Ars Vendendi. Rhetorik und Praktiken des Verkaufens im Mittelalter Frühjahrstagung des Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte e. V.

Ars Vendendi. Rhetorik und Praktiken des Verkaufens im Mittelalter Frühjahrstagung des Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte e. V.

Organisatoren
Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte e.V.
Ort
Reichenau
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.03.2022 - 18.03.2022
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Von
Julia Bruch, Historisches Institut, Universität zu Köln

Die diesjährige Frühjahrstagung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte beschäftigte sich mit Rhetorik und Praktiken des Verkaufens, die THOMAS ERTL unter dem eigens erfundenen Begriff ars vendendi (‚Kunst des Verkaufens‘) zusammenschloss. Der Fokus der Tagung lag damit nicht auf den bereits gut erforschten rechtlichen, sozioökonomischen und finanziellen Gesichtspunkten des Handels und der mittelalterlichen Märkte. Ziel war es stattdessen, die reichlich vorhandenen Quellenbestände zu Kaufleuten auf soziale und kulturelle Praktiken des Kaufens und Verkaufens, sowie auf die Wechselwirkung zwischen Praktiken und in Verbindung stehenden Diskursen hin zu durchsuchen. Damit erreichte Ertl auf der Tagung eine Schwerpunktverschiebung: weg vom Fernhandel, von Warenströmen und Handelswegen hin zum Konsumhandel und zu konkreten Handlungsorten der Akteure und Akteurinnen.

Den Eröffnungsvortrag hielt CHRISTINA BRAUNER (Tübingen), die Werbung als ‚Praxis des Vermarktens‘ in den Blick nahm, um damit das Verhältnis von Verkäufern/ Verkäuferinnen und Käufern/ Käuferinnen zu untersuchen. Diese Beziehungen waren wiederholt von Konkurrenzen und Konflikten begleitet. Brauner begann damit, die von Werner Sombart verbreitete ‚Illusion‘ einer werbefreien Vergangenheit als Kritik am Kapitalismus zu identifizieren und erklärte sie somit für ahistorisch. Allerdings genüge eine simple Ausweitung der Geschichte der Werbung ins Mittelalter ebenfalls nicht. So zeigte sie anhand von Fallbeispielen aus der Frühen Neuzeit Möglichkeiten auf, die Geschichte des Vermarktens in drei sich überlappenden Analysefeldern zu untersuchen: Akteure/Akteurinnen, Praktiken und Materialität. Damit kann erforscht werden, was Zeitgenossen/Zeitgenossinnen unter (legitimer) Werbung verstanden, wer, wo und in welcher Weise Produkte anpreisen durfte und nicht zuletzt welche Produkte von wem und in welcher Qualität vermarktet werden konnten.

In seinem Vortrag behandelte der Archäologe ULRICH MÜLLER (Kiel) konkrete Orte des Verkaufens und beleuchtete so die materiellen Praktiken einer ars vendendi. Der Fokus liegt auf den mittelalterlichen Städten, wobei dort eine hohe Varianz bei der Ausgestaltung der Orte des Verkaufens festgestellt werden kann. Archäologische Funde und Befunde wurden von Müller kritisch auf ihre Aussagekraft hinterfragt und für historische Forschung anschlussfähig gemacht. Er zeigte, dass insbesondere die städtischen Marktplätze, aber auch die Kaufhäuser und sonstigen Orte des Verkaufens einem zeitlichen Wandel unterlagen, sowie dass eine zweckmäßige Ausgestaltung (Pflasterung des Platzes, Einrichtung von befestigten Wegen, feste und mobile Kaufstände) sowohl im Interesse der Städte als auch der Kaufleute lag und dass die materielle Ausgestaltung Einfluss auf die Praktiken des Verkaufens in der jeweiligen Umgebung hatte.

In seinem reichlich mit Beispielen gespickten Beitrag untersuchte CHRISTIAN JASER (Klagenfurt) den Florentiner Mercato Vecchio als Gravitationszentrum von kommerziellen Aushandlungen. War der Mercato Novo auf Fern- und Geldhandel spezialisiert, so war der Mercato Vecchio ein Ort, an dem Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs sowie Luxuswaren gehandelt wurden. Er war aber nicht nur ein Ort des Verkaufens, sondern ein Ort der Alltagskommunikation, des sozialen Austauschs und eine Informationsbörse; zudem war er Zentrum des Glücksspiels und der Prostitution. Das Marktgeschehen wurde als Face-to-Face-Kommunikation unter Anwesenden untersucht, mit dem Fokus auf der Performanz des Verkaufens, dabei spielen die Praktiken des Anpreisens, der visuellen und auditiven Präsentation eine entscheidende Rolle.

