamojski Academy Library in 1678?

Alicja Nowak (Jagellonian University, Krakow): Leon Kishka’s preliminary matters in religious books and the tradition of printed paratexts in Kyiv Metropolitanate

Ivan Almes (Ukrainian Catholic University, Lviv), “Basilian unification”: liturgical books and reading practices of the Eastern-Catholic monks in the Lviv eparchy (second half of the 18th century)

Panel 3: Religious practices and theological views as markers of identity
Chair: Kilian Harrer

Kyrill Kobsar (Christian-Albrecht University, Kiel): A monastic confraternity of prayer in the Orthodox Metropolia of Kyiv? On the Commemoration Treaty between the St. Nicholas monastery in Kyiv and the St. Trinity monastery in Slutsk of the year 1517

Oksana Prokopiuk (Kyiv Pechersk National Museum): Identity of the Kyiv spiritual elite of the second half of the 18th century in the light of the donations of Archimandrite of the Kyiv-Pechersk Lavra Zosima (Valkevych)

Alina Kondratiuk (Kyiv Pechersk National Museum): Reflection of the topical theological problems in the murals of the Lavra school of the first half of the 18th century

Panel 4: The cult of saints in Kyiv Church tradition
Chair: Liliya Berezhnaya

Nazar Kozak (National Academy of Science of Ukraine, Kiew): The Akathistos cycles and identity (re-)formation in the Kyiv Church Metropolia around 1600 CE

Patryk Michał Ryczkowski (Leopold-Franzens-Universität Innsbruck): Before the Metropolia: the epic narrative of Jozafat Kuncewicz and the transition to the Uniate Church in Poland-Lithuania

Maksym Iaremenko (Kyiv Mohyla Academy): Kyivan Menologion on the eve of Sophia Metropolitan See’s aubordination to Moscow patriarch

Panel 5: Historical narratives in the process of the formation of Kyiv ecclesiastical identity
Chair: Andrei Vinogradov

Oleksii Rudenko (Central European University, Budapest): The Roxolanian tradition and its transfer in the Early Modern Era

Yaroslav Zatyliuk (National Academy of Science of Ukraine, Kiew): Historical narratives after the two “revivals” of the Kyivan Metropolitanate: from Iov Borec’ky to Peter Mohyla

Nataliia Sinkevych (Ludwig Maximilians University, Munich): Kyiv ecclesiastical narrative: main caesares and protagonists

Final discussion
Chair: Julia Herzberg


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