Die Kommunikationsstrategien mittelalterlicher Händler und Händlerinnen beschäftigten TANJA SKAMBRAKS (Mannheim) in ihrem Vortrag. Sie näherte sich diesen Strategien der Kommunikation auf zwei unterschiedlichen Ebenen und mit der Hilfe verschiedener Quellengattungen. Der Traktat de contractibus des Petrus Johannis Olivi (gest. 1296/98) und eine Predigt des Bernardino da Siena (gest. 1444) nutzte Skambraks, um den wirtschaftsethischen Diskurs aufzuzeigen, der von (franziskanischen) Theologen ausgehandelt wurde, die in einem engen Kontakt zu Kaufleuten standen. Die Kommunikation von moralisch legitimen Praktiken des Verkaufens wurden so herausgearbeitet. Daneben analysierte sie Sprachlehrbücher, in denen ideale Verhandlungssituationen simuliert und sprachliche Kompetenzen vermittelt wurden. Deutlich machen konnte Skambraks, dass sich wirtschaftsethische Vorstellungen etwa in Bezug auf Preisbildung in den konkreten, über die Lehrbücher überlieferten Verkaufssituationen zeigten, die wiederum auf Ehre und Vertrauen, aber auch auf Gewinn ausgerichtet waren.

ANGELA HUANG (Lübeck) nahm Produktdifferenzierung und Qualitätsstandards am Beispiel des Textilgewerbes in den Blick. Textilien waren im Mittelalter zentrale Handelsprodukte, die in Qualität und Güte stark ausdifferenziert waren. In ihrem Vortrag untersuchte Huang Textilien als Markenware und die Faktoren, die sie dazu machten, wurden herausgearbeitet. Sie zeigt, dass Toponyme nicht nur dazu da waren, die Herkunft der Produkte zu beschreiben, sondern für eine Qualität standen, die im Produktionsort jeweils durch unterschiedliche Maßnahmen garantiert werden sollten. Detaillierte Regelungen zu Rohstoffen und Produktionsprozessen wurden dafür ebenso eingesetzt wie Kontrollmechanismen und Beschauzeichen. Am Umgang mit Imitaten und Betrug veranschaulichte Huang wiederum die unternommenen Bemühungen, das Versprechen der Qualität einzuhalten.

In seinem Vortrag beschäftigte sich THOMAS FRANK (Pavia) mit medienübergreifender Werbung für Pilgerziele. Er arbeitete mündliche, schriftliche und performative Werbestrategien heraus, die für Wallfahrtsorte genutzt wurden, wo Pilger und Pilgerinnen Seelenheil erlangen und vom unendlichen Gnadenschatz der Kirche profitieren konnten. Mündliche Berichte von Wundern, die sich an den Orten ereigneten, konnten für weitere Besucher und Besucherinnen sorgen. Außerdem wurden nach Frank schriftliche Berichte (Mirakel- oder Pilgerberichte) und Pilgerführer, die sich besonders für die Wallfahrt nach Rom erhalten haben, als Werbemaßnahmen eingesetzt. Frank bezog weitere Medien in seine Überlegungen mit ein, darunter besonders hervorzuheben sind die in unüberschaubarer Zahl verbreiteten Heiltumsdrucke (etwa aus Trier) oder Pilgerzeichen (bspw. aus Aachen). Beide stehen für die materielle Vielfalt der Werbeträger für Wallfahrtsorte.

Den Alltag im Kaufhaus untersuchte NINA GALLION (Mainz), die sich Verkaufspraktiken mittels der Analyse mittelalterlicher Kaufhausordnungen näherte. Sie konnte zeigen, dass Kaufhäuser multifunktionale Einrichtungen in den Städten des Mittelalters waren. Hier wurde der Großhandel gebündelt und beaufsichtigt, Waren wurden dort gelagert und mussten zugleich dort gehandelt werden (‚Kaufhauszwang‘). Die Kaufhausordnungen versammelten einzelne Rechtsnormen, standen für eine Konsolidierung der Verwaltung und regelten die Kompetenzbereiche und Aufgabenfelder der im Kaufhaus tätigen Akteuren und Akteurinnen. Außerdem legten sie den Grundstein für den Einsatz von Schriftlichkeit im Prozess des Verkaufens, indem bisweilen das Führen von Kaufhausbüchern vorgeschrieben wurde. Dort wurden Transaktionen und anfallende Beträge notiert. Das Kaufhaus als Ort des reglementierten Verkaufens ist ausdrücklich für die Erforschung von Großhandel interessant.

Mit der Vermittlung von Arbeitskraft beschäftigte sich der Vortrag von JULIA EXARCHOS (Aachen). Der Arbeitsmarkt in den spätmittelalterlichen Städten war von Angebot und Nachfrage bestimmt, so konnte Überangebot und Mangel Konkurrenzen schaffen. Hier setzte Exarchos an und zeigte, dass die Städte großes Interesse daran hatten, Arbeitskräfte an Arbeitgeber und -geberinnen zu vermitteln und diese Vermittlung zu reglementieren. In den Quellen treten professionelle Arbeitsvermittler und -vermittlerinnen hervor, die Arbeitskräfte insbesondere Gesinde und Dienstboten bzw. -botinnen vermittelten und dafür Gebühren erhoben, wohingegen die Verteilung von Gesellen an das Handwerk oft durch die Zünfte organisiert und geregelt wurde. Für Tagelöhner und -löhnerinnen und Saisonarbeiter und -arbeiterinnen gab es in der Regel Mietstätten als feste Orte der Vermittlung. Insgesamt legte Exarchos die unterschiedlichen Methoden der Vermittlung für verschiedene Arten von Arbeitskräften dar und fand so Zugang zu wenig erforschten sozialen Gruppen.

PAUL SCHWEITZER-MARTIN (München) richtete sein Interesse auf die Vertriebs- und Werbestrategien, die beim Verkauf von Inkunabeln angewandt wurden. Der Buchdruck ermöglichte, eine Vielzahl von Kopien eines Buchs herzustellen, die verkauft werden mussten. In seine Überlegungen zog Schweitzer-Martin neben den gehandelten Waren (Inkunabeln), Buchhändleranzeigen und weitere Quellen wie etwa das Rechnungsbuch des Speyrer Druckers Peter Drach (gest. 1504) mit ein. Schweitzer-Martin zeigte, dass Inkunabeln auf unterschiedlichen Wegen (überregional) gehandelt und dass Druckerzeugnisse mithilfe von Einblattdrucken direkt beworben wurden. Indirekte Werbung lässt sich darüber hinaus in den Prologen der einzelnen Drucke erkennen. Neben den Druckern und Verlegern traten weitere mobile Akteure auf, die sich zum Teil auf den Handel mit Inkunabeln spezialisiert hatten (Buchführer). Durch die Untersuchung des Buchhandels konnte Schweitzer-Martin unterschiedliche Verkaufspraktiken exemplarisch herausarbeiten.

In seiner Zusammenfassung verortete COLIN ARNAUD (Münster) die Vorträge und Diskussionen in aktuellen Forschungstrends. So sah er die Beiträge im Rahmen einer historischen Anthropologie der Verkaufspraktiken, in der Fragen der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte aufgehen. Er sammelte die Beiträge unter zwei Oberthemen: erstens Institutionen des Tauschs, worunter unter anderem räumliche Settings, Institutionen der Kontrolle und der Vermittlung sowie Spielregeln der Reziprozität fallen. Dieser Themenbereich beschäftigt sich nach Arnaud damit, wie Transaktionen zustande kamen und wie ein Markt entstand. Zweitens Semiotiken der Transaktion: Darunter ist die Kommunikation über Transaktionen und Märkte sowie das Zustandekommen derselben zu fassen. Bei diesem zweiten Punkt ging es Arnaud darum, dass ein ‚Wahrheitsregime‘ geschaffen werden müsse, ohne dass eine Transaktion schwer zustande kommen könne. Diese Bemühungen der Akteure und Akteurinnen Vertrauen herzustellen, um eine Transaktion möglich zu machen, sei etwa in den Qualitätszeichen und im Lernen des richtigen Habitus zu sehen. Außerdem plädierte Arnaud dafür, zwischen Information (Schaffung von Evidenz über die Beschaffenheit eines Produkts) und Werbung (‚Manipulation des Diskurses über das Produkt zur Profitmaximierung des Verkäufers‘) zu unterscheiden und von Vermarktung und nicht Werbung zu sprechen. Am letzten Punkt setzte dann auch die rege Diskussion ein: PETRA SCHULTE (Trier) machte darauf aufmerksam, dass Werbung auch als Auswahl von Information begriffen werden kann und nicht per se eine Lüge darstellt. Werbung müsse als Teil der Kommunikation um die Praktiken des Verkaufens gesehen werden. Dass es bei der Tagung vorwiegend um Wirtschaftsgeschichte ging und nicht um historische Anthropologie oder Soziologie wie von Arnaud postulierte, betonte ULLA KYPTA (Hamburg). Wirtschaftsgeschichte zu betreiben bedeute, mit einer bestimmten, nämlich wirtschaftlichen Perspektive auf die Geschichte und vergangene Gesellschaften zu schauen. In eine ähnliche Richtung argumentierte CHRISTINA BRAUNER (Tübingen), die darauf hinwies, dass die Märkte, die Wirtschaftshistoriker und -historikerinnen untersuchen, stets in der Gesellschaft ‚eingebettet‘ sind und historisiert werden müssen. Für FRANZ-JOSEF ARLINGHAUS (Bielefeld) spielten die personellen Kontakte und das Voraugenführen, Greifbarmachen der Waren für die ‚Kunst des Verkaufens‘ die entscheidenden Rollen.

In seinem Schlusswort unterstrich THOMAS ERTL (Berlin) die Interdisziplinarität des Themas ars vendendi. Die ‚Kunst des Verkaufens‘ ist es Wert von unterschiedlichen Seiten mit verschiedenen Forschungsmethoden und -interessen analysiert zu werden. Als zentrales Thema rund um mittelalterliche Verkaufspraktiken erwies sich das Untersuchungsfeld der Werbung, die sich zwischen Information und Manipulation bewege. Darüber hinaus seien die Themen ‚Gewinn und Wettbewerb‘, ‚Regulierung und Standardisierung‘ sowie ‚Wertschätzung und Auskommen‘ zu ergänzen. Der interdisziplinäre und multiperspektivische Zugang, der sich bereits auf der Tagung zeigte, wird im angestrebten Tagungsband durch die kurzfristig entfallenen drei Vorträge von SABINE VON HEUSINGER (Köln), REBECCA MÜLLER (Heidelberg) und GREGOR ROHMANN (Frankfurt am Main) ergänzt. Das Interesse an der ‚Kunst des Verkaufens‘ sowie an den einzelnen Spezialthemen zeigte sich in den außerordentlich lebhaften Diskussionen, die die Redezeit der Vortragenden größtenteils überschritten und auf eine rege rezipierte Veröffentlichung hoffen lässt.

Konferenzübersicht:

Thomas Ertl (Berlin): Einführung in das Tagungsthema

Christina Brauner (Tübingen): Zwischen Praxis und Polemik: Werbung in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Ulrich Müller (Kiel): Märkte, Kaufhäuser, Kaufkeller: Materielle Praktiken einer ars vendendi

Christian Jaser (Klagenfurt): Der Florentiner Mercato Vecchio als Gravitationszentrum von kommerziellen Aushandlungen

Tanja Skambraks (Mannheim): Überzeugen, Handeln, Feilschen. Kommunikationsstrategien mittelalterlicher Händler

Angela Huang (Lübeck): Die Marke vor der Marke: Produktdifferenzierung und Qualitätsstandards in der Gewerbeproduktion (und ihre Verbindlichkeit) am Beispiel des Textilgewerbes

Thomas Frank (Pavia): Mit allen Mitteln. Multimediale Werbung für Pilgerziele (13.-15. Jahrhundert)

Nina Gallion (Mainz): Alltag im Kaufhaus: Verkaufspraktiken in Europas Kaufhäusern des Mittelalters

Julia Exarchos (Aachen): Vermittlungen am städtischen Arbeitsmarkt

Paul Schweitzer-Martin (München): Strategien zum Vertrieb und Bewerben von Inkunabeln

Colin Arnaud (Münster): Zusammenfassung


